"Ich schäme mich für meine Branche"

"Ich schäme mich für meine Branche"
Wer in der SPD mittlerweile das Feuilleton macht, ist bis heute noch nicht geklärt. Richard von Weizsäcker war es bekanntlich nicht. Aber was unter Journalismus in einer offenen Gesellschaft zu verstehen ist, hat der Handelsblatt-Kollege Norbert Häring an der Griechenland-Berichterstattung deutlich gemacht: „Ich schäme mich für meine Branche“, so sein Verdikt. Dafür gibt es keinen Grund. Sie funktioniert nämlich noch, solange sie Journalisten wie Häring kritisch begleiten.

Wer in der SPD mittlerweile das Feuilleton macht, ist bis heute noch nicht geklärt. Richard von Weizsäcker war es bekanntlich nicht. Aber was unter Journalismus in einer offenen Gesellschaft zu verstehen ist, hat der Handelsblatt-Kollege Norbert Häring an der Griechenland-Berichterstattung deutlich gemacht: „Ich schäme mich für meine Branche“, so sein Verdikt. Dafür gibt es keinen Grund. Sie funktioniert nämlich noch, solange sie Journalisten wie Häring kritisch begleiten.

Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker ist am vergangenen Samstag im Alter von 94 Jahren gestorben. In allen Nachrufen stand mit guten Gründen seine Rede vom 8. Mai 1985 im Mittelpunkt. Sie hatte die kulturelle Kluft zwischen zwei feindlichen historischen Narrativen geschlossen, die bis dahin die westdeutsche Nachkriegsgeschichte geprägt hatte. Auf der einen Seite die Mehrheit in der Erlebnis-Generation, die den Kriegsausgang vor allem als nationale Tragödie verstanden hatte. Auf der anderen Seite die meisten Nachgeborenen, die das Kriegsende als Befreiung begriffen. Nur Weizsäcker konnte diese Kluft schließen, weil er das Narrativ der Befreiung für die eigene Generation als verbindlich anerkannte. Dahinter konnte nach der Rede niemand mehr zurück. Weizsäcker war aber zugleich der Bundespräsident gewesen, der die damals schon virulente Parteien- und Politikverdrossenheit mit der Autorität seines Amtes versehen hatte. Das Interview der Bonner Zeit-Korrespondenten Gunter Hofmann und Werner Perger mit Weizsäcker aus dem Jahr 1992 ist heute noch lesenswert. Weizsäcker brachte damals auch jenen falschen Zungenschlag in die Debatte, die sie bis heute prägt. Mit dem Politiker als „Generalisten mit der Spezialkompetenz zur Bekämpfung seines politischen Gegners“ meinte Weizsäcker vor allem den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, suggerierte aber zugleich, dass sich Politiker den Funktionsbedingungen politischer Macht entziehen könnten. Es ist dieser naive Idealismus, der in Deutschland schon immer die Sichtweise auf Politik geprägt hatte. Dem steht aber die Bewunderung in vielen Medien für die heutige Bundeskanzlerin gegenüber, die als Hydraulikerin der Macht diese politische Fähigkeit zur Perfektion entwickelt hat. Sie will wie Kohl ebenfalls ihre Macht sichern, aber Hofmann und Perger wären nie auf die Idee gekommen, den damaligen Kanzler „Vati“ zu nennen. Insofern wirkt Frau Merkel heute wie eine Mischung aus Kohl und Weizsäcker. Letzterer wurde einmal in seiner Zeit als CDU-Bundestagsabgeordneter vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner so charakterisiert. Wer denn in der Fraktion für das Feuilleton zuständig wäre, so seine Frage an die eigenen Leute nach einer Weizsäcker-Rede. Das hat sich geändert. Die heutige Bundeskanzlerin hatte nämlich ihre schärfsten Kritiker in diesem Feuilleton gefunden.

+++ Warum das so ist, erläutert der Blogger Ralf Keuper. Er zitiert den österreichischen Journalisten Peter Michael Lingens, der vor Jahren auf einem Symposium zu Ehren Karl Poppers über den Sinn des Journalismus folgendes sagte:

„Den wahrscheinlich wichtigsten Beitrag zur Falsifizierung falscher gesellschaftlicher Thesen liefert in der offenen Gesellschaft der freie Journalist. Er ist gleichsam das Auge, das Ohr und der Mund des gesellschaftlichen Organismus. Durch ihn wird der gesellschaftliche Organismus imstande zu erfahren und zu artikulieren, wo und und wie eine bestimmte ideologische Behauptung widerlegt wurde. ... Die offene Gesellschaft ist ohne freie Journalisten undenkbar. Denn sie lebt davon, dass falsche Theorie, falsche gesellschaftliche Maßnahmen so rasch wie möglich falsifiziert werden, damit sie durch bessere ersetzt werden können. Dafür ist entscheidend, ob der Journalist seine Aufgabe als Auge, Ohr und Mund des gesellschaftlichen Organismus korrekt erfüllt. Ob er, nach bestem Wissen und Gewissen die Wahrheit schreibt. (in: Karl R. Popper/Konrad Lorenz - Die Zukunft ist offen).“

####LINKS####Keuper sieht im Medienjournalismus als kritischer Beobachter des Journalismus das Korrektiv. In einer Medienumwelt, die von Schnelligkeit und Personalisierung geprägt wird, bleiben allerdings nach einem Stromausfall schon einmal die Inhalte auf der Strecke.

 

+++ Wie schwierig Objektivität ist, macht die Welt in einer Kritik des ARD-Morgenmagazins zum Thema. Das hatte den russischen Journalisten Ivan Rodionov interviewt. Wer ist dieser Rodionov? Journalist oder Propagandist? Laut Welt letzteres und darin läge das Problem. Durchaus mit guten Gründen. Rodionov ist eine Propagandatröte, die mit einem bisher nicht aufgefallen ist, die Politik der eigenen Regierung genauso kritisch zu beobachten, wie er das mit der des Westens praktiziert. Aber die spannende Passage in dem Welt-Artikel ist die zur Wahl in Griechenland.

„Dann legte er mit seiner zweiten Masche nach: Er hob Sachverhalte auf die gleiche Ebene, die nicht auf die gleiche Ebene gehören: “Man ist durchaus amüsiert in dem Sinne, dass jetzt die EU genau das begeht, was sie sonst Russland vorwirft. Nämlich eine Wahlentscheidung, eine Volkswillenbekundung, nicht zu respektieren und eine durch diese Wahlentscheidung hervorgegangene Regierung, die dann etwa ihre eigene Meinung äußert, diese Meinung nicht zu akzeptieren, sondern als Alleingang, ja als fast schon als Zersetzung der Kampfmoral, zu bezeichnen … . Man reagiert auch etwas kopfschüttelnd in dem Sinne, dass man registriert, dass die EU-Außenpolitik eher ideologiegetrieben ist als interessengetrieben.“ Die kritische Auseinandersetzung von EU-Politikern mit dem, was in Griechenland passiert, ist also gleichzusetzen mit dem, was man Russland vorwirft. Und was wirft man Russland vor? Das sagt Rodionov nicht, das soll der Zuschauer sich wohl selbst herleiten. Assoziationen gibt es ja viele: antidemokratisches Handeln, Einschränkung der Meinungsfreiheit, Einschränkung der Selbstbestimmung anderer Völker – notfalls mit Gewalt. Und jetzt macht die EU also das Gleiche. Eigene Defizite damit zu kontern, dass man dem Gegner das Gleiche vorwirft, das war eine typische Kommunikationsstrategie der Sowjetunion.“

Harsche Worte. Das ist allerdings schon fast rührend zu nennen, wie hier versucht wird, den einzigen kritischen Punkt zu widerlegen, den Rodionov gemacht hat. Denn die EU hat offenkundig ein mit Russland vergleichbares Ukraine-Problem, wenn sie auch hoffentlich nicht russische Mittel anwenden wird, und etwa „grüne Männchen“ nach Griechenland schickt. Wie geht man mit einem Staat um, der als Bündnispartner gebraucht wird, aber gegen die bisherige Politik opponieren könnte? An einen Bündniswechsel Griechenlands hat niemand in der EU ein Interesse. Das wird auch von der neuen Regierung in Athen durchaus als Druckmittel gegenüber der EU begriffen. Vor diesem Hintergrund ist vielleicht die an Hysterie grenzende Debatte über das Griechenland nach der Wahl zu erklären. Der Kollege Norbert Häring vom Handelsblatt hat diese Hysterie in einem höchst bemerkenswerten Beitrag in seinem Blog zum Ausdruck gebracht. Er macht nämlich deutlich, wie sich Perspektiven verändern, sobald einem die Richtung nicht mehr in den Kram passt.

Wie kommt es, dass die deutschen Medien gegenüber einer Partei in einem fremden Land dermaßen einheitlich mit einem abwertenden politischen Kampfbegriff hantieren. Als er noch Teil der ehemaligen Regierungspartei Nea Demokratia war, die alles andere als den Willen des Volkes verfolgte, da hieß Anel-Parteichef Panos Kammenos noch nicht populistisch. Das wurde er erst, als er aus der ND ausgeschlossen wurde, weil er die menschenfeindliche Troika-Politik, die das Land zu einem Armenhaus gemacht hat, nicht mittragen wollte.“

So genau hat wahrscheinlich niemand die Lage in Griechenland beobachtet. Es reicht dann halt nur noch für die Bestätigung eigener Vorurteile.

„Kammenos hat sich im Wahlkampf nicht an einen Grenzzaun gestellt und in die Kameras gesprochen, Syriza wolle den Zaun niederreißen und Terroristen und Kriminelle ungehindert ins Land lassen, kurz nachdem sich dort eine Flüchtlingstragödie ereignet hatte. Das war ND-Chef Samaras. Wird dieser rechtspopulistisch genannt. Nein. Die Haltung von Kammenos und seiner Partei geht in solchen Fragen eher Richtung CSU. In was für einer Mediendemokratie leben wir hier eigentlich? Wo haben die Journalisten von links bis rechts nur ihr Hirn und ihre Ehre, dass sie ohne nachzudenken, diese von oben in Umlauf gebrachten Parolen voneinander abschreiben? Ich schäme mich für meine Branche.“

Wie war in dem besagten Welt-Artikel zu lesen?

„Jetzt mag man sagen, dass diese Meinung auch ihren Raum im deutschen Fernsehen braucht. Mit Meinungspluralismus und -freiheit hat das allerdings nichts zu tun. Das ist auch keine Propaganda mehr. Es ist irreführend. Warum das ARD-Morgenmagazin seine beste Sendezeit dafür hergibt, bleibt ein Rätsel – wie nach so vielen anderen Rodionov-Auftritten im deutschen Fernsehen.“

Nähme man diese Warnung vor Irreführung ernst, müssten jetzt alle deutschen Medien ihre Berichterstattung über Griechenland einstellen. Der Unterschied zwischen Russland und dem Westen ist aber nicht die Irreführung durch Propaganda. Vielmehr die kritische Reflexion eigenen Handelns. Denn die offene Gesellschaft lebt davon, „dass falsche Theorie, falsche gesellschaftliche Maßnahmen so rasch wie möglich falsifiziert werden, damit sie durch bessere ersetzt werden können.“ Häring ist ein gutes Beispiel dafür, was Lingens damit gemeint haben könnte.


Altpapierkorb

+++ Sybille Berg hat in ihrer Kolumne bei Spiegel online einen interessanten Ansatz gefunden, um die Widersprüche in öffentlichen Diskursen aufzuzeigen: "Denn hier werden die Zusammenhänge ein wenig diffus. Die diversen Verschwörungstheoretiker, Demonstranten, "Lügenpresse"-Rufer sind gegen eine "Islamisierung" des Abendlandes, aber eine Russifizierung ist in Ordnung. Da heißt es, noch einmal innezuhalten - und dann habe ich noch einen: Ein russisches Gericht hat jetzt eine Journalistin und Aktivistin wegen angeblicher "Homosexuellen-Propaganda" verurteilt." Gesellschaftspolitisch sitzen konservative Muslime und Ultra-Orthodoxe eben in einem Boot.

+++ Robert Misik hat dafür in der taz nach den Ursache gesucht, warum Deutschland das Land der Ahnunglosen ist. "Während alle großen europäischen Medien mit distanzierter, aber gleichzeitig auch interessierter Anteilnahme über die griechische Wende schrieben, dominierte hierzulande der geifernde Hetzstil, und zwar nicht nur bei Bild, sondern von Spiegel Online über FAZ bis zur SZ. Während hier selbst in linksliberalen Medien ein Zerrbild vom "radikalen Finanzminister" Janis Varoufakis gezeichnet wurde und ihm uralte und auch noch verfälschte Zitate in den Mund gelegt wurden, musste man schon die New York Times, den Guardian oder auch den erzkonservativen Telegraph lesen, um die Wahrheit zu erfahren: Globaler Ökonomie-Superstar, ein Postkeynsianer, kein Linksradikaler, wird Finanzminister Griechenlands! Der Popstar unter den Ökonomen hängt seine cosy texanische Professur an den Nagel, um den härtesten Job der Welt zu übernehmen! Wie spannend! Wie bewundernswert! Aber hierzulande: ein völlig anderer Spin."

+++ Zu Jauch wird immer viel gesagt. In den diversen TV-Kritiken ist das nachzulesen. Eine gute Frage stellte aber die ARD-Presse auf Twitter. "Ob die TV-Kritiker, die über die #Jauch-Sendung schreiben wollten, auch einen Plan B haben? #Stromausfall." Das muss kein Problem sein. Dann kann man nämlich über das schreiben, was nicht gesagt werden konnte. Das werden zumeist die besten Stücke.

+++ Das Dschungelcamp ist zu Ende und Maren Gilzer ist die Königin der Leute geworden, die die kostenpflichtige Telefonnummer bei RTL genutzt haben. Diese Staffel fand nicht den Segen der Kritik, sogar die Einschaltquoten schwächelten. Eine familieninterne Fernsehkritikerin fand diese Wahl gerecht. "Die Rolle bei „In aller Freundschaft“ ist weg. Sie ließ sich nach 25 Jahren von ihrem Mann scheiden: Die hatte ganz schön viel Pech. Deshalb gönne ich das Maren Gilzer.“ Das ist Anteilnahme. Besorgnis muss etwas anderes erregen. "Überhaupt waren die versöhnlichen und gar nicht mal sooo ironischen Töne zuletzt nicht zu überhören. "Es war dieses Jahr eine etwas andere Staffel, weniger Boulevard, mehr Feuilleton", hieß es zunächst unter Beimischung einiger Süffisanz und in Anspielung auf die etwas drögeren Momente der Staffel", so formulierte es Arno Frank in seiner Spiegel online Kritik. Damit ist die Zuständigkeit für das Feuilleton zwar nicht in der SPD, aber wenigstens bei RTL geklärt worden. Dafür wurde Walter Freiwald der König in den Sozialen Medien, wie beim Stern nachzulesen ist.

+++ Im Deutschlandfunk ist ein Essay von Felix Schwenzel über dieses Internet zu hören und lesen. Mit solchen Sätzen könnte sich der von ihm zitierte Michael Seemann allerdings auf die vakante Planstelle des SPD-Feuilletonisten bewerben: "Wenn wir sagen, dass wir das Neue als Neues anerkennen müssen, und aufhören, dem Alten hinterherzutrauern, tun wir das nicht aus Begeisterung für das Neue. Es geht uns nicht darum, das Neue kritiklos zu bejubeln - im Gegenteil. Es ist uns sogar besonders wichtig, die Gefahren, die das Neue Spiel mit sich bringt, herauszustellen. Die Warnung vor dem Untergang des Alten verstellt oft die Sicht auf die echten Herausforderungen. Für das Erkennen dieser neuen Gefahren brauchen wir eine ebenso ungetrübte Sicht wie für das der neuen Chancen."

+++ Die Teilnehmerzahlen bei den Pegida-Demonstrationen sind immer noch ein Thema. Die Zeiten, wo die Polizei diese immer zu niedrig und die Veranstalter zu hoch ansetzten, sind bald vorbei. In den USA wird bei Zeitungen schon über den systematischen Einsatz von Drohnen nachgedacht.

+++ Harald Schmidt wird auf dem Traumschiff anheuern. Außerdem hat sich der Regisseur Marc Rothemund von seiner eigenen Komödie distanziertEinen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen scheint es aber nicht zu geben.

+++ Zu Jan Böhmermann und die Posse um das Foto äußert sich noch einmal die taz.

+++ Im Funkhaus Wallrafplatz auf WDR 5 ging es am Samstag um die Studie der Böckler-Stiftung über die Berichterstattung zu den NSU-Morden. In diesem Internet kann man die Sendung auch heute noch nachhören. Daher diese Empfehlung.

+++ Ein interessanter Sport ist bekanntlich American Football, wenn er für Europäer in der Regel auch fast so unverständlich ist wie Baseball. Auf Meedia findet man daher das, was man wissen muss, um das Endspiel in den USA zu verstehen. Nämlich welche Werbespots man kennen muss.

+++ Auch was Thomas Knüwer über den Super Bowl zu berichten weiß, macht ihn fast schon zum Feuilletonisten. "Interessant: Budweiser positioniert sich mit Super Bowl-Spot frontal gegen Micro Brewerys und Craft Biere." Wer hätte das gedacht? Patriotische Biertrinker aus dem Sauerland können das nur verurteilen. Die Bündnissolidarität hört beim Bier auf. Ansonsten demonstrieren wir. Versprochen.

+++ Felix Schwenzel hat recht. Das Zitat stammt nicht von ihm, sondern von Michael Seemann. Die ursprüngliche Fassung wurde daher geändert.

+++ Aurorität war aber auch nicht schlecht.

Das nächste Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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