Es braucht Zivilcourage um Gesicht zu zeigen

Trauergottesdienst im Osloer Dom
© Javad Parsa/NTB/dpa
Trauergottesdienst im Osloer Dom nach dem Terroranschlag in einer queeren Bar in der norwegischen Hauptstadt
Kreuz & Queer
Es braucht Zivilcourage um Gesicht zu zeigen
In der Nacht zu Sonntag sind in einer beliebten queeren Bar in der Innenstadt von Oslo zwei Menschen erschossen und viele verletzt worden. Die Polizei bezeichnet die Morde als islamistischen Terroranschlag. Der Mörder wurde festgenommen.

Eigentlich wollten die Menschen in der Innenstadt von Oslo letzten Samstagabend feiern. Es sind die sogenannten weißen Nächte von Mittsommer, die in ganz Skandinavien traditionell gefeiert werden. Und letzten Sonntag sollte zum 40. Mal die Queer-Pride-Parade durch Oslo führen. Es sollte ein großes Jubiliäumsfest werden. Stattdessen gab es Ermordete und Verletzte in einer queeren Bar. Hier mehr dazu.

Ein ganzes Land steht nun unter Schock und trauert. Elf Jahre nach der rechtsextremen Terrorattacke in Oslo und auf der Insel Utøya wird Norwegen erneut Opfer eines furchtbaren Anschlags. Weil ein einzelner Mann andere nicht so akzeptiert, wie sie sind: lesbisch, schwul, bi , trans*, inter*, queer. Das reichte ihm aus, um Menschen zu erschießen.  

Terroranschläge wie diese zeigen, warum es auch im Jahr 2022 noch so wichtig ist, für Queer-Pride-Paraden auf die Straße zu gehen. In siebzig Ländern der Welt ist Homosexualität immer noch strafbar, in sieben Ländern droht bei schwulem Sex die Todesstrafe. Verdeckte und sichtbare Ausgrenzung und Diskriminierung, homo- und transfeindliche Gewalt sind an vielen Orten immer noch an der Tagesordnung.

Ein weiteres Beispiel: Bei den Queer-Pride-Paraden in Istanbul und in Izmir gab es am letzten Wochenende laut queer.de über 370 Festnahmen. Ein Stadtteil in Istanbul wurde weiträumig abgesperrt und die Menschen wurden daran gehindert sich zu versammeln. Türkische Behörden hatten die Demonstration vorher mit dem Verweis auf die allgemeine Sicherheitslage verboten. Es gab wahllose Festnahmen. Neben den Paraden waren vorher bereits andere Veranstaltungen der so genannten „Pride Week“ in Istanbul verboten worden. Amnesty International kritisierte die Festnahmen und bezeichnet die Aktionen als homo- und transfeindliche Menschenrechtsverletzungen.

So lange die Situation für queere Menschen in Norwegen, in der Türkei und an anderen Orten nicht sicher ist und queerfeindliche Gewalt jeden Tag geschieht, sind Queer-Pride-Paraden keine Volksfeste, selbst wenn sie Feiercharakter haben, sondern immer auch Demonstrationszüge für Respekt und Gleichberechtigung und eine Mahnwache für die Toten und Verletzten von homo- und transfeindlicher Gewalt.

In Oslo gab es am Sonntagmorgen in der Innenstadtkathedrale einen Trauergottesdienst für die Opfer, ihre Angehörigen und Freund:innen. Er war geprägt von Trauer, Klage und Wut und der Forderung nach Respekt gegenüber LSBTIQ+ Menschen in Norwegen und weltweit. Der Gottesdienst wurde vom norwegischen Fernsehen übertragen. Der Premierminister, die Kronprinzessin und der Präsident des norwegischen Parlaments waren anwesend. Ebenso wie zahlreiche LSBTIQ+ Personen und Mitglieder der norwegischen Kirche.

Ich habe mir den Gottesdienst im Internet angeschaut, da ich norwegisch spreche. Der Gottesdienst war sehr bewegend. Er beklagte die Opfer und Verletzten und die nicht vorhandene Sicherheit von LSBTIQ+ Personen. Das Motto war dennoch klar und eindeutig:

»13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
aber die Liebe ist die größte unter ihnen«. (1. Kor 13,13)

Der Domdekan von Oslo eröffnete den Gottesdienst. Der Altar war mit Blumen und Regenbogenfahnen geschmückten. Der Vorsitzende der Norwegischen Kirche Olav Fykse Tveit (ehemaliger Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen) hielt die Predigt und sprach mit klaren Worten darüber, dass Liebe Gottes Geschenk an alle Menschen ist, dass Liebe stärker ist als Hass und dass queere Menschen genauso viele Rechte haben wie alle anderen, so zu leben und zu lieben, wie sie sind. Er kritisierte außerdem, dass religiöse Gruppen und christliche Kirchen oft zur Diskriminierung von queeren Personen beigetragen haben.

Daher bekräftigt er, dass auch Wut, Kritik und Anklage Wege sein können, Liebe auszudrücken, die Hass und Gewalt überwindet. Im Gottesdienst gab es Zeit Kerzen anzuzünden und Fürbitten zu sprechen. Es gab Musik, Schweigen, Tränen und Wut. Und die klare Hoffnung, dass die Liebe siegt. Trotz allem. Und dass die queere Community sich nicht beirren lässt und weiterhin sichtbar und kämpferisch durch Oslo und andere Städte der Welt zieht, solange noch keine gleichen Rechte für alle existieren.

In Oslo wurde die Jubiläums-Parade, die für letzten Sonntag geplant war, aus Sicherheitsgründen nach dem Anschlag abgesagt. Das geschah aufgrund der Gefahreneinschätzung der Osloer Polizei. Viele kritisierten die Entscheidung und sagten, dass sie die Parade nach dem Anschlag mehr denn je bräuchten. Es gab am Sonntagnachmittag daher tatsächlich einen improvisierten Protestmarsch durch die Innenstadt von Oslo, an dem mehrere tausend Menschen teilnahmen. Auch Freund:innen von mir waren dabei. Und den ganzen Tag kamen Leute, um Blumen und Regenbogenfahnen in der Nähe der Bar nieder zu legen, an dem der Anschlag passiert war.

Ich habe selbst schon an Pride-Paraden in Polen, Lettland und Rumänien teilgenommen, bei denen ich den Hass von rechtsnationalen, gewaltbereiten Gruppen und Neonazis gespürt habe und mit Eiern, Dreck und Steinen beworfen wurde. Die Tägliche Gefahr von Hass und Gewalt auf queere Menschen und andere Minderheiten ist real. Es zeigt deutlich, dass niemand wirklich sicher ist, der in irgendeiner Weise als anders gelesen wird als es die Norm vorsieht.

Es braucht Zivilcourage trotzdem Gesicht zu zeigen und sich bei queeren Paraden oder zu anderen queeren Veranstaltungen für Respekt und Gleichberechtigung für alle einzusetzen. Daher sind queersensible Freund:innen so wichtig. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für Sicherheit, Respekt und gleiche Rechte für alle einzutreten. Denn eine Gesellschaft ist nur so sicher, wie sich Minderheiten in ihr sicher fühlen. Dies ist aber nicht nur eine gesellschaftliche Verantwortung, sondern ein Auftrag an alle.

„Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Das Motto des Trauergottesdienstes am Sonntag in Oslo bezeichnete kein romantisches Gefühlsgedusel. Es war ein klares Statement. Es fordert von uns allen einen couragierten Einsatz für Respekt und Nächstenliebe, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Alter, Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung.

 

Danke an Hilde Raastad aus Oslo, die auf Facebook ihre Erlebnisse und Gedanken am Wochenende in Oslo geteilt hat und mir geholfen hat, meine eigene Trauer und meine Gedanken in Worte zu fassen.

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