So ganz ohne Jauch?

So ganz ohne Jauch?

Steht ein Talkshow-Turn bevor? Die re:publica übt sich in "Günther Jauch"-Kritik. Zschäpe als Mensch zu zeigen, sei richtig, findet Zeit Online. FAZ und SZ beschäftigen sich auf unterschiedliche Art mit türkischen Medien. Uli Hoeneß geht gegen den Focus vor. Ein Drama über Demenz mit Brandauer und Gedeck wird gelobt. Und Bild will sich wieder an alle Haushalte verschenken.

Pech gehabt: Das Vorhaben, in diesem Jahr das Wort "re:publica" nicht zu verwenden, ist hiermit fehlgeschlagen – die Konferenz ist das Medienthema des Tages, wenn man von einigen das Mediale betreffenden Einlassungen zum NSU-Prozess absieht und von der Nachricht, dass Bild wieder an alle Haushalte verschenkt werden soll. Dazu später.

Man kann an der Diskussion über die re:publica sehen, wie sich der Stellenwert des Netzes verschoben hat, raus aus der Nische und mitten rein: Während sich in den Anfangsjahren der re:publica die gedruckten Medien – gefühlt in der Regel – über die kleinen spackigen Blogger lustig machten, die sich da mit fettigen Haaren zwischen alten Pizzaresten ihre WLAN-Pillen einwarfen, ist die Diskussion heute an allen Ecken und Enden eine differenzierte. Eine Tendenz ist, die Veranstaltung nicht nur "ein Thema", sondern tatsächlich relevant zu finden. Andererseits formulieren let's call them Kenner erste Langeweile.

"Die re:publica ist keine Netzkonferenz mehr, sondern ein Forum zur Erörterung drängender politischer und gesellschaftlicher Fragen unter dem Aspekt des Digitalen"; schreibt die Süddeutsche Zeitung und klingt damit ziemlich genau wie die Frankfurter Allgemeine:

"Die dreitägige Konferenz, die von Montag bis Mittwoch zum siebten Mal stattfindet, war ursprünglich ein Forum von Internet- und Technikenthusiasten, um sich über szene-interne Dinge auszutauschen. Das ist sie längst nicht mehr, schließlich ist das Internet längst selbstverständlicher Teil des Lebens der meisten Menschen, Infrastruktur unseres Alltags — und somit immer dann Teil des Themas, wenn es darum geht, darüber nachzudenken, in was für einer Art von Gesellschaft wir leben wollen."

Das alte Wir-vs.-Ihr-Fass betrachtet die SZ aber noch nicht als ganz geschlossen, Mitte of Gesellschaft hin oder her:

"(A)uf der Re:Publica 2013 kursiert der alte Spruch 'Lasst unser Internet in Ruhe, oder wir nehmen euch die Faxgeräte weg'. Das ist lustig, heißt aber unterm Strich auch: Wer das Netz gerne anders hätte als die Aktivisten, ist ein unwissender Idiot, der Technik von vorgestern verwendet. Das alles wirkt gelegentlich besserwisserisch, ein wenig von oben herab. Noch immer konstruiert die Szene gerne ein Wir und ein Ihr. Die anderen, das sind konservative Politiker, Telekom-Vorstände, im Jargon der Konferenz-Besucher: Menschen, die sich E-Mails ausdrucken."

Die weiteren re:publica-Zusammenfassungen schließen hier an: FAZ, SZ und auch taz schreiben, wie schon vorgestern der der in vielen kleinen Teilen berichtende Online-Tagesspiegel, a) über die besagte Trennung von Insidern und Outsidern, und b) darüber, was das Eigensüppchenkochen für die Netzpolitik bedeute:

"Nur reicht es eben nicht, auf einem hehren Ideal zu insistieren. Ben Scott gibt es seinem Publikum so mit auf den Weg: 'Beschäftigt euch mit den politischen Inhalten und seid da, wenn die Entscheidungen an den politischen Tischen getroffen werden.'" (FAZ)

"Netzpolitik, sagt (Sascha) Lobo, sei zu allererst Politik und nur ein 'ganz, ganz kleines bisschen Netz'. Er wirbt für Kompromissbereitschaft als Teil politischer Prozesse. 'Ich fürchte, man wird sich überlegen müssen, wie man Angela Merkel überzeugen kann.'" (SZ)

"Politisch setzt sich eben nicht der automatisch durch, der die besseren Argumente auf seiner Seite hat." (taz)

Eher kritische Stimmen nicht nur zu Themen, sondern zur re:publica selbst ("Vielmehr wird eine Menge des digitalen Konsens wiederholt", freitag.de, "der Umgang der verschiedenen Lebensrealitäten miteinander war und ist kein Thema", denktagebuch.de) gibt es auch.

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+++ Was über die re:publica nicht in Zeitungen steht heute, weil die einen sogenannten "Redaktionsschluss" haben, ist alles über das Panel "Ohne Jauch geht's auch", kurz #ojga #rp13, das am Dienstagabend stattfand. Keine Ahnung, wie es wirklich war (weil ich um die Zeit gerade einen inneren Redaktionsschluss hatte). Aber wenn die re:publica etwas kann, wenn sie relevant ist, wenn sie ein Barometer ist für Stimmungslagen einer medialen Avantgarde; wenn also die besonders gute Beachtung besonders gut beachteter Veranstaltungen etwas bedeutet: Dann könnte es sein, dass eine Art Talk-Turn bevorsteht. "Günther Jauch" jedenfalls war im Rahmen der besagten Veranstaltung Gegenstand der Kritik:

"Jeden Sonntag nach dem Tatort bleibt die Hälfte des Publikums doch vor dem Fernseher hängen und quält sich durch die Talkshow von Jauch. Meistens ist anhand der Gästeliste schon im Vorfeld absehbar, wer welche platten Thesen vertreten wird und dass diese Sendung nur schwer nüchtern durchzustehen ist. Jeden Sonntag sagen zahlreiche Stimmen im Internet: Das geht doch besser!"

Im Ergebnis – heißt: in der Twitter-Kritik – kam die re:publica-Talkshow aber nicht so gut an. Neben Kritik an Jauch (siehe auch Foto) und Diskussions-Beteiligungstweets gab es vor allem Zuschauer, die kritisierten, sie wüssten nicht, was am re:publica-Talk nun besser sei als an Jauchs Talk:

"Habe die Innovation bei #ojga nicht erkennen kõnnen. Bin vielleicht überarbeitet :-> #rp13".

"#ojga merkt grad, wie schwer es ist besser zu sein als jauch".

"Enttäuschend und am Thema vorbei, sorry! #ojga".

Die Konsequenz müsste demnach eher "keine Talkshow" als "andere Talkshow" lauten. Oder so: Das nicht-analytische Format Podiumsdiskussion/Talkshow ist, wenn hinterher viele Beteiligte unzufrieden sind, weil nicht sauber analysiert wurde.

Man kann hier auch nochmal an "Frühstücksfernsehen" mit Olli Dittrich anknüpfen, wie sueddeutsche.de es tut: Die heftige Kritik am von Dittrich persiflierten Fernsehprogramm, die in diversen auch nicht so richtig originellen Rezensionen geübt wurde (Altpapier vom Montag), ist Medientrash, der die Produktionsbedingungen verkennt. Dittrichs halbe Stunde wurde nach wochen-, vielleicht monatelanger Vorbereitung gesendet, "Morgenmagazin" und Sat.1-Frühstücksfernsehen senden jeden Tag mehrere Stunden. Vorschläge wie der von sz.de zitierte, Dittrich möge sein wirklich ja wahnsinnig gutes "Frühstücksfernsehen" doch morgens machen dürfen statt nachts, sind Nonsens: Soll die ARD es vielleicht sechs Mal am Stück wiederholen, und das zwei Wochen lang jeden Tag, bis die nächste Folge fertig ist?

+++ Zum NSU-Prozess. Lenz Jacobsen vertritt bei Zeit Online die These, "unser Schreck über die Bilder der gestylten, schicken Angeklagten" sei

"der Schreck über unsere eigenen Stereotype. Die sieht ja aus wie wir! Das ist eine Zumutung. Aber es geht nicht anders. Darum ist es keine unverantwortliche Stilisierung, wenn Zschäpe nun die Titelseiten dominiert. Nach Selbstmorden und Amokläufen heißt es immer wieder und zu Recht, dass es Nachahmer ermutigt, wenn Medien die Täter zu Ikonen stilisieren. Es gibt Studien, die diesen Effekt belegen. Sich in solchen Fällen zurückzunehmen, ist richtig. Das gilt jedoch nicht immer. Zu Ende gedacht bedeutet diese Regel, dass Journalisten das Böse nicht mehr öffentlich zeigen dürften, damit es bloß keiner nachmacht. Keine Verbrecherbilder mehr, keine Berichterstattung mehr über Straftäter. Das wäre naiv. Das Böse in der Welt und in uns verschwindet nicht, wenn wir uns die Augen zuhalten."

Wobei der Unterschied zwischen "Öffentlich zeigen" und "zu Ikonen stilisieren" meines Erachtens nicht unwichtig ist. Der Hürriyet-Journalist Celal Özcan hat in Zschäpes Auftritt eher eine Selbstikonisierung gesehen:

"Ich habe mich gefühlt, als würde ich in einer Show sitzen, bei der es um Mode ging und sich die Hauptangeklagte wie ein Model auf dem Laufsteg präsentieren konnte. (...) Dass sie so frei und unbefangen zum Prozess erscheint, das ist den Opferfamilien gegenüber eine Unverschämtheit. Und es war eine indirekte Nachricht an andere Neonazis: Wir sind die Helden dieses Landes. Der rechtsextreme Massenmörder Anders Behring Breivik hat sich bei seinem Prozess in Norwegen genauso inszeniert",

sagt er im Interview mit sz.de. Auch die FAZ beschäftigt sich mit den Blicken türkischer Medien, allerdings anders; für sie hat Karen Krüger anlässlich des Prozessauftakts türkische Zeitungen gelesen und lässt dabei einige Zwischentöne einfließen, die eine Distanzierung von vermittelten Deutschlandbildern bedeuten, deren Klischeebesetztheit freilich nicht auszuschließen ist:

"Der Verhandlungssaal sei zur Show-Bühne der 'Nazi-Braut' Beate Zschäpe geworden. Auch die übrigen türkischen Medien bewegten sich gestern an dieser Argumentationslinie entlang: Nazis und der Staat im Staate."

Jasper von Altenbockum kommentiert in der FAZ noch weitere Zitate, die von der "Verquickung zwischen den Sicherheitsbehörden und dem NSU" künden. Ob es ein sauberer Zug ist, anlässlich der Islamkonferenz in einem Absatz einen Zusammenhang zwischen dem NSU und dem Integrationsunwillen einer – man ist ja selbst immer sachlich – "Minderheit der Muslime" herzustellen?


ALTPAPIERKORB

+++ Uli Hoeneß' Anwälte gingen gegen den Focus vor, schreibt die SZ: "Das Nachrichtenmagazin aus dem Hause Burda führte in seiner Ausgabe vom 29. April die Schlagzeile: 'Strafsache Hoeneß – Sein Name war auf einer Steuer-CD'. (...) Das hat die Bochumer Staatsanwaltschaft jedoch inzwischen dementiert". Man beachte das Wort "Schlagzeile". Die SZ: "Sollten Hoeneß' Anwälte am Ende sogar über eine Richtigstellung hinaus auf eine Gegendarstellung bestehen, kann man den kommenden Focus-Titelseiten mit Spannung entgegensehen" +++

+++ Katharina Schmitz kommentiert im Freitag die Causa Brigitte: "Einerseits verstand man den Wutausbruch von Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt, der im Radio in Bezug auf Brigitte irgendwas von 'Plätzchen-Rezepten à la Beate Zschäpe' zeterte. Andererseits: Beim Blick in die aktuelle Ausgabe mit einer Reportage über Frauen in Ägypten, einem Porträt der Feministin Naomi Wolf und einem Interview mit Sarah Wagenknecht war man doch erstaunt" +++

+++ Ob nochmal jemand hinter dem Ofen hervorkommt, wenn Axel Springer die nächste Bild kostenlos verteilt, wird man sehen: Zur Bundestagswahl sei es so weit, schreiben Tagesspiegel, Meedia und taz +++ In letzterer steht auch – selber Link –, dass die Printerlöse des Springer-Verlags sinken. Bei Meedia beginnt die Geschichte so: "Mit seinem Digitalgeschäft kann Springer auch weiterhin eine echte Erfolgsgeschichte erzählen" +++

+++ Ein "Demenz-Drama" mit Martina Gedeck und Klaus Maria Brandauer, "Die Auslöschung" (ARD, 20.15 Uhr), wird besprochen von SZ ("An diesem Film stimmt und gelingt wirklich fast alles"), TSP ("ohne Zweifel einer der besten und wichtigsten Fernsehfilme des Jahres 2013"), taz; dazu gibt es ein Brandauer-Interview in der Berliner Zeitung +++

+++ Das zweite Fernsehthema heißt "Hatufim" – die israelische Serie, nach der "Homeland" entstand; sie startet am Donnerstag bei Arte (21 Uhr); siehe FAZ und TSP +++ Die FAZ schreibt zudem noch "Zeig mir deine Welt" mit Kai Pflaume, eine am 19. Juni startende ARD-Gesprächsreihe mit Menschen mit Downsyndrom +++

+++ Nicht zu vergessen natürlich die Kriegsreporterin der taz +++

Das Altpapier gibt es wieder am Freitag nach dem Feiertag.

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