Ruft mal wieder den Presserat an

Ruft mal wieder den Presserat an
Die Bild-Zeitung führt die Rügen-Charts des Presserats uneinholbar ein. Der Telefonist des Presserats ist aber zufrieden. In der Netzpolitik geht es immerhin mit der Whistleblower-Regulierung voran. Das Leistungsschutzrecht ist exportfähig. Und eine bekannte Abwärtsspirale soll sich noch beschleunigen.

Gestern war "ein Tag, an dem man lieber nicht beim Deutschen Presserat Telefondienst hat", stand gestern hier im Altpapierkorb, weil die Bild-Zeitung gestern "dessen Kontaktdaten veröffentlicht" hat, damit "das lemmingedumme Leservolk" (TAZ-Kriegsreporterin heute) des Blattes sich dort über eine Rüge beschwert.

Andererseits, dieser Presserat ist eine der zahlreichen im Prinzip zweifellos ehrwürdigen, von der Praxis der dynamischen Entwicklung digitaler Medien gewiss ein wenig überrollten Medien-Institutionen, die nicht gerade unter kontinuierlich großer Aufmerksamkeit der Öffentlichkeiten leiden. Seit fast einem Jahrzehnt schon machen sich vor allem die schärfsten Kritiker der Bild-Zeitung über seine zahnlose Bettvorlegerigkeit lustig und höchstens, wenn Presserats-Empfehlungen ihnen gerade in andere Konzepte passen, mal eine Ausnahme.

Womöglich hat sich Oliver Schlappat, der gestern am Tel. 030-367007-13 saß und als Referent für Öffentlichkeitsarbeit die Nummer auf der Pressemitteilungs-Webseite sogar selbst ebenfalls ins Netz gestellt haben dürfte, sogar gefreut, als seine Telefone "kaum noch zur Ruhe" kamen. Schließlich mobilisiert die Bild-Zeitung außer ihren Lesern (falls die heute im "Reaktionen"-Artikel zitierten Marc Klein, Sylvia Wagner usw. nicht fiktional sind) auch ihre immer viele Kritiker. Überdies hat der Tagesspiegel beim Presserat angerufen:

"Die Zusendungen und Telefonate sind teils sachlich, teils emotional. Für den Presserat ist es nicht das erste Mal, dass 'Bild' auf eine Rüge mit einer Kampagne reagiert",

berichtet Berliner Blatt. Die Frankfurter Rundschau weiß es genauer:

"Diese Praxis" (der "effekthaschenden Dramatisierung von ohnehin dramatischen Ereignissen zur Steigerung der Volksempörung") "hat der 'Bild' bereits 161 Presserats-Rügen seit 1986 eingebracht, womit sie uneinholbar Platz 1 in der deutschen Medienlandschaft belegt",

schreibt Katja Thorwarth. Das Rügen-Erzielen auch zum Zweck, dass darüber viel und empört berichtet wird, gehört so wie ostentativ volksempörendes Berichten selbst zur Marktführer-Logik der Bild-Zeitung. Vielleicht würde sie sich etwas anderes überlegen, wenn nicht alle darauf anspringen.

Der Presserat könnte vielleicht mal seine ehrenwerte Richtlinie 8.1. mit der Formulierung von der "außergewöhnlich schweren oder in ihrer Art und Dimension besonderen Straftat", die in diesem Fall das Springer-Blatt aus dem Kontext riss und gegen ihn verwandte, so überarbeiten, dass sie sich nicht mehr so leicht aus Kontexten reißen lässt. So etwas geschieht heutzutage bekanntlich ungefähr minütlich.

Und Berichterstatter sollten immer, auch wenn es im Echtzeit-Stress schwer fällt, ihre Worte auf die Goldwaage legen und etwa den aus mehreren Gründen mindestens anfechtbaren Begriff "Kinderschänder", den der Tagesspiegel im oben verlinkten Bericht über das Telefonat mit dem Presserat gleich anschließend verwendet, durch einen anderen ersetzen, würde ich sagen.

Womöglich bringt die Aufarbeitung eines der ihrer Art und Dimension außergewöhnlichsten und schwersten Fälle dieses Jahrhunderts die medienethischen Diskussionen voran. Sie läuft gerade an:

"Interessant ist übrigens der Zeitpunkt der Kampagne. 'Bild' hat sich genau den Tag ausgesucht, an dem der Presserat die Beratungen zur Berichterstattung über den Germanwings-Absturz begonnen hat",

fügen die allerakribischsten Bild-Zeitungs-Leser von bildblog.de am Ende ihres reichhaltig illustrierten Berichts hinzu.

[+++] "'Das Gesetz ist schlecht', schreibt Heribert Prantl auf der SZ-Meinungsseite aber über das neue Vorratsdatenspeicherungs-Vorhaben der CDU/ SPD-Bundesregierung",

stand letzte Woche hier im Altpapier, auch schon weit unten, und etwas verkürzend, weil es sich um ein Gesetzespaket handelte, das gar nicht allein den Vorratsdaten galt. Das war erwartungsgemäß jeweils kein großer Aufreger; Wenn jemand mal ein Gesetz mit Internet-Zusammenhang für gut befunden, wäre das eher ein Anlass, aufzuhorchen.

Wolfgang Michal, der, seitdem er nicht mehr carta.info herausgibt, im positiven Sinne aus der Echtzeit herausgefallen ist und so ausgeruht wie kaum jemand sonst Aktuelles kommentiert, hat sich das letzte Woche verabschiedete Bundle noch einmal genau angesehen. Mit Schwerpunkt auf den darin verschnürten Tatbestand der "Datenhehlerei" (offizieller Terminus) bzw. der "Whistleblower-Regulierung" (Michal), der in der Diskussion noch viel weniger vorkam als die etwas mehr Aufregung versprechende Vorratsdatenspeicherung: kommentiert er:

"In diesen schmutzigen, unübersichtlichen und anarchisch wachsenden Daten-Schwarzmarkt sollte endlich Ordnung gebracht werden. Das ging am besten durch Kanalisierung, also durch eine Kombination von Legalisierung einerseits und Strafandrohung andererseits. Ergebnis ist jener merkwürdige Gesetzentwurf, der ein- und dasselbe Handeln mit Strafe bedroht und straffrei stellt. Missverständnisse sind da geradezu programmiert",

schreibt er in seinem Blog und bei netzpolitik.org.

[+++] Wobei Gesetze, die Missverständnisse programmieren oder vor lauter Missverständlichkeit überhaupt nicht angewandt werden, dennoch exportfähig sind. Das aus engagierten Nischen-Diskussionen darüber, aber aus keinerlei Praxis bekannte Leistungsschutzrecht für Presseverleger wird als "Leistungsschutzrecht für Medieninhalte" nun auch in Österreich eingeführt:

"Das neue Leistungsschutzrecht kommt laut Entwurf als Paragraf 76 f ins Urheberrecht, Titel: 'Schutz der Hersteller von Zeitungen und Zeitschriften'. Der erste Absatz lautet: 'Wer eine Zeitung oder Zeitschrift in einem Massenherstellungsverfahren oder in Form einer Internetausgabe herstellt, hat das ausschließliche Recht, die Zeitung, die Zeitschrift oder Teile davon zu gewerblichen Zwecken zu vervielfältigen, zu verbreiten und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen",

berichtet der Standard. Zu neuen Inhalten, die in Deutschland noch nicht so geregelt sind, zählen Definitionen für Blogger bzw. "so genannte 'Blogger":

"Die Erläuterungen betonen ausdrücklich, Blogger sind ausgenommen: 'So genannte 'Blogger', also Herausgeber oder Verfasser von Blog-Beiträgen, fallen weder unter den Begriff des 'Herstellers von Zeitungen oder Zeitschriften' noch sind sie gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Newsaggregatoren. Sie werden daher vom neuen Schutzrecht weder als Berechtigte noch als Verpflichtete erfasst.'"

Ob damit die grundsätzliche Gewerblichkeit von Bloggern geregelt ist, dürfte als frische Missverständnis-Quelle diverse neue Diskussionen inspirieren.

Mit dem Mega-Metathema "Schutz der Hersteller von Zeitungen und Zeitschriften" geht's gleich weiter im Altpapierkorb.


Altpapierkorb

+++ "Die Abwärtsspirale der Printmedien dürfte sogar noch deutlich länger anhalten, ja sich sogar noch beschleunigen": Als zahlenstärkster Prophet solcher Entwicklungen profiliert sich weiter der wiwo.de-Blogger Michael Kroker. "Print-Medien sind trotz des Umsatzrückgangs in den vergangenen Jahren relativ gesehen weiterhin überproportional am Werbekuchen beteiligt: Obwohl Konsumenten nur noch vier Prozent ihrer Mediennutzungszeit mit der Lektüre von gedruckten Zeitungen und Zeitschriften verbringen, entfallen auf sie immer noch 18 Prozent des Werbemarktes. ... Umgekehrt konsumieren die Menschen bereits fast ein Viertel ihrer Medienzeit an Smartphones & Tablets, während mobile Anzeigen erst 8 Prozent des Marktes ausmachen." Das entnahm er der "Internet Trends"-Studie einer Partnerin des Risikokapitalunternehmens Kleiner Perkins Caufield & Byers. +++ Immerhin sollen "die Umsätze in der Unterhaltungs- und Medienbranche ... in Deutschland ... bis 2019 um durchschnittlich knapp 2 Prozent pro Jahr zulegen", entnahmen DPA/ TAZ einer PricewaterhouseCoopers-Studie. +++

+++ Auch ohne Wachstum überleben will krautreporter.de In diesem Juni will Sebstian Esser "E-Mails verschicken, darin ein roter und ein grüner Button, den die Noch-Abonnenten klicken sollen, um zu verlängern oder eben nicht. Esser ist bereits vor Rücklauf der Mailings klar, dass nicht alle der bisherigen Leser dabeibleiben werden: 'Wenn es die Hälfte sind, wären wir froh. Ich rechne aber mit weniger', sagt er" auf journalist.de. Nur "unter eine Schwelle von 6.000 Mitgliedern" dürfe die Crowd, die bekanntlich 15.000 zählen musste, damit das Projekt startet, nicht sinken. +++

+++ "Bei einem Preis einer Anzeigenseite im 'Handelsblatt' von 54.200 Euro lohnt es sich immer, Menschen anzustellen, die Unternehmen mit ihren Botschaften gratis in den redaktionellen Teil drücken, statt für eine Werbefläche zu bezahlen", schreibt Markus Wiegand, Chefredakteur der nicht herausragend bekannten Oberauer-Zeitschrift Wirtschaftsjournalist, in seinem wegen des "Parasiten" in der Überschrift stark umstrittenen, bei newsroom.de nun frei online verfügbaren Editorial. Und dieser Trend sei bereits längst im Gange: "Manche Unternehmen wie Apple sind meisterhaft darin, ihre Produkte fast ausschließlich über den redaktionellen Raum zu vermarkten. Man darf gar nicht darüber nachdenken, welches Anzeigenäquivalent Apple pro Jahr einfach so geschenkt wird. Jedes Mal wenn der Hersteller von Telefonen, Musikabspielgeräten und Computern irgendein neues Produkt auf den Markt wirft, hyperventilieren Tech-Journalisten auf der ganzen Welt und übernehmen freiwillig als Fanboys den Job der Marketingabteilung. Für Apple wäre es da ja geradezu dumm, Geld in Werbung zu investieren ..." +++

+++ Seine Zeitungen haben für Alfred Neven DuMont im Internet ein kondolenzbuch.dumontnet.de freigeschaltet. +++ Unter den Nachrufen noch lesenswert ist "Der kölsche Citizen Kane" (TAZ): "'Der Verleger ist traurig', war einer der vernichtendsten Sätze, die sich Journalisten in der Redaktion des Kölner Stadt-Anzeigers von ihren Vorgesetzten anhören mussten, wenn der Herausgeber die Rückmeldung gegeben hatte, dass ihm ein Artikel nicht gefallen hatte ..." +++

+++ Die Titanic "in der erlesenen Gesellschaft von Fifa, DFL, Thomas Gottschalk und Oliver Welke": Haben die Gagschreiber der "heute-show" ihre Gags geklaut? Am instruktivsten ist Anja Perkuhns sueddeutsche.de-Einschätzung: "Nun ist ein menschliches Hirn zwar (so weit wir wissen) einzigartig, Gedankenspiele und Analogie-Einfälle sind es aber selten. Und Möglichkeiten, eine Pointe strukturell aufzubauen, gibt es auch nur in endlicher Zahl. Setzt man also ein Team von Autoren mit ähnlichem kulturellen und medialen Hintergrund in einen Raum mit einem Kickertisch und einem Rechner mit Internetzugang, ... und lässt sie brainstormen, dann ist es schon recht wahrscheinlich, dass beide Teams hin und wieder ähnliche Gedankengänge entwickeln". Doch "ist die 'Heute Show' nicht annähernd so intelligent wie ihr Vorbild, Moderator Oliver Welke voll simpler Ironie und ohne Haltung. Und wer schlecht kopiert, wer nur nachmacht und nicht weiterentwickelt und die Kopie einer Kopie in einer Kopie sendet (ja, hier hat die Autorin geklaut bei 'Fight Club'), der macht sich auf diesem Gebiet ohnehin angreifbar." +++  Siehe aber auch Tagesspiegel und Welt (mit Hinweis auf Fips Asmussen). +++

+++ Die SZ-Medienseite heute mit zwei Überblicks-Artikeln: erstens über danseuses, wie französische Industrielle sie sich gerne kaufen. So würden "im Branchenjargon Medien genannt, an denen sich die Tycoone erfreuen können wie an einer Stripperin". Aktueller Anlass: der Verkauf des Parisien. +++ Der zweite Überblick gilt Spielfilmen über Fritz Bauer, den Nachkriegs-Staatsanwalt, der gegen alle Widerstände Naziverbrechen vor deutsche Gerichte brachte: "Umso überraschender die Konjunktur, die Fritz Bauer gegenwärtig erlebt, fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod. Die besten Schauspieler wetteifern darum, ihn darstellen zu dürfen. Axel Milberg spielte ihn 2010 in 'Eichmanns Ende', Gert Voss war in seiner letzten Rolle von einem 'Labyrinth des Schweigens' (2014) umgeben, Burghart Klaußner wird im Oktober in 'Der Staat gegen Fritz Bauer' mit schwerer Brille im Kino zu sehen sein". Auch nicht unüberraschend entpuppt sich Willi Winklers Artikel dann aber als Drehbericht von der jüngsten Nico-Hofmann-Produktion: "Nico Hofmann glüht vor Begeisterung für den 'General', der für ihn auch eine 'Verdrängungsgeschichte' ist. Fast fünf Jahre haben sie an dem Projekt gearbeitet, das Drehbuch ist durch zehn Fassungen gegangen. 'Diese Geschichte ist, wie die ganze Zeit, noch nicht erzählt worden. Vielleicht liegt es daran, dass die Adenauer-Zeit insgesamt so lähmend ist.' Seine Eltern besaßen ein Fotoalbum ..." usw. "Hofmann weiß genau, dass sein Fritz Bauer niemals an die Traumquoten seiner Serie 'Unsere Mütter, unsere Väter' (2013) heranreichen wird, schon gar nicht an die mehr als elf Millionen Zuschauer der 'Flucht' (2007), als Maria Furtwängler ..." Nico Hofmann hat noch jeden überzeugt, der bei ihm am Set war. +++

+++ Zurück nach Frankreich: Die neue France Télévisions-Chefin Delphine Ernotte Cunci, die sagt, ihre Anstalt solle "ein mit sich im Reinen befindliches öffentlich-rechtliches Unternehmen" sein, stellt die Medienkorrespondenz vor. +++

+++ "Ob im 'Brennpunkt' der ARD, den 'Tagesthemen' oder eben im 'Heute-Journal'. 'Nicht die Fußball-Welt ist ihm gefährlich geworden', so Frau Slomka, 'sondern das FBI.' Auch nicht das ZDF, so wäre hinzuzufügen, schließlich ist es ein Teil dieser Fußball-Welt ..." (Altpapier-Autor Frank Lübberding in der faz.net-TV-Kritik, auch noch über die Lanz-Show desselben ZDF, das aber vielleicht doch sympathischer ist als FBI ...). +++

+++ Im Politikressort enthält die FAZ heute einen Beitrag "von Bundeskanzlerin Angela Merkel" und zwei ganze, zeitungsähnlich gestaltete Anzeigen-Seiten, die von der amtierenden ägyptischen Regierung bzw. einem ihr nahestehenden Werbekunden geschaltet wurden. Präsident al-Sisi ist heute in Berlin zu Besuch. +++

+++ Und ganz vorn auf der TAZ eröffnet Chefredakteurin Ines Pohl die täglichen Kirchentags-Sonderseiten ihrer Zeitung: "Begleiten Sie unsere Berichterstattung, unbedingt kritisch, auch gerne ungläubig." +++

Weil Fronleichnam kein evangelischer Feiertag ist, gibt's auch am Donnerstag wieder neues Altpapier.

 

weitere Blogs

Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.
Ein gut zugängliches und dabei sehr gehaltvolles Buch über die Geschichte, Kämpfe, Begriffe und die Vielfalt von LGBTIQ und deren breites Themenspektrum, mit anschaulichen Bildern, spannenden Erklärungen und historischen Facts aus aller Welt. Das hat Katharina Payk für Sie entdeckt.