Über ausgekotzte und wiedergefundene Einhörner

Katharina Payk
Das Einhorn kommt nach Hause.
Symbole der LGBTIQ-Welt: das Einhorn.
Über ausgekotzte und wiedergefundene Einhörner
Das Einhorn gilt schon lange als Symbol der LGBTIQ-Szene. Doch dann wurde es kommerziell vermarktet. Wie kann man sich das Fabelwesen als queerer Mensch zurückerobern?

Ein aufblasbares Einhorn mit Füßen aus Papier und einem Regenbogenschweif bekam ich dieses Jahr zum Geburtstag geschenkt – außerdem Regenbogenbuttons und anderes queer-feministisches Klimbim, das ich an sich sehr mag. Als wir beim Feiern mit dem grinsenden Einhorn um die Häuser zogen und viel Spaß dabei hatten, fragten mich Leute, warum das Einhorn eigentlich ein Symbol für queer geworden ist.

Ich habe als erstes geantwortet: Es war wohl ein Symbol für queer. Denn Einhörner wurden genauso wie Regenbögen in den letzten Jahren von der Industrie und vom Kommerz eingenommen und vermarktet. Wie wir damit umgehen in der queeren Community, ist ganz unterschiedlich. Vielleicht hilft dazu ein Blick in die Historie.

Das Einhorn gibt es tatsächlich schon sehr, sehr lange. Erste Erwähnungen in der Geschichte gehen in die Antike zurück, circa 500 v. Chr. bei einem griechischen Geschichtsschreiber, aber auch aus Gegenden des indischen Subkontinents gibt es Erwähnungen eines einhornartigen Wesens – und zwar bereits von rund 2000 v. Chr. Man verortete das Einhorn, lateinisch unicornis, daher wahrscheinlich grundsätzlich in Indien. In den alten Fabeln hat das Horn, welches in der Mitte der Stirn des pferdeähnlichen Wesens sitzt, besondere Heilkräfte. Das Tier selbst wird als besonders stark und schnell, aber friedlich beschrieben.

In der Bibel, im Ersten Testament, wird neunmal ein Tier mit dem hebräischen Namen re’em erwähnt, das später – ab dem dritten Jahrhundert v. Chr. – als monókerōs, griechisch für Einhorn, übersetzt wurde. Zumindest haben also manche Schriftauslegende dieses Tier, das als besonders kräftig beschrieben wurde, als Einhorn identifiziert (so auch Luther in der Bibelübersetzung von 1545), andere wiederum als Nashorn oder Auerochse.

Die Heilerin Hildegard von Bingen empfiehlt schließlich im 12. Jahrhundert diverse Teile des Einhorns als Wunderheilmittel und mahnte an, dass das Tier sich von Männern fernhält und nur nach Frauen Ausschau halte. Im Mittelalter wird der Mythos verbreitet, das Einhorn suche den Schoß einer Jungfrau; konkret ist es dann die Jungfrau Maria, die als Beschützerin des Einhorns auf Kunstgemälden diese Rolle erfüllt. Und das Einhorn wurde zum Symbol für Jesus Christus selbst.

Eine lange Geschichte also, in der das Einhorn immer wieder als Symbol für das ewige Gute, das Heilende, das Starke archetypisiert wird. Es leuchtet also ein, warum das Einhorn ein Symbol für Menschen des LGBTIQA-Spektrums wurde. Das Einhorn ist ein Wesen, was es so eigentlich nicht gibt, es ist aus einer anderen Welt, es ist anders. Diese Erfahrung machen viele queere Menschen: sich anders fühlen bzw. dass ihnen zugeschrieben wird, nicht existieren (zu dürfen). Auch entwerfen viele queere Menschen für sich eine Anderswelt, parallel zum Da-draußen, um zu überleben. Ihre Community wird der Ort, wo sie ganz sie selbst sein können, sich nicht verstecken müssen als trans, inter, homo- oder pansexuell etwa. Dass das Einhorn zudem als stark und kämpferisch gilt, wird von queeren Menschen als empowerndes Merkmal angenommen. Die Szene hatte ein nahezu perfektes Symbol gefunden.

Seit etwa sechs Jahren hält nun aber der Einhorn-Hype der Massen an. Glitzernde weiße und bunte Einhörner, die Regenbögen kotzen und mit Sprüchen versehen werden wie „Sei du selbst – außer du kannst ein Einhorn sein, dann sei ein Einhorn“ finden sich quasi überall. Es fing an mit dem Aufdruck auf Produkten wie Schokolade, Tee und Würstchen – und irgendwann war das Einhorn gefühlt überall. Es blieb nicht lange darauf zu warten, da kamen die Kinder mit den rosa Einhörnern, verkitscht und entstellt bis zum Gehtnichtmehr, an. Das war, ehrlich gesagt, ziemlich nervig. Aber Kinder sehen das, was in Medien und Schaufenstern auf sie zugeschnitten angepriesen wird – und meistens wollen sie es dann eben auch haben, spätestens, wenn es Altersgenoss*innen vor sich hertragen. Die Kinder und ich hatten plötzlich eine gemeinsame Leidenschaft für Einhörner, nur dass sie für uns symbolisch ganz anders aufgeladen waren. Immerhin war für uns alle das Einhorn ein positives Wesen – und irgendwann wurde es mir egal, das ganze Einhorn-Gedöns. Es war, wie es war: das Einhorn verraten und verkauft.

Dann wurde ich dieses Jahr auf die „Unicorns in uniforms“ aufmerksam – das sind queere Soldat*innen der ukrainischen Armee, die sich u.a. mit einem Einhorn-Aufnäher auf ihrer Uniform outen. Ohne irgendein Statement über Militär machen zu wollen, so hat mich doch der Mut dieser Menschen beeindruckt, sich mitten im „Kriegsdienst“ zu outen. Das Einhorn hat für mich tatsächlich dadurch wieder etwas an Bedeutung zurückgewonnen.

Und dann kam mein Geburtstag letztes Wochenende. Meine Nachbarin schenkte mir dieses im wahrsten Sinne des Wortes wunderbare mit Helium gefüllte Ballon-Einhorn, das mich nun immer angrinst, wenn ich auf meiner Couch sitze. Der Hype um das vermarktete Fabelwesen ist ziemlich verblichen. Das Einhorn, das mal bunte Farben gekotzt hat, ist nun ausgelutscht. In der Szene aber darf man sich wieder Einhörner schenken und schicken. Einhorn-Emojis zum Beispiel. Ich mag sie. Besonders, wenn ich mich mal wieder wie aus einer anderen Welt fühle. Und wie ich im Privaten und als queerer Mensch das Einhorn für mich und meine Community verwende, bleibt ja mir selbst überlassen. Ich würde sogar skandieren: Reclaim the unicorn!

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