Die Aufarbeitung des „größten Betrugsskandals in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ (Tagesspiegel) ist offiziell erst seit zwei Jahren abgeschlossen. Die Hauptrolle spielte bekanntlich ein früherer Herstellungsleiter des Kinderkanals von ARD und ZDF, der Geld veruntreute und es im Kasino verjubelte.
Der Schaden, den der spielsüchtige Angestellte anrichtete - 9,966 Millionen Euro - wirkt indes relativ klein, wenn man einen aktuellen Fall zum Maßstab nimmt, über den heute die SZ und die FAZ berichten. Es geht um das in München ansässige Institut für Rundfunktechnik (IRT), eine Gemeinschaftseinrichtung von ARD, ZDF, dem Deutschlandradio, dem ORF und der Schweizer SRG. Anlass der Artikel ist die Verhaftung eines Patentanwalts, der das IRT „um 100 bis 200 Millionen Euro betrogen“ haben soll, wie SZ-Redakteur Klaus Ott schreibt. Der Großteil davon soll „in den vergangenen zehn Jahren“ in die Taschen des patenten Patentanwalts geflossen sein.
Was macht eigentlich das IRT?
„(Es) ist als Forschungsanstalt seit seiner Gründung im Jahr 1956 an maßgeblichen kommunikationstechnologischen Entwicklungen beteiligt gewesen – etwa dem Videotext“,
weiß Axel Weidemann (FAZ). Ott schreibt, der über Jahrzehnte - zunächst fest und dann frei - für das Institut tätige Jurist soll laut einer Mitteilung des für diese Gemeinschaftseinrichtung zuständigen BR
„für das IRT ‚besonders nachteilige Verträge‘ herbeigeführt haben (…) Die Patente des Technik-Instituts seien über eine internationale Gesellschaft so verwertet worden, dass davon vor allem der Patentanwalt profitiert habe“.
Im Folgenden erweist sich der bayerische Wirtschaftsjournalist Ott auch als Kenner bayerischer Vorabendserien:
„Haben sich ARD und ZDF bei ihrem Technik-Institut genauso trottelhaft angestellt wie die tollpatschigen Polizeibeamten ‚Hubert und Staller’ mit ihren Leichen am Starnberger See im Vorabendprogramm im Ersten? Haben die Kontrollmechanismen bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten und ihrem Technik-Institut versagt? Oder ist der Patentanwalt als vermeintlicher Übeltäter so gerissen vorgegangen, dass das IRT und seine Träger über Jahre und Jahrzehnte hinweg nicht mitbekommen konnten, wie sie offenbar ausgenommen worden? Fragen über Fragen, mit denen sich die Aufsichtsgremien der Anstalten nun beschäftigen dürfen.“
Die FAZ zitiert den BR-Justiziar Albrecht Hess mit den Worten, man werde „alle rechtlichen Mittel bemühen, um ‚eine Rückerstattung der dem IRT entgangenen Mittel in vollem Umfang zu erwirken’“. Hoffentlich war der Patentanwalt nicht Stammgast im Kasino.
[+++] Ob im Morgenmagazin oder Mittagsmagazin oder in ihren Hörfunkprogrammen: Die ARD hat programmlich einiges auf die Beine gestellt am gestrigen Internationalen Tag der Pressefreiheit. Was sie allerdings nicht hinbekommen hat: eine Solidaritätsaktion für Deniz Yücel. Einige Intendanten des Senderverbunds hatten sich bei einer Sitzung Anfang April dafür eingesetzt, umgesetzt wurde die Idee allerdings nicht. Ich habe darüber etwas für die taz geschrieben. [Nachtrag, 11.45 Uhr: Sehr ausführlich geht Ulrike Simon in ihrer RND-Medienkolumne auf die Sache bzw. den "Risikovermeidungsverein" ARD ein]
Einen auch nur annähernd vollständigen Überblick über anlässlich des Pressefreiheitstages entstandene oder aus anderen Gründen das Thema Pressefreiheit betreffende Beiträge zu liefern, ist an dieser Stelle nicht möglich. Statt dessen eine möglichst heterogene Auswahl: Spiegel Online listet die Namen der 193 derzeit weltweit inhaftierten Journalisten. Die Medienkorrespondenz dröselt auf, welche Folgen die am 25. Mai 2018 in Kraft tretende neue EU-Datenschutzgrundverordnung für Journalisten haben könnte; durch sie könnte beispielsweise der „Informantenschutz ausgehebelt“ werden. Diesen „Grundpfeiler der Pressefreiheit“ sieht wiederum Frank Rieger, der Vorsitzende des DJV-Landesverbandes Niedersachsen, bereits jetzt gefährdet. Anlass seiner Äußerung: Nachdem „aus dem Untersuchungsausschuss des Niedersächsischen Landtags zur Terrorabwehr vertrauliche Informationen an die Presse gelangt“ waren, hat die Staatsanwaltschaft Hannover mehrere Journalisten vorgeladen, die diese Informationen verwendet hatten. Der NDR berichtet dies unter Berufung auf die HAZ.
Elisabeth Kimmerle beschäftigt sich für gazete.taz unter der Überschrift „Lachen im Ausnahmezustand“ mit der aktuellen Lage der Satirepublikationen in der Türkei sowie mit der dortigen Geschichte des Genres:
„Auch für die Karikaturist*innen wird unter dem repressiven Kurs der AKP-Regierung der Raum für Kritik immer enger. Seit 180 Tagen sitzt Musa Kart, der Karikaturist der oppositionellen Tageszeitung Cumhuriyet im Hochsicherheitsgefängnis Silivri. Als er am 31. Oktober 2016 abgeführt wurde, sagte er: 'Im Moment fühle ich mich, als würde ich selbst in einer Karikatur leben. Was wir hier erleben, ist grotesk (…)' Anders als in politischen Umbruchsphasen der Vergangenheit sinken heute die Verkaufszahlen (…) Die Karikaturen werden nach wie vor viel gelesen – doch die Verbreitungswege der Satire ändern sich. In den sozialen Medien werden die Karikaturen zwar geteilt, aber die Hefte bleiben an den Kiosken liegen. Die Menschen, so scheint es, haben in diesem Land, in dem niemand weiß, was morgen kommt, genug damit zu tun, ihren Alltag aufrechtzuerhalten.“
Ähnliches Thema: Çiğdem Akyol schreibt für Zeit Online über das türkische Satireportal Zaytung.
[+++] Medientagungszeit ist auch gerade mal wieder. In Leipzig gehen heute die Medientage Mitteldeutschland zuende. Was die ARD-Vorsitzende Karola Wille dort zum Tag der Pressefreiheit zu sagen hatte, ist dieser Mitteilung des Senderverbunds zu entnehmen. Was sonst noch Thema war beim Kongress, steht etwa in der Leipziger Volkszeitung. Außerdem fand am Dienstag und Mittwoch der Mediendialog Hamburg statt, über den zum Beispiel das Abendblatt berichtet und in dessen Rahmen Bürgermeister Olaf Scholz eine Rede hielt, in der er forderte, „die Medienpolitik nicht mehr nur vom Fernsehen aus zu denken, sondern die Breite der Angebote und ihren journalistischen (!) Kern ins Zentrum zu rücken“.
Falls Sie sich über das Ausrufezeichen wundern: Es steht im Redemanuskript, das hier als PDF zu haben ist. Ein bisschen konkreter wird Scholz durchaus:
„Wir brauchen (…) endlich eine medienpolitische Gesamtkonzeption. Ein solcher Entwurf darf sich nicht mehr darin erschöpfen, einzelne Interessen einzelner Medienbranchen zu bedienen und gelegentlich die Balance zwischen den unterschiedlichen Ansprüchen auszutarieren. Ein solcher Entwurf muss ein ganzheitliches Bild der gesellschaftlichen Kommunikationsordnung unter den Bedingungen digitaler Technologien entwickeln.“
Zumindest Menschen, die sich für SPD-interne Befindlichkeiten und Reibungsflächen interessieren, dürften es brisant finden, dass Scholz in seiner Rede auch noch zum Ausdruck brachte, dass er wenig von dem geplanten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Altpapier) hält, von dem seine Genossen Heiko Maas und Thomas Oppermann ganz viel halten:
„Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz der Bundesregierung, das ein wesentliches Problem im Netz zu Recht anpackt, ist merkwürdig unwuchtig. Es übersieht tendenziell, dass es bei jedem Eingriff immer auch darum gehen muss, die freie Rede sicher zu stellen. Wir dürfen nicht nachlassen, diese individuelle und institutionelle Kommunikationsfreiheit zu sichern, die ja gerade durch digitale Technologien erst unermesslich ausgeweitet wurden.“
[+++] Das Bild, das der Freitag - für den ich eine Zeitlang gern, wenn auch äußerst sporadisch geschrieben habe - seit einigen Monaten abgibt, ist nicht besonders vorteilhaft. Zunächst die Einsetzung eines Sängers „antisemitischer Evergreens“ als Herausgeber, dann der skandalöse Umgang mit der freien, auf Mafiathemen spezialisierten Autorin Petra Reski (siehe u.a. dieses Altpapier). Ins Bild passt nun, dass das Blatt aktuelle Fragen in ein „fünf Wochen altes Interview montiert hat“, wie es bei Übermedien heißt.
„Das alte Gespräch sei so veröffentlicht worden, als handle es sich um ein aktuelles. Seine Antworten habe der Freitag nicht geändert, ‚aber wenn man die Fragen verändert, verändert man auch die Bedeutung der Antworten‘“.
Rosenkranz kritisiert in diesem Zusammenhang Freitag-Chefredakteur Christian Füller, der sagt, er habe zwei Fragen des Gesprächs „aktualisiert“:
„Auf den Gedanken (…), dass es keine so gute Idee ist, in ein altes Gespräch einfach aktuelle Fragen zu montieren, ist Füller wohl nicht gekommen.“
Aber da wir hier in Sachen Jakob Augstein und Co. auch nicht zu ernst werden wollen, runden wir das Thema Freitag hier mit einem Hinweis auf Leo Fischers aktuelle Klingt-diese-Woche-wie-Kolumne aus der Jungle World ab. In der neuen Ausgabe klingt er nämlich wie Augstein, und das liest sich unter der Überschrift „Was Netanyahu jetzt lernen muss“ dann unter anderem so:
„Es fällt schwer, ein befreundetes Land im Kriegszustand zu kritisieren, gerade jetzt, wo es unter einem Diktator zu leiden hat, gerade jetzt, wo die Sonne so schön auf meine gemütliche Verlegervilla scheint. Aber es muss raus, ja, der Druck ist da, der Schmerz so groß, Zurückhaltung unangebracht. Denn auch im Privatleben gilt: Wenn ein lieber Freund plötzlich aufhört, vor mir zu katzbuckeln, muss ich die Frage stellen dürfen, wie hoch dann seine Überlebenschance noch sein kann. Mit Antisemitismus hat das übrigens nichts zu tun, das hat mir der Holocaust-Überlebende Sigmar Gabriel eben noch am Telefon bestätigt.“
[+++] Ebenfalls aktuell bei Übermedien: eine Auseinandersetzung mit dem sehr umstrittenen Correctiv-Artikel über Teile der Berufsbiographie einer nordrhein-westfälischen AfDistin, verfasst unter anderem von David Schraven, dem Spiritus Rector der gemeinnützigen Organisation. Der Text, der auch Aufmacherthema des gestrigen Altpapiers war, ist für Stefan Niggemeier Anlass für eine eher grundsätzliche Bemerkung:
„Vielleicht hängt es mit der gewissen Breitbeinigkeit und Dickhodigkeit zusammen, mit der vor allem Correctiv-Chef David Schraven immer wieder auftritt, die der gewünschten Wahrnehmung als unabhängiges, grundsolides, seriöses Rechercheunternehmen im Wege steht.“
Das klingt ein bisschen so, als hätte Niggemeier schon länger auf eine Gelegenheit gewartet, das mal loszuwerden, aber uns sind solche Popcorn-Geruch evozierenden Formulierungen natürlich nicht unlieb. Alles weitere zum mutmaßlich breitbeinigen Correctiv-Text steht im bereits erwähnten Altpapier von Mittwoch.
[+++] Bleiben wir aber beim Thema AfD: Zunächst ein kurzer Hinweis auf einen Medienkorrespondenz-Artikel, der die Überschrift „Zehn Prozent für Frauke Petry“ trägt. Dahinter verbirgt sich eine Nachbetrachtung des ARD-Dokumentarfilms „Nervöse Republik“ (siehe u.v.a. dieses Altpapier), die allerdings über eine Rezension hinausgeht (Disclosure: Der Text ist von mir). Die Headline bezieht sich auf die Präsenz Petrys in dem Film.
„Welchem politischen Lager bei Facebook welche Nachrichtenseite gefällt“ - darum geht es heute auf der SZ-Medienseite. Es handelt sich dabei um weitere Ergebnisse der langfristigen Datenrecherche zu der Frage, wie bei Facebook Politik gemacht wird (siehe Altpapier). Simon Hurtz schreibt:
„AfD-Sympathisanten liken längst nicht nur rechtsalternative Nischenmedien. Drei Facebook-Seiten großer deutscher Nachrichtenportale vereinen Nutzer aus allen politischen Milieus inklusive der AfD: Welt und Huffington Post sowie das Politik-Ressort von Focus Online, das bei Facebook mit einer eigenen Seite vertreten ist. Dessen allgemeine Facebook-Präsenz fällt dagegen bei Grünen, Linken und Sozialdemokraten durch, ist im AfD-Lager aber außerordentlich beliebt. Um herauszufinden, warum ausgerechnet diese Seiten so attraktiv für AfD-Anhänger sind, wäre eine genaue Analyse der Inhalte nötig, die dort gepostet werden. Doch auch ohne jeden Link auszuwerten, fällt auf, dass insbesondere die beiden Burda-Portale Huffington Post und Focus Online häufig Kommentare oder Interviews verlinken, die sich kritisch mit Flüchtlingen und Zuwanderern, dem Islam und anderen Themen beschäftigen, mit denen die AfD mobilisiert. Entsprechend regelmäßig sammeln diese Posts dann auch ein paar Hundert oder Tausend wütende Reaktionen und werden hundertfach geteilt und kommentiert. Auffallend oft finden sich diese Links in Timelines von AfD-Sympathisanten oder in Facebook-Gruppen mit rechter bis rechtsextremer Ausrichtung.“
Das Twitter-Nutzungsverhalten am rechten Rand wertet dagegen die taz aus. Quintessenz: „Rechte Twitterer verbreiten häufig Texte von Welt, Focus und Bild.“ Zum Hintergrund schreibt Lalon Sander:
„Seit April haben wir deshalb begonnen, die Links zu verfolgen, die von rechten Twitterkonten geteilt werden. Unser Account @DieRechteBlase teilt dabei Artikel aus Mainstreammedien, die unter Rechten besonders beliebt sind. Für @DieRechteBlase werden mehr als 200 Twitterkonten ausgewertet.“
Als Vergleich hilfreich: die auch im taz-Text erwähnten datenanalytischen Recherchen zum Thema AfD auf Twitter, die Tagesspiegel und netzpolitik.org geleistet haben.
Im Zusammenhang mit Focus drängt sich heute noch ein Zitat auf. Es geht um mutmaßlichen, von den Burdisten natürlich in Abrede gestellten Artikeldiebstahl seitens Focus Online. Die Bild-Zeitung, die sich hier als Opfer sieht, hat im Januar beim Landgericht Köln eine Klage eingereicht (siehe Altpapier), auf die Burdas Top-Advokaten schon jetzt reagiert haben. Die SZ zitiert aus einer Mitteilung des Verlags:
"Das Zitieren und Weiterverarbeiten veröffentlichter Informationen ist für den gesellschaftlichen Kommunikations- und Meinungsbildungsprozess unverzichtbar.“
Es ist zum Piepen.
Altpapierkorb
+++ „Eine Debatte, die von der ersten Minute an entgleiste“ - so überschreibt Die Welt eine Betrachtung des TV-Duells zwischen Marine Le Pen und Emmanuel Macron. Georg Blume (Zeit Online) berichtet ebenfalls.
+++ Eine Kampagne gegen Waffenexporte unter dem Titel "CDU mit Gefühl!“ hat sich die Künstlergruppe Peng ausgedacht. Mehrere englischsprachige Medien haben sch foppen lassen (faktenfinder.tagesschau.de).
+++ Wer es „geflüchteten Redakteur_innen von Freien Radios im deutschsprachigen Raum“ ermöglichen will, Ende Mai beim jährlichen, von der Assoziation Freier Gesellschaftsfunk veranstalteten Radiocamp teilzunehmen, kann hier spenden.
+++ Die Deutsche Welle (DW) will erreichen, dass „ihr englischsprachiger Informationssender DW, das Programm DW Español, das für Lateinamerika produziert wird, und der auf den arabischsprachigen Raum ausgerichteten Kanal DW Arabia“ auch in Deutschland empfangen werden können. Das berichtet die Medienkorrespondenz, die dem Sender das Statement entlockt hat, „es sei „nicht zu vermitteln, warum ausländische Zuschauer in Deutschland zwar BBC, France 24, CNN, auch Al Jazeera und RT oder den chinesischen oder türkischen Auslandssender empfangen können, nicht aber die DW.“
+++ Über weitere Abo-Erfolgsmeldungen der New York Times berichten das Wall Street Journal und das Nieman Lab.
+++ Die Überschrift „Podcasts sind das neue Radio“ klingt möglicherweise nicht allzu frisch, dennoch handelt es sich hier um einen kundigen und instruktiven Rundumschlag Christoph Kellers für das Schweizer Medienmagazin Edito.
+++ Auf die in diesem Monat sich in Hessen in der Testphase befindende Zeitschrift Spiegel Fernsehen (siehe Altpapier) geht der Tagesspiegel ein.
+++ Ein ganz spezielles Früchtchen scheint Christian Frommert zu sein, der bei der TSG Hoffenheim als „Direktor für Kommunikation und Medien“ firmiert. "Dieser Typ ist wirklich schlimm. Selbstherrlich, arrogant und ein so unfassbarer Dilettant (…) Faul, untalentiert, unsympathisch“ - so urteilt Frommert in donaldtrumpesker Manier über den Sportchef der Rhein-Neckar-Zeitung. Darüber wiederum schreibt die Heilbronner Stimme.
Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.