Tanz den Twist

Tanz den Twist

Der ewige Jürgen Doetz buddelt ein kleines Loch für eines seiner Kriegsbeile. Die SPD und die Piratenpartei stellen Papiere zum Urheberrecht vor, und niemand heult. Die SZ zeigt das Verbindende von "Commons", dem neuen "James Bond" und Guerilla-Gärten. Und die Facebook-Aktie fällt steil Richtung StudiVZ

Nach Sarrazin gestern gibt es heute hier wieder Erbaulicheres: Jürgen Doetz. Der "kalte Krieg ohne Sprengköpfe" (SZ, S. 15) scheint ein Ende zu finden.

Darum geht es im Medienseitenaufmacher der Süddeutschen. Um den dauerhaft schwelenden Konflikt zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkunternehmen also. Und darum, dass die alten Fronten bröckeln.

Das Gesicht der letzteren ist der besagte Privatsenderlobbyist Doetz, der – leider schon ziemlich bekanntes Medien-Funfact – als Geschäftsführer der Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk, heute Sat.1, am 1. Januar 1984, einen Tag vor RTL plus, von einem Kellerstudio in Ludwigshafen aus den ersten Satz sagte, der je im deutschen Privatfernsehen gesagt wurde: "Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Moment sind Sie Zeuge des Starts des ersten privaten Fernsehveranstalters in der Bundesrepublik Deutschland" (Funfact-Quelle: Wikipedia).

Und dieser Mann also, in Fachkreisen "der ewige Doetz" geheißen,

"wirbt plötzlich mit Eindringlichkeit für eine neue Allianz der beiden Sendergattungen – für eine gemeinsame Schutzstrategie des Rundfunks, wenn man so will. (...) Ausgelöst wurde die neue Bündnisidee jetzt, wenn man Doetz richtig versteht, durch die mächtigen Interessen der Telekommunikations- und Internetkonzerne, die in der elektronischen Welt in Konkurrenz zur klassischen Medienordnung treten."

Warum also, das ist die Logik, noch ZDF neo bekämpfen, wenn Google der wahre Feind ist? Das ist einerseits im Großen gar nicht so neu. Dass ARD, ZDF, Privatsender sowie – die andere Front, von der die Öffentlich-Rechtlichen derzeit mal wieder warm bekriegt werden – Verleger sich zu einer "Interessengemeinschaft der Medien in der digitalen Welt" zusammengetan haben, zur Deutschen Content Allianz (ohne Bindestrich), ist bekannt.

Andererseits kann man, feuilletonistisch und ohne Blick für die Details gesprochen, mal sehen, was das für sinnlose Kämpfe sind, die da jahrzehntelang geführt wurden. Die Medienpolitikmeldungen der vergangenenen Jahrzehnte zeugen vor diesem Hintergrund letztlich davon, dass Herr Doetz halt was zu tun brauchte.

Und noch andererseitser führt uns die Geschichte prompt auf die eigentliche Großbaustelle des gestrigen Medientages: zum Urheberrecht. Die Debatte über dessen Reform steckt im nächsten Twist. Nach "Künstler, wacht auf und geht sterben!" und "Piraten, ihr seid echt so gemein" heißt es nun – mit Frank Rieger vom Chaos Computer Club, den die FAZ im Feuilletonaufmacher zitiert; mit Frank Schirrmacher, der in der FAZ kürzlich quasi das Ende des, um im obigen Bild zu bleiben, mehr oder weniger kalten Kriegs (ohne Sprengköpfe) zwischen Kreativen/Verwertern/Nutzern/Piraten forderte; mit Dirk von Gehlen, der im SZ Wochenende angesichts des brennenden Feuers sehr sparsam mit dem Öl umging; und mit Bruno Kramm von der Piratenpartei, der im Rahmen einer kleinen Medienoffensive (Sonntag mit einem in der FAS abgedruckten Brief an den "sehr geehrten Herrn Schirrmacher", Montagabend bei der "Kulturzeit" u.a.) die Piratenpositionen klarzustellen versucht –: "Raus aus den Schützengräben!"

Piratenpartei wie SPD veröffentlichten gestern Papiere zum Urheberrecht. Die FAZ:

"Während die Piraten urheberrechtlich geschützte Werke schon nach zehn statt wie bislang nach siebzig Jahren freigeben wollen, sorgt sich die SPD in diesem Punkt vorrangig um die Verfügbarkeit verwaister und vergriffener Werke. Während die Piraten auf bisher funktionierende Vergütungsmodelle – in dieser Formulierung kann durchaus eine Einschränkung liegen –, Micropayment, Crowdfunding und -investing, aber auch Pauschalabgaben zur Vergütung der Urheber setzen, lehnt die SPD 'eine allgemeine, pauschale Kulturflatrate ab."

In der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau steht, mit welchem Grund:

"Eine generelle 'Zwangsabgabe' würde zu erheblichen Kosten führen, sagte die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries bei der Vorstellung des zwölf Punkte umfassenden Thesenpapiers. 'Die Menschen können sich das nicht leisten.'"

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Einen Skandal, eine Enteignung der Künstler o.ä. vermag in den Papieren niemand recht zu entdecken. Wobei: abwarten. Und damit zurück ins Feuilletonistische. Während "ebenfalls an diesem Montag im Sitzungssaal E. 300 des Paul-Löbe-Hauses der Bundestagsunterausschuss 'Neue Medien' öffentlich Sachverständige zum Thema 'Vermarktung und Schutz kreativer Inhalte im Internet' anhörte" (FAZ), geht es im sehr zur Lektüre empfohlenen, derzeit aber nicht frei onlinen SZ-Feuilletonaufmacher von Felix Stephan zum im Grunde selben Thema um Guerilla-Gärten, am Rande auch um den neuen James-Bond-Film, der mal wieder an der Spitze des sog. Zeitgeists herumzuturnen scheint, und um "Commons":

"Das sind Allgemeingüter, die gemeinschaftlich genutzt, also nicht von einem Unternehmen privatisiert, bewirtschaftet, vermietet oder abgebaut werden, weshalb es auch keinen Staat braucht, der diese Wirtschaftsordnung legitimiert und schützt. Das 'Commoning' ist kein politischer Entwurf, sondern eine soziale Praxis, in der sich Menschen Ressourcen teilen, damit jeder etwas davon hat."

Der Weg zur Urheberrechtsdebatte führt im Text über die Nobelpreisträgerin für Wirtschaftswissenschaften Elinor Ostrom:

"Ostrom zufolge verändern die Menschen die Welt nicht, indem sie Veränderungen fordern, sondern indem sie die Strukturen durch ihr individuelles Verhalten zur Anpassung zwingen."

Auch etwa Filesharer bauten sich, schreibt Stephan,

"eine parallele Ordnung mit einem eigenen Kodex nach dem Wiki-Prinzip (auf): Teile dein Wissen und deinen Besitz, optimiere das große Ganze, nimm dir einfach, was du für deine eigenen Geschicke benötigst, schließlich profitieren wir am Ende als Menschheit alle davon."

Schön, dass das immer mal wieder gesagt wird, worin das Revolutionäre der vielzitierten digitalen Revolution bestand / besteht: nicht im Diebstahl oder in der Blase, sondern in einer Veränderung des Sozialverhaltens auf Basis einer neuen Infrastruktur, utopischerweise jenseits der Geldwirtschaft.

Utopischerweise. Denn da sind ja noch "Monopolistenfirmen wie Facebook und Google", die die "hohen ethischen Ansprüche bereits während ihrer Ausformulierung (...) kommodifiziert und monetarisiert" haben.

Was uns dann zur Facebook-Aktie bringt (siehe auch Altpapier): Sie ist am zweiten Handelstag prompt Richtung StudiVZ gefallen. "Milliarden sind verpufft" (FTD). Die ebenfalls FTD nennt als Grund: Gier. Bekannt geworden ist die Gier zuletzt als Alleinstellungsmerkmal der Filesharer und Piraten oder wem auch immer "die Urheber" gemeint haben.

So drehen sich die Debatten. Manchmal wird einem ja doch ein bisschen schwindelig, wenn man den Twist tanzt.


ALTPAPIERKORB

+++ Es gibt auch Themen, die vergleichsweise straight from the Medienseitennische kommen: Die FTD legt Print- und Onlineredaktion zusammen (siehe eigene FTD-Meldung) +++ Nikolaus Albrecht, einst bei Vanity Fair (D) verantwortet die zweite Ausgabe der Illustrierten Max, die "wieder mindestens einmal jährlich erscheinen" soll (etwa SZ) +++ Und nochmal Urheberrecht: Nach der Gema geht auch Youtube in die Berufung. Worum es bei beiden Berufungen geht, steht etwa in der FAZ, der SZ (S. 11), im Tagesspiegel oder in der Berliner Zeitung +++

+++ Aus dem Dunstkreis der Öffentlich-Rechtlichen: Joachim Huber beschreibt im Tagesspiegel seine Beziehung zur GEZ +++ Personalie des Tages: Bernhard Nellessen, SWR-Fernsehdirektor des SWR, steht für keine dritte Amtszeit mehr zur Verfügung, sondern wolle sich nach 30 Jahren SWR neuen beruflichen Aufgaben widmen, heißt es. "Laut Stuttgarter Nachrichten ist Nellessen intern wiederholt in die Kritik geraten – wegen Erfolglosigkeit und seines Führungsstils. Das wollte der SWR aber nicht kommentieren" (taz u.a.) +++ Vor ihren zweiten Amtszeiten stünden dagegen die Intendantinnen Dagmar Reim, RBB, und Monika Piel, WDR (ebenfalls taz) +++

+++ Über Kerle: Die FAZ schreibt über den vom Altpapier am Freitag (noch mit nicht übersetztem Zitat) zusammengefassten Kauf von 63 Tages- und Wochenzeitungen durch den Investor Warren Buffett: "Nun erlebt der amerikanische Zeitungsmarkt heutzutage nicht gerade einen Boom. Dennoch sind sich Experten inzwischen einig, dass Buffett solide Gründe hatte, die 142 Millionen Dollar für den Großeinkauf lockerzumachen. Er selbst erklärte: 'In Orten und Städten, in denen noch ein starker Gemeinsinn herrscht, gibt es keine wichtigere Institution als die Lokalzeitung. (...)' Und in der Tat haben Lokalzeitungen gegenüber den vom Internet hart bedrängten überregionalen Blättern den Vorzug, weniger Konkurrenz, ob in digitaler oder gedruckter Form, vorzufinden und darum als traditionelle Kommunikationsmittel weiterhin noch gut zu funktionieren" +++ Über den gebliebenen Einfluss Silvio Berlusconis auf Italiens RAI schreibt die taz im Medienseitenaufmacher ++++++ Die andere Medien-Jungsgeschichte handelt von Rupert Murdoch und steht in der SZ: Murdoch hat sich demnach seinen neuen "Kommunikationschef von News International (NI), dem Unternehmen, das für das britische Zeitungsgeschäft des Medienunternehmers Rupert Murdoch verantwortlich ist", aus dem Umkreis von Londons Bürgermeister Boris Johnson +++

+++ Ebenfalls noch in der FAZ: ein Text über das aus Gründen derzeit allgegenwärtige Computerspiel "Diablo 3" +++ Die Deutsche Presse-Agentur verliert auch vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf einen Auftrag des Auswärtigen Amts, den dieses an  "die von Finanzinvestoren getragene Agentur dapd vergeben" hatte (FAZ, S. 29). Die dpa hatte die Vergabe prüfen lassen und dann geklagt +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Mittwoch.

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