In aller Unschuld

In aller Unschuld
Was sagt uns das Bild eines Mädchens aus Syriens? Etwas über Medien und deren Nutzer. Aber zum Glück haben wir Mark Zuckerberg. Er kümmert sich darum. Ansonsten haben wir einen Vorschlag zugunsten eines kritischen Journalismus zu machen. Wir stellen keine Fragen mehr, sondern lassen Bilder malen.

Ein Mädchen malt ein Bild. Kinder machen das häufig, um ihre Lebensumstände auszudrücken. Das wissen alle Eltern, Großeltern und Verwandte. Es ist ein zutiefst privates Ereignis, weil es zugleich hoch emotional ist. Solche Bilder berühren den Betrachter in einer Weise, wie dazu nur Kinder in der Lage sind. Niemand vermutet Hintergedanken. Kinder sind das Sinnbild für Unschuld, gerade darin liegt der emotionale Wert solcher Bilder. Die Werbung und Journalisten wissen das natürlich auch. Deshalb findet man Kinder in allen möglichen Werbespots und berichten Medien über Kinderschicksale. Sie berühren das Publikum und erzeugen einen hohen Identifikationsfaktor. Wer zeigt sich schon hartherzig, wenn es um unschuldige Kinder geht? Zuletzt war das in zwei Fällen zu erleben. Die Kanzlerin streichelt ein weinendes palästinensisches Mädchen und erlebt eine beispiellose öffentliche Debatte. Am Strand von Bodrum ist ein ertrunkener dreijähriger Junge zu sehen. Das Foto wird zum Sinnbild der europäischen Hartherzigkeit im Umgang mit den Flüchtlingen.

+++ Solche Bilder werden zum Träger von Botschaften und entsprechend genutzt. Sie geraten damit in den politischen Meinungskampf, der alles andere, aber nicht unschuldig ist. Es geht nicht um die Kinder, sondern was Erwachsene damit ausdrücken wollen. In der vergangenen Woche war es das Bild eines Mädchens aus Syrien. Sie beschreibt darin ihre Lebensumstände in Syrien und ihre Hoffnung auf Deutschland. Das Bild schenkte sie zwei Polizisten in Passau. Ein Pressesprecher der Bundespolizei erfährt davon zufällig. Er fotografiert es und veröffentlicht es auf den Twitter-Account der Polizei. Es verbreitet sich über die sozialen Netzwerke mit der heute üblich gewordenen Geschwindigkeit. Alle Medien berichten darüber. Zeitungen drucken es in ihren Printausgaben ab. Der emotionalen Wucht dieses Bildes kann sich niemand entziehen. Es beschreibt die Hoffnungen des Mädchens auf eine bessere Zukunft. Um das Mädchen und die beiden Polizeibeamten, die es geschenkt bekommen haben, geht es allerdings nicht mehr. Es drückt eine Botschaft aus. Die Arbeit der Polizeibeamten ist nicht sinnlos. Sie ermöglichen Flüchtlingen eine bessere Zukunft. Das war die Intention des Pressesprechers der Polizei. Allerdings gerät das Bild damit zugleich in den politischen Meinungskampf.

Es tauchte fast sofort die Vermutung auf, bei dem Bild handele es sich um eine Fälschung. Der Vorwurf kam aus der Ecke, die die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung kritisiert. Das verbreitete sich genauso schnell, wie vorher das Bild. Spiegel online hat deshalb am Samstag den Hintergrund dieses Bildes recherchiert. Vom Vorwurf der Fälschung kann nicht die Rede sein. Dieser Artikel war richtig gewesen, weil er eine Klarstellung ermöglichte, selbst wenn man diese Vorwürfe für absurd hält. Medien müssen angesichts der Vielzahl an Medienakteuren so reagieren. Dabei nutzen auch die Kritiker der Flüchtlingspolitik den Faktor Emotionalisierung. Jedes Gerücht über Straftaten von Flüchtlingen, etwa über sexuelle Übergriffe, verbreitet sich in sozialen Netzwerken mit der gleichen Geschwindigkeit wie dieses Bild des syrischen Mädchens. Jeder tatsächliche Vorfall in einer Flüchtlingsunterkunft wird zur Bestätigung der eigenen Überzeugungen. Es geht beiden Seiten um die Bestätigung des jeweiligen Weltbildes. Sie wollen ihre politischen Botschaften platzieren. Emotionalisierung und Identifikationsangebote sind dabei schon immer ein klassisches Mittel im politischen Meinungskampf gewesen. Der Boulevard-Journalismus lebt davon bis heute. Am Umgang mit diesem Bild wird somit deutlich, wie sehr die Onlinelogik diesem Journalismus gleicht. Nur ist Online auch nicht mit Journalismus gleichzusetzen. Er ist nur noch ein Akteur unter vielen. Aber ein Journalismus, der sich der kritischen Distanz zu dieser Logik verpflichtet sieht, gerät dabei unter die Räder.

+++ Aber zum Glück haben wir noch Mark Zuckerberg von Facebook. Er traf sich mit der Kanzlerin in New York. Diese wagte ein offenes Wort bezüglich der Hasspostings in seinem Netzwerk. Er versprach, sich darum zu kümmern. Dabei ist Facebook die effektivste Gerüchteküche, die die Welt je gesehen hat. Praktisch niemand, der sich dort äußert, wird sich die Mühe gemacht haben, seine Vermutungen durch eigene Recherche zu untermauern. Schließlich sind professionelle Medienakteure nur eine verschwindende Minderheit. So bekommt dort jeder Nutzer die Emotionen und Identifikationsangebote, die er zur Stabilisierung seines Gefühlshaushaltes (und Weltbildes) benötigt. Facebook lebt von der Distanzlosigkeit seiner Kunden. Es ist damit das Gegenteil eines richtig verstandenen Journalismus. Diese Distanzlosigkeit ist Teil des Geschäftsmodells. Denn die Werbung funktioniert bekanntlich nur deshalb, weil sie sich auf die individuellen Interessen und Bedürfnisse des Nutzers einzustellen versucht. Er soll nur noch das erfahren, was ihn möglichst nicht irritiert. Facebook ist daher repräsentativ für die Onlinelogik. Es ist eine Weltbildbestätigungsmaschine. Die Hasspostings sind der Kollateralschaden dieser Logik. Zu Emotionen und Identifikationsangeboten gehörte schon immer das Feindbild. Andere Sichtweisen zu beschimpfen und zu verleumden, wirken stabilisierend auf den Nutzer. Wenn sich allerdings die professionellen Medien dieser Logik der Weltbildbestätigung ebenfalls nur noch verpflichtet fühlen, müssen sie sich über die Folgen nicht wundern. Je weniger sie selbst Irritation zulassen, um so mehr werden sie zum Teil dieser Struktur. Da kann Zuckerberg der Kanzlerin versprechen, was er will.

+++ Aber Facebook will auch helfen. In den Flüchtlingslagern im Nahen Osten wollen sie einen Netzzugang gewährleisten. Ob sie sich dort auch um die Hasspostings kümmern werden, wurde allerdings nicht mitgeteilt. Das Internet ist zwar die Infrastruktur einer globalisierten Welt, aber die jeweiligen nationalen Kulturen sind deshalb nicht bedeutungslos geworden. Was man bei uns als Hassposting definiert, gehört woanders zum guten Ton. In China hat man ja auch ein anderes Verständnis von Meinungsfreiheit als bei uns. Dort gerät schon jede kritische Äußerung an die Adresse der Partei in den Verdacht der Störung des himmlischen Friedens. Wenn sich Mark Zuckerberg in Zukunft mit Verantwortlichen aus China treffen sollte, werden die sicherlich an das Gespräch mit der Kanzlerin erinnern. Nur dass man in Peking etwas anderes unter Hasspostings versteht als bei uns. Zuckerberg, so ist zu vermuten, wird darauf mit dem gleichen Wohlwollen reagieren, wie gegenüber der Kanzlerin. Im geht es nämlich nicht um den Kollateralschaden, sondern um die Sicherung seines Geschäftsmodells.

+++ Damit kommen wir zum Sport. Jörg Wontorra hat sich gegenüber DWDL über seine Erfahrungen als Sportjournalist geäußert. Er will aber nicht „vom Krieg erzählen“, so sagt er. Nämlich was für tolle Hechte die alten Herren im Vergleich zu den jüngeren Kollegen gewesen sind. Es geht um das Verhalten seiner prominenten Gäste aus der Fußball-Branche.

„Ich will jetzt nicht wieder vom Krieg erzählen, aber wir hatten früher noch mehr Gäste mit Ecken und Kanten. Menschen, die ihre Meinung offen gesagt haben und auch mal wirklich kritisch mit Moderatoren umgegangen sind. Das ist heute etwas stromlinienförmiger geworden. Es gibt zu viele Weichgespülte in der Branche. Ich meine damit nicht die Journalisten, sondern die Protagonisten aus der Liga. Wenn es eng wird, verweigern die sich heute häufiger als früher. Früher hat man sich gestellt und eine klare Position vertreten. Das hat im Übrigen auch uns Journalisten neue Denkanstöße gegeben. Heute verschließen sich viele oder geben belanglose Antworten, die für kein Publikum der Welt irgendeinen Informations- oder gar Unterhaltungswert haben.“

Diese Sätze gelten nicht nur für den Fußball. Sie kann man auf die Politik und fast alle anderen relevanten Sektoren in dieser Gesellschaft übertragen. Während sich das Publikum zunehmend in ihren jeweiligen Nischen wiederfindet, um sich dort seine Weltbilder zu basteln, reagiert das Establishment völlig anders. Es vermeidet jeden kritischen Punkt, der das Publikum aufregen könnte. Schließlich könnte das den Kunden oder Wähler verschrecken. Man will das eigene Identifikationsangebot nicht ruinieren. Insofern wäre es vielleicht eine Idee, wenn man den Gästen in solchen Sendungen nicht mehr Fragen stellt, sondern Bilder malen lässt. In aller Unschuld versteht sich.


Altpapierkorb

+++ Medien beschäftigen sich gerne mit sich selbst, wenn sie auch zumeist keine Bilder malen. Das kann gelingen, wie am vergangenen Freitag im Kulturgespräch im Deutschlandfunk. Es kann aber auch amüsant sein, wie in der Diskussion zwischen Monitor und Bild auf Twitter. Wie nannte das Hans Hütt? Dialoch. Außerdem dieser Hinweis von Udo Stiehl auf die neueste Neuerfindung des Journalismus. Die Nachrichten im Radio sind übrigens keine neue Erfindung, aber immer noch der Kern dessen, was Journalismus leisten muss.

+++ Über die Rolle der Emotionalisierung in den Medien auch dieses Gespräch mit Tom Schimmeck in Breitband auf Deutschlandradio Kultur. Es lohnt sich das Anhören. Dafür ist aber der Nordbayerische Kurier auf den Spuren von Facebook. Lasse weg, was Dich nervt, so das neue Angebot.

+++ Kress beschäftigt sich mit der Gleichstellung von Frauen im Journalismus. Den Kommentar schreibt ein Mann. Aber es muss deshalb ja nicht falsch sein, was Bülend Üruk schreibt. „Gleichberechtigung auf allen Ebenen, auf allen Etagen, in allen Bereichen der Medien: das wäre ein politisches Ziel. Wahrscheinlich ein mühsamer und kräftezehrender Kampf, der weniger Prestige und weniger Schlagzeilen brächte. Sonst bleibt ProQuote der Lions-Club für Journalistinnen, ein kleiner Elite-Zirkel nur mit der Aufgabe, die nächstbessere Stelle im eigenen Netzwerk zu vergeben.“ Wogegen auch nichts einzuwenden wäre. Das haben Männer schon immer so gemacht. Wenn sich auch einige Männer trotzdem fragen, wie man das eigentlich macht. Dafür gibt es aber einen guten Grund, den wir auch schon als Kinder kannten. Es gibt nur einen Häuptling unter vielen Indianern. Heute darf dieser aber auch eine Frau sein.

+++ Dürfen Stars schlecht laufende Interviews abbrechen? Sicher dürfen sie das. Wer soll sie daran hindern? Nur müssen diese Stars dann halt auch mit dem Eindruck leben, den sie hinterlassen. Ansonsten müssen sie es halt bei den von Wontorra erwähnten „belanglosen Antworten“ belassen. Man kann es aber auch so machen, wie in diesem legendären Interview im Aktuellen Sportstudio aus dem Jahr 1969. Einfach nichts sagen.

+++ Im Deutschlandfunk gab es am Samstag in Markt und Medien diesen Hintergrundbericht über die Berichterstattung zur Flüchtlingskrise in Südosteuropa. Empfehlenswert.

+++ Im Cicero berichtet Petra Sorge über den Vorschlag der FDP, den Journalismus den Status der Gemeinnützigkeit zu ermöglichen. „Offen ist, wo die Grenze zwischen gemeinnützigen und kommerziellen Aktivitäten wäre, ab welcher „Größe“ eine Initiative also Steuern zahlen müsste. Auf Presseerzeugnisse gilt ohnehin schon ein reduzierter Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent. Eine Frage wäre auch, ob kleine, steuersubventionierte Medien-Startups dann nicht sogar die bisherigen Marktteilnehmer gefährden könnten.“

+++ Was im Altpapier heute fehlt? Die Promotion der Bundesverteidigungsministerin. Sie droht ihr ja abhanden zu kommen. Dafür fehlt nicht mehr diese nützliche Übersicht von Rolf Keuper über "VW in den Medien". Eine Software zur Promotionssteuerung wäre nicht schlecht. Das Copy and Paste Verfahren ist wirklich etwas aufwändig für gestresste Wissenschaftler. Dafür wird sicher bald der erste Algorithmus promoviert.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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