Ein Funke springt über

Ein Funke springt über

Verabschiedet sich Springer weitgehend vom Zeitungsjournalismus, oder fließt bald alter Wein in anderen Schläuchen? Hat Springer seine „Seele“ verkauft? - alles zu diesen und ähnlichen Fragen heute natürlich in diesem Theater. Außerdem: der Schimanski von 1945, die Masche des Spiegel-Online-Kolumnisten und „Dickdenkerdarstellers“ Georg Diez sowie Reformvorschläge der rheinländ-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer zu Phoenix und ZDFneo.

Um heute gleich mal ein bisschen persönlich zu werden: Zwischen Axel Springer und mir gibt es gewisse Gemeimsamkeiten, was die beruflichen Wurzeln angeht. Er volontierte in den frühen 30er Jahren bei der Bergedorfer Zeitung, und möglicherweise hätte sich später die bundesdeutsche Mediengeschichte ganz anders entwickelt, wenn ihm der Job nicht gefallen hätte; ich absolvierte dort mehr als viereinhalb Jahrzehnte später - bzw.: einige Jahre, nachdem Springer den Laden komplett übernommen hatte - ein in einen Ferienjob mäanderndes Schülerpraktikum in der Sportredaktion.

Dieses Geschichtchen kann man heute mal kurz droppen, weil die Bergedorfer Zeitung, diese also für die Person Axel Springer so wichtige Zeitung in der offiziellen Verkaufs-Mitteilung des von ihm hinterlassenen Hauses nicht einmal erwähnt wird - obwohl natürlich auch die bz, wie sie vor Ort heißt (wo kaum jemand die gerade durch Springersche Unternehmensinnenpolitik überregional ins Gerede gekommene B.Z. kennt) Teil des etwas rostig gewordenen Familiensilbers ist, das Friede und ihr Vorstandschef für 920 Millionen Euro plus Kreditzinsen an The Group formerly known as WAZ (TGFKAW) verkaufen.

Inclusive der bz sind es zehn Titel (plus Anzeigenblätter), die TGFKAW - neuerdings known as FGM (Funke Mediengruppe) - bekommt, und die meiste Aufmerksamkeit der Medienbeobachter gilt dabei den Verkaufsobjekten Hamburger Abendblatt, Springers erster Tageszeitung, und der Hörzu, „der Gründungsmarke des Konzerns schlechthin“ (Michael Hanfeld/FAZ) bzw. „Axel Springers erstem Blatt“ (Markus Brauck/Spiegel Online). Da zumindest implizit in vielen anderen Artikeln Ähnliches steht, sei hier erwähnt, dass Springers erstes Blatt die Nordwestdeutschen Hefte waren, die 1946 einige Monate vor der Hörzu auf den Markt kamen. Die Hefte bestanden hauptsächlich aus nachgedruckten Radio-Sendemanuskripten, also verschriftlichtem Radio (kennt man heute aus dem Internet!). Später wurde aus der Publikation die teilweise sehr bräunliche Illustrierte Kristall, die Springer 1966, als die Verluste horrende Ausmaße angenommen hatten, einstellte. Die frühesten Wurzeln seines verlegerischen Schaffens hat der Alte also noch höchstselbst gekappt. Exkurs Ende.

####LINKS####

Lob für Springers Deal mit Funke kommt von Franziska Bluhm (wiwo.de). „Der Verkauf der Traditionsblätter“ sei „vor allem eines: konsequent“ Axel Springer an seiner Zukunft arbeitet. Springer arbeite „mit Volldampf an seiner Zukunft.“ Die Gegenposition formuliert Markus Brauck in seinem bereits erwähnten SpOn-Text:

„Ausgerechnet der ehemalige Feuilletonredakteur (Döpfner) besorgt bei Springer den Abschied vom Journalismus. Er ist dabei getrieben von zwei Dingen: der Vision, im digitalen Geschäft ganz vorne dabei sein zu wollen, und der Angst, mit Journalismus kein Geld mehr verdienen zu können. Bis gestern schien die Strategie des Hauses Springer noch zu sein, das digitale Geschäft mit dem Journalismus zu versöhnen (...)“

Döpfner habe nur „das vage Versprechen auf bessere Zeiten in einer nebulösen digitalen Zukunft“ zu bieten - also letztlich auch nicht mehr als irgendein bloggender Unternehmensberater-Hallodri. Maike Lahmann Steffen Grimberg (Autorencredit hat sich zwischenzeitlich geändert) argumentiert im „Zapp“-Blog unter der Headline „Springer ohne Seele“ in eine ähnliche Richtung wie Brauck:

„Geht Döpfners Print-Befreiungsschlag schief, könnte aus dem größten Zeitungshaus Europas ein Gemischtwarenladen aus Preisvergleichsportalen und Internet-Jobbörsen werden (...) Sollte die nächste digitale Revolution (...) tatsächlich, wie manche Experten meinen, im lokalen oder sublokalen Bereich stattfinden, stünde der Konzern, Berlinerisch gesprochen, in den Erbsen.“

Nur am Rande: Als Nicht-Berliner bin ich da ja nur bedingt kompetent, aber muss es nicht „nackt in den Erbsen“ heißen?

Wie auch immer, eine nicht ganz unwichtige Frage lautet, anknüpfend an Brauck und Grimberg: Wissen Döpfner und die anderen Führungsspieler, was sie tun? Wer weiß denn schon, ob Springer auf dem sich rasant wandelnden und also unvorhersehbaren Online-Markt mit den in letzter Zeit akquirierten „Preisvergleichs- und Einkaufsseiten“ und „elektronischen Anzeigenportalen“ (Caspar Busse, SZ-Meinungsseite) oder dem bei wiwo.de erwähnten, 2011 mehrheitlich erworbenen Dingsbums kaufda.de langfristig reüssieren wird?

Ein wichtiges historisches Stichwort fällt in Busses SZ-Kommentar auch:

„Die Proteste der 68er-Generation begannen mit dem Aufbegehren gegen diesen Verleger. ‚Enteignet Springer' war die Parole damals. Jetzt nimmt Döpfner eine Enteignung der besonderen Art vor.“

Moment mal: Hat also Döpfner den 68ern zu einem späten Sieg verholfen? Zumindest einem kleinen, weil der Verlag nun ein paar Blättchen weniger hat? Von einer Enteigung im materiellen Sinne kann ja nun gar keine Rede sein, doch angesichts von Überschriften wie „Springer ohne Seele“ (Zapp-Blog) und „Döpfner trennt Axel von Springer“ (turi2-Kommentar) könnte man vielleicht von einer Art spirituellen Enteigung sprechen. Wie auch immer: Ein paar Blättchen weniger - das ist doch symbolisch-realpolitisch auch nicht ganz ohne.

Sollte aber aus Springer langfristig „ein Gemischtwarenladen aus Preisvergleichsportalen und Internet-Jobbörsen“ (Grimberg) werden, der  nicht einmal läuft, muss man über den Begriff „Enteignung“ dann vielleicht noch einmal diskutieren.

Springer-Redakteur Clemens Wergin tut bei Facebook die Meinung kund, der Verkaufsvorgang habe was mit dem „seltsamen deutschen Kartellrecht“ zu tun:

„Es macht es Springer unmöglich, in einer langsam dahinsiechenden Branche ‚offensiv‘ zu konsolidieren, etwa durch Zukauf von Zeitungen oder Zeitschriften, mit denen man dann durch Synergieeffekte Kosten sparen könnte."

Das ist die offizielle interne Propaganda. Mit anderen Worten sagt das nämlich Mathias Döfpner in einer Mail an die Mitarbeiter, die meedia.de zitiert:

„Wir haben viele Jahre geprüft, ob wir Zeitungen und Zeitschriften dazukaufen können. Das ging häufig deshalb nicht, weil wir aus Sicht des Kartellamtes allein schon mit Bild eine zu starke Marktstellung besitzen (...) Wenn wir jetzt nicht handeln, müssten wir uns um die Zukunft von Hamburger Abendblatt, Berliner Morgenpost und der Zeitschriften und deren dauerhafte Überlebenschancen ernsthaft Sorgen machen.“

Zugespitzt formuliert: Leider macht es uns das Kartellrecht unmöglich, anderen Verlage Zeitungen abzukaufen und dann synergieeffektvoll deren Mitarbeiter rauszuschmeißen, deshalb verkaufen wir Zeitungen an andere Verlage, damit die unsere bisherigen Mitarbeiter synergieeffektvoll rausschmeißen und damit uns alle von unseren ernsthaften Sorgen befreien.

Eine besondere Interpretation hat Michael Hanfeld in seinem oben schon zitierten FAZ-Kommentar parat:

„Der Konzern sieht, wie leicht gigantische Konzerne wie Google und andere im Internet Geld verdienen und wie schwer es ist, mit journalistischer Qualität Rendite zu machen. Und daraus zieht Springer den Schluss, es den Online-Oligopolisten gleichzutun. Das ist die Lehre aus dem Besuchszirkus, den führende Vertreter des Konzerns im Silicon Valley aufgeführt haben.

Ein weiterer FAZ-Text zur Causa steht im Wirtschaftsteil. Henning Peitsmeier nennt Mathias Döpfner einen „Schönfärber“.

Kühn klingt zunächst eine These Harald Jähners (Berliner Zeitung):

„Der deutsche Online-Journalismus wird mit den Erlösen aus dem Verkauf der Springer-Blätter eine Adrenalinspritze bekommen, die Mitbewerber wie Spiegel online oder zeit.de das Fürchten lehren könnte. Was der Springer Verlag mit fast einer Milliarde Euro an freien Investitionsmitteln auf dem jungen Markt der digitalen Medien auch immer anstellen mag, es wird die Online-Landschaft verändern.“

Da der zweite Satz vorsichtshalber den ersten relativiert, mutet das Ganze dann aber doch nicht mehr so richtig kühn an.

In einem weiteren Text für die Berliner Zeitung blicken Björn Wirth und Christian Schlüter elf Jahre zurück:

„2002 wollte die WAZ-Gruppe 40 Prozent der Springer-Anteile übernehmen, die dem bankrotten Leo Kirch gehörten. Doch die Chefs von Springer, allen voran Friede Springer, wehrten sich mit Händen und Füßen. Tagelang wurde in den Springer-Blättern vor der angeblichen SPD-Nähe des Essener Zeitungskonzerns gewarnt, der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner sprach von einer feindlichen Übernahme, und Friede Springer klagte, die WAZ-Gruppe passe nicht zu ihrem Verlag. Nun, Meinungen lassen sich ändern, vor allem, wenn es um eine knappe Milliarde Euro geht. Und wenn die WAZ nicht zu Springer passt, heißt das ja noch lange nicht, dass die Springer-Zeitungen und -Zeitschriften nicht zur WAZ passen.“

Eine der nicht wenigen Fragen, die sich auftun, ist, warum Springer noch im Herbst 2012 eine viel kritisierte „Redaktionsgemeinschaft“ aus seiner Welt und des nun bald funkigen Abendblatts formiert hat, um Inhalte einander anzugleichen und Jan-Eric Peters als „Vorsitzenden des Chefredakteursgremiums“ zu inthronisieren?

Woher kommen künftig die regionalen Welt-Seiten (für Hamburg und Berlin), wenn Morgenpost und Abendblatt in Essener Händen sind? Und was ist mit den überregionalen Inhalten? Dazu Henning Kornfeld (kress.de):

„Die Funke-Gruppe verfügt (...) selbst über eine zentrale Mantelredaktion in Essen, den Content-Desk. Er produziert die überregionalen Teile ihrer Regionalzeitungen. Werden hier in Zukunft auch Hamburger Abendblatt und Berliner Morgenpost angedockt? Oder bezieht im Gegenteil in Zukunft die Funke-Gruppe überregionale Inhalte von der Welt-Gruppe? Bei Springer heißt es dazu lediglich, es solle ‚Content-Liefervereinbarungen‘ zwischen beiden Häusern sowie eine enge Kooperation geben, die Details seien noch unklar.“

Vielleicht auch weniger unklar, zumindest, was die Zusammenarbeit von Abendblatt, Welt und Morgenpost angeht. Diesbezüglich zitiert die taz Springer-Sprecher Tobias Fröhlich:

„Diese Vernetzung der Redaktionen bleibt bestehen.“

Wenn man weiß, wie diese Kooperationen verlaufen, also wie viel Springer noch in Funke sein wird, wird sich auch die politisch-publizistische Dimension des Deals besser beurteilen lassen. Das Abendblatt hat in Hamburg Politik gemacht, hat zum Beispiel - im Chor mit den Schwestertiteln - dazu beigetragen, dass ein Laienpolitiker Innensenator werden konnte und ein von einem pseudoelitären Minizirkel vorangetriebener Volksentscheid eine Schulreform zu Fall bringen konnte. Springer wird diese Bastion der klassischen Ideologieproduktion trotz Besitzerwechsel halten wollen. Dass sich der Deal positiv auswirkt auf die Meinungsvielfalt in der von einem Springer-Oligopol geprägten Tageszeitungsprovinz Hamburg, glaubt nur, wer auch glaubt, dass der Storch den Osterhasen bringt.

„Für Leser ändert sich nichts“,

steht im Vorspann des Abendblatt-Titelseiten-Textes in eigener Sache (Online-Version hier), und das ist fast immer gelogen. Aber in dieser einen Hinsicht dann vielleicht doch nicht. Das Abendblatt hat auch die beste Headline des Tages:

„Ein Funke springt über.“

Die steht aber nicht über dem Text zum eigentlichen Thema, sondern über der Wettervorhersage („Heute Abend Blitz und Donner. Zuvor ein Mx aus Sonne, Wolken und Schauern.“)

Über die Kooperationen spekuliert die SZ unter der Überschrift „Springer haut seine Vergangenheit weg“ (jedenfalls online, in der Print-Version steht bloß „Ausverkauf“ drüber). Die Münchener haben gleich ein Quartett von Deuterinnen und Deutern im Einsatz, neben Seite-4-Kommentator Busse noch Bernd Dörries, Claudia Fromme und Hans Leyendecker. Sie schreiben:

„Viele in der Essener Zentrale sehen für die Programm- und Fernsehzeitschriften gute Kooperationsmöglichkeiten, nicht aber für die Print-Titel (Sic! Print-Titel sind sie ja alle - RM), zu verschieden seien WAZ und Hamburger Abendblatt, Currywurstbude gegen Elbchaussee.“

Andreas Griess (Carta) macht ein größeres Fass auf:

„Der Mega-Deal zeigt an allen Ecken vor allem eines: Journalismus ist nur Mittel zum Zweck. (...) Journalismus des Journalismus wegen – den gibt es vielleicht bei Journalisten, nicht aber bei Verlagen. Das ist die traurige Wahrheit, der sich ein jeder Journalist, aber auch jeder mündige Bürger in einem demokratisch-marktwirtschaftlichen Land stellen muss. Dies bedeutet vielleicht auch, das Verhältnis zum oft zu Recht kritisierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu überdenken.“

Was Springer interessanterweise nicht verkauft, kann man auch erwähnen: den Rolling Stone und die anderen erst in der jüngeren Vergangenheit erworbenen Musikzeitschriften. Die passen zwar eigentlich nicht zu Springer, aber nun erst recht nicht zum „WAZ-Konzern“ (SZ), über den Busse/Dörries/Fromme/Leyendecker ebd. schreiben:

„(Er) ist nur mit wenigen seiner Zeitungen ökonomisch erfolgreich - die Braunschweiger Zeitung bringt angeblich knapp 20 Prozent Rendite, auch die Thüringer Allgemeine soll zweistelligen Gewinn machen (...) Geld hat der Konzern mit den bunten Blätter gemacht. Da passt der Kauf von bunten Springer-Blättern. Das Goldene Blatt etwa soll noch immer golden sein. Und zur Hörzu passt Gong.“

Dazu, was das Passen für Folgen haben könnte, noch einmal Kress-Kornfeld:

„Dass es dauerhaft bei den zwei Zeitschriftenstandorten Hamburg (Springer) und München (Funke-Gruppe) bleiben soll, erscheint (...) fraglich, und die Stimmung bei den Hamburger Springer-Mitarbeitern ist entsprechend schlecht. Auch beim Personal gibt es Überschneidungen: So haben beide Unternehmen zentrale Programmredaktionen für ihre Programmies. Fest steht: Der Mega-Deal wird eine Flut von Personalien auslösen.“

Auch interessant, wie hier bevorstehende ökonomische Maßnahmen naturalisiert werden („Flut“). Etwas drastischer äußert sich Bülend Ürük (newsroom.de):

„Für die Leute bei Axel Springer, die mitverkauft werden, bedeutet es freilich nichts Gutes, wenn man sich vor Augen führt, welche Dramen die frühere WAZ in Nordrhein-Westfalen inszeniert und wo sie überall Vorreiter gespielt hat.“

Ürük bringt in seinem Kommentar auch noch Julia Jäkel ins Spiel:

„Bertelsmann, vor allem Gruner + Jahr steht in der öffentlichen Wahrnehmung nun da wie jemand, der nicht zu Potte kommt (...) Julia Jäkel wird bei bevorstehenden, unvermeidbaren Verkäufen (Sächsische Zeitung?) an Döpfners Deal und seinen Rahmendaten gemessen.“

Dass Branchendienstredakteure mit Verlagsmanagerjargon hantieren („unvermeidbar“) ist nicht neu, aber immer wieder ärgerlich. Davon mal abgesehen: Was soll Jäkel denn bitte nun tun, um auf der nach oben offenen Matze-Döpfner-Skala mithalten zu können: Soll sie alles, außer vielleicht Stern und Geo, an Bauer verkaufen?

Wer wissen will, was der oben zitierte Steffen Grimberg (früher taz, heute NDR) in nicht-schriftlicher Form zur Sache sagt, kann sich eine 15-minütige Extrasendung des NDR Fernsehens anschauen, in der - schließlich hat der Sender seinen Hauptsitz am Standort von Abendblatt und Hörzu - die Medienstandortfolklore nicht zu kurz kommt.

Weitere Faktoren: die geplanten „Gemeinschaftsunternehmen für Vertrieb und Vermarktung von gedruckten und digitalen Medienangeboten“ (Der Westen in eigener Sache); wer hier die Hosen anhat, steht in Döpfners schon zitierter Mail. Und: Springers „Unterhaltsamkeit“ versprechender Kredit für die Essener (siehe meedia.de).

Das rein Monetäre fasst Griess (Carta) folgendermaßen zusammen:

„Mit anderen Worten: Die Funke-Gruppe ist künftig eng an Springer gebunden und gleichzeitig hoch bei ihnen verschuldet. Wenn man so will, hat Axel Springer (...) die Funke Mediengruppe gekauft.“

Eine Interpretation, die sich ergänzt mit dem, was weiter oben schon angerissen ist: Eigentlich verabschiedet sich Springer gar nicht aus dem Print-Geschäft (zumindest nicht aus dem Geschäft mit Zeitungen), man lässt den alten Wein nur in andere Schläuche fließen.

[+++] Bevor gestern morgen um kurz nach halb zehn Springers Ad-Hoc-Meldung kam, lief noch alles darauf hinaus, dass zum Gassenhauer des Tages in den sozial-medialen Timelines das meedia.de-Interview werden würde, in dem sich Zeit-Online-Chefredakteur Jochen Wegner Gedanken über Gegenwart und Zukunft des Online-Journalismus macht:

„Unser Ideal ist eine Art minütliche Wochenzeitung“,

sagt er unter anderem.

Trotz Springer/Funke-Wirbel hat die taz.de-Redaktion auf das Interview reagiert: mit einem Brief, der recht elegant die nicht so eleganten Äußerungen Wegners zu Honoraren und Gehältern aufgreift (etwa die, man müsse eierlegenden Wollmilchsäuen, die man gern für die Redaktion rekrutieren würde, keineswegs „viel Geld“ bieten, sondern „ein Umfeld, in dem sie glücklich sind“)

[+++] Mit einer speziellen Form des Onlinejournalismus beschäftigt sich die Titanic in ihrer heute erscheinenden August-Ausgabe. David Schuh widmet sich dort dem „Aufmerksamkeitsmarktschreier“ und „Dickdenkerdarsteller“ Georg Diez (Spiegel Online). Unter anderem anhand dieser Kolumne exemplifiziert Schuh, der Ende vergangenen Jahres in konkret auf ähnliche Weise den FAS-Mann Volker Weidermann verarztet hatte (Altpapier), Diez‘ „komplettes Programm“ („der unbedingte Wille zur totalen Assoziation, dazu die nahezu pathologische Pathosproduktion“) bzw. sein „Kalkül“:

„Eine zum imaginierten Mainstream konträre Nonsensthese aufstellen, Begründung an den Haaren herbeizerren, sich als Nonkonformist und Provokateur gerieren, fertig.“

Wobei: Letzteres ließe sich über nicht wenige andere Journalisten natürlich auch sagen.


ALTPAPIERKORB

+++ Zu den kleineren aktuellen Rätseln des Medienjournalismus gehört es, dass es vier Wochen gedauert hat, bis eine Rede an die Öffentlichkeit gelangte, in der die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer im erlauchten Kreis Vorschläge zur Reform der ARD- und ZDF-Spartenkanäle gemacht hat - obwohl doch sonst eigentlich jede Wortmeldung zur Reform dieser Programme aufgegriffen wird. Die Funkkorrespondenz berichtet nun, was Dreyer will: unter anderem, dass für Phoenix allein die ARD zuständig ist und für 3sat allein das ZDF (statt wie bisher beide für beide) und dass ZDFneo zu einem Vollprogramm wird (also zu einem Programm mit Nachrichten).

+++ Garantiert nicht letzte Worte zu „George“ (I). Lorenz Jäger wartet auf Seite 1 der FAZ (übrigens direkt unter Hanfelds Kommentar zu Springer/Funke) mit einer nicht unspektakulären Volte auf: „Über das Verhältnis von Götz George zu seinem Vater ist die beste Quelle ‚Kolberg‘, der berüchtigte Durchhaltefilm der letzten Stunde, gedreht von Veit Harlan, der auch ‚Jud Süß‘ zu verantworten hatte. Eine Stadt widersteht im Alleingang Napoleons Truppen. Frappierend ist dabei nicht die propagandistische Absicht. Sondern dass man beim Wiedersehen glaubt, die Figuren zu kennen. Heinrich George spielte den Bürgervertreter Nettelbeck: einen Populisten, einen Mann, der weiß, welche Sorgen das Volk drücken – und dass die geregelte, bürokratische Stadtverwaltung nicht versteht, was die Stunde verlangt. Nettelbeck gerät in Rage, haut auf den Tisch, redet Klartext, verärgert über das untätige, zögernde bürgerliche Wesen. Er ist, mit einem Wort, Schimanski, um eine Generation zurückversetzt. So nah, so fern.“

+++ Garantiert nicht letzte Worte zu „George“ (II). Ramona Ambs (Jüdische Allgemeine) schreibt, der Film sei „eine der üblichen Neuauflagen eines deutschen Films über die NS-Zeit: ein Streifen, der uns wenig über die Zeit und die Personen damals und viel über deutsche Entschuldungswünsche heutzutage erzählte. Im Grunde war George eine Fortsetzung der Filme, die in der letzten Zeit die wunde deutsche Seele streichelten: ‚Dresden‘, ‚Die Flucht‘, Unsere Mütter, Unsere Väter‘ – und nun eben George. Alles sympathische Opfer der Umstände“

+++ Nein, diese Öffentlichen-Rechtlichen! Klauen tun sie auch noch. Das Schweizer Fernsehen macht das jedenfalls, und zwar bei der NZZ, worüber sich dieser in ihrem Bundesplatz-Blog aufregt.

+++ Warum Al-Jazeera in zahlreichen arabischen und afrikanischen Staaten Zuschauer verliert, steht in der Jungle World.

+++ WAZiges hat heute auch noch im Altpapierkorb Platz: Der Leiter der „Zentralen Service-Redaktion“ der „WAZ-Woman-Group“  haut wg. „Schleichwerbevorwürfen“ in den Sack, berichtet die taz.

+++ Um falsche Breaking-News-Berichterstattung beim Boston-Marathon-Attentat, die Rolle der Plattform Reddit, aber auch um grundsätzliches Journalistenverhalten geht es in einem instruktiven Riemen des New York Times Magazines: „It helps to envision modern journalism as a kind of video game. If you’re part of the Internet media, everything you put out into the world comes with its own scoring system. Tweets are counted by retweets and favorites, stories are scored by page views and Facebook likes. A writer’s reach and influence is visible right there, in the number of his followers and the number of ‚influencers‘ who subscribe to his or her feed. If you’re wondering why so many writers and journalists from such divergent backgrounds would feel the need to instantly tweet out unconfirmed information to their followers, all you have to do is think of the modern Internet reporter as some form of super Redditor — to be silent is to lose points. To be retweeted is to gain them. We do it for the ‚karma‘“ Disclosure: Die Zitat-Auswahl verdanke ich dem Tumblr-Blog von Newsweek.

+++ „Eine Begegnung mit dem Netz-Aktivisten Jacob Applebaum“ hatte Helmut Martin-Jung für die SZ-Medienseite. Bei einem Vortrag an der TU München entpuppte sich der neulich in einer viel gelobten „Beckmann“-Sendung zum Thema Prism und die Folgen aufgetretene Applebaum allerdings als Holocaust-Relativierer: „Ich komme gerade aus Dachau. Wenn ihr nicht wollt, dass sich so was wiederholt, dann müsst ihr dagegen aufstehen. Tut was, und zwar jetzt, bevor es zu spät ist.“

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.