Staatsferne Staatsferne

Staatsferne Staatsferne

"In der Karwoche ist nicht viel los."

Scheint einem Michael Hanfeld in der FAZ (Seite 31) aus der Seele zu sprechen, bis man sich fragt, wann eigentlich schon mal was los ist, Karwoche her, Karwoche her.

In diesem sogenannten Internet und dieser sogenannten Netzgemeinde ist zum Beispiel einiges los, seit Sascha "Klassensprecher" Lobo am Freitag versucht hat, LSR-Bilanz zu ziehen auf seinem Blog unter dem schönen Titel: "Unsere Mütter, unsere Fehler".

"Ich war und bin wütend über das Versagen der Netzgemeinde, über unser Versagen, über mein Versagen. Ja, das Leistungsschutzrecht ist unser Versagen. Das Wörtchen 'wir' benutze ich so sparsam wie möglich, aber wenn man als Teil einer Gruppe Selbstkritik üben will, lässt es sich nicht vermeiden."

Schreibt Lobo, und Wolfgang Michal fasst auf Carta zusammen:

"Sascha Lobo fordert die Erweiterung der netzpolitischen Einheiz-Front um zwei entscheidende Zielgruppen: 1. die reichweitenstarke YouTube-Generation der Y-Tittys und 2. die smarten, coolen Internet-Unternehmer aus dem neuen Mittelstand. Diese breite Bewegung könnte dem Standort Deutschland den erhofften Modernitätsschub und den Netzthemen die überfällige Anerkennung bringen."

Michal glaubt auch, dass mit Lobo etwas losgehen könnte, wenn er fordert:

"Sascha, sei du unser Frontrunner. Mach es wie Beppe!!"

Schon ein wenig irritierend, dass man in dieser knuffigen Forderung eine Art Führerwunsch erkennen könnte, der zum aufgeklärt-dehierarchisierten Auftritt der sog. Netzgemeinde erstmal nicht passen will. "Am Ende des Tages" (Karl-Heinz Rummenigge) geht es für die Realpolitik aber immer um so was wie Repräsentanz.

Und insofern ist es interessant zu beobachten, was aus Lobos Text noch mal wird: Ob es just another Selbstkritik ist, für die man Menschen, die im Netz schreiben, grundsätzlich immer schätzen möchte, oder ob daraus etwas wird, was mit Struktur und politischem Projekt zu tun haben könnte – in anderer Form als bei den Piraten, auf die Lobo keinen Pfifferling mehr zu geben scheint:

"Aber der Angriff Piraten ist nicht erfolgt, die Piratenpartei hat in höchst nerdhafter Weise – also in einer digitalen Spielart des Sozialdarwinismus – ihre guten, weil empathischen Leute ausbrennen lassen. Damit einher ging der Aufstieg der exakt gegenteilig Begabten, also derjenigen, die jedes soziale Korrektiv nicht verstehen können oder wollen oder beides. Wer Strukturen aufbaut, in denen zuallererst zwischenmenschliche Härte benötigt wird, um überhaupt den Alltag zu bestehen, der bekommt, Riesenüberraschung: genau solche Leute."

Diskutiert wird zumindest, und so uneuphorisch das daherkommen mag, man nennt es Politik. Für Thomas Stadler auf internet-law.de ist das Glas nicht so leer:

"Gemessen an dieser Ausgangssituation ist das von der Verlagslobby erzielte Ergebnis äußerst dürftig. Die Netzgemeinde, die es laut Lobo nun plötzlich doch gibt, hat in dieser Auseinandersetzung keineswegs versagt, wenngleich auch ich mir etwas mehr Druck gewünscht hätte."

Dirk von Gehlen verweist in seinem Post nicht nur auf Beppe Grillo, sondern das amerikanische Portal upworthy.com, das die Katzenbilder in die Interessensbubble zu integrieren versucht.

Wenn Lobos Text einst den Anstoß zu etwas gegeben haben wird, bietet der erste Kommentator ("Sebastian") sich jetzt schon als Ironie der Weltgeschichte an, die nicht begreift, was los ist, wenn was los ist:

"Alter! Gibt es auch eine Version für Ritalin-Verweigerer? Was bei mir hängen geblieben ist: Piratenpartei startet Shirtstorm gegen Katzenbabys. TLDR.

[+++] Und damit zurück zu Michael Hanfeld, der das mit dem Nicht-viel-los in der FAZ nur schreibt, um darauf hinzuweisen, dass einiges geht. Noch mal von vorne:

"In der Karwoche ist nicht viel los, sind viele in Urlaub, für Politiker ist es also ein guter Zeitpunkt, um Pläne auf den Weg zu bringen, bei denen mit Widerstand zu rechnen ist. Bei der Idee der nordrhein-westfälischen Landesregierung, eine Stiftung für Lokaljournalismus ins Leben zu rufen, die den wohlklingenden Namen 'Stiftung Vielfalt und Partizipation' trägt, handelt es sich um einen solchen Plan, verwischt er doch die Grenze zwischen dem Staat und der unabhängigen Presse."

Man kann's den Printmedien auch nicht recht machen, möchte man denken. Sollen sie schon krisengebeutelt was von der Haushaltsabgabe was abkriegen (hier: Lokaljournalismus), ist es auch nicht recht.

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Was umgehend zu der Frage führt, wie staatsfern etwas sein darf, das mit unser aller Geld bezahlt wird. Also zur Promovendin der Stunde, Anna Terschüren, der NDR-Sachbearbeiterin, die in ihrer Doktorarbeit das Haushaltsabgabenmodell zur Gebührenerhöhung verworfen hat. Die zugleich aber erfrischend unhinterfragt das System an sich verteidigt, wenn Claudia Tieschky für die SZ fragt, was geschieht, wenn das Verfassungsgericht die neue Regelung verwerfen sollte:

"Das weiß ich nicht, ich vermute, dass man eine Interimslösung finden wird, denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss natürlich weiter finanziert werden, keine Frage."

Und das geht vermutlich ja vielen so, dass die Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (oder Online- oder auch Bedroht-Print-Journalismus) einleuchtet und gefällt, man nur nicht recht gebacken kriegt, wie der Staat da rauszuhalten wäre, wo er nicht die Summe einer Gesellschaft ist, sondern das Gesicht von Markus Söder, Roland Koch oder wem auch immer trägt, der gerade irgendwo anruft oder absetzt, damit die eigene Partei scheinbar besser performt wird.

Und da hat Hanfeld einen Punkt, wenn er in der geplanten NRW-Stiftung ein Problem sieht. Dieses grassierende Stiftungs-Geschäftsführerwesen privilegiert über die Vordertür des Roten Teppichs, auf dem sich Geldgeber zeigen wollen, eine Form von politischer Einflussnahme. Und die hat mit der Demokratie aus der Sonntagsrede weniger zu tun als mit der machtpolitischen Eitelkeit, an der Sascha Lobo sich den Kopf stößt. Lars Henrik Gass, der Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, hat dazu im Freitag einmal interessant geschrieben.

Als Disclaimer für die Sebastians dieser Welt: tl;dr. Und als Desiderat mit auf die Agenda: staatsferne Staatsferne.


ALTPAPIERKORB

+++ Wie staatsfern das öffentlich-rechtliche Fernsehen schon vor seiner Geburt war, erzählt die FAZ (Seite 31) heute noch mal: Wolfgang Brenner über das "Freie Fernsehen" Adenauers, inkl. handelnder Charaktere. "In Berlin konnte der Kinoproduzent Artur Brauner (CCC) für leichtfüßige Serien gewonnen werden. Er gründete die Berliner TV-Union, für die fortan Brauners Bruder Wolf in den gemieteten CCC-Studios emsig Familienserien mit Stars wie Claus Biederstaedt und Heidelinde Weis und alte Berliner Komödien für das moderne Fernsehen herunterkurbelten ('Krach im Hinterhaus', 'Kater Lampe')." Hübsch wäre hier eigentlich eine Fortsetzungsgeschichte, die den Anschluss zum Heute herstellte: was von den Resten des ersten und gescheiterten Versuchs, der ARD Konkurrenz zu machen, übrig blieb. +++ Heidelinde Weis führt immerhin aufs Traumschiff und damit zu Sascha Hehn. Der spielt sich selbst (oder was die Leute dafür halten sollen) in der Miniserie "Lerchenberg" zum Senderjubiläum. Für die Berliner spricht Jan Freitag mit ihm: "Man wächst sogar am Unvermögen unprofessioneller Produktionen, fragt sich aber doch, wie in den riesigen öffentlich-rechtlichen Apparaten etwas passieren kann wie das 'Musikhotel am Wolfgangsee' vor fünf Jahren." Klingt lustig, vielleicht sollte man eine Miniserie drüber machen, die solche Produktionen auf die Schippe nimmt. +++

+++ Seine Rückkehr aufs "Traumschiff" begründet Hehn damit, dass es was Positives sei, "weil es statt Mord und Totschlag schöne Bilder netter Menschen in guten Geschichten gibt". Drei Dinge auf einmal – really? Abneigung gegen das Krimiwuchern scheint aber vorhanden. +++ Uwe Ebbinghaus portraitiert dessen ungeachtet die Hauptdarstellerin der erfolgreich gewachsenen Regionalkrimiserie "Mord mit Aussicht" in der FAZ (Seite 31): "Im Grunde ist Caroline Peters’ auch in dieser Rolle das, was man früher eine Volksschauspielerin genannt hätte." +++ Joachim Huber macht sich über den Quotenquatsch beim Tatort im TSP Gedanken: "Für den 'Tatort' will das nichts Gutes heißen. Der NDR holt sich Schweiger, der WDR holt sich Kaiser. Beide machen vor der Ausstrahlung ordentlich Rabatz – Schweiger mit dem Vorspann, Kaiser mit einer Lied-Verwertung –, was die Quote mächtig pimpt. Der Aufmerksamkeit des Krimis hat es genutzt, aber auch der Qualität?" Falsche Frage! Wo doch die Jahresbilanz der ARD unter dem Titel "Qualität und Quote" ausgegeben wird. Wenn eines von beiden am Start ist, scheint das also zu reichen, um den Sinn des öffentlich-rechtlichen Rundfunks herzustellen. +++

+++ Fassungslos ist/macht Hans Holzhaiders kurzer Kommentar über die Plätzevergabe an Medienvertretern beim NSU-Prozess: "Vor der Tür bleiben Neue Zürcher Zeitung und New York Times, BBC und al-Dschasira, und vor allem: sämtliche türkischen Medien – die Tageszeitungen Hürriyet und Türkiye, die Agenturen Cihan und Anadolu Ajansi. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, sagt die Justizpressestelle. Das Ergebnis ist ein Armutszeugnis für die Justiz." Radio Arabella etwa mahlt. +++ "Unsere Mütter, unsere Väter" kommt in Polen nicht so gut an, weiß der Tagesspiegel: "'Darf man noch daran erinnern, dass die Deutschen uns überfallen, ermordet und beraubt haben und uns nun die Verantwortung dafür geben wollen?', schreibt ein gewisser Pomylony in einem politisch rechts stehenden Diskussionsportal. Seit langem sei schließlich bekannt, dass vergewaltigte Frauen selbst darum gebeten hätten, schließt Pomylony bitter." +++ Über die Arbeitsbedingungen von palästinensischen Journalisten berichtet Joseph Croitoru in der NZZ: "Der Austausch von Informationen scheint auch innerhalb der palästinensischen Zeitungshäuser schwierig zu verlaufen. Es finden kaum Redaktionskonferenzen statt, so dass die Möglichkeit, sich wenigstens intern kritisch zu äussern, nicht gegeben ist." +++ Über die Arbeitsbedingungen beim Focus unter Jörg Quoos (bei dessen dpa-Bild, siehe oben, man sich zuerst fragt, was Peter Ramsauer hier macht) schrieb gestern (jetzt online) Ulrike Simon in der Berliner: "Und dann gibt es da noch etwas, was Quoos vermisst: einen ordentlichen Konferenzraum." +++

+++ Geschlechterbilder (1): Anna Klöpper macht sich in der TAZ sehr ausführlich Gedanken über eine dünnere Biene Maja. +++ Geschlechterbilder (2): Rainer Stadler macht sich in der NZZ kurz Gedanken zum Ende von Matula aka Claus Theo Gärtner. +++ Von Deniz Yücels Briefverkehr mit Leser Adolf Volland in der TAZ hätte man gern noch mehr gelesen – vielleicht wäre es am Ende doch noch zu Verständnis oder Irritation von gewissen Denkmustern gekommen. Gespräche mit Hinweis auf die eigene Business zu beenden, kommt immer komisch, das sind wir doch alle. +++ +++ Apropos: "Dell fürchtet Aufspaltung seines Konzerns", weiß das HB. Man hat zu tun. +++

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