Die Jüngeren in der Altersgruppe 40plus

Die Jüngeren in der Altersgruppe 40plus

Wie man Quoten am besten erzählt. Was Zahlen über Aufrichtigkeit aussagen können. Worum es bei ESC eigentlich geht, was die ARD aber nicht versteht. Wem der Fußball gehört. Was Friedrich Küppersbusch bald wieder macht.

Immer wieder faszinierend, womit man sich so alles beschäftigen kann. Über das Fernsehen am vergangenen Wochenende schreibt Alexander Krei auf dwdl.de:

"An einem ansonsten in weiten Teilen sehr ernüchternden Feiertag konnte 'Avatar' zur besten Sendezeit Schadensbegrenzung betreiben und in der Zielgruppe den klaren Tagessieg einfahren. Mit 2,98 Millionen 14- bis 49-jährigen Zuschauern erreichte der Film einen hervorragenden Marktanteil von 27,2 Prozent."

Bei Jens Schröder auf Meedia.de werden die gleichen Zahlen in folgende Worte aka Logik gebracht:

"Nachdem alle großen Sender ihr Publikum am Pfingstsonntag mit Wiederholungen beglückten, war klar, dass 'Avatar' und der 'Tatort' um den Sieg bei den 14- bis 49-Jährigen kämpfen würden."

Klingt ein bisschen nach der Setzliste beim Tennis ("Avatar" und "Tatort" im Finale von Flushing Meadows), aber die Sportreportage ist offenbar der einzige Reiz, der der Quotenerzählung bleibt. Der Titel von Schröders Kolumne ("5 Dinge, die Sie über die Quote vom Sonntag wissen müssen") deutet das Problem bei der Adressierung von solcherart Texten an – er kombiniert gleich zwei eingängige Filmtitel ("Was Sie schon immer über Sex wissen wollten..."/"2 oder 3 Dinge, die ich von ihr weiß"), die so eingängig sind, dass sie häufig zitiert werden. Während Sex tatsächlich reizend ist, wäre man auf Anhieb nicht so sicher, über die Quote von welchem Sonntag auch immer überhaupt etwas erfahren zu müssen. Für Quoten interessieren müssen sich doch nur die Werbewirtschaft und das Privatfernsehen, was zu großen Missverständnissen beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen geführt hat – bis heute. Ob das Informationsbedürfnis der wenigen nun aber einen kommentierenden Text benötigt, kann man vielleicht bezweifeln. Eine Grafik mit Gewinn- und Verlustrechnungen erfüllte ihren Zweck vermutlich doch auch.

Wobei man wohl auch an Quoten etwas ablesen kann, wie Schröder bei der Samstagsbilanz andeutet:

"Ein 21. Platz für Cascada und 6 Mio. Zuschauer weniger als in den Jahren 2010 und 2011, als Lena dem 'Song Contest' neues leben eingehaucht hat. Fakten, die dafür sprechen, dass die ARD ihren Weg wieder einmal überdenken sollte. Zwar gewann der ESC mit 8,21 Mio. Zuschauern und 34,0% klar den Samstag, doch 2010 sahen eben 14,69 Mio. zu."

Die Frage ist nur, was überdacht werden sollte. Beim Überlegen hilft Hans Hoffs ESC-Fazit in der SZ auf jeden Fall weiter:

"In Wahrheit geht es beim ESC ja ohnehin nicht um einen Sieg im Finale, es geht darum, dem heimischen Publikum einen Kandidaten schmackhaft zu machen, einen, für den man sich im ungünstigsten Fall nicht schämen muss, mit dem man im besten Fall fiebert. Gelungen ist das nicht. Wie auch? In der ARD ist der NDR zuständig für den ESC. Das ist jene Anstalt, wo Verantwortliche sitzen, die Kai Pflaume, Jörg Pilawa und Florian Silbereisen als große Unterhalter verkaufen."

Interessante Lesart, die den Mangel an Sinn für richtig inszenierte Unterhaltung klar hervortreten lässt.

"Inzwischen ist Raab abgetreten, und es gibt keinen Wettbewerb mehr für Talente, es gibt eine Vorauswahl, die der NDR mit Plattenfirmen auskungelt und dann dem Publikum zur Abstimmung vorwirft. Das wirkt demokratisch, ist es aber nicht, weil vieles an der Präsentation hängt."

Das Problem mit den Quoten ist unter anderem, dass sie nichts über qualitative Aspekte sagen. Weder über die Intensität der Wahrnehmung noch über die Güte einer Sendung. Insofern können Zahlen täuschen.

Was die Regenbogenpresse illustriert, mit der sich der Spiegel befasst. Alexander Kühn und Maximilian Popp berichten vor allem über die recht junge Deltapark-Gruppe, die seit sechs Jahren und mit acht Titeln ("Neue Freizeit", "Freizeit direkt", "Neue Pause") monatlich mehr als eine Million Hefte verkaufen, "Kioskpreis zwischen 49 und 95 Cent".

Die Kosten dafür dürften nicht zu hoch sein:

"'Zuspitzen', nennt Chefredakteur Ingo Wibbeke, 52, diese Art der Berichterstattung. 'Das gehört zum Geschäft.' Der frühere 'Gala'-Mann verantwortet alle acht Deltapark-Blätter. Er produziert sie mit vier Redakteuren und vier Volontären. Reise- und Recherchekosten fallen kaum an. Für juristische Auseinandersetzungen gibt es ein eigenes Budget."

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Die Frage, wie man bei solch automatisiertem Fehlgeschreibe 'ich' zu sich sagen kann als Journalistin, stellen wir nicht: das ist ja vermutlich in den meisten Branchen ein Problem. Immerhin scheint das Geschäft einigermaßen krisensicher:

"Rund die Hälfte der Leser sind Frauen über 60, die ihre Illustrierte teils seit Jahrzehnten abonniert haben. Sie sind treu. Sie wander nicht ins Internet ab."

Daraus lässt sich dann eine Art Medientheorie ableiten, die nichts Gutes verheißt, für all die Leute, die so gern vom Qualitätsjournalismus reden – wenn der meinen sollte, dem Leser Texte zuzumuten, die ihm nicht nur über den Kopf streichen:

"Ausgerechnet der verlogenste Teil der Printbranche ist wirtschaftlich einer der stabilsten."

Das darf die Zeit jetzt aber nicht hören, oder lässt sich aus dieser Beobachtung kein "Riekel'sches Gesetz" ableiten (oder so) – dass umgekehrt Aufrichtigkeit nicht auf Auflage hoffen darf?

Nachdenklich stimmt zumindest, dass die dpa Schlagzeilen wie "Polnisches Promille-Baby außer Lebensgefahr" anbietet, worüber sich Marc Felix Serrao in der SZ vom Samstag Gedanken gemacht hat. Oder auch die Star-Koch-Erfindung, mit der sich Thomas Knüwer am Freitag in seinem Blog beschäftigte.

Und dass schon Jens Schröder in seinen 5-Dinge-Quoten-Charts mit den Tricks der Yellow-Press kokettiert. Über dem Bericht vom Treffen der Wiederholungsgiganten ("Avatar" vs. "Tatort: Münster") steht nämlich die Überschrift:

"'Avatar' schlägt alten Münster-'Tatort'"

Worunter man als 3. Ding dann lesen kann:

"Wenig überraschend ging der Gesamtsieg am Pfingstsonntag an den Münster-'Tatort'. 7,64 Mio. Krimifans schalteten ihn ein, der Marktanteil lag bei tollen 25,4%. Hinter der 20-Uhr-'Tagesschau', die im Ersten 5,44 Mio. verfolgten, belegt 'Avatar' mit 4,64 Mio. Zuschauern und 16,6% Platz 3."

Vielleicht ist die Irritation nicht bös' gemeint und wir haben nur keine Ahnung, welche von diesen durch internationale Forscherverbände mühsam entdeckten Zielgruppen nun die allerwichtigste ist oder ob es bei der Quotennacherzählung eben auch so eine Gundersen-Methode gibt wie in der Nordischen Kombination, bei der man zwei 15-jährige, die zugeschaut haben, umrechnen kann in ein mittelgroßes Altersheim.

Den widersprüchlichen Meinungen verschiedener Alterskohorten innerhalb klar definierter Zielgruppen muss auch die Lotto-Ziehung Rechnung tragen. So stellt sich zumindest die Krachermeldung des Wochenendes dar (wohl via WamS, die kulturgeschichtliche Deutungen gleich mitliefert), dass die Lotto-Ziehung abgeschafft werden soll.

"'Wir wollen, dass die Sendung kompakter, moderner und zeitlich zuverlässiger wird', bestätigte [HR-]Sendersprecher Tobias Häuser am Sonntag dem Tagesspiegel entsprechende Überlegungen. 'Der Reiz der Live-Ziehung ist verblast. Vor allem den jüngeren Zuschauern in der Altersgruppe 40plus ist die bisherige Sendung zu lang', begründete Häuser die Pläne."

Schreibt der Tagesspiegel. Da sitzen also diese aufmerksamkeitsdefizitären 43-jährigen Burn-Out-Patienten vor der Knipse und trommeln ungeduldig mit den Fingern auf den Beistelltisch, weil die Lottozahlenziehung ewig nicht vorankommt – oder was könnte ein Yellow Press-Organ, das was auf sich hält, daraus machen?


Altpapierkorb

+++ Ob zur Kritik an der Regenbogenpresse die auch im Spiegel-Text Watch-Site topfvollgold.de etwas bringt – schwer zu sagen. Besser als beim Auftakt scheint aber @tatortwatch auf Twitter zu performen, was auch daran liegen könnte, dass die Verantwortlichen (@4Papiertiger und @georgprack) nicht so schiedsrichterhumorlos auf ihr Anliegen hingewiesen und auf die – provokativen oder interessierten – Nachfragen reagiert haben ("Er hat am Steuer telefoniert." – "In einer solchen Situation darf Polizist/in am Steuer telefonieren. Dürfen im Einsatz auch bei rot über die Straße fahren ;"). Dann kann, wie Felix Neumann in seinem Crosspost auf Carta, verstehen, wofür es gut ist – nicht zur "Bevormundung" des Formats, sondern als lexikalische Rechtserzählung, die sich vom populären Tatort nur den Gegenstand leiht. +++

+++ In der SZ vom Samstag berichtete Kai Strittmatter über die Informationsaufbereitung, die das taiwanesische Medium Next Animation Media betreibt – die Nachricht wird als Trickfilm erzählt. "Hinter Genie und Geblödel steckt eine geradezu furchterregend effizient organisierte Produktion. 500 Mann arbeiten mittlerweile für NMA, davon 300 Animateure, 150 pro Schicht. Auf dem Stockwerk, dass sie sich teilen, herrscht solch konzentrierte Stille, dass man kaum zu flüstern wagt. Pro Tag entstehen hier nicht weniger als 46 Filme, die meisten nicht länger als 30 Sekunden. 'In Hollywood brauchen sie für einen 90-minütigen Animationsfilm vielleicht zwei Jahre', sagt Julie Huang. 'Wir können 90 Minuten in drei Tagen produzieren.'" Wie das aussieht, kann man sich aktuell an der, äh, Meldung über Yahoos Kauf von tumblr anschauen – der Metapher Titanic kann man kaum vorwerfen, nicht meinungsstark zu sein. +++ Zum tumblr-Kauf nicht uninteressant – Dirk von Gehlen in seinem Blog über die Logik des Geschäfts: "Der Majordeal hat in der Geschichte der Popkultur einen festen Platz. Er wurde jedoch bisher einzig als Angebot eines großen Musikkonzerns an eine aufstrebende (Indie-)Band verstanden. Mit Aufkommen der Netzkultur, die auch Programmierer zu Popstars macht, wird der Majordeals digitalisiert." +++ Dana Heide und Nils Rüdel setzen im Handelsblatt auf die Geschichte der jungen Neureichen im Handelsblatt – über tumblrs David Karp heißt es folglich: "Damit ist der schlaksige New Yorker das nächste Tech-Wunderkind, das in jungen Jahren reich wird."  +++

+++ Ein interessantes Problem diskutiert Rainer Stadler in seiner NZZ-Kolumne. Auch in der Schweiz gab es Fanproteste beim Fußball, die aus anfänglichem Schweigen bestanden. Der SRF hatte daraufhin Stadiongeräusche unter seine Berichte gemischt. Fragt man sich, wie jemand so blöd sein kann zu glauben, das würde nicht auffallen und für Diskussionen sorgen, kriegt man einen Eindruck davon, welche Bedeutung den Fanprotesten offenbar zugestanden wird. Stadler meint nun: "Fernsehstationen laufen Gefahr, bei Sportübertragungen durch nichtsportliche Aktionen in Form von politischen Spruchbändern, Schweigeprotesten oder Feuerwerken instrumentalisiert zu werden. Wenn sie darum zurückhaltend auf derlei Aktionen reagieren, ist dies journalistisch richtig. Mit einer kurzen entsprechenden Information läuft allerdings kein Berichterstatter Gefahr, ungewollt fremdbestimmt zu werden. So schwierig dürfte es nicht sein, solche Situationen zu bewältigen." Dem letzten Satz ist zuzustimmen. Aus der Eingangsüberlegung ließe sich dagegen Größeres ableiten: Ist das Fernsehen in diesem Fall nicht Partei, das gerade die lärmenden Fans braucht, damit sein Produkt so klingt, wie es klingen soll? +++

+++ Der Spiegel (Seite 134) zeichnet ob der AP-Abhöraffäre kein gutes Bild von Obamas Kommunikationspolitik: "Sechs Strafverfahren wegen Geheimnisverratis gab es in Obamas erster Amtszeit nach dem Espionage Act von 1917, einem verstaubten Gesetzeswerk, das im Ersten Weltkrieg die Kooperation mit dem Feind unterbinden sollte. Das sind doppelt so viele wie unter allen US-Präsidenten zuvor." +++ Kai-Hinrich Renner weiß in seiner Abendblatt-Kolumne nicht nur Namen für den künftigen DMS-Vorstandsvorsitzenden, sondern beschreibt auch die leidige Lage bei der WDR-Intendantensuche: "Unzufrieden sind viele im WDR mit den Vorschlägen der Findungskommission für die Besetzung der vakanten Position des Intendanten. Alle drei vorgeschlagenen Kandidaten hätten Schwächen." +++ Stefan Winterbauer hat bei seiner Rundschau auf Meedia.de entdeckt, wie Springers Bild seine Seiten füllt im Fall Angelina Jolie: "Zwei ganze Seiten wurden dafür freigeräumt und auch Angelina Jolies Text aus der New York Times, wurde sehr ausführlich in Bild abgedruckt. Sagt mal, ihr Leistungsschutz-Fans bei Springer: Habt ihr da keine Angst, dass Euch die New York Times verklagt? Wegen 'Content-Klau' und so. Wie? Leistungsschutzrecht gilt erst ab 1. August? Ach so, dann ist ja gut." +++

+++ In der Welt nutzt Matthias Kamann in schmieriger Manier die Gelegenheit, dank der Joschka-Fischer-Film-Ausstrahlung noch mal Cohn-Bendit verdächtigen zu können ohne etwas Neues oder Genaures zu wissen: "...aber hellhörig wird man bei Cohn-Bendit nur da, wo dieser selbst im Film auftritt und sein damaliges Motto so umreißt: 'Ich will leben, ich will lieben.' Aha, registriert man, 'lieben'. Und man merkt: Es hat sich in der Rezeptionshaltung einiges verändert zwischen dem Jahr 2011, als 'Joschka und Herr Fischer' in den Kinos lief, und der Gegenwart, in der Arte am 21. Mai (im Ersten am 28. Mai) den Film in einer Fernsehfassung ausstrahlen." +++ Die Reportage über die Deutsche Bank wird verschieden gefunden: "Keine Spur der Selbstinszenierung, wie man sie zum Beispiel bei 'Investigativreportern' der ARD Marke Christoph Lütgert oder Thomas Leif ertragen muss, wenn sie auf Skandalsuche gehen und sich dann vor der Kamera selbstgefällig in Rage reden", lobt Joachim Jahn in der FAZ (Seite 35). +++ "Es ist eine 45-minütige Anklageschrift", schreibt Andrea Rexer in der SZ (Seite 27). +++ Zurückhaltend bis abwertend ("ZDF-Film zerrt Deutsche Bank an den Pranger") urteilt Kurt Sagatz im TSP: "Der Film 'Unheimliche Geschäfte: Die Skandale der Deutschen Bank' von 'ZDFzeit'-Autor Ulrich Stein zeichnet ein anderes Bild von Deutschlands größter Bank." +++ Jens Müller zeigt in der TAZ, wie man im Modus des Dementis seine eigenen Ängste und Vorurteile immer noch mal unterkriegt in einem Text, der den Film "Unserer Väter Land" (22.35 Uhr, 3sat) bespricht, in dem es um Migraton nach .de aus Sicht der Secondos geht: "Gewiss, da könnte man nun das Haar in der Suppe finden und bemängeln, dass in keinem der Filme Islamisten vorkommen oder 'Ehrenmorde', wie der an Hatun Sürücü, die 2006 in Berlin von ihrem Bruder erschossen wurde." Würde man als Jens Müller natürlich nie.

+++ Allerbeste Nachricht all the time forever ganz zum Schluss: Friedrich Küppersbusch will be back in TV (und vorher auf Youtube) mit Tagesschaum. Prinzip wird im TAZ-Selbstinterview erklärt. +++ Und erklärt wird damit auch, was Stefan Niggemeier demnächst unter anderem tun wird: "Und ich freue mich doppelt darauf, denn ich bin als Autor in der Redaktion dabei." +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder

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