Lassen Sie uns den Quatsch beenden

Lassen Sie uns den Quatsch beenden

Der Heißluftballon namens Slomka/Gabriel-Streit will einfach keine Luft verlieren. Das ZDF bekommt schon 900 Jahre nach Hildegard von Bingen eine Verwaltungsdirektorin. Und am Grimme-Institut wird weiter um die Besetzung der Direktorenposition gerungen.

Günther Jauch hatte am Sonntagabend Sabine Lisicki, die Toten Hosen und Lukas Podolski zu Gast. Er hat, statt seiner ARD-Trash-Talkshow, den politischen Jahresrückblick bei RTL moderiert, was ausnahmsweise unseren inneren Bunte-Leser animiert, schon so früh im Text auf eine Jauch-Frühkritik zu verlinken (SpOn: "als habe man ziellos ein paar Stunden in der Boulevardzeitungs-Altpapiersammlung eines ambitionierten Messies gewühlt").

Das hat allerdings auch damit zu tun, dass das andere Medienthema des Tages der direkte Nachfolger von Waldi "Telefonjoker" Hartmann ist: Gerade hat sich Waldi bei Jauchi blamiert (eigentlich hat er natürlich nur kurz was vergessen), jetzt ist Slomka vs. Gabriel. Zwei Themen auf Augenhöhe. Und wir sitzen daher heute ein bisschen in der Klemme. Wir schreiben ja bekanntlich darüber, was die anderen so schreiben, aber die Themenlage ist heute dermaßen seltsam, dass wir uns nun darüber auslassen müssen, dass es nichts zu sagen gibt über ein Thema, das trotzdem immer noch das Medienjournalistenthema No. 1 ist.

Es geht also tatsächlich immer noch um den Heißluftballon, auf dem "Gabriel vs. Slomka" steht. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel und ZDF-"Heute journal"-Moderatorin Marietta Slomka hatten am Donnerstagabend öffentlich geskypt. Seitdem wird darüber berichtet, als sei etwas Schlimmes passiert. Das Gegenteil ist der Fall: Für die Meinungsbildung über die SPD-Mitgliederbefragung war das buzzfeedmäßig gesehen ("Die 7 beliebtesten Minuten, die je über Verfassungsrecht oder so ausgestrahlt wurden") sogar konstruktiv. Slomka fragte in ihrer Funktion als Journalistin penetrant Dinge, er fand ihre Penetranz in seiner Funktion als Politiker Quatsch. Ein Ding, dass das nicht als alltäglich gilt.

Nach Klärung der Feinheiten (Altpapier vom Freitag) verdient sich die Interpretationssimulation, die seitdem stattfindet, langsam einen Preis für den Medienbullshit des Spätherbsts. Nils Minkmar schreibt, es handle sich um "ein Missverständnis und eine von algorithmisch erzeugter Aufregung befeuerte Nichtnachricht". Das ist das Beste, was dazu in vielen Betrachtungen gesagt wird, auch wenn ich nicht ganz überzeugt davon bin, dass die Aufregung wirklich "algorithmisch erzeugt" wurde und nicht einfach von Journalisten.

Mit heißer Luft nachbefüllt wurde der Ballon zu Beginn des Wochenends durch Horst "Das dürfen Sie alles senden" Seehofer, CSU, der Slomka kritisierte, sie habe Gabriel "vorgeführt wie einen Schulbuben", und ankündigte, dem ZDF einen Brief zu schreiben. Weil es sich um eine Was zum!-Meldung handelt, die von unsauberen Eingriffen der Politik handelt, wurde die Sache nicht abgehakt. Es liegt aber in diesem Fall kein unsauberer Eingriff vor: Es darf sich doch jeder Politiker öffentlich beschweren, so viel er will; und dass Slomkas Interview irgendetwas mit den Verhältnissen im ZDF-Verwaltungsrat zu tun habe, das muss man schon unbedingt so sehen wollen, um es zu sehen. Dass die SZ heute über Seehofers Brief schreibt, er "war am späten Sonntagnachmittag noch immer nicht eingetroffen", lässt den nicht vorhandenen Eklat nur noch konstruierter aussehen. Im SZ-Text heißt es korrekt:

"(M)an kann sich über all das aufregen. Aber man muss nicht."

Man musste nicht, konnte aber dementsprechend veröffentlichen: BamS- und RTL-Interview mit Gabriel, BamS-Interview mit dem ZDF-Intendanten, dem Seehofer auch eine SMS geschrieben haben will, WamS-Interview mit Andrea Nahles, Spiegel-Interview mit ZDF-Chefredakteur Peter Frey. Dazu: Thesen, Links, Einlassungen, Äußerungen, Kurzmeldungen, Statements, Artikel, Nachbereitungen, Zusammenfassungen sowie natürlich dieses Altpapier. Und Volker Zastrow behauptet im FAS-Leitartikel (der allerdings Gabriels politische Gesamtperformance behandelt), "Slomka hat mit ihm geredet wie mit einem Spinner". Hat sie? Sie hat mit ihm über das Thema geredet, das die größte Angriffsfläche zu versprechen schien, und dann griffen journalistische Routinen: nicht abspeisen lassen mit offensiven Antworten, die nicht zur Frage passen. Man kann auch das Gute sehen: Das Interview sei "(a)us Versehen eine Antwort auf das Genöle über 'zu viele Talkshows' – was fehlt und lohnt, ist ein konfliktbereites 'one on one'", findet Friedrich Küppersbusch in der TAZ – was man vielleicht auch als Kommentar zum jüngsten One-on-one-Versuch verstehen darf, zum relativ konfliktunfähigen "Meinungsfern"-Konzept.

Kommen wir zu den Schlussstatements: "Es sind alte Rituale, denen aber ein adäquater Gegenstand fehlt, also simuliert man den Skandal, die Debatte, die Enthüllung" (Nils Minkmar). "Lassen Sie uns den Quatsch beenden" (Sigmar Gabriel).

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+++ Oha, "Schlimmer Geschichtsschmonzes im #ZDF: 'Frauen die Geschichte machten' = 'Frauen die in wehenden Kleider Geschichte machten'". So beginnen die Twitter-Kommentare zum jüngsten ZDF-Programm-Eventevent, das am Sonntag begann; es ging um Kleopatra, und Jeanne d'Arc, Elizabeth I., Katharina die Große, Königin Luise von Preußen und Sophie Scholl folgen. Die Kritiken enthalten... Untertöne. Die FAZ etwa schreibt:

"'Liebst du mich? Sprich mit mir!' Das klingt nach Groschenheft. Dazu sehen wir eine stark geschminkte junge Frau, die ihre Brüste schüttelt".

Und in der SZ-Unterzeile steht: "Das ZDF entdeckt, dass es Frauen gibt". Es werden aber auch Entwicklungen konstatiert, die nicht nur vom Ende des Mittelalters handeln:

"Die Aufgaben des Films verschieben sich. Es gibt das Internet im Hintergrund und sozusagen als Ort für die Fußnoten. Das Programm muss nicht mehr alle Fakten liefern, es darf gefühlig erzählen und für den Rest ins Netz verweisen",

schreibt Claudia Tieschky in der SZ, die auch festhält, dass 2014, schon knapp 900 Jahre nach Hildegard von Bingen, "immerhin eine Verwaltungsdirektorin in Mainz" anfange: "Um Karin Brieden zu bekommen, ließ man andere Interessenten links liegen."

Dass man in Marl wohl gerne Ähnliches über die neue Direktoratsleitung des Grimme-Instituts läse, aber derzeit nicht liest, führt uns zur dritten Geschichte: Frauke Gerlach, die als nächste Direktorin des Instituts gehandelt wird, ist immer noch nicht der Name der Frau, die ohne Gegenwehr einfach durchgewunken wird. Zwei Mal taucht die bevorstehende Wahl heute in den Medienressorts auf, im Tagesspiegel und im Spiegel, der kürzlich darüber berichtet hatte, dass Gerlach, Justiziarin der Grünen-Landtagsfraktion in NRW, als Spitzenkandidatin auserkoren worden sei. Weitere Kandidaten wurden zwar – jedenfalls offiziell – ausgewählt, aber von einer "Brüskierung" der anderen Bewerber (TSP) ist nun die Rede. Kürzlich wurde bereits, und sicher nicht ins Blaue hinein, vermutet, die Wahl sei entschieden (FAZ, siehe Altpapier). "Einer der Eingeladenen, der Chefredakteur des Medienfachdienstes 'Funkkorrespondenz', Dieter Anschlag, begründete seine Absage nun brieflich – als Protest gegen das Verfahren", heißt es im Spiegel, der auf "Farce" und "Chaos" erkennt. Der Tagesspiegel zitiert in dem ohne ein wenig Lesebereitschaft kaum nachvollziehbaren Vorgang einen "Insider":

"Das bislang renommierte Grimme-Institut musste schon die Fusion mit dem obskuren Europäischen Zentrum für Medienkompetenz ertragen, nun regiert der umstrittene Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann offenbar auch personalpolitisch hinein."


ALTPAPIERKORB

+++ Im Fernsehen läuft "(e)in elegischer Film, der Miriams Idee von der Abschaffung des Dunkels in den Monaten zwischen der Diagnose und dem Sterbebett verfolgt", und der von der FAZ ohne Einschaltwarnung besprochen wird: "Pass gut auf ihn auf!" (20.15 Uhr im ebenfalls ZDF) +++ Dazu "Geliebte Feinde" über die französisch-deutsche Geschichte, montags bis freitags, 19.30 Uhr bei Arte, gelobt von der SZ ("Ein Traum") und mehr oder weniger auch von der TAZ: "Am Ende (1.) gerät das alles sehr wohlfeil und oberflächlich, sitzt in den Filmen beileibe nicht jeder Kalauer. (2.) Ist das nicht weiter schlimm, weil die ironische Haltung grundsätzlich ja sympathisch ist. (3.) Ist eine Alternative, Guido Knopps hanebüchene Bildersammlung seriös zu recyclen, gar nicht denkbar" +++ Und übrigens: "Am Montag um 19 Uhr 25 stellt sich Sigmar Gabriel den Fragen von Hauptstadtstudioleiterin Bettina Schausten und Chefredakteur Peter Frey" +++

+++ Die TAZ porträtierte am Wochenende den DWDL-Gründer Thomas Lückerath: "Hier schreiben Fans über die Branche. Beides zusammen – Abhängigkeit und Fantum – ergibt eine heikle Mischung, Stichwort: Distanz. Solche Bedenken unterfüttern die DWDLer mit Einträgen in sozialen Netzwerken. Sie machen keinen Hehl daraus, dass sie gern die Senderfeten besuchen. Frage also an Lückerath: Sie sind schon ziemlich gern Teil dieses Business, oder? 'Ja, aber diese Partys sind nicht dazu da, um uns kostenlos zu betrinken', sagt er. 'Wir bekommen da unsere Informationen her'" +++

+++ Im Spiegel geht es nach längerer Zeit wieder einmal um die News-of-the-world-Geschichte rund um den britischen Boulevard – Anlass ist der Prozess gegen Vertraute Rupert Murdochs +++ Die SZ schaut sich im "Youtube Space L.A." um, wo Amateure an ihren Filmen arbeiten können: "Das führt zur Frage, was Youtube von dieser gewaltigen Investition hat. (...) Die Anzahl der Klicks auf Youtube-Videos wird mitunter als Währung verwendet, den Bekanntheitsgrad einer Person darzustellen (...). Für Youtube lässt sich die Währung in Umsatz verwandeln" +++

+++ Dirk von Gehlen erläutert, warum man Buzzfeed nutzen müsse, wenn man es verstehen wolle, nicht nur darüber reden +++ Das ist originell von den Berufsneulingen: Beim 27. Journalistentag von Ver.di bzw. DJU, Motto: "Genug gejammert – Zukunft jetzt!", zeigten zwei Absolventen der Deutschen Journalistenschule einen Film über ausgestiegene Journalistinnen und Journalisten: "Ausstiegsgründe waren mangelnde Perspektiven, Konkurrenzkampf und Einzelkämpfertum, Beschränkungen des Journalismus durch das Verlagsmanagement" +++

Das Altpapier gibt es am Dienstag wieder.

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