"Aber weil zum Tangotanzen immer zwei gehören: Wenn das nächste Mal jemand in Ihrem Umfeld irgendwas von Lügen- oder Systempresse brüllt, fragen Sie ihn doch mal, wie genau das eigentlich gemeint ist. Ob er wirklich glaubt, dass sich Journalisten morgens vom Kanzleramt briefen lassen, was sie schreiben dürfen ..." (Christian Jakubetz, blog.br24.de)
Solche Ratschläge im Plauderton tauchen seit Monaten in Was-mit-Medien-Blogs auf, und zwar zurecht. Viele Medienmenschen begegnen auch in ihrem Umfeld Zeitgenossen, die den Medien nur noch wenig Vertrauen entgegenbringen.
Wenn Journalisten also am besten aktiv herumerzählen sollten, dass sie nicht vom Kanzleramt gesagt bekommen, was sie schreiben dürfen – ist dann nicht am besten, wenn sie auch nicht mehr zu Hintergrundgesprächen ins Kanzleramt gehen (oder in den Regierungs-Flieger steigen)? Das ist der Hintergrund des dicken Dings, das der Berliner Tagesspiegel bzw. sein Redakteur Jost Müller-Neuhof aktuell angerichtet haben (Altpapierkorb gestern):
Einem erstinstanzlichen Berliner Verwaltungsgerichts-Urteil zufolge muss die Bundesregierung nun "preisgeben, wann, wo, zu welchen Themen und mit welchen Beteiligten die vertraulichen Runden stattgefunden haben", wie Müller-Neuhof in einem weiteren Tsp.-Artikel präzisiert. Heißt: Zwar nicht die Inhalte seiner, aber sozusagen die Meta-Daten seiner Hintergrundgespräche soll das Kanzleramt öffentlich machen.
Das ist umstritten. Die Journalistengewerkschaft DJV, die sich zwar oft empört, aber eigentlich nur, wenn voraussichtlich die meisten ihrer Mitglieder empört sind, spricht von "Farce" und sieht
"einen Eingriff in das Redaktionsgeheimnis: 'Wenn der Richterspruch so stehen bleibt, wäre er auf alle Politiker bis hinunter zum Bürgermeister übertragbar.' Hintergrundgespräche von Journalisten seien keine Kungelrunden, sondern wichtige Instrumente zur Gewinnung und Einordnung von Informationen."
(Falls Sie sich fragen, ob Frank Überall vorm Spiegel ein "Tages-" vergessen hat: Nein, er bezieht sich auf diese Meldung).
Müller-Neuhof zitiert in seinem aktuellen Artikel Aufschlussreiches aus der "knapp 50 Seiten" umfassenden Argumentation der "Anwälte der Regierung". Die beteuerten demzufolge, dass es sich bei Hintergrundgesprächen um "jahrzehntelang erprobte Instrumente der Willensbildung und Willensvermittlung" handele, und:
"Zudem müsse die Regierung die Möglichkeit behalten, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu prüfen, 'inwieweit bestimmte politische Positionen medial vermittelbar sind'".
Vielleicht ist das eine der schärfsten Analysen der Merkel-Politik überhaupt: Die Bundeskanzlerin vertritt immer die Positionen, die "medial vermittelbar" sind, und die anderen halt nicht. (Was ihren Gesprächspartnern aus den Medien natürlich enorme Verantwortung zuschreiben würde ...)
Jedenfalls ist die Frage, ob solche Hintergrundgespräche, die Müller-Neuhof lieber "Geheimgespräche mit Journalisten" nennt, noch in eine Gegenwart passen, in der die mächtigsten Männer der Welt ihre Positionen völlig ohne mediale Vermittlung raushauen und in der inzwischen jede Tageszeitung erfahren hat, dass sie Schleusenwärter-/ Gatekeeper-Funktionen kaum noch erfüllt, schwer zu beantworten.
Selbst der meist meinungsstarke Michael Hanfeld hält sich auf seiner FAZ-Medienseite ziemlich zurück. Weiter als zur
"Frage, ob die vom Gericht bejahte Auskunftspflicht der Bundeskanzlerin, die dann auch für alle ihre Kabinettskollegen und Mitarbeiter gelten müsste, nicht zu weit geht und am Ziel vorbeischießt",
prescht er nicht voran. Bloß dass man "die Vertraulichkeit des Worts ... nicht mit Verschwörung verwechseln sollte", schreibt er noch (so wie es alle Befürworter des Hintergrundgesprächs tun; vgl. Ulrike Simons RND-Kolumne neulich, in der übrigens die Tangotanzen-Redensart gleich auch wieder vorkommt...).
Hanfeld glaubt allerdings, dass die Sache noch durch einige Instanzen gehen wird, oder an eine Verfassungsbeschwerde. Dann wäre Angela Merkel, auch falls sie die nächste Wahl gewinnen sollte, wohl nicht mehr im Amt.
[+++] Die Bundesregierung scheint es für medial vermittelbar zu halten, offensiver für Deniz Yücel einzutreten, der in der Türkei eingesperrt ist. Statt der lauwarmen Erwartung "dass in dem laufenden Ermittlungsverfahren ... rechtsstaatliche Regeln beachtet und eingehalten würden", die Regierungsvertreter vielleicht sogar gegenüber chinesischen Kollegen zu formulieren wagen würden, sprechen ihre Sprecher inzwischen von "allergrößter Bedeutung" dieses Themas (Standard). Justizminister Heiko Maas hat der TAZ das in eigenen Worten, nicht ganz so offensiv, auch noch mal bestätigt.
Inzwischen haben türkische Behörden Yücels Haft schon mal vorzeitig verlängert, "um weitere sieben Tage verfügt", meldete welt.de. Was in dieser Sache sonst geschah seit gestern (Altpapier):
Yücels Arbeitgeber, die Welt, macht gedruckt mit "Wir sind Deniz" auf. Was zu lesen ist, erklärt Chefredakteur Ulf Poschardt im Video-Kurzinterview.
Porträtiert wird Yücel im Standard, der von "mittlerweile rund 160 Journalisten" in türkischen Gefängnissen schreibt, unter der Überschrift "Ankara straft den ungehorsamen Deutschtürken", und auf der SZ-Meinungsseite. Dort erweist sich Türkei-Korrespondent Mike Szymanski als kein uneingeschränkter Yücel-Fan:
"Im aufgeladenen Journalismus der Türkei, der offenbar nur noch Parteinahme für oder Gegnerschaft zu Erdoğan kennt, hat Yücel sich deutlich auf Seiten der Gegner positioniert; der Übergang zum Aktivisten: fast schon fließend. Alles andere dürfte Yücel als feige empfunden haben."
Was zur ebenfalls gestern hier erwähnten überflüssigen Sub- bis Subsubdebatte um Michael Martens' FAS-Kommentar führt. Für den Umgang damit hat die TAZ die sinnvolle Form eines Pro und Contra (von Dinah Riese und Malte Göbel) gewählt. Weitere Reaktionen fassen schneller meedia.de und länger kress.de zusammen.
Die sozusagen angefragte Replik der Welt-Medien hat mit Sascha Lehnartz ein Ex-FAS-Mann verfasst, der Martens zunächst "eigentlich ein exzellenter Auslandskorrespondent" nennt, bevor er für dessen "bizarre Privatlogik" im aktuellen Fall das Bild vom "intellektuellen und moralischen Auffahrunfall" findet, das wiederum gut zum Autokorso passt, den welt.de als Video einbindet ... Martens' gestern via Blendle hier verlinkter, von Lehnartz wiederum inhaltlich kritisierter FAZ-Artikel steht inzwischen frei online.
Was zum Thema auch noch gehört: dass türkische Behörden in der vergangenen Woche wegen ähnlicher Vorwürfe insgesamt "fast 1.600 Menschen" festgenommen haben (TAZ).
[+++] Stefan Winterbauer von meedia.de wurde hier kürzlich "die Gulaschkanone unter den Medienjournalisten" genannt.
Das könnte auch heißen, dass er es versteht, sich seinen Themen anzupassen. Bei kämpferischen bis verkämpften Ex-Kriegsreportern wie Julian Reichelt klingt's eben militärisch, gegenüber Gesprächspartnern mit langen Berufsbiografien (und Namen) wie Mathias Müller von Blumencron, die auch längere Sätze bilden, kann Winterbauer längere Texte lesenswert gestalten.
Das Interview mit dem Digital-Chefredakteur der FAZ erreicht mit über 13.000 Zeichen schon Altpapier-Umfang. Vor allem geht es um die in Fachkreisen seit Jahren gespannt erwartete, im Januar für den Sommer angekündigte App "Spiegel Daily" und das bereits am Markt erhältliche, ebenfalls kostenpflichtige FAZ-Gegenstück namens "Der Tag".
Müller von Blumencron, de ja früher selbst beim Spiegel war und die ersten Jahrzehnte "Spiegel Daily"-Entwicklungsarbeit mitgemacht hat, sagt dazu:
"Ich kenne die Pläne gut. Das wird ein interessantes Produkt und ich bin sehr gespannt. Es hängt wirklich von der Ausgestaltung und Usability des Produkts ab, ob es funktioniert. Das Entscheidende ist: Die Kollegen müssen durch Inhalte überzeugen und sie kommen mit diesem Produkt zu einer Tageszeit, wenn die Tageszeitungs-Ableger am stärksten sind. Sie kommen damit in die Rush Hour der Tages-Auswertung – und da gibt es schon eine Menge Konkurrenz. Daily hat natürlich einen deutlich günstigeren Preis als die anderen Bezahlprodukte von Tageszeitungen, aber reicht das?"
Zur schwierigen Frage der Onlinejournalismus-Finanzierung sagt er ebenfalls einiges, z.B. über "ein altes Geschäftsmodell", auf das die FAZ wieder gekommen sei:
"nämlich von unseren Lesern Geld für unsere Dienste zu fordern".
"Eine App hat mehrere Vorteile: Sie ist zum einen ein Marketinginstrument. Viele Menschen, die ein Smartphone in die Hand nehmen, besuchen den App-Store und suchen dort ihre Programme zusammen. Dass man bunte Kacheln auf dem Smartphone auch für Bookmarks nutzen kann, wissen und nutzen nur wenige ..."
[+++] Was jetzt noch erwähnt werden muss, und schon aus metaphorischen Gründen noch oberhalb des Altpapierkorbs: der vergangene Woche erschienene kaffeeundkapital.de-Blogeintrag "Warum Papier-Journalismus besser ist". Da schrieb Martin Oetting:
"Eigentlich ein Jahrzehnt lang habe ich fassungslos gestaunt, dass es JournalistInnen gab und gibt, die allen Ernstes behaupteten, ihr Journalismus auf Papier sei irgendwie besser als Journalismus im Internet. Es erschien mir komplett töricht ... ... In den letzten Monaten habe ich meine Meinung geändert. Ich bin selbst überrascht deswegen. Und das liegt nicht an den niedrigen Werbeeinnahmen im Internet, und dass man damit keinen Journalismus bezahlen kann. Es liegt an drei Aspekten des Online-Journalismus, die aus meiner Sicht das Veröffentlichen auf Papier tatsächlich qualitativ besser machen ..."
Die Aspekte, die Oetting dann benennt, können Leser, die bis hierhin gelesen haben, allerdings dann auch noch auf ihrem Monitor oder Display lesen, ohne sie auszudrucken.
+++ Zum wiederum gestern im AP erwähnten "Manifesto" bzw. "recht länglichen Post" Mark Zuckerbergs, in der der Facebook-Chef "seinen Visionen zur Gestaltung der globalen Gesellschaft ... Ausdruck verlieh", gibt's nun auch eine deutschsprachige Analyse, und zwar von Julia Krüger bei netzpolitik.org: "Aus demokratischer Perspektive irritiert die völlige Infragestellung nationaler Souveränität und liberaler Gewaltenteilung: Völlig ungefragt und in keiner Weise legitimiert übernimmt Facebook mit dem Safety Check bereits jetzt Funktionen lokaler Polizeibehörden: Doch wer ist eigentlich für Fehlfunktionen verantwortlich, wie sie wie beim jüngsten Anschlag in Berlin auf dem Breitscheidplatz auftraten? Und wer möchte die Analyse, Prävention und Reaktion im Kontext gesellschaftlicher Risiken in den Händen eines intransparenten Medienunternehmens wissen, das bislang nicht einmal Ministern Ansprechpartner bot? ..." +++
+++ Inhalte, die in den sog. soz. Medien kursieren, auf ihren Wahrheitgehalt zu überprüfen, könnte sich für klassische Medien auch einfach so auszahlen, also ohne von Facebook dazu eingeladen oder angeheuert worden zu sein, glaubt Thomas Knüwer (indiskretionehrensache.de). Beleg: mimikama.ats Klickerfolg. +++
+++ Wenn Jörg Kachelmann "#vollpfostenjournalismus" twittert, kann er durchaus recht haben (Stefan Niggemeier bei uebermedien.de, wie immer mit vielen Beispielen). +++
+++ Auf der FAZ-Medienseite bespricht der schon erwähnte Michael Martens kenntnisreich ("Der Mord an Jugoslawiens König Alexander 1934 in Marseille war lange vor Kennedy das erste Attentat auf einen Staatschef vor laufenden Kameras ...") den Arte-Themenabend zum 25. Jahrestag des/ der Jugoslawien-Kriege. +++ Bereits frei online: Caroline Fetschers Tsp.-Kritik der (nach Mitternacht gezeigten) Doku "Bosnien und Kosovo - Europas vergessene Protektorate". +++
+++ Was zu sehende Penisse angeht, kann Rainer Werner Fassbinders "Acht Stunden sind kein Tag" durchaus mit "Game of Thrones" konkurrieren. "Das Schönste an 'Acht Stunden' aber ist: die Liebe. Fassbinder hofft und wünscht, dass es den Menschen, die er durch Krisen und Kräche steuert, irgendwie doch gut geht. Das hat nichts zu tun mit dem Gesetz, dass es in solchen Serien ein Happy End geben muss - es ist eine Haltung, zur Welt ..." (Sabine Horst in epd medien über die 1972 vom WDR produzierte, nun restaurierte und als DVD erhältliche Fernsehserie). +++
+++ Topthema I der Fernsehseiten: Harald Schmidts Absage "kaum zwei Wochen vor Beginn der Dreharbeiten", im nächsten neuen "Tatort"-Team mitzuwirken. Tsp., FAZ und SZ rätseln über den Grund, die Bild-Zeitung behauptet, hinter ihrer Bezahlschranke ihn zu kennen, und focus.de tut, wofür focus.de bekannt ist ... +++
+++ Topthema II der Fernsehseiten: Bastian Pastewka und Brainpool setzen ihre Sat.1-bekannte "Pastewka"-Serie für Amazon fort. Bei Amazons Pressekonferenz in München waren u.a.: Jörg Seewald für den Tagesspiegel, Christian Meier von der Welt und Karoline Meta Beisel von der lokalen SZ, die am knappsten berichtet. +++
+++ Wer laut meedia.de ins Geschäft mit analoger UKW-Radio-Übertragung einsteigen wollen könnte: eine Firma, an der der ehemalige Postminister Christian Schwarz-Schilling (dessen in der Kohl-Ära durchgesetztes Kabelfernsehen die deutsche Medieninfrastruktur immer noch prägt ...) beteiligt ist. +++
+++ Sieben Meinungen zum morgen abend in der ARD ausgestrahlten "Katharina Luther"-Film, darunter die, dass Devid Striesow in der Nebenrolle des Martin wuchtig "wie der späte Gerard Depardieu" daherkommt, gibt's hier nebenan. +++
+++ Auf der SZ-Medienseite geht's noch um die von "Unsere Mütter, unsere Väter"-Regisseur Philipp Kadelbach inszenierte BBC-Serie "SS-GB" u.a. mit Lars Eidinger. +++
+++ "Es gilt als offenes Geheimnis in der Medienbranche, dass Google und Apple quälend lange und wenig transparente Prozesse zum Melden von Urheberrechtsverletzungen haben. Hinzu kommt, dass ARD und ZDF die illegale Nutzung ihres Sendesignals nach Meinung von Insidern außerhalb des gesetzlichen Verbreitungsgebietes nicht wirklich bekämpfen. 'Man hat fast das Gefühl, sie nehmen es positiv billigend in Kauf', sagt frustriert ein Manager eines Privatsenders ..." (Hans-Peter Siebenhaar in seiner Handelsblatt-Kolumne, in der es darum geht, warum RTL seinen eigentlich erfolgreichen Auslandssender abschaltet). +++
+++ Nachtrag zum gestern unten im Korb erwähnten "7. Sinn"-Konzept: der legendäre Sprecher, der inzwischen 88-jährige Egon Hoegen gehörte natürlich unbedingt dazu ... +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.