Pride-Verbot: Wie gefährlich wird es in Budapest?

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Pride-Verbot: Wie gefährlich wird es in Budapest?
evangelisch.de-Blogger Christian Höller fragt sich, ob er zur verbotenen CSD-Parade nach Budapest fahren soll. Er möchte dort die queere Community unterstützen. Doch er hat Angst, was in Budapest passieren könnte.

Liebe Leser_innen dieses Blogs,

ich möchte Sie heute einladen, mit mir gedanklich eine Reise nach Budapest zu machen. Budapest ist eine moderne Großstadt mit vielen Sehenswürdigkeiten wie dem Burgpalast, die Fischerbastei, das neugotische Parlamentsgebäude, die St. Stephans-Basilika und die Große Synagoge. Dann gibt es den Heldenplatz, der an die Held_innen der ungarische Geschichte erinnert. Dort befindet sich eine Säule mit einer Figur des Erzengels Gabriel. Am Heldenplatz beginnt meistens der CSD (Christopher Street Day) beziehungsweise die Regenbogenparade. Dabei handelt es sich um eine jährliche Demonstration für die Rechte von queeren Menschen. Ich bin in den vergangenen Jahren immer wieder mit Freund_innen und Organisationen zur Pride Parade nach Budapest gefahren, um queere Menschen in Ungarn zu unterstützen.

In diesem Jahr ist alles anders. Denn das ungarische Parlament hat auf Initiative von Premierminister Viktor Orban ein Gesetz beschlossen, das Pride-Paraden verbietet. Die Veranstalter_innen der Budapester Pride lassen sich nicht einschüchtern. Trotz Verbot soll die CSD-Demo am 28. Juni in Budapester stattfinden. Ich bin hin- und hergerissen. Ich möchte die queere Community in Ungarn unterstützen. Gleichzeitig habe ich Angst, was in Budapest passieren könnte.

Außenministerium rät von Teilnahme ab

Das deutsche Außenministerium rät vor einer Teilnahme ab. In den Reise- und Sicherheitshinweisen zu Ungarn heißt es im Kapitel LGBTIQ: "Meiden Sie größere Demonstrationen und Menschenansammlungen, insbesondere, wenn diese ohne behördliche Genehmigung stattfinden." Weiters schreibt das Auswärtige Amt: "Teilnehmende an nicht genehmigten Veranstaltungen können ggf. über elektronische Gesichtserkennung identifiziert und zu hohen Geldstrafen (bis zu 200.000 HUF) verurteilt werden." Die 200.000 Forint entsprechen umgerechnet rund 500 Euro. Als ich das gelesen habe, bekam ich eine Wut auf die ungarische Regierung. Wie ist es möglich, dass ich im EU-Land Ungarn eine Strafe von bis zu 500 Euro zahlen soll, nur weil ich an einer Demonstration für queere Rechte teilnehme? Was passiert als Nächstes? Hier geht es nicht nur um queere Rechte, sondern auch um die Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Die Organisator_innen der Budapester Pride versuchen, die Teilnehmer_innen zu beruhigen. Sie gehen zwar davon aus, dass die Polizei beim CSD vor Ort präsent sein werde. Doch es seien keine Inhaftierungen zu erwarten. Denn die Teilnahme an einer nicht genehmigten Veranstaltung sei in Ungarn keine Straftat, sondern nur ein geringfügiges Vergehen. Die Geldstrafen können zwischen 16 Euro und 500 Euro liegen. In solchen Fällen werden die CSD-Teilnehmer_innen von der Polizei mit der Unterschrift zur Annahme der Strafe aufgefordert. Die Organisator_innen der Budapester Pride raten davon ab, hier zu unterschreiben. Doch was passiert dann? Bekomme ich den Strafbescheid zugeschickt? Und wie kann ich hier Einspruch erheben?

Ganz ehrlich: Ich habe nicht viel Vertrauen in die ungarische Polizei. Wie wird die Polizei reagieren? Wird sie den Treffpunkt abriegeln? Wird sie die Veranstaltung sofort auflösen? Notfalls mit Gewalt? Oder wird die Polizei nur zusehen? Mache ich mir vielleicht zu viele Sorgen?

Zitronensaft gegen Tränengas

Mein erster und schlimmster Budapester Pride war im Jahr 2011. Ich nahm damals im Zuge einer Kampagne der Menschenrechtsorganisation Amnesty International teil. Rund 50 Aktivist_­innen aus ganz Europa – von Portugal bis Finnland – waren in die ungarische Hauptstadt gereist, um für die Rechte von queeren Menschen zu demonstrieren. Vor dem CSD gab es eine ausführliche Sicherheitsbesprechung durch Vertreter_­innen von Amnesty Ungarn. 

Wir bekamen dort eine halbe Zitrone überreicht. Diese sollten wir bei uns tragen. Warum eine Zitrone? Sie kann hilfreich sein, wenn es zu einem Tränengaseinsatz der Polizei kommt. In diesem Fall sollten wir uns den Zitronensaft in die Augen reiben, wurde uns erklärt. Damals wurden wir als CSD-Teilnehmer_innen von der Polizei geschützt. Die Gefahr waren militante Rechtsextremisten, die eine Gegendemonstration abhielten. Daher riegelten Polizisten in Kampfausrüstung und mit Hunden die gesamte CSD-Strecke ab.  

Bei einem Platz in der Innenstadt wurde die Lage brenzlig. Rechtsextreme und ungarische Nationalisten versuchten mit Gewalt, die Absperrungen zu durchbrechen. Die Polizei setzte dagegen Pfefferspray ein. Daraufhin warfen die Rechtsextremen Steine und Glasflaschen. Die Paraden-Teilnehmer_innen mussten deswegen stehen bleiben. Die Polizei wollte einen Durchbruch der Rechten verhindern. Sie bestand darauf, dass die CSD-Route kurzfristig geändert wird. Wir wurden durch eine Seitenstraße gelotst. Die Stimmung war angespannt. Viele hatten Angst. Zum Glück hielt die Polizei die Rechten in Schach. 

Nach der Parade mussten wir alle Transparente, Regenbogenfahnen und T-Shirts mit dem Amnesty-Logo in die Rucksäcke geben. Unsere Kleidung sollte uns nicht als CSD-Teilnehmer_innen verraten. Denn in einer nahe gelegenen U-Bahn-Station hielten sich Rechtsextreme auf. Daher teilten wir uns in Gruppen auf. Wir bildeten Paare mit Männern und Frauen. Wir sollten wie Heteros aussehen und fuhren über einen Umweg zum Treffpunkt. Falls wir von Gegendemonstranten attackiert werden, wurde uns geraten, dass wir uns als Tourist_innen ausgeben sollten. Zum Glück ist uns nichts passiert. 

Christliche Kirchen unterstützen Orban 

Eine andere Gruppe machte damals eine andere Erfahrung. Die Teilnehmer_innen wurden nach der Parade von Rechtsextremisten attackiert. Sie flüchteten daraufhin in ihren Bus. Nach Eintreffen der Polizei drehten die Rechtsextremen die Lage um. Sie behaupteten allen Ernstes, dass sie von den CSD-Teilnehmer_innen angegriffen worden seien. Die Polizei glaubte den Rechtsextremen und nahm vorübergehend zwei Personen aus der CSD-Gruppe fest.

Orban wird mit seiner Haltung gegen queere Menschen leider von den christlichen Kirchen in Ungarn unterstützt. Orban ist überzeugter Calvinist. Er diskriminiert queere Menschen und beruft sich dabei auf den Glauben. Er präsentiert sich gerne als Beschützer des Christentums. Er ist auch davon überzeugt, mit seiner restriktiven Flüchtlingspolitik das Christentum gegen den Islam zu verteidigen. Ich vertrete hier einen anderen Standpunkt. Ich glaube nicht, dass eine christliche Identität durch Abgrenzung von anderen Menschen entstehen kann.

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