Markteinführungen aller Orten

Markteinführungen aller Orten
Gibt es einen Unterschied zwischen dem Spektakel auf Schloss Elmau und dem um Caitlyn Jenner? Daran sind Zweifel erlaubt. Außerdem kann man Günther Jauch alles vorwerfen, nur nicht mittelmäßig zu sein.

Wir wissen nicht, ob Caitlyn Jenner schon einmal darüber nachgedacht hat, in Garmisch-Partenkirchen Urlaub zu machen. Allein ihr Gesicht soll 70.000 Dollar gekostet haben, damit aus dem früheren Bruce Jenner die heutige Caitlyn werden konnte. Wir wissen auch nicht, ob einer der Teilnehmer des G-7 Gipfels auf Schloss Elmau an einen vergleichbaren Identitätswechsel denkt. Sicherlich wird aber ein Staatsmann eher zur Staatsfrau werden bevor er sich etwa auf der anderen Seite der Barrikade beim G-7 Gipfel wiederfände. Der Geschlechterwechsel ist nämlich im Vergleich dazu eine vergleichsweise einfache Übung. Das Rollenfach eines US-Präsidenten oder einer Bundeskanzlerin kann dagegen problemlos von einer Frau oder einem Mann gespielt werden. Es änderte sich deshalb nichts. Für die Medien allerdings auch nicht. Es ist eigentlich völlig irrelevant, ob sie gerade von Bruce und Caitlyn in der Talkshow von Diane Sawyer berichten oder von Barack und Angela auf Schloss Elmau. Die Logik ist die Gleiche, wie man in der FAS von Nina Rehfeld erfährt. Alle Mediengeschichten seinen heute Teil einer „koordinierten Markteinführung – ob in der Politik oder im Unterhaltungsgeschäft."

„Selbstverständlich sei seine Wandlung kein Publicity-Stunt, sagte Jenner mit einiger Entrüstung zu Diane Sawyer. „All dies, für eine Show? Nein, Diane, tut mir leid – das geschieht nicht. Haben Sie eine Ahnung, was ich hierfür mein Leben lang durchgemacht habe?“ Vielmehr wolle sie „Gutes tun“, die Welt verändern. „Und wenn die Kardashian-Show mir den Einstieg dazu bereitet hat, dann soll’s mir recht sein!“ Graydon Carter, der Chefredakteur von „Vanity Fair“, deren Online-Zugriffe nach der Veröffentlichung der aktuellen Ausgabe alle Rekorde brachen, begegnete der Kritik, sich zum Sprachrohr einer PR-Kampagne gemacht zu haben, mit der Bemerkung, dass alle Mediengeschichten heute Teil irgendeiner koordinierten Markteinführung seien – ob in der Politik oder im Unterhaltungsgeschäft.“

Da ist es tatsächlich weitgehend gleichgültig, ob sich auf Schloss Elmau sieben Staatsoberhäupter, sieben Zwerge oder eine Selbsterfahrungsgruppe von sieben Transsexuellen trifft. Der politische Mehrwert tendiert gegen Null, weil aus dem ursprünglich von Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing gedachten informellen Treffen ein Multi-Millionen-Dollar Spektakel geworden ist, das sogar den Preis von Frau Jenners Gesicht in den Schatten stellt. Es geht um die Selbstinszenierung vor der Weltöffentlichkeit und dem heimischen Publikum, bestimmt auch um „Gutes zu tun“ oder gar die „Welt zu verändern“. Der informelle Meinungsaustausch jenseits der diplomatischen Rituale und innenpolitischen Zwänge ist von der „Markteinführung“ namens G-7 Gipfel schon längst verdrängt worden. In den sozialen Netzwerken machte man sich sogar wegen bayerischen Brauchtums Sorgen um das deutsche Image. Dabei sind diese bayerischen Gesichter vergleichsweise kostengünstig, weil noch im Originalzustand, lediglich mit unvermeidlichen Gebrauchsspuren des sogenannten Lebens. Daher ist nur konsequent, wenn die G-7 Gegendemonstranten diese Markteinführung nutzen, um erfolgreich auf ihr Konkurrenzprodukt Globalisierungskritik hinzuweisen.

Das gilt in gleicher Weise für das universelle Phänomen des Terrorismus, wo ein gelungener Anschlag auf solche Ereignisse als der größtmögliche Erfolg der eigenen PR gilt. Selbst der Terrorismus denkt in solchen Kategorien, weswegen die Sicherheitspolitik der Behörden hier ihre nachvollziehbare Begründung findet. Die Medien garantieren schließlich die Berichterstattung mit allem, was dazu gehört, sogar eine Gewitterwarnung. Sie sind die eigentlichen Ansprechpartner dieser Inszenierungen. Sie werden sogar nur noch deswegen gemacht, obwohl und gerade weil das an den eigentlichen Themen, wie „Geschlechteridentität“ oder „Weltpolitik“ nichts änderte. Aber man sollte nicht annehmen, dass diese sogenannten „Markteinführungen“ noch irgendetwas damit zu tun hätten. So fehlte jetzt nur noch Frau Jenner im Dirndl, um damit das bayerische Brauchtum bei seinen Weltmarktambitionen voranzubringen. Zur Not ginge aber auch ein Staatsmann. Die Bundeskanzlerin wird uns nämlich den Gefallen eines Auftritts im Dirndl nicht erfüllen wollen. Dafür achtet sie dann doch zu sehr auf ihr Image.

+++ Wo die Medien ihre eigentliche Berufung finden, erläutert Christian Krachten, ebenfalls in der FAS. Der Gründer von Mediakraft hält das alte lineare Fernsehen für obsolet, weil es den Bedürfnissen der jungen Zielgruppe unter 30 Jahre nicht mehr entspricht. Für Krachten ist „Markteinführung“ kein Problem, weil er alles nur noch in solchen Kategorien betrachtet. Schleichwerbung? Wen stört das schon, wenn man sich mit dem entsprechenden Produkt identifiziert? Darauf kommt es schließlich nur noch an, wenn auch der Markenwechsel in der Kosmetik einstweilen noch einfacher zu vollziehen ist als die Metamorphose von Bruce zu Caitlyn.

Können Youtuber in Deutschland reich werden?

Die Masse nicht. Aber es gibt einige, da funktioniert das schon ganz gut. Dazu gehören auch Bibi, Lefloid, Daaruum, Y-Titty. Die haben eine riesige Fangemeinde und Millionen Klicks im Monat.

Ein Klick bringt noch kein Geld.

Das stimmt. Aber wer viele Klicks hat, der wird interessant für Werbung und Product Placement ...

... also Schleichwerbung.

Product Placement ist eben keine Schleichwerbung. Nur wenn ich transparent bin und das Produkt zu mir passt und ich es nicht bewerbe, funktionieren die Placements.“

Die Identifizierung mit dem Produkt ist somit der Unterschied zwischen Werbung und Placements. Es reicht allerdings, wie immer schon, den bloßen Anschein zu erwecken, um erfolgreich zu sein. Mal sehen, wann die erste Modebloggerin oder Kosmetikexpertin ihre Identität im Dirndl findet. Das bayerische Brauchtum wartet sicher schon auf diese junge Kundschaft unter 30.

+++ Am kommenden Freitag jährt sich der erste Todestag von Frank Schirrmacher. Jakob Augstein nutzt im Spiegel die Gelegenheit, an die mit Schirrmacher ausgestorbene Gattung des Alphajournalisten zu erinnern. Was zeichnete solche Alphatiere aus? Die Herde folgte seinen Worten und seinen Ideen, so Augstein. Aber was „in der Natur die Regel“ sei, wäre im Journalismus jetzt ausgestorben.

„Wo sind sie denn, die großen Männer - und Frauen, die wir preisen wollen? Wer ihr Ende zum Anlass für demokratische Erleichterung nimmt, der sollte noch einmal nachdenken.“

Nun ist diese Sichtweise offensichtlich falsch, denn Millionen folgen etwa den von Krachten vermarkteten YouTubern. Was sind diese damit anderes als Alphatiere? Der Unterschied bezieht sich auf die Reflexionsfähigkeit über die gegenwärtigen Verhältnisse. Ob lediglich noch das Denken in „Markteinführungen“ dominiert, oder die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst in Frage gestellt werden. Daran hängt die politische Freiheit, sich Alternativen noch vorstellen zu können, um dem stummen Zwang der Verhältnisse etwas entgegenzusetzen. Nichts anderes versuchte Schirrmacher in der Digitalisierungsdebatte deutlich zu machen, gerade weil er ansonsten politisch eher konservativ dachte. Er sah den revolutionären Wandel, der uns überrollen wird, wenn wir auf den politischen Gestaltungsanspruch verzichten. Deshalb, so Augstein, ist „die Wahrheit“ so zu formulieren:

„In einer Ära des Strukturwandels ist das Mittelmaß der Tod des Journalismus“.

+++ Wie ist Günther Jauch in dieser Hinsicht zu beurteilen? Er verkündete am vergangenen Freitag das Auslaufen seiner Talkshow in der ARD zum Ende diesen Jahres. Jauch nannte die berühmten „beruflichen und persönlichen“ Gründe, die jeden Interpretationsspielraum ermöglichen. Der wurde dann auch seit Samstag entsprechend genutzt. In der Bild am Sonntag wird mittlerweile sogar schon über den völligen Rückzug von Jauch vom Bildschirm spekuliert. Jenseits dessen ist Jauch alles, nur bestimmt kein Mittelmaß. Seine im deutschen Fernsehen einzigartige Stellung hat er sich mit Formaten wie Stern-TV (RTL) oder dem Aktuellen Sportstudio (ZDF) erworben. Das erinnert durchaus an den 1995 verstorbenen Hanns-Joachim Friedrichs, der ein ähnlicher Grenzgänger zwischen journalistischen Genres gewesen war.

Nur kam Friedrichs aus der Politik, wechselte zum Sport, um anschließend als Moderator der Tagesthemen zum Markenzeichen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu werden. Friedrichs prägte schon habituell das Bild vom distanzierten Journalisten, der sich mit niemanden gemein macht, noch nicht einmal mit der guten Sache. Dieser berühmte Satz funktionierte natürlich nur in einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo Parteien noch zu Friedrichs Zeiten über Personalpolitik Politik machten. Jauchs Problem in der ARD ist das Fehlen seiner sonstigen Vorzüge gewesen, die ihn in anderen Formaten auszeichneten. Das sind Neugier, die bisweilen mit Naivität kokettiert, Schlagfertigkeit gepaart mit Spontanität und Empathie. In seinen besten Sendungen ließ er das zu, obwohl das gerade nicht dem Bild entspricht, das man sich von einem Moderator politischer Talkshows macht. Das ist von Friedrichs Vorbild geprägt, welches allerdings nur Anne Will zu erreichen vermag. Jauch hing an seinen berühmt gewordenen Karteikarten, weil er seinen Fähigkeiten in diesem Format nicht traute. Ihm fehlte die Erfahrung des politischen Journalisten, der instinktiv weiß, wann Politik sich etwa in Leerformeln flüchten muss, um nicht aus der berühmten Kurve zu fliegen. Das ist aber die Voraussetzung, um spontan auf Situationen reagieren zu können, ohne gleich die Kontrolle über die Sendung zu verlieren. Jauch funktioniert halt nicht als Hanns-Joachim Friedrichs, sondern nur als Günther Jauch. Man wird sehen, was er aus seinen Sendungen bis zum Ende des Jahres machen wird. Der Kampf in der ARD um diesen Sendeplatz ist aber schon voll entbrannt. An den von Jauch „Gremien-Gremliens“ genannten ARD-Bürokraten scheiterte allerdings schon Reinhold Beckmann, dessen Sendungen umso besser wurden, je weniger er an sich „Markteinführungen“ oder „Quoten“ orientiert hatte.


Altpapierkorb

+++ Auch im Altpapierkorb ist Günther Jauch ein Thema. In der taz hat sich Heiko Werning mit der Jauch-Rezeption befasst, die er programmatisch so zusammenfasst. „Und nicht nur das: Jetzt bleibt den armen liberalen Bildungsbürgern und Sonntagabend-Intellektuellen nur noch der „Tatort“, um ihre Überlegenheit, ihre Nonkonformität und ihr kritisches Bewusstsein unter Beweis zu stellen. Denn dass Jauch es einfach nicht kann, ist der unverhandelbare Mainstream all jener, die sich gegen den Mainstream stehen sehen. … . Das Bashing von Polit-Talkshows ist so originell, wie der FIFA die Kommerzialisierung des Fußballs vorzuwerfen. Günther Jauch ist wie Westerwelle ohne Krebs. Darauf kann jeder einschlagen, der sich für irgendwie politisch bewusst und kritisch hält, sich dabei auch noch gut fühlen, und das alles, ohne auch nur einen einzigen politischen oder kritischen Gedanken denken zu müssen. Diskurskritik für Leute, die selbst diskursiv nichts auf die Reihe kriegen. Und dabei ist es auch noch so schön gemeinschaftsstiftend in der gegenseitigen Versicherung des eigenen Topcheckertums.“ Gut gebrüllt, Löwe! Ansonsten aber noch der Hinweis auf meine TV-Kritik. Jauch musste ich bekanntlich im Gegensatz zu Werning schon des öfteren aus beruflichen Gründen sehen. Gut gefühlt, das sei versichert, habe ich mich dabei allerdings selten. Das ist auch kein journalistisches Kriterium. Über die Gehälter von Talkshow-Moderatoren findet sich dagegen etwas im Handelsblatt.

+++ In der Türkei ist gestern gewählt worden. Texte, Töne, Zeichen auf WDR 5 nahm das zum Anlass, sich mit der Situation von Journalisten in der Türkei zu beschäftigen. In Frankreich verschwinden dagegen allmählich die unabhängigen Zeitungen.

+++ Gibt es etwas Neues über die Fifa? Unter anderem Joseph Blatters Forderung nach einer Unterlassungserklärung des ZDF. „Hintergrund ist ein Bericht der "ZDF-Sportreportage" vom 24. Mai, in der es um die Wahl Blatters zum Fifa-Präsidenten 1998 ging. Dieser sei damals nur durch gekaufte Stimmen überwiegend aus Afrika zum Präsidenten gewählt worden. In der morgigen ZDF-Sportreportage will der Moderator eine besondere Erklärung zum Thema Fifa abgeben. Der noch amtierende Präsident des Weltfußballverbandes verlangt über seinen Anwalt, dass das ZDF erklärt, dass es 1998 keine gekauften Stimmen gegeben habe. Das wird der Moderator Norbert König so auch morgen sagen, kündigte ein ZDF-Sprecher an. Allerdings werde die Redaktion bei ihrer Darstellung bleiben.“ Wie fast alles in diesem Kontext geht es dabei um keine neuen Erkenntnisse. Den Vorwurf des Stimmenkaufs hat nämlich zuerst David Yallop in seinem 1998 erschienenen Buch „Wie das Spiel verloren ging“ erhoben. Blatter war schon damals gegen diesen Vorwurf gerichtlich vorgegangen. Erfolgreich war er aber lediglich in der Schweiz gewesen.

+++ Wo bleibt das Positive? Das bietet Edward Snowden in einem Essay, der im Spiegel und der New York Times erscheinen ist. „Zur Jahrtausendwende hätten wohl nur wenige erwartet, dass Bürger in weit entwickelten Demokratien das Konzept einer offenen Gesellschaft bald gegen ihre eigenen Machthaber würden verteidigen müssen. Dennoch beginnt sich das Machtgleichgewicht zu verschieben. Wir sehen das Entstehen einer Post-Terror-Generation; eine Generation also, die eine Weltsicht ablehnt, die durch eine einzige Tragödie definiert wird. … . Mit jedem Sieg vor Gericht, mit jeder Gesetzesänderung zeigen wir, dass Fakten überzeugender sind als Angst. Und als Gesellschaft entdecken wir erneut, dass der Wert eines Gesetzes sich nicht daran bemisst, was er versteckt, sondern daran, was beschützt.“ Frank Schirrmacher hätte das gefallen.

+++ Die Bunte meldet heute den Tod ihres Chefreporters Paul Sahner. Er wurde 70 Jahre alt.

+++ Was jetzt nicht mehr fehlt? Der Nachruf von Hans-Peter Siebenhaar auf Paul Sahner. "Sahner, der eineinhalb Jahrzehnte der Chefredaktion der „Bunten“ angehörte, war ein genauer Beobachter des Medienwandels. Seine Antwort auch im digitalen Zeitalter war Aufmerksamkeit. Das war der Schlüssel, um die Tür zu den Berühmten der Welt – vom Dalai Lama über SAP-Gründer Dietmar Hopp bis zur Musiklegende Michael Jackson – geöffnet zu bekommen. Dieser Schlüssel ist nun für immer verloren".

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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