Wir alle nutzen täglich Medien

Wir alle nutzen täglich Medien
Eine grafische und begehbare Reportage über Dortmunder Nazis. Polizeiwagen vor Berliner Redaktionen. Ein twitternder Qualitätsjournalismus-Professor. Gewisse Genervtheit in der Medienwächter-Landschaft.

"Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe Medienschaffende, liebe Medieninteressierte, wir alle nutzen täglich Medien ..."

Wer würde diesen Worten von Dr. Angelica Schwall-Düren, der nordrhein-westfälischen Ministerin für Europa, Medien u.a., widersprechen? Auch der folgende Satz über die Informations- und Kontrollfunktionen von Medien ließe sich ohne Weiteres unterschreiben. Wie überragend ausgerechnet der WDR war und gar ist - darüber ließe dann sich intensiver streiten. Aber das soll man auch, und es geht halt ums wdrgesetz.nrw.de in der frisch online er- und bis 17.00 Uhr am 19. März geöffneten Diskussionsrunde, deren Prinzip durchaus vielversprechend erscheint.

Und man muss offenbar auch kein Nordrhein-Westfale sein, um mitzumischen. Wenn der WDR den Kölner Karneval ins sog. Erste einbringt, hat ja auch das ganze Land den Salat ...

[+++] Zählen zu den Medien, die Sie so nutzen, auch "begehbare Reportagen"? Das geht zumindest nächste Woche (von 11.00 bis 17.00 Uhr) in Berlin, später wohl auch in Lörrach und ab 15. April (mit Friedrich-Küppersbusch-Eröffnungsrede) im Schauspielhaus Dortmund. Aus Gründen, denn in Dortmund spielt die Reportage, die außerdem gezeichnet ist. Eröffnet wurde sie ebenfalls gestern, am Abend in Berlin und im Beisein eines Polizeiwagens. Denn 

"eigentlich wollten wir die Ausstellung über unsere grafische Reportage 'Weisse Wölfe' in einer Galerie organisieren. Leider haben aber alle angefragten Galerien abgesagt - eine sogar, nachdem wir den Raum schon gemietet hatten. Den Galerien waren unsere Arbeiten nicht zu schlecht. Die Galerien hatten Angst vor Anschlägen Rechtsextremer."

So kündigte es correctiv.org, bzw., in Eigenschreibweise mit Binnen-Ausrufezeichen: "CORRECT!V - Recherchen für die Gesellschaft", an. Also das "erste gemeinnützige Recherchebüro in Deutschland", das weder unter mangelndem Selbstbewusststsein, noch unter mangelnder Finanzierung leidet, dazu immerhin 18.000 Euro er-crowdfundet hat, und dessen bisherige Top-Enthüllungen womöglich ja brisanter sind als sie aufgenommen wurden, aber einfach zu einem unglücklichen Zeitpunkt herauskamen.

David Schraven, der hörbar aus dem Pott stammende jetzige Correctiv-Redaktionsleiter und Ex-Ruhrbaron, einst auch Star bzw. eher Antagonist in diesem Altpapier von vor fast einem Jahr, hat bereits Comics bzw. grafische Novellen verfasst. Nun hat er seine Recherche über die Dortmunder Neonazi-Szene, darunter einen, der unter seinem wahren Namen ein Brieffreund von Beate Zschäpe sei, mit dem Illustrator Jan Feindt visualiert. "Weisse Wölfe" ist für 15 Euro in Buchform erhältlich; Besprechungen gibt's bereits bei welt.de und bei faz.net von Andreas Platthaus. Der Tausendsassa Schraven, der ja nicht ungern pos-t, tritt darin auch selbst auf, ebenso wie, zumindest in einem Panel, der Dortmunder Oberbürgermeister, der das Nazi-Problem seiner Stadt verharmlose.

"Man erreicht mit den Geschichten, wenn sie geschrieben sind, immer nur dieselben", sagte Schraven gestern. Das will mit der neuen Darstellungsform ändern. Zumindest ein interessanter Ansatz ist es wirklich. Über Inhalte wie die Theorie von der "Kommunikation der Tat" im, wie es die Nazis nennen, "führerlosen Widerstand", sollte sich diskutieren lassen.

####LINKS#### [+++] Wenn wir gerade bei Polizeiwagen in Berlin waren: Gestern am ganz frühen Morgen dürfte vor dem TAZ-Sitz auch einer gestanden haben. Von einem Einbruchsversuch berichtet newsroom.de: "Ob womöglich Rechtsextreme oder Salafisten, natürliche Feinde der alternativen Zeitung aus Berlin, in die Räume der 'taz' eindringen wollten - unklar". Spannender noch raunt Bülend Ürük auf Twitter: "Mitarbeiter der taz sind dringend angehalten, alle ihre Passwörter - ob dienstlich oder privat - zu ändern. Angst vor #Keylogger #tazleaks" ist da noch längst nicht alles ...

 


[+++] Die Frage, warum auch die TAZ selbst nicht über die späten SZ-Verlagsbeilagen-Enthüllungen ihres Online-Redakteurs Sebastian Heiser berichtet, stellte ebenfalls newsroom.de. Die Antwort klingt plausibel unspektakulär.

Wer sich in die vielschichtigen Diskussionen nun auch eingeschaltet hat, und zwar zur Frage, wie erlaubt es ist, Gespräche aufzuzeichnen (wobei er Heisers Bezugspunkt ist, siehe Altpapier gestern): der Neu-Twitterer @LilienthalV - also der Inhaber der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Praxis des Qualitätsjournalismus am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg. Schon läuft eine lebhafte Diskussion im 140-Zeichen-Format ...

[+++] Zurück in die Welt der föderalen Medienpolitik, die bei fast allen, die nicht dafür bezahlt werden, sie zu betreiben, Reaktanz auslöst: Der Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten sowie Direktor der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien hat einen vergleichsweise flammenden Appell dafür formuliert, dass

"unser auch im internationalen Vergleich einmalig vielfältiges Mediensystem nicht vom Silicon Valley aus untergraben bzw. eingeebnet werden soll. Denn auf dem Spiel steht unsere Vielfalt, die wir, was man nicht oft genug wiederholen kann, dem Föderalismus verdanken. Deshalb müssen der Bund und noch viel mehr die Länder bemüht sein, diese föderale Vielfalt zu stärken, statt sie unter die Räder geraten zu lassen",

schreibt Jürgen Brautmeier in der neuen Medienkorrespondenz (zurzeit frei online).

So was äußert Brautmeier als Medienwächter des größen Bundeslandes, der aber auch in Streitigkeiten mit der eingangs erwähnten Ministerin Schwall-Düren verstrickt ist, ja öfter. Neu ist aber der Sound der gewissen Genervtheit ("Deutschland ist als Medienmarkt zu groß und zu wichtig, als dass man hier weiter abwarten könnte, um zu sehen, was passiert"), der vielleicht dazu beiträgt, den enormen speziellen deutschen inner-medienpolitischen Diskurs näher an die Diskurse der lieben Medienschaffenden und -interessierten heranzuführen. Was ja eine ganz gute Entwicklung wäre.
 


Altpapierkorb

+++ Anders als es gestern hier vielleicht schien, sind Zeitungsberichte über den neuen ZDF-Staatsvertrag und die von den Bundesländern vorgesehene neue Besetzung des Fernsehrats, keine Enthüllungen. Vielmehr steht der aktuelle Rundfunkänderungsstaatsvertrags-Entwurf etwas versteckt auf der Internetseite des Bundeslands Rheinland-Pfalz. Kompakt informiert nun auch die Medienkorrespondenz, die schon Ende 2014 über den Fernsehrats-Sitz für Muslime berichtete. +++

+++ "Die Auseinandersetzung um ihre Qualitäten, die Kritik an ihrer Praxis gehört zur journalistischen Arbeit wie der Buchstabe zum geschriebenen Wort. Dass sich die Redaktionen in Deutschland daran nicht gewöhnen mögen, dass sie dazu neigen, die Schotten majestätsbeleidigt dicht zu machen, ist wahrscheinlich das Schlechteste, das über den Journalismus hierzulande gesagt werden muss": sozusagen Journalismusphilsophisches von Hans-Jürgen Arlt bei carta.info. +++

+++ Zugleich schreitet der Journalistenstellen-Abbau voran, derzeit in Hamburg, wie der Betriebsräte-Gewerkschaften-Blog dumontschauberg.wordpress.com meldet. +++

+++ "Er kann hammermäßig fertig ausschauen, schmerzgeplagt und ungeschlacht": der "Problembär" Roeland Wiesnekker. Mit ihrem Faible für Theaterschauspieler porträtiert Christine Dössel auf der SZ-Medienseite den Titelstar des heutigen ARD-Fernsehfilms "Der Kotzbrocken". +++ Es ist natürlich eine Degeto-Produktion: "Für Zyniker ist das nichts. Aber für all diejenigen, die gerne glauben, dass der nachhaltigste Optimismus aus dem Pessimismus wächst" (Heike Hupertz, FAZ). +++

+++ Mehr Presseecho zieht die Teilzeit-Konkurrenzsendung des ZDF auf sich: "Schuld", die neue Olli-Berben-Qualitätsserie nach Ferdinand von Schirach, bekannt u.a. durch die Vorabpremiere in der Mediahek (siehe Altpapier letzte Woche, der darin erwähnte FAZ-Artikel steht inzwischen frei online). "Seit dem 6. Februar und bis zum vergangenen Mittwoch wurden die Folgen in der Mediathek über Computer und Laptops, Mobiltelefone und internetfähige Fernsehgeräte rund 600.000 Mal abgerufen. Das entsprach etwa 3,9 Prozent der gesamten Mediathek-Nutzung in dieser Zeitspanne. Ob und wie sich dieses Vorabsehen auswirkt, werden die Quoten zeigen, die die TV-Ausstrahlung von heute Abend an erzielen kann", aktualisiert die FAZ heute. +++ Ansonsten herrscht gebremste Euphorie: "Nun ist Nonkonformität für sich kein Qualitätsmerkmal. Es ist auch nicht alles gut an diesen sechs Filmen", aber doch so einiges (Tagesspiegel). +++ Trotz der "Redundanz", in der "die Figuren an wichtigen dramatischen Wendepunkten noch einmal das aussprechen müssen, was offensichtlich ist", sei das Glas schon "zumindest halb voll" (Jens Mayer, TAZ). +++ Visuell am hübschesten: die Standard-Ankündigung. +++

+++ Ansonsten geht's bunt zu auf den gedruckten Medienseiten: Der Tagesspiegel scherzt über rheinland-pfälzisch-baden-württembergische Konkurrenz um den von Eva Mattes frei gemachten "Tatort"-Schauplatz ("Auch in Baden-Baden wohnt der Psychopath nebenan. Da bringt der 'Tatort' nichts Neues."). +++ Die SZ scherzt über ein Gerichtsurteil zu prominenten Persönlichkeiten und einer prominenten Zigarettenmarke. +++ Und interviewt dann gar noch Hans Meiser ("Sie könnten sich für eine Gastrolle auf dem 'Traumschiff' qualifizieren." - "Ich bin jetzt Kreuzfahrtdirektor, ansonsten Journalist - und wahrlich kein Schauspieler. Heizer im Schiffsbauch, die Rolle könnte ich allenfalls übernehmen."). +++

+++ Am heutigen Freitag vor zehn Jahren erschoss sich im Alter von 67 Jahren der "Outlaw-Journalist" Hunter S. Thompson, woran die TAZ bereits gestern anlässlich einer neuen deutschen "Gonzo-Briefe"-Ausgabe ("Zeile für Zeile verwünscht Thompson in diesen Pamphleten oft mit tollen Polemiken die Welt, das Universum, die Menschheit") erinnerte. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.



 

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