Medienritual, schnurrend

Medienritual, schnurrend

"Waldis Club" wird wegen Majestätsbeleidigung nicht weitergeführt. Die Frau, die Marie Funder-Donoghue war, meldet sich mitten im Prozess gegen sie im Interview zu Wort. Das relevanteste, aber schwammigste Medienthema ist jedoch der Amoklauf im US-Kino – und damit die immer schwelende Frage nach dem Zusammenhang von Medien und Gewalt

Scheint wichtig zu sein, diese Nachricht, der Verbreitungsrate nach: Waldemar Hartmann ist beleidigt, "Waldis Club" wird enden (siehe als Primärquelle Spiegel sowie ansonsten auch Focus Online, Berliner Zeitung/Frankfurter Rundschau online, Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel online, DWDL, kress, Meedia u.v.a.). Was den einen allerdings nicht die schlechteste Nachricht, ist für Moderator Hartmann, der den WDR und den RBB als treibende Kräfte hinter seiner let's call it Misshandlung betrachtet, Anlass, im Spiegel-Interview, in dem er sie verkündet, herumzustänkern:

"Bereits während der EM hatte mich WDR-Sportchef Steffen Simon auflaufen lassen. Üblich ist es, dass der Kommentator in der 80. Spielminute ordentlich Werbung macht für 'Waldis Club' im Anschluss. An dem Abend, an dem er im Einsatz war, hatte ich Spitzengäste: Anne Will, den künftigen 'Tatort'-Kommissar Til Schweiger und Fredi Bobic. Die hätte man groß anpreisen können. Steffen Simon sagte stattdessen einfach: 23.30 Uhr, 'Waldis Club'. Ohne einen dieser Top-Namen zu nennen!"

Ach Gottchen. Zu bemerken wäre da schon noch, dass das Spiel, das Simon in der 80. Minute nicht zugunsten einer längeren Eigenwerbeeinspielung unterbrach, das Halbfinale Italien-Deutschland war; insofern ist schon an dieser Stelle klar, dass es Hartmann um das Interesse des Zuschauers wohl kaum gehen kann, auch wenn er genau damit argumentiert (Topquotenverweis, obligatorischer). Zudem geißelt Hartmann die von ihm als solche empfundene Unverschämtheit der ARD, ihm nur die Verlängerung seines Vertrags um ein Jahr statt um zwei anzubieten, wodurch der dann mitten in der laufenden nächsten WM-Qualifikation enden würde:

"Das wäre genauso, als wenn man die Übertragung eines Fußballspiels nach der Halbzeit abbrechen würde."

Was natürlich Quatsch ist. Es wäre, als würde man die Übertragung von "Waldis Club" nach sieben Jahren beenden und Fußballspiele trotzdem bis zum Ende zeigen. Aber schön, dass Hartmann wenigstens zwischen den Zeilen den Grund nennt, warum das Ende des Formats eigentlich eine gute Nachricht ist: "Waldis Club" war ein selbstverliebter Anachronismus und eine einzige Stillosigkeit. Schade ist freilich, dass mit Hartmann ausgerechnet der Moderator aus dem ARD-Fußballsegment verschwindet, der die Gefühlszustände deutscher Fußballs am besten repräsentierte – und zwar alle beide (wie ich kürzlich irgendwo las): überheblich oder beleidigt.

Die Süddeutsche Zeitung zitiert, falls ein sachlicher Grund für die Vertragsverlängerung um nur ein Jahr auch noch gebraucht wird, ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky: Es

"stelle sich bei der kommenden Weltmeisterschaft in Brasilien 2014 die Frage, ob angesichts der nächtlichen Übertragungen überhaupt noch ein Club vom Publikum gewünscht sei. Die Spiele werden dann um 21 und um Null Uhr deutscher Zeit angepfiffen, Hartmanns Runde wäre also oft erst gegen 2.30 Uhr dran gewesen."

Und jetzt mal ehrlich: So lange hält doch kein Stammtischbruder aus, wenn morgens um 11 schon wieder Doppelpass" ist.

+++ Dass Montage mediennewstechnisch häufig Spiegel-Tage sind, merkt man darüber hinaus auch heute wieder: Das Magazin verkündet auch eine andere Personalie, nämlich den neuen Regisseur von "Wetten, dass..?": Volker Weicker – der auch Regisseur von "DSDS" und "Das Supertalent" ist (und laut Spiegel bleibt). Auch sonst gebe es Annäherungen an RTL: Wettkandidaten würden "in Einspielfilmen vorgestellt, die über die Entstehung der Wette berichten". Falls das dann mit dem neuen "Wetten, dass..?"-Moderator nicht klappen sollte: Marco Schreyl wäre doch auch noch ein Kandidat.

+++ Was kein Medienressortstoff ist, aber umso mehr von der Medienwelt handelt, in der wir leben, ist der Mord an mehreren Kinobesuchern in Aurora, während einer Vorpremiere von Christopher Nolans Batman-Film.

"Nolans neuer Film 'The Dark Knight Rises', der letzte Film seiner Batman-Trilogie, ist in der Nacht zum vorigen Freitag auf eine Weise mit der amerikanischen Wirklichkeit konfrontiert worden, wie es noch keinem anderen Film widerfahren ist. Das Kino selber wurde Opfer jenes Schreckens, den es so intensiv beschwor",

schreibt Fritz Göttler in der Süddeutschen Zeitung und verweist auf den Stand der Dinge in der Forschung über Gewalt und Medien:

"(N)icht eindeutig geklärt ist, weder statistisch noch psychologisch oder soziologisch, die Wirkung von Gewalt im Kino oder in Videospielen. Weil es sich hier um millionenschwere Industrien handelt, gilt das Argument der kathartischen Wirkung, zu der imaginäre Gewalt seit der Antike fähig ist, hier als fadenscheinig."

Man merkt es schon: Mangels sicherer Erkenntnisse beginnt die Debatte nun auch diesmal wieder; in den USA läuft sie ja längst (Carta hat die politisch zentralen Diskussionsstränge zusammengefasst, die taz und die Berliner Zeitung behandeln, was vielerorts v.a. im Feuilleton läuft, vornehmlich als außenpolitisches Thema). Das Sicherste, was man sagen kann, ist, dass es keinen direkten, aber einen indirekten Zusammenhang geben kann (siehe etwa Sonntag Online: einerseits "wissenschaftlich erwiesen (...), dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen gewaltinszenierenden Videospielen und Massakern an Schulen gibt", andererseits: "(O)hne Einfluss sind gewaltinszenierende Medien nicht"). Die FAZ schreibt (S. 21):

"In absurder Perfektion schnurrt das Medienritual ab, mächtig umbraust vom Riesenchor der Profiler, Psychologen, Politiker, Kulturkritiker, Augenzeugen, Gewalt-, Trauer- und Verfassungsexperten. Nirgendwo aber wiederholen sich die Argumente irrsinniger als in der Endlosschleife der Waffendebatte. Die Folgen des Massakers von Colorado sind darum abzusehen. Wie nach dem Amoklauf an der High School von Columbine werden wohl auch nach dem Blutbad im Kino von Aurora ein paar Waffenvorschriften verschärft. Aber viel ändern wird sich nicht. "

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Was sich geändert hat, ist, dass "das Internet" als Pauschalverdächtiger diesmal nicht ins Spiel gebracht wird. Spiegel Online fasst das Erstaunen darüber zusammen, wie wenig im Netz über den Attentäter zu finden sei; dass er auf Kontakt- und Spielseiten unterwegs gewesen sein könnte, gilt nicht als Beweis, dass Spiele und Internetkontakte zu Gewalttaten führen – ungefähr so simpel war ja noch vor wenigen Jahren die Beweisführung. Geändert hat sich also, dass Medien heutzutage tendenziell nicht als Gewaltübertragungstrichter betrachtet werden (außer natürlich im Bundesfamilienministerium, aber das ist ein anderes Thema). Im Spiegel heißt es:

"Kein Film macht einen Menschen zum Mörder. Martin Scorseses 'Taxi Driver' war nicht dafür verantwortlich, dass ein Verrückter namens John Hinckley 1981 auf US-Präsident Ronald Reagan schoss. Hinckley identifizierte sich mit dem 'Taxi Driver', einem Attentäter, er wollte die Schauspielerin Jodie Foster beeindrucken."

Und Claudius Seidl schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (S. 19):

"(W)enn so eine sinnlose Tat Konsequenzen provoziert, dann sicher nicht die, dass mit sanfteren Filmen irgendjemandem geholfen wäre. Strengere Gesetze sind es, über die man in Amerika endlich mal nachdenken sollte".

Allerdings macht der Irrealis hier seinem Namen wahrscheinlich alle Ehre.


ALTPAPIERKORB

+++ Doris Heinze, die ehemalige Fernsehspielchefin des NDR, die unter dem Namen Marie Funder-Donoghue sich selbst Drehbücher verkauft hatte und die sich derzeit wegen der sogenannten Drehbuchaffäre mit ihrem Mann Claus Strobel und der Produzentin Heike Richter-Karst vor dem Hamburger Landgericht verantworten muss, hat dem Spiegel genau jetzt ein ausführliches Interview gegeben, aus dem vom Spiegel selbst keine Auszüge als Vorabmeldung verbreitet wurden; bei newsroom stehen ein paar Sätze. Zwei Auszüge als Nachmeldung: "Spiegel: Im Jahr 2006 verkauften Sie für 26 000 Euro Ihr erstes Drehbuch unter fal- schem Namen, Titel: „Die Freundin der Tochter“. Warum sind Sie das Risiko eingegangen? – Heinze: Es war blöd. Aber der Stoff war mir wichtig, ich hatte schon daran gearbeitet, als mir noch erlaubt war, als NDR-Redakteurin unter meinem Namen Drehbücher zu schreiben. – (...) Plagte Sie während des Schrei- bens kein Unrechtsbewusstsein? – Heinze: Das hatte ich immer. Aber es ist nicht so, dass man morgens aufwacht und sofort denkt, jetzt mache ich etwas Fal-sches. Eigentlich wollte ich auch sagen, das ist mein Buch." Und über die Berichterstattung über ihren Fall sagt sie: "Ich hatte das Gefühl, es geht gar nicht um Aufklärung, sondern um Vernichtung" +++

+++ Die Antworten, die Daniel Clowes dem Guardian gab, und die Antworten, die der Guardian druckte, sind nicht völlig deckungsgleich, schreibt Clowes +++ In der taz schreibt Altpapier-Autor René Martens über Deals von Nachrichtenagenturen und Autobauern +++

+++ Im Fernsehen: Die FAZ zieht die Besprechung der Filme aus der SWR-Dokumentationsreihe konsequent durch und bespricht an diesem Montag, der für Medieninhalte nur wenig Platz lässt, den nächsten Film: "Der Fischer vom Bodensee" (23.30 Uhr, SWR) +++ Die SZ bespricht eine ZDF-Doku über Männermodels, dessen Arbeitstitel offensichtlich dann doch nicht mehr geändert wurde: "Mann, bin ich schön!" (Dienstag, 22.15 Uhr) +++ Die SZ besucht Programmentwickler Philipp Bitterling vom WDR +++ Der Tagesspiegel schreibt über "Servus TV" +++ Und die taz regt sich über die Rückkehr des Daily Talks bei Sat.1 auf +++

Das Altpapier stapelt sich am Dienstag wieder.

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