Sichtbar wichtig: Die Ausstellung "Homosexualität_en"

Sichtbar wichtig: Die Ausstellung "Homosexualität_en"
© DHM / Thomas Bruns
Die Ausstellung "Homosexualität_en" im Deutschen Historischen Museum gibt einen Einblick in Geschichte und Kultur gleichgeschlechtlichen Lebens und Liebens. Sie bietet eine Fülle spannender Aspekte, unter anderem auch zur Rolle der Religion.

Irgendwann ist immer "Das erste Mal" - und so beginnt auch die Ausstellung "Homosexualität_en" im Deutschen Historischen Museum in Berlin mit Zeugnissen und Erzählungen vom Coming-out. In kurzen Filminterviews erzählen Schwule und Lesben von für sie wichtigen Begebenheiten, Erlebnissen anhand eines ausgewählten Gegenstandes. Ein Buch, ein Ballettschuh, es gibt so manches, woran sich Erinnerungen entfalten können. In einer Vitrine sind zwei farbige Stolen mit dem Motto des Evangelischen Kirchentages 2001 in Frankfurt - "Du stellst meine Füße auf weiten Raum" - zu sehen, daneben ein kleiner Ansteckbutton mit dem Slogan "Schwerter zu Pflugscharen" und eine Eintrittskarte zum Kirchentag 1989 in Berlin. Dahinter stehen individuelle Geschichten: die des schwulen Theologenpaares, das 2001 die Verpartnerung mit einem Dankgottesdienst in der Dorfkirche von Huntlosen bei Oldenburg feierte; die der lesbischen Frau und der Bedeutung, die zu DDR-Zeiten der "Arbeitskreis Homosexuelle Selbsthilfe – Lesben in der Kirche" für sie hatte; die des Berliner Designers, der sich auf dem Kirchentag 1989 erstmals in eine schwule Gruppe traute - übrigens solidarisch begleitet vom besten Hetero-Freund! Zugleich werden in den Schilderungen auch Brüche mit der Kirche, weniger mit dem Glauben, deutlich.

Umstrittenes Plakat der Berliner Ausstellung "Homosexualität_en"
In zehn Kapiteln / Räumen, verteilt auf zwei Etagen widmet sich die Ausstellung "Homosexualität_en" in vielfältiger Weise und mit einer Fülle von Exponaten schwuler und lesbischer Geschichte, der Repression ebenso wie der Emanzipation seit dem späten 19. Jahrhundert. Auswirkungen auf tradierte Geschlechterrollen und die Vielfalt der Lebensweisen sind Hauptthemen. Initiiert wurde sie vom Schwulen Museum* Berlin - von ihm stammen auch die meisten der Exponate. Realisiert wurde sie in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum. Dass ein Teil der Schau dort gezeigt wird (der zweite ist im Schwulen Museum* selbst zu sehen), ist ein bedeutendes Ereignis. Nicht nur, weil es zeigt, wie Schwule und Lesben in der "Mitte der Gesellschaft" angekommen, somit sichtbar geworden sind, sondern auch, weil sie mit einer von Museen gepflegten Praxis des Ignorierens bricht. Oder, wie es an einer Stelle heißt: "In Ausstellungen und Sammlungen ist die Geschichte und Kultur von homosexuellen und trans* Menschen (transsexuell, transgender etc.) nicht präsent."

Hier nun ist sie sichtbar: In Fotos, Gemälden, Büchern, Plakaten. Oft geht die Ausstellung schlaglichtartig vor. Da überrascht manches Detail, manches gezeigte Objekt amüsiert: Wer etwa würde ein Service von Villeroy erwarten? Und dass es etwas mit Fußball zu tun hat? Vieles muss aus den Erläuterungstafeln erlesen werden - so im Teil "Wildes Wissen", wo unter anderem ein Plakat "Homo-Ehe stoppen" zu sehen ist: Es ist aber keineswegs von heutigen Gegnern der Ehe-Öffnung, es ist von einer homosexuellen Aktivistengruppe, die damit einst vehement gegen die Lebenspartnerschaft und die Verbürgerlichung argumentierte!

Am Ende der ersten Etage prangen überdeutlich Zitate aus dem Römerbrief des Paulus wie aus dem 3. Buch Mose an der Wand, jene Bibelstellen, die auch heute noch von Teilen der christlichen Kirche gegen Homosexuelle bzw. Homosexualität vorgebracht werden. Damit wird man in die zweite Etage und den mit "Schimpf und Schande" betitelten Raum geführt. Scharlachrot gestrichen, kann man hier in Wandnischen homophobe, denunziatorische, beleidigende Zitate von "Predigern, von Repräsentanten der Kirche" sowie Personen der Populärkultur hören. Wobei die Betonung auf "kann" liegt - denn vielleicht hat man gar keine Lust, sich diese negativen Endlosschleifen (schon wieder) anzuhören. Später ist in der Ausstellung noch eine Ausgabe der Schedel’schen Weltchronik von 1493 zu sehen, die die Geschichte von Lot, die aus Sodom flieht, illustriert - und zwar im Raum, der die historische Entwicklung der Strafverfolgung und das weltweite Ausmaß heutiger Homosexuellenverfolgung zeigt.

Nun liegt man mit Kritik an der Haltung der Kirchen, ihrer Rolle an der Verfolgung und Ausgrenzung von Homosexuellen über viele Jahrhunderte nie falsch. Allerdings macht sich die Ausstellung auch keine große Mühe, "die" Kirche / "die" Religion zu differenzieren. Die solidarischen Gruppen und Menschen innerhalb der Kirche kommen quasi nicht vor; es sei denn in Form der eingangs geschilderten Einzelbiografien. Hier fehlt eine übergreifende (gesamt)gesellschaftliche Analyse, die auch die Kirchen in ihren Kontext einordnet. Zugleich aber bietet die Ausstellung durch eine Vielzahl von Bezügen zwischen den Räumen durchaus Impulse für eigenes Nach- und Weiterdenken.

Zwei Räume der in diesem Sinne ebenso sehens- wie denkwürdigen Ausstellung seien noch erwähnt. Der Raum "In der Matrix" widmet sich den Themen Gender, Geschlechtervielfalt, Transsexualität. Mit einem Zitat der Philosophin Judith Butler wird auf die "heterosexuelle Matrix" hingewiesen, also das System von zwei biologischen Geschlechtern. Es ist sicher kein Zufall, dass die Tafel, die das Schlagwort erklärt, über den Köpfen der Besucher hängt. Es bedarf dann schon eines Elektroschockgerätes als Exponat, um zu verdeutlichen, dass in diesem eher unanschaulichen Teil vielleicht weniger einer kopflastigen Debatte nachgespürt wird, als dem traurigen Umstand, dass die "heterosexuelle Matrix" immer dann ihre Wirkungen entfaltet, wenn "Abweichungen" gewaltsam in dieses Raster gebracht wurden und immer noch werden.

Der Gedenkraum "Im rosa Winkel" gedenkt mit ausgewählten Biografien der von den Nazis verfolgten Homosexuellen. Eine Unterzeile an der Wand stellt die schmerzliche Frage "Habe ich jemals gelebt?". Der Gedenkraum liegt fast am Ende der Ausstellung, er ist aber nicht ihr Ende! Es ist ein sehr berührender Raum, der quasi im Nachhinein dem zuversichtlichen Beginn der Ausstellung, den vielen "ersten Malen" erst recht Tiefe und Wichtigkeit gibt. Wer immer kann, sollte heute leben.

 


Infos zur Ausstellung: „Homosexualität_en“, bis 1. Dezember 2015 im Deutschen Historischen Museum in Berlin, Unter den Linden 2, täglich 10-18 Uhr. Eintritt: 8 €. Mehr dazu auf der Internetseite des DHM. Der zweite, thematisch etwas anders gewichtete Teil der Ausstellung wird im Schwulen Museum* Berlin, Lützowstraße 73, gezeigt. Mehr Infos und Öffnungszeiten auf der Internetseite des Schwulen Museums*.

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