Mit 'ner Mandarine gegen Terror

Mit 'ner Mandarine gegen Terror
Nach der Absage des Fußball-Länderspiels in Hannover irren ARD und ZDF zwischen Information und Unterhaltung hin und her. Helge Schneider isst eine Mandarine, die Franzosen trinken weiter Champagner. Und Matthias Matussek? Ist womöglich ein Geist.

Wie Helge Schneider ging es Dienstagabend wohl den meisten Fernsehzuschauern. Platt saßen sie auf ihren Sofas und Sesseln, als das Fußball-Länderspiel in Hannover wegen einer Terrorwarnung abgesagt wurde - und nicht nur das: Der Komiker, ebenfalls in Hannover, musste seine Lesung aus „Sicherheitsgründen“ absagen, auf Facebook informierte er seine Fans per Videobotschaft: „Jetzt bin ich in meinem Hotel und ess 'ne Mandarine." Tatsächlich wirkte er sichtlich mitgenommen von den Vorfällen: „Tja, damit konnte man ja nicht rechnen“.

Und das haben ARD und ZDF offensichtlich auch nicht getan, denn als etwa eineinhalb Stunden vor Spielbeginn die Absage kam, machten beide öffentlich-rechtliche Sender erstmal weiter mit ihrem Vorabend-Programm.

„Im Fernsehen, besonders im ZDF, das die Partie übertragen wollte, beginnt nun ein Rätselraten in drei Akten“, schreibt Michael Hanfeld bei faz.net:

„Nichts Genaues weiß man nicht, aber die Sendezeit muss gefüllt werden, und so kommt jeder einmal dran, um zu sagen, dass man nichts wisse und es keine Bestätigung für irgend etwas gebe. Es darf aber spekuliert werden. Auf den Nachrichtensendern n-tv, N24 und auch bei Phoenix geschieht das ohne Unterlass, bei ARD und ZDF in Etappen. Im Ersten stochert Rainald Becker von Berlin aus im Nebel, beim ZDF sind es Bettina Schausten und Elmar Theveßen. Er vor allem ist beim Zweiten der Mann für solch undankbare Fälle. Theveßen könnte mit zweitem Vornamen auch „Sicherheitskreise“ heißen. Die zitiert er nämlich immer wieder. Was soll er auch anderes tun, er kann ja schließlich nicht seine Quellen verraten. Das macht auch der ehemalige „Spiegel“-Chefredakteur Georg Mascolo nicht, der für diesen ominösen „Rechercheverbund“ arbeitet, den die ARD inzwischen bei jeder zweiten Meldung nennt. Auch bei ihm geht es um Sicherheitskreise und um Hinweise, die es „offenbar“ gegeben habe. „Offenbar“ – diese Vokabel hören wir oft an diesem Abend, immer dann, wenn gar nichts offen zu Tage liegt.“

Später habe dann Katrin Müller-Hohenstein „sichtlich angefasst“ im ZDF-Landesstudio von Hannover gesessen, „(sie habe dort "Zuflucht" gefunden, sagt der Kollege Kleber dramatisch), um von ihren Ängsten zu berichten. Sie frage sich, sagt Katrin Müller-Hohenstein, wie das alles weitergehen wird’.“

[+++] Matthias Matussek schien es seinem bisherigen Arbeitgeber, dem Springer-Verlag, leicht machen zu wollen. Erst das umstrittene Smiley-Posting zu Paris auf Facebook (siehe auch Altpapier) , am Dienstag dann die angeblichen „Arschloch“-Beleidigungen in der Redaktionskonferenz der „Welt am Sonntag“ ließen für jeden nachvollziehbar nur einen Schluss zu: die sofortige Trennung des Verlages von seinem streitbaren Mitarbeiter, über die von „Badischer Zeitung“ bis „Zeit“ alle mehr oder minder ausführlich berichteten. „Matthias Matussek gehört zu den journalistischen Scharfmachern wie Roger Köppel oder Udo Ulfkotte“, schreiben die Kollegen vom „Tagesspiegel“ dazu.

Doch so eindeutig war die Situation im Springer-Verlag möglicherweise nicht, wie Branchendienste wie Meedia und Turi am Abend berichteten. Auf Facebook hatte Matussek über den Medienanwalt Joachim Steinhöfel mitteilen lassen: „Herr Matussek hat weder Herrn Peters noch Herrn Poschardt als „durchgeknallt“ und/oder „Arschloch“ und/oder „durchgeknalltes Arschloch“ bezeichnet. Er hat den Konferenzraum gar nicht betreten und ist Herrn Peters heute auch nicht begegnet.“

Was stimmt nun, die Schilderungen aus der Konferenzrunde oder die „Klarstellung“ des Rechtsanwalts? Keine einfache Situation für Medienjournalisten. Meedia versucht, durch Berichte aus Verlagskreisen Klarheit in das Thema „physische Präsenz“ hinter und vor den Konferenztüren zu bringen. Die Süddeutsche spricht von Eskalation, „wie sehr und wie genau ist unklar“. Zudem sehen die Münchener erste Anzeichen für das Zerwürfnis zwischen dem 61-jährige Kisch-Preisträger und überzeugten Katholiken sowie Springer bereits vor dem Facebook-Post zu den Paris-Anschlägen. Die „Welt“ habe seine Rezension der Neuübersetzung des unter Rechtsintellektuellen beliebten Romans „Heerlager der Heiligen“ von Jean Raspail verschmäht, sie erschien dafür Ende September in der Schweizer „Weltwoche“.

Ex-Arbeitgeber Spiegel Online beließ es wie die meisten MedienMedien bei einer kühlen Nachricht. Es bleibt abzuwarten, ob der Streit um die Beleidigungen in der „Welt“-Redaktionskonferenz in Kürze ebenso die Gerichte beschäftigen wird wie einst Matusseks Auseinandersetzung mit dem TV-Comedian Kurt Krömer in der „Puffgänger“-Causa.

Bis dahin gibt es auf Twitter reichlich Vorschläge, wie Matthias Matussek sich seine Zeit vertreiben kann, beispielsweise mit dem Schreiben von Katzenkrimis (extra3) oder als Autor für den Kopp-Verlag, Thema: „Die Macht der Lügenpresse“ (Jan Böhmermann).


Was sonst noch passiert ist:

+++ Was gibt es Mittwochmorgen noch außer Terror und Terror in den Medien? Wieder mal etwas datensammeltechnisch Übergriffliches in den Sozialen Netzwerken: Achtung, Nummernkonto! Johannes Boie fragt sich in der Süddeutschen Zeitung (frei online) vollkommen zurecht, wie es kommt, dass Facebook Telefonnummern hat, die Nutzer nie bewusst angegeben haben? +++

+++ Mit dem Serien-Gucken und Serien-Rezensionen-Lesen kommt man kaum noch nach. Wieder mal gute Fiktion aus Skandinavien: Im Aufmacher auf der SZ-Medienseite (nicht frei online) wird eine neue Arte-Serie mit politischem Einschlag vorgestellt: „Occupied“. Dabei wird Norwegen in eine fiktive Parallelwelt versetzt, das Land von Russland okkupiert. Es geht um Öl, und es liest sich so, dass sich das wieder viele angucken möchten, außer Putin vielleicht. +++

+++ Des Weiteren, es musste so kommen: Die „Tagesschau“ jetzt im Netz auch auf Arabisch (SZ, frei online). +++

+++ Und nicht zu vergessen, Pflichtprogramm auf vielen Medienseiten heute, in SZ und natürlich auch im Tagesspiegel: „Vollprofi“ Tobias Moretti im großen ARD-Movie als Luis Trenker, was SZ-Kritiker David Pfeifer recht gelungen findet. Motto: nicht nach dem „Warum“ fragen, sondern am „Wie“ erfreuen. +++ Dann könnte man sich eigentlich auch viele TV-Kritiken sparen, wenn es nur um das „Wie“ ginge. Die „Berliner Zeitung“ ist auf ihrem schmalen Medienseiten-Platz auch ziemlich angetan von dem „geschickten“ ARD-Film über die Bergsteiger-Legende und die Nazis. +++ Den einzigen Verriss des Luis-Trenker-Films liefert die „FAZ“. Sie sieht viele Klischees am Werke und fragt sich: Wo sind die Abgründe des Bergsteigers? Der Film habe sich nicht entscheiden können oder besser, nicht entscheiden wollen zwischen Farce und Biopic. +++

+++ Damit, mit der „FAZ“, zurück zum schrecklichen Hauptthema dieser Tage, dieser Wochen. Der umtriebige n-tv-Moderator Constantin Schreiber stellt ernüchternd fest, dass sich Mitleid und Entsetzen nach dem Massaker von Paris in den arabischen Medien in Grenzen halten (in der „FAZ“ nicht frei online). An Verschwörungstherorien, und das überrascht nun wenige, die sich mit den Medien im Nahen Osten auskennen, herrsche kein Mangel. Die prominenteste Schlagzeile des Senders Al Dschasira zu den Pariser Anschlägen lautete am Montag: „Israel zündet in Europa eine Multimedia-Kampagne gegen den Islam!“ +++

+++ Am harten Berliner Polit-Biz ist Mittwochmorgen meedia.de dran: Altkanzler Helmut Kohl verlangt nach Angaben von Spiegel Online für die inzwischen verbotene Veröffentlichung von brisanten Äußerungen über andere Politiker Schadenersatz in Millionenhöhe. Seine Anwälte forderten von den Autoren des Buchs "Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle", Heribert Schwan und Tilman Jens, sowie der Verlagsgruppe Random House mindestens fünf Millionen Euro nebst Zinsen. +++

+++ „Bild“ fragt prominente Medien-Nasen, ob es richtig ist, den Til-Schweiger-„Tatort“ vom nächsten Sonntag weg zu verschieben. Die eindeutige Antwort: Jein. Man hätte den „Tatort“ zeigen sollen, meint Claus Theo Gärtner. „Wir dürfen nicht davor einknicken und uns von Terroristen auch noch das Fernsehprogramm diktieren lassen.“ +++

+++ Stellt sich die Frage: Ist Helge Schneider eingeknickt? Turi2, und damit schließt sich der Kreis, titelt „Mandarine statt Katzeklo“ und verweist auf das wegen Terrorgefahr gecancelte Länderspiel vom Dienstagabend: Auch Comedian Helge Schneider habe einen Auftritt in Hannover am Abend abgesagt: "Stattdessen isst Schneider eine Mandarine, führt Kampfsport-Posen vor und droht: "Wenn ich morgen auch noch absagen muss, komme ich Donnerstag wieder." +++

Das tut das Altpapier [in Form des zweiten Jubiläums-Geschenkpapiers von Dorin Popa] mit Sicherheit auch.

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