Lügen sind Teil unserer Geschichte

Lügen sind Teil unserer Geschichte
"7 Wochen ohne Lügen" ist auch für Lesben, Transsexuelle und Schwule
© Getty Images/iStockphoto/Vladimir Vladimirov
Kann manmit dem Coming-out ins Licht der Öffentlichkeit treten, kann man zu sich selbst stehen? "7 Wochen ohne Lügen" ist auch für Lesben, Transsexuelle und Schwule ein Thema.
Das diesjährige Motto der Fastenaktion der evangelischen Kirche rückt die Frage nach der Bedeutung von Lügen für unser Zusammenleben in den Blickpunkt. Homosexuelle wissen um die Brisanz von Wahrheit und Lüge.

Aschermittwoch ist der Tag, an dem die Masken des Karnevals abgelegt werden. Darunter kommt vielleicht die Maske zum Vorschein, die wir das ganze Jahr tragen, vielleicht unser wahres Gesicht, was immer das auch sein mag.

"7 Wochen ohne Lügen", so der Vorschlag der evangelischen Kirche für die Fastenzeit. Ein kühnes Motto von einer Institution, die ohne Lug und Trug wohl kaum zum heutigen Einfluss und weltlichen Besitz gekommen wäre. Was bereits den Verdacht impliziert, dass man es mit der Wahrheit allein nicht allzu weit bringen kann in dieser Welt. Institutionell nicht und auch nicht individuell ... Manchmal kann man schlicht nicht leben, wenn man nicht lügt.

Lesben, Transsexuelle, Schwule wissen dies nur allzu gut. Würde man eine Geschichte der Homosexuellen bzw. der Homosexualität schreiben, dann wäre es auch immer eine Geschichte der Lüge. Verheimlichen, verleugnen, Ausreden erfinden - bis in die heutige Zeit ist der Prozess des sich bewusst Werdens über die eigene sexuelle Orientierung mit der Angst vor den Reaktionen von Familie, Freunden, der Gesellschaft verbunden. Irgendwann weiß man "die Wahrheit", unnötig, sich noch was vorzumachen, sich selbst zu belügen. Aber kann man damit ins Licht der Öffentlichkeit treten, kann man zu sich selbst stehen? In der unglücklichen Formulierung vom "bekennenden Homosexuellen" schwingt noch das richterliche Setting des Vorgangs mit, der "Zwang zum Geständnis".

Das Coming-out, das Heraustreten in die Öffentlichkeit, mag heute und hierzulande leichter fallen. Doch es kann nicht geschehen ohne den Hintergrund jahrzehntelanger Verfolgung und Kriminalisierung. Wer sich als Schwuler, Lesbe, Bisexueller oder queerer Mensch outet, weiß um diese Geschichte. Und selbst wenn es in Deutschland alles gut aussieht, ein Blick in weite Teile der Welt würde einen gemahnen, dass Homo- und Transsexuelle immer noch als Projektionsfläche für Hass, Verfolgung und Lügen herhalten müssen. Und selbst wenn es in Deutschland alles gut aussieht, ist es das auch? Schwuler Pfarrer, Mann-zu-Frau-Pfarrerin? In einigen Bundesländern bzw. evangelischen Gemeinden zieht man es immer noch vor, lieber keinen Kantor als einen schwulen Kantor zu haben. Bieten die Kirchen den "Rahmen", wie es Arnd Brummer schreibt, "in dem sich alle trauen die Wahrheit zu sagen"? Bietet die Gesellschaft den "Rahmen"?

Das Leugnen, das Verheimlichen der eigenen Homosexualität kann zur Lebenslüge werden wie auch zur Überlebenslüge. Vielleicht ist es aber gerade dieses Wissen wie auch das Wissen um die düstere Geschichte, das die Wahrheit gerade für Homosexuelle so kostbar macht, warum das öffentliche "Bekenntnis" zelebriert und gefeiert werden muss. Die Wahrheit gegenüber sich selbst ausgehalten zu haben und schließlich zur Wahrheit des eigenen Soseins zu stehen, darauf können Transgender, Lesben und Schwule zurecht stolz sein. Und wir sollten nicht aufhören, an einem gesellschaftlichen Rahmen mitzuwirken, der diese Ehrlichkeit möglich macht.

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