Über Masochismus reden

Über Masochismus reden

Neue Chefredakteure, neue Verwaltungspräsidenten und neue Perspektiven oder Jüdische Allgemeine, NZZ und Mathias Müller von Blumencron. Der Münchner Richter Manfred Götzl betrachtet es als seine Aufgabe, die Presseplätze im NSU-Prozess neu zu verteilen und den Beginn der Verhandlung zu verschieben. ARD versucht ZDF mit Digitalkanalplänen zu begeistern

Um mit einem Klassiker des Yellow-Press-Journalismus einzusteigen, der seit kurzem ja konzentriert und eigens hier beobachtet wird:

Neuer Chefredakteur gefunden, lautet die Top-News des Tages (wobei man als Yellow-Press-Magazin anders als Internetkolumne so einen Satz jetzt vor ein Bild vom Spiegel-Hochhaus drucken könnte).

"Detlef Kauschke ist nun auch offiziell Chefredakteur der Wochenzeitung 'Jüdische Allgemeine'. Der 54-Jährige hatte das Amt bereits seit Mitte 2011 kommissarisch inne, wie der Zentralrat der Juden in Deutschland am Montag mitteilte."

Steht im Tagesspiegel und ist natürlich ein Mördergag vor dem Hintergrund, dass der Platz an der Spiegel-Spitze noch immer vakant ist. An der "Jüdischen Allgemeine" kann man wiederum sehen, dass es Vorteile haben kann, nicht unter allergrößter Aufmerksamkeit zu arbeiten – da kann ein Chefredakteur auch mal zwei Jahre kommissarisch leiten beziehungsweise der Abgang des Vorgängers in solch elegant-verschwiegenen Worte gepackt werden:

"Kauschke hatte die Leitung 2011 übernommen, nachdem sich der damalige Chefredakteur Christian Böhme mit dem Zentralrat auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses geeinigt hatte."

Auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnis einigen – das hätte der Spiegel mit seinen Chefs mal tun sollen, nachdem er sich im klaren darüber gewesen wäre, wer der oder die neuen werden. Andererseits könnte die Vakanz, je länger sie dauert, die Frage aufwerfen, ob diese Spitzenfunktionsbesetzungsmeldungen nicht eigentlich nur dafür da sind, dass Medienjournalisten was zu vermelden haben – das Magazin, könnten Spaßvögel sagen, erscheint ja auch so und die Gefahr, dass die eine Superlösung für die Zeitungswirtschaft im Digitalzeitalter gefunden würde, besteht ebenfalls weiterhin nicht.

Das Lässigste am Spiegel-Chefredakteurshickhack ist tatsächlich die Meldung, dass der geschasste Müller von Blumencron gleich mal Segeln gefahren ist.

"Einen Gewalt-Akt anderer Art hat Mathias Müller von Blumencron hinter sich, der mit seiner 'Red' die 540 Meilen von Brunsbüttel nach Caen in 51 Stunden bei eiskaltem Ekelwetter absolvierte."

Dort startete, wie Segelreporter.com zu entnehmen ist, am Sonntag das Normandy Channel Race, Blumencron segelt mit – er könnte sein Sohn sein – Boris Herrmann, was nicht der gleichtönende SZ-Sportreporter ist, wie man am doppelten "R" leicht sehen kann, sondern eine Segellegende.

Um von der Bewunderung für so viel Wohlstand (eigene Yacht) und Freiheit (mal eben zum Normandy Channel Race) wieder zu unserem miesepetrigen (wenigstens ist Frühling) Tagesgeschäft (Haar in der Suppe finden!) zurückzukehren – lange kann man darüber nachdenken, wie genau Blumencron diesen Satz nun gemeint hat, den er Segelreporter.com-Reporter Carsten Kemmling übermittelte:

“'Wir müssen über Masochismus reden', schreibt er. 'Warum unternehmen Menschen von Zeit zu Zeit Aktivitäten, die weh tun, bei denen sie sich schlecht und völlig unbehaglich fühlen?"

Etienne Jornod ist Verwaltungspräsident bei der NZZ geworden – das ist doch mal eine Überleitung. Im Gespräch mit Rainer Stadler gibt sich der Pharma-Manager im eigenen Blatt recht aufgeräumt, wenn er über die Lage in seinem neuen Metier spricht:

"Journalisten können nicht nur daran denken, einen guten Artikel zu schreiben. Sie müssen auch dafür sorgen, dass diese Artikel gelesen werden."

Bemerkenswert ist folgende Ansage: Auch wenn es sich dabei nur um Rhetorik handelt, die eine Führungskraftz aus welchen Gründen auch immer abzusondern haben mag – dass auf dieses Thema überhaupt orientiert wird, scheint nicht selbstverständlich:

"Meine Rolle ist es, ein Umfeld zu schaffen, in dem offen über alle Probleme gesprochen wird. Dieses Klima muss im ganzen Unternehmen spürbar sein."

Das wäre doch fast ein Traum.

Und da wir schon einmal in der Schweiz sind: Ronnie Grob hat für Medienwoche.ch mit SVP-Politiker Christoph Blocher gesprochen. Auch hier bemerkenswert, dass der Journalist einfach mal so fragt:

"Do you speak English?"

Blochers Antwort:

"Schlecht. Das ist der Nachteil meines zweiten Bildungswegs. Wenn ich mit Amerikanern zusammen bin, dann rede ich Englisch, doch einen Vortrag auf Englisch würde ich keinen halten."

Interessant ist, was Blocher über Journalisten – in diesem Fall: Ringiers Frank A. Meyer – erzählt:

"Es war vor über 30 Jahren. Als ich eine Weile im Nationalrat war, wurde ich von Frank A. Meyer zum Essen eingeladen. So wie ich mich erinnere, sagte er mir: 'Herr Blocher, Sie sind die Entdeckung am Sternenhimmel!' Er machte mir eine Reihe von Vorschlägen, wie ich mich politisch verhalten könnte, und ich fragte mich, wohin er will. Am Schluss des Gesprächs bot er mir eine enge Begleitung durch den Ringier-Verlag an, von guten Artikeln im 'Blick' war die Rede, sogar von Reden, die für mich geschrieben werden könnten."

Wobei man immer nicht ganz sicher sein mag, wie viel Wahrheit in Blochers Aussagen steckt: Wer von seriösem Journalismus redete, kann ja unmöglich das meinen, was die Weltwoche macht.

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[+++] Nun aber endlich zur tatsächlichen Nachricht des Tages. Der NSU-Prozess wird verschoben wegen des Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Freitag (Altpapier von gestern). Die Kommentare suchen nach neuem Ausdruck ihrer Fassungslosigkeit.

"Man hätte einfach drei Stühle mehr auf die Pressetribüne stellen können."

Schreiben Annette Ramelsberger und Wolfgang Janisch in der SZ im Bewusstsein, dass ein Aufschub des Prozesses für eine Neuverteilung der Presseplätze noch einmal Kollateralschäden bei den Beteiligten verursacht – und sei es nur auf der praktisch-finanziellen Ebene von gebuchten Hotelzimmern.

"Wegen einer derzeit in München stattfindenden Messe seien die Zimmerpreise entsprechend hoch, sagt der schwedische Korrespondent Alling. 200 Euro zahle er pro Nacht, das Hotel bestehe auf dem vollen Preis für eine Woche, auch wenn er wegen der Prozess-Verschiebung zurück nach Berlin reisen werde."

Berichtet Christiane Reid auf evangelisch.de. Das Aufschieben des Prozessbeginns irritiert aber auch auf anderer Ebene:

"Es verstört aber vor allem die Nebenkläger, die seit Monaten auf diesen Prozess gewartet und auf ihn hingezittert hatten."

Steht wiederum in der SZ. Unsensibel bleibt das passende Wort dafür, wie sich das Münchner Gericht in einer so wichtigen Angelegenheit seit je verhält. Als Protokoll dieses Versagens bietet sich der in der SZ zitierte Frage-Antwort-Katalog bei der Presseinformation durch die Gerichtssprecherin an. Die antwortet auf die Frage, warum der Vorsitzende Richter Manfred Götzl, der das Aufschieben entschieden hatte, seine Entscheidung nicht selbst öffentlich erklärt:

"Es ist nicht Aufgabe des Vorsitzenden Richters, sich gegenüber den Medien zu äußern."

Frank Jansen im Tagesspiegel hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass durch den Aufschub sich die Lage dann wenigstens vielleicht noch grundlegend ändert in diesem Münchner Gerichtssaal:

"Werden jetzt Abläufe möglich, die Manfred Götzl bislang stur abgelehnt hat? Vor allem eine Übertragung der Hauptverhandlung per Video in einen größeren Raum neben dem Sitzungssaal, wie sie selbst Winfried Hassemer für möglich hält, der einstige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts? Dann könnten alle Medien, deutsche wie nicht deutsche, mit gleichen Chancen und einigermaßen stressfrei über den 'Jahrhundertprozess' berichten. Würde der Strafsenat so viel Einsicht aufbringen, könnte er den Eindruck von Fehlstart und Blamage halbwegs korrigieren. Es wäre nicht nur dem Gericht und den Journalisten zu wünschen."

Deutlicher kann man einen Wunsch nicht formulieren. Freilich ist es nicht die Aufgabe von Manfred Götzl, dem zu folgen.


ALTPAPIERKORB

+++ In Sachen der öffentlich-rechtlichen Digitalkanäle gibt es Bewegung, also einen Vorschlag der ARD: "Aus sechs mach drei heißt: Aus drei ARD- und drei ZDF-Kanälen sollen drei gemeinsame Angebote werden. Ein 'gemeinsames Programm für junge Menschen (14 bis 29 Jahre) auf Basis der bisherigen Kanäle EinsPlus und ZDFkultur'; ein 'Programm für jüngere Erwachsene (30 bis 49 Jahre)', hervorgehend aus EinsFestival und ZDFneo; und ein gemeinsamer Nachrichtenkanal, in dem 'tagesschau24' und ZDFinfo aufgingen. Dies biete, so die ARD, zugleich die Chance, das Profil der Gemeinschaftsprogramme Phoenix und 3sat zu schärfen." Wie Michael Hanfeld in der FAZ (Seite 31) schreibt. +++ Thomas Lückerath hält den ARD-Vorschlag für Unsinn auf dwdl.de: "Man muss aber auch nicht länger als ein paar Sekunden darüber nachdenken und schon entpuppt sich die vorgeschlagene Reform als furchtbar unreife Träumerei. Aus sechs Sender sollen also drei werden, so der Vorschlag. Die wiederum aber gemeinsam von ARD und ZDF geführt werden. Kenner kriegen an dieser Stelle schon einen Lachkrampf. Schwer vorstellbar, dass eine gemeinsame Koordination dieser dann drei Spartensender einfacher und kostengünstiger wäre als die sechs einzelnen Kanäle derzeit." +++ Im Tagesspiegel sieht Joachim Huber immerhin, was für den Vorschlag der digital ungleich schlechter dastehenden ARD sprechen könnte: "Das ZDF verfolgt – anders als die ARD – eine erfolgreiche Digitalstrategie. Andererseits kann die ARD auf die Medienpolitik verweisen, die seit längerem ein neues Konzept der öffentlich-rechtlichen Sendern für ihre Digitalkanäle fordert." +++ Daniel Bouhs votiert in der Berliner für die Hoffnung: "Wenn sich jetzt nicht das ZDF stur stellt, dann könnte auf die Fernsehlandschaft in Deutschland schon bald eine gewaltige Neuerung zukommen."

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