"Schattenmord – Unter Feinden": Das klingt nach Reihe, aber die ARD-Tochter Degeto traut sich in solchen Fällen schon seit einigen Jahren nicht mehr, von vornherein langfristig zu planen; dabei schreit der Schluss des Films geradezu nach einer Fortsetzung. Das gewichtigere Argument für weitere Fälle mit Sabrina Amali als Kommissarin Nadirah Abaza, die auf spektakuläre Weise ihre erste große Herausforderung meistert, ist jedoch die Kombination mit einem denkbar ungewöhnlichen Ermittlungspartner: Nadirah hat arabische Wurzeln; Samuel Rivkin, mit dessen Hilfe sie schließlich einen Mordfall löst, ist Rabbiner.
Die Paarung ist überaus reizvoll, zumal Garry Fischmann und die Schweizerin Amali ("Die Notärztin", 2024, ARD) darstellerisch gut zusammenpassen.
Davon abgesehen ist auch die Handlung spannend. Sie beginnt mit einem dank Kamera, Schnitt und Musik packend inszenierten Prolog: Nadirah und ihrem Team gelingt mit der Verhaftung von Drogenboss Ali Sakka (Kida Khodr Ramadan) ein bedeutender Schlag gegen das organisierte Verbrechen. Die Beleidigungen des Clan-Chefs verpuffen wirkungslos, das Präsidium ist in Partystimmung, und auch Oberstaatsanwalt Frank Leuw (Dani Levy) lässt es sich nicht nehmen, vorbeizuschauen und Nadirahs Verdienst hervorzuheben. Zuvor hatte er ihr telefonisch mitgeteilt, er sei "an was dran". Details wollte er bei einem vertraulichen Gespräch mitteilen, aber dazu kommt es nicht mehr: In der Nacht wird Leuw in seinem Haus überfallen und erschossen; und damit beginnt die eigentliche Geschichte (Buch und Regie: Raquel Stern, Damir Lukacevic).
Zunächst besteht kaum ein Zweifel daran, dass als Auftraggeber für die Hinrichtung nur Sakka in frage kommt. Der Gangster hatte dem Staatsanwalt eine Morddrohung geschickt, allerdings per Fax, was Sakka sehr amüsiert. Den Burschen, der dank der Bilder einer Überwachungskamera umgehend als Mordverdächtiger festgenommen wird, hält er für viel zu unterbelichtet, um ihn mit einer derartigen Aufgabe zu betrauen. Tatsächlich beteuert der junge Mann, sein Komplize und er seien anonym beauftragt worden: Sie sollten Leuw bloß an einen Stuhl fesseln. Als Nadirah die Aufnahme weiterlaufen lässt, sieht sie eine Gestalt, die durch den toten Winkel huscht; aber niemand wusste von der versteckt angebrachten Kamera.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Bis zu diesem Punkt könnte "Schattenmord" ein Krimi wie viele andere sein. Der besondere Reiz der Handlung resultiert aus dem Titelzusatz, denn "Unter Feinden" hat einen zweifachen Bezug. Der erste ist das Umfeld der Polizistin: Die Kleinganoven haben Leuws Computer mitgehen lassen. Die IT-Spezialistin findet raus, dass einige Daten gelöscht worden sind; aber erst, nachdem der PC bereits beschlagnahmt war. Die Rekonstruktion der Daten zeigt, dass sich Leuw über Terrorfinanzierung informiert hat. Seine Recherche galt unter anderem einer Stiftung, deren Repräsentantin, eine Unternehmerin (Alice Dwyer), populistisch vor den Folgen von Überfremdung warnt.
Endgültig brisant wird die Geschichte, als sich rausstellt, dass mit der Tatwaffe vor einigen Jahren eine Frau mit muslimischem Migrationshintergrund ermordet worden ist. Sie war Journalistin und hatte sich in ein rechtes Netzwerk eingeschleust. Die mit dem Fall betraute Ermittlerin (Anja Schneider), ohnehin für ihre fremdenfeindliche Voreingenommenheit bekannt, war jedoch bis heute felsenfest überzeugt, dass die lesbische Frau das Opfer eines Ehrenmords ist. Plötzlich weiß Nadirah nicht mehr, wem sie noch trauen kann. Da kommt Samuel Rivkins Angebot, sie bei den Ermittlungen zu unterstützen, gerade recht, zumal der Rabbiner dem jüdischen Staatsanwalt sehr nahe stand.
Die zweite Titeldeutung bezieht sich auf die Angst von Rivkins Frau Hannah (Morgane Ferru), die das Land am liebsten verlassen würde: Wir sind hier geboren, sagt sie sinngemäß, aber wir werden nie dazugehören. Das bringt den Rabbiner auf die Idee, sich der Polizei als Seelsorger anzubieten, um auf diese Weise über jüdisches Leben und Antisemitismus zu informieren.
Die Voraussetzung für weitere Filme wäre somit gegeben; das ZDF hat eine ähnliche Konstellation vor einigen Jahren für die Krimireihe "Lena Fauch" (2012 bis 2016) mit Veronica Ferres als evangelische Pastorin genutzt. In einem Rückblendengespräch zwischen Rivkin und Leuw kommt die über Generationen weitergegebene tiefverwurzelte Furcht vor Deportation und Ermordung ebenfalls zur Sprache. Der Rabbiner hat diese abstrakte Beklemmung personalisiert und seinem Angstdämon einen Fantasienamen gegeben; ein origineller Einfall, der auf verblüffende Weise zur Lösung des Falls beiträgt.



