Lohnt sich Politik?

Lohnt sich Politik?

Laut Bettina Wulff hat Kai Diekmann sie beim Frühstück nach den Gerüchten zu ihrer Rotlichtvergangenheit gefragt. Außerdem: Der beste Populist soll demnächst 100.000 Euro von Stefan Raab kriegen.

Holger Schmale von der Berliner Zeitung schreibt, er habe Bettina Wulffs Buch im Handel entdeckt.

"Während Medien noch spekulieren, wann und wo die ersten Vorabdrucke erscheinen könnten, während Amazon noch das Erscheinungsdatum 9. November nennt, hat der Riva Verlag das spektakulärste Werk seines Programms einfach mal so ausgeliefert. 'Jenseits des Protokolls' lautet der Titel. Es lag am vergangenen Sonnabend auf dem Büchertisch mit politischer Literatur bei Hugendubel, zwischen der neuen Kohl-Biografie und einem Buch über Peer Steinbrück."

Die Frage ist natürlich: Was steht drin? Aus medienjournalistischer Sicht vor allem: Was steht drin über die Rolle von Bild, deren "Methoden" das Ehepaar Wulff ja seinerzeit in einer Pressekonferenz zu würdigen überlegt haben soll? Wenn es stimmt, was in Schmales Text steht, wovon ja doch auszugehen ist, schreibt Wulff in ihrem Buch etwa über ein Frühstück im Schloss Bellevue mit in Potsdam, im Haus des Bild-Chefredakteurs Diekmann:

"'Kai Diekmann ist einfach ein Fuchs.' Denn ohne weiteres konfrontiert er sie plötzlich mit dem Gerücht über ihre Vergangenheit im Rotlichtmilieu. Einige seiner Redakteure hätten so etwas gehört und recherchierten in diese Richtung. 'Ich war völlig entgeistert, mir blieb fast das Brötchen im Halse stecken. Da saßen wir beim Frühstück, und dann stellt dieser Mann so eine Frage. Zwar versuchte ich noch, meine Fassungslosigkeit mit einem ironischen ,Das ist ja interessant’ zu überspielen und Kai Diekmann meinte, dass damit das Thema für ihn erledigt sei.'"

Auch Bild hat das Buch bereits. In ihr steht aber lustigerweise nichts auch etwas von einem Frühstück. Bild zitiert Wulff vielmehr zudem,

"sie gehe jetzt systematisch gegen alle Denunzianten vor. 38 Unterlassungsverpflichtungserklärungen von Journalisten und Verlagen lägen bereits vor. Hierzu in eigener Sache: Bild gehört nicht dazu. Bild hat niemals über Gerüchte berichtet oder solche auch nur angedeutet."

Es kann also nicht mehr lange dauern, bis Bild heilig gesprochen wird.

+++ Die womöglich wichtigste, in jedem Fall aber quantitativ größte Mediengeschichte dieser Tage hat aber noch weitere Windungen: Zwei Wochen ist die erste Meldung alt, dass Bettina Wulff "die Deutungshoheit über ihr Leben zurückgewinnen" wolle, "sowohl publizistisch als auch juristisch" (siehe, auch für die mediale Vorgeschichte, Altpapier). Zwei Tage alt ist ein ganzseitiger Seite-3-Text aus der SZ (online eine Zusammenfassung), der den Weg der Gerüchte über ihr Vorleben nachzeichnete. (Die taz nennt den SZ-Text heute einen "journalistischen Dammbruch" und findet diesen Dammbruch "verwunderlich".) Heute geht es nun in weitere Details: Günther Jauch habe eine Klage von Bettina Wulff auf "Unterlassung falscher Tatsachenbehauptungen" akzeptiert, wird berichtet. Der Kontext (und was Bild laut SZ-Autor Hans Leyendecker sagt):

"Es ging um die ARD-Talkshow am 18. Dezember. Jauch hatte damals aus einem Artikel der Berliner Zeitung zitiert, den er 'besonders interessant' fand: Es ging um Bild und angebliche Informationen des Blattes über das angebliche Vorleben von Bettina Wulff. Der stellvertretende Bild-Chef Nikolaus Blome, der Gast in der Sendung war, hatte den zitierten Bericht dementiert: 'Kompletter Quatsch': 'Völlig aus der Luft gegriffen?' und 'Haben Sie denn noch etwas in der Schublade?' hatte Jauch nachgesetzt. Inzwischen ist klar: Bild legt Wert darauf, dass nichts in der Schublade gewesen sei."

Nach der Lektüre der Berliner Zeitung entsteht aber ja eben ein etwas differenzierterer Eindruck: Tatsächlich dürfte Bild wohl nichts in der Schublade gehabt haben, es gab ja nichts zum In-die-Schublade-Stecken. Aber dass Bild das Thema recherchiert hat, ist nun klar. Zumal es heute selbst bei der Bild-Schwester Welt Online heißt: "Die 'Bild' hatte, wie andere Zeitungen auch, nach dem Auftauchen der Gerüchte mit der Recherche des Vorlebens begonnen – dabei aber keine Belege gefunden." Also alles supi, logo. Nur diese Pressekonferenz der Wulffs zu den Recherchemethoden von Bild Zeitungen, die hätte ich dann doch gerne bei Phoenix gesehen.

+++ Womöglich größer in der gesellschaftlichen Wirkung als Wulffs Klage gegen einzelne Medien ist ihre Klage gegen Google (siehe etwa Tagesspiegel, SZ): Google vervollständigt Google-Suchen bekanntlich automatisch um häufig gesuchte Begriffe: "bettina wulff" etwa wird automatisch ergänzt um Worte, die auf die besagten Gerüchte um ihre angebliche Vergangenheit verweisen, wie "escort". Dadurch habe Google zur Verbreitung beigetragen, beklagt Wulff – während Google argumentiert, der Algorithmus bilde nur die häufigsten Suchanfragen ab. Drei zentrale Fragen werden in der Berichterstattung nun aufgeworfen (siehe auch Carta):

a) Hätte Wulff gegen Google juristisch eine Chance? Die taz kommentiert: womöglich ja, zumindest in absehbarer Zukunft, da Google mit der Autocomplete-Funktion ein Gerücht suggestiv weitertrage. Anders dagegen die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: "Googles Vervollständigungsassistenten dürfte gerichtlich kaum etwas anzuhaben sein. Der lässt sich nur verändern, indem man eine neue Geschichte über sich erzählt."

b) Lässt er sich wirklich nur dann verändern? Spiegel Online schreibt:

"Es drängt sich der Eindruck auf, dass Googles Position bei Eingriffen in Treffer und Vorschläge der Suchmaschine je nach dem Einfluss der Betroffenen wechselt. Links zu vermeintlichen Raubkopien versteckt der Konzern, solche auf Persönlichkeitsverletzungen nicht. Und Verweise auf eigene Produkte platziert Google bisweilen sehr prominent in den angeblich objektiv ausgewählten Vorschlägen. "

Und c) Sollte Google die Vervollständigung verhindern? Stefan Niggemeier bloggt:

"Google müsste realistischerweise die Vervollständigungsfunktion komplett abschalten, wenn sie in keinem Fall etwas vorschlagen darf, was eine unzulässige Tatsachenbehauptung suggeriert. Gibt es einen Anspruch darauf, zu erfahren, wonach alle anderen gesucht haben? Ich glaube nicht. Aber gibt es einen Anspruch darauf, zu verhindern, dass andere erfahren, wonach alle anderen gesucht haben? Ich bin mir nicht sicher."

Sicher ist, Googles Funktionen erweitern den Katalog der Medienrechtsfragen um neue Suchbegriffe.

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+++ Weitere Medienthemen? Aber ja. Der Spiegel titelt: "Politik lohnt sich doch!" (gemeint ist: spätestens hinterher, wenn der Ex-Kanzler bei Gazprom unterkomme). Aber bei Stefan Raab lohnt sie sich vielleicht schon unmittelbar: Raab plant eine politische Talkshow namens "Absolute Mehrheit" bei ProSieben", deren Untertitel – "Meinung muss sich wieder lohnen" – verdächtig nach Journalismus klingt. Idee: Jener Diskussionsteilnehmer, auf dessen Seite sich die absolute Mehrheit der Zuschauer schlage, soll 100.000 Euro bekommen – selbst dann, wenn es sich um einen Politiker handelt. Raab (S. 152 ff.):

"Wenn einer wie der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt bei uns 100.000 Euro abräumt, wäre er doch im Berliner Betrieb zwei Wochen lang King of Kotelett."

Die Sache hat natürlich schon was, rein medienmärktisch betrachtet:

Raab: "Was mich in meiner ganzen Karriere stets angestachelt hat, war der Satz: 'Nee, lass mal, der Markt ist zu.' Das hab ich als Musikproduzent gehört, als Komponist, als TV-Macher. Und wissen Sie, welcher Markt der 'zuste' ist?'
Spiegel: 'Talkshows?
Raab: 'Korrekt.'"

Weil die Medien aber immer noch ein Teil von Gesellschaft sind und nicht umgekehrt, kommt das Konzept zu "Absolute Mehrheit" auf Anhieb nicht übertrieben gut an. Spiegel-Redakteur Thomas Tuma, der Raab zum Zweck der Neuigkeitsverkündung interviewen durfte, hält ihm vor: "Diese Mischung aus Kampf und Kapitalismus, Demagogie und Demokratie hat einen unangenehmen Beigeschmack." Die FAZ verbindet mit dem Untertitel "Meinung muss sich wieder lohnen" auch "die Käuflichkeit politischer Meinungsbildung" (S. 29). "Das Konzept, Mehrheitsmeinungen mit Geldprämien zu belohnen, halten wir für abwegig", wird ARD-Chefredakteur Thomas Baumann von der Berliner Zeitung zitiert. Und Hans Hoff, der schon einmal Zeuge von Raabs diplomatischen Fähigkeiten werden durfte, kritisiert in einer kurzen SZ-Medienseitenspalte, "dass es wohl nicht ernsthaft um Inhalte, sondern allenfalls um größtmöglichen Populismus gehen kann".

Nennen wir das Vorhaben, eine politische Talkshow mit Betonung auf Show zu planen, die dafür vielleicht auch Leute einschalten, die eine Vier minus in Sozialkunde hatten, fürs erste einfach zweischneidig.

+++ Zweischneidig ist auch die mediale Einordnung von Waldemar Hartmann und Harald Schmidt. Der streng nachrichtlich formulierten Häme, die sich angesichts von 5.000 Zuschauern und 0,0 Prozent Quote bei Sky über Schmidt zu ergießen beginnt, könnte man begegnen, indem man sich statt der Zahlen mal anschaut, was Schmidt tut: Die Tatsache, dass seine Sendung die vielleicht einzige im deutschen Fernsehen jenseits der öffentlich-rechtlichen Nischenprogramme mit 0,1 Prozent Quote ist, in der klassische Musik einigermaßen ernsthaft verhandelt wird und in der klassische Musiker wie die Pianistin Helene Grimaud oder die Cellistin Sol Gabetta auftreten, ohne dass sie vorher von einem "Aspekte"-Team beim Geradeausgehen gefilmt werden, macht Schmidt jedenfalls definitiv zum beliebtesten und sicher auch besten Klassiksendungsmoderator der Republik.

Und Hartmann? Hat die Fresse für seinen "Waldis Club" zuletzt derart poliert bekommen, dass die Kritik irgendwann doch ziemlich selbstgefällig wirkte – ich will mich da mal nicht ausnehmen. Peter Unfried hat ihn für die Sonntaz getroffen, und dass Hartmann im Interview den Eindruck erwecken will, er sei eigentlich ein Chopin hörender Öko, kann man nicht behaupten; allein, die andere Sicht ist schon auch manchmal schön:

"Ich bin natürlich kein Haudrauf und auch kein polternder Schenkelklopfproduzent, wie ich auf Medienseiten oder von Feuilletonisten dargestellt werde. Da haben sich Klischees gebildet, die dann auch bleiben, weil der Journalismus leider kein Rechercheberuf mehr ist, sondern ein Abschreibberuf geworden ist. Deshalb halte ich mich an den Rat von Harald Schmidt: Du kriegst die Klischees eh nicht aus der Welt, also bediene sie."

Auch ein Weg, mit Gerüchten umzugehen.


ALTPAPIERKORB

+++ "Ach, diese verdammten Gerüchte" (FAS): Wenn die FAS mal, was ja unglaublich selten vorkommt, einen Fehler macht und fälschlicherweise schreibt, dass NDR-Moderatorin Reschke die Lebensgefährtin von NDR-Programmdirektor Beckmann sei, und wenn ich das dann zwar korrekt, aber damit eben leider falsch, von der FAS abschreibe, wie ich es vergangene Woche im Altpapier tat, dann bedeutet das, dass ich mich, wie die FAS, ebenfalls "für die irrtümliche Verkupplung bei allen Beteiligten entschuldigen" (Zitat) muss, was ich hiermit tue +++

+++ Der Rest in Kürze: Manfred Spitzer Michael Jürgs schreibt in der FAS einen Text über die Diskussionen zur Kompletteingliederung von Gruner+Jahr ins Bertelsmann-Imperium. 74,9 Prozent hält Bertelsmann bekanntlich schon. Vier Granden legt Jürgs Senf in den Mund, John Jahr, Rudolf Augstein, Henri Nannen und Reinhard Mohn. Dass in der gedruckten Bildunterzeile von "Reinhard Mohr" die Rede ist, spricht dafür, dass die FAS ihr Unterbewusstsein im Griff hat +++ Mehr zum Thema aus dem Spiegel: a) Gruner+Jahr soll Digitalchef bekommen +++ b) Stern feat. IQ: "Vor genau 100 Jahren erfand der Hamburger Psychologe William Stern (...) den 'Intelligenz-Quotienten'" (S. 129) +++ c) Und der neue Reinhard Goetz wird auch besprochen, der in einem Konzern spielt, "der Bertelsmann ähnelt", wie Dirk Kurbjuweit schreibt (S. 146f.): "In erster Linie ist sein Buch eine gute Ergänzung zum Journalismus. Da die Medienunternehmen miteinander verbandelt sind, hat die journalistische Kontrolle darüber eine Lücke. Das öffentliche Bild von der Wirklichkeit ist in diesem Bereich diffuser als in anderen. Es könnte durchaus sein, dass es bei Bertelsmann oder Springer noch schlimmer zugeht als von Goetz beschrieben" +++

+++ "Die Rheinische-Post-Mediengruppe aus Düsseldorf hat an diesem Wochenende verkündet, die Mehrheit an der Saarbrücker Zeitungsgruppe erworben zu haben, das Bundeskartellamt müsse noch zustimmen. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart – zu hören ist, er habe bei 200 Millionen Euro gelegen" (SZ) +++

+++ Spiegel-Autor Niggemeier kritisiert Spiegel Online dafür, dass dort eine sueddeutsche.de-Meldung weitgehend gesteuerung-c-steuerung-v-t wurde +++ Die FAZ bespricht den ZDF-Kunstmärchenkrimi "Die Stunde des Wolfes" (20.15 Uhr). Die taz auch +++ Die SZ bespricht "Es kommt noch dicker" (Sat.1, 20.15 Uhr) +++

+++ Deutscher Radiopreis wegverliehen! (SZ vom Samstag, BLZ) +++ Und ein Text über Schauspieler Bjarne Mädel (TSP) +++

Das Altpapier wird am Dienstag wieder aufgeschichtet.

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