Gefällt mir? Ja mei

Gefällt mir? Ja mei

Ja mei, wie Gerhard Polt sagen würde: Facebook geht demnächst an die Börse, bei "Günther Jauch" gibt es eine kleine Theaterinszenierung, die Otto-Brenner-Stiftung hat das Verhältnis von Bild und Wulff analysiert, Richard David Precht empört sich über die Unternehmensberatergläubigkeit des WDR, und die FAS erklärt das Youtube-Prinzip der Gottschalklosigkeit

Die Facebook-Wochen haben begonnen: Am 18. Mai will das Unternehmen an die Börse, der größte Börsengang "in der Geschichte des Internets" soll es werden, und man darf schon mal gespannt sein, ob die Leser die Berichterstattung darüber so interessant finden, wie sie unterstelltermaßen Facebook interessant finden.

Facebook ist schließlich vielleicht ein bisschen wie Gerhard Polt, der an diesem Montag 70 wird. Man kann es betrachten. "Sobald man aber drüber redet, macht man sich auch schon zum Deppen", wie Alex Rühle im SZ-Feuilletonaufmacher (S. 11) schreibt. Über Polt freilich, nicht über Facebook:

"Würde man alle Humortheoretiker des Landes vor Gerhard Polt aufbauen und sie würden ihre Erklärungsversuche abgeben, Polt würde dastehen, massiv schweigend, das ganze Gerede in sich verschwinden lassen wie in einem schweren Filzvorhang, die Achseln zucken und sagen: 'Ja mei.'"

Ja mei. Klingt wie ein von der Langsamkeit geschwängertes "Gefällt mir".

Also, man darf gespannt sein, und halbwegs verlässliche Zahlen zum Verhältnis von Interesse an Facebook und Interesse an Berichterstattung über Facebook könnte vielleicht Der Spiegel liefern – weil er dem Unternehmen heute das Titelblatt widmet, das für den Kioskverkauf gemeinhin als ausschlaggebend gilt: "901 Millionen Menschen gefällt das. Warum eigentlich?"

Wobei die Auswertung dadurch etwas verzerrt werden könnte, dass der Titel ein geglückter ist, ein Hingucker, sozusagen. Das will man ja schließlich wissen: Facebook, warum eigentlich?

Dass es bereits der fünfte Spiegel-Titel in diesem Jahr ist, der sich ein Fragezeichen zugesteht (nach "Was ist Heimat?", "Krieg um die Bombe?", "Deutschland, deine Reichen – Wer sind sie? Und warum so viele?" und "Die gestresste Seele – Was ist noch Erschöpfung? Was ist schon Krankheit?"), ist vielleicht noch keine Inflation, noch kein Sieg der abwägenden Erörterung über die Allwissenheit der Großthese. Aber wenn mal jemand Zeit hat, könnte man ja mal nachzählen, wie das Cover-Fragezeichen-Aufkommen im Lauf der Jahre sonst so aussieht.

Also, Facebook. Es gibt natürlich auch ganz klassische, also im neuen Sprachgebrauch "alte" Medienberichterstattung an diesem Tag, etwa über die Verleihung des Bayerischen Fernsehpreises, der die, wiederum, Süddeutsche ihren Medienseitenaufmacher widmet – und die lobende Worte findet:

"Schau her, der Bayerische Rundfunk, das öffentlich-rechtliche Fernsehen – Preisverleihungen können also doch würdig und Juryentscheidungen einleuchtend sein, und natürlich spielt es eine Rolle, ob ein geübter Moderator wie der Kabarettist Christoph Süß die Show mit Sinn für Humor und ohne Klimbim lenkt, oder die Branche sich ein paar hübsche Darsteller vorne hinstellt und hinterher mault, weil Schauspieler einfach keine und schon gar keine guten Moderatoren sind."

Doch mit Ehrenpreis-Laudator Horst Seehofer, dessen "Einlassung zur 'bayerischen Lebenskultur', die es erlaube, Spielregeln großzügiger auszulegen", es "in die ZDF-Satire Heute-Show schaffen wird", wie Christopher Keil bemerkt, sind wir auch schon fürs Erste zurück in der digitalen – oder besser: medial anders strukturierten – Welt.

Gehen wir es durch: "Schreiben Sie Ihre Postings auf Facebook selbst?", fragt Der Spiegel (S. 50) Seehofer, und der antwortet mit der Lässigkeit des Mannes, der sich für seine Internetzugewandtheit preist, aber sich um das Dialogische an sozialen Netzwerken nicht für fünf Pfennig schert: "Alle Postings auf meiner Facebook-Seite, die mein Kürzel 'HS' tragen, sind von mir. Nur fürs Eintippen und Absenden bitte ich einen Mitarbeiter, das für mich zu erledigen."

Härter wird der Stoff selbstredend, wenn es um die Zahlen geht: Die FTD etwa hält Facebook für überbewertet:

"(M)it einer Bewertung von 100 Mrd. Dollar gibt sich das Unternehmen etwas zuviel Vorschusslorbeeren. Wo ist denn da noch Spielraum nach oben, woher kommt die Zuversicht?"

Fragt sich auch der, wiederum, Spiegel im Wirtschaftsbeitrag zum Titel (S. 126):

"Facebook habe nichts zu suchen in derselben Liga wie Apple, Google oder Amazon, warnt das an der Wall Street vielbeachtete Finanzblog 'The Street'. Die Finanzexperten von Mar- ket Watch erwarten sogar eine 'globale Bären-Attacke' kritischer Investoren auf Facebook: Das soziale Netz- werk sei 'völlig über-hyped'. Und nach der Aufregung des ersten Börsentags werde seine Aktie eine unter vielen sein."

Der Haupttext des Magazinaufmachers aber ist eine eher populärsoziologische Bestandsaufnahme, in der es um Kontrollverlust in beispielhaften Fällen einerseits, etwa durch gehackte Passwörter oder leichtsinnig verschickte Nacktfotos, geht, andererseits aber auch um gestiegene Vorsicht, gerade auch bei Jugendlichen. Ein Buzzword für Medienbeobachter alter Prägung taucht gegen Ende auf, wenn Christine Feil, Soziologin am Deutschen Jugendinstitut in München, zitiert wird: Wichtiger als ein Zeitlimit bei der Internetnutzung seien "hochwertige Angebote im Internet", was leicht nach Buzzword-Bingo klingt, aber dann von den Spiegel-Autoren erklärt wird: Man brauche, so interpretieren sie den Vorschlag,

"(e)in behütetes Netzwerk also, mit aus- gebildetem Personal, das jeden Beitrag liest, bevor es ihn freischaltet für alle – wäre das nicht eine schöne Aufgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, eine Art Kinderkanal für die Online-Welt?"

Ja, sehr hübsch und sicher nicht ohne Spuren von Ironie geschrieben, schon angesichts der elenden Kasparei über die Frage, was die Öffentlich-Rechtlichen im Internet dürfen und was nicht, die auch an diesem Montag wieder ihren Platz in der Presse finden, etwa in der SZ und in der taz, in denen WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus mit den Worten zitiert wird, wenn das ZDF, das laut Bericht auf einen neuen Verhandlungstermin über die "Tagesschau"-App (und damit verbunden auch andere öffentlich-rechtliche Apps und überhaupt wohl: eigentlich alles in Form einer medienpolitischen Erklärung) warte, zu den erzielten Verhandlungsergebnissen nicht stehe usw., "machten weitere Verhandlungen keinen Sinn und fänden auch nicht statt".

Alles klärchen. Und während man sich also mit der Frage konfrontiert sieht, ob man über diesen Witz von einer vorgestrigen Diskussion überhaupt noch berichten sollte, ohne ausfällig zu werden oder ob das nicht die journalistische Sorgfalt verbietet, wird ein anderer zu einem anderen Thema deutlich: Richard David Precht hielt "aus tiefer Empörung, lang angeschwollener tiefer Empörung" ein Referat im Rahmen eines Gesprächs über das Kulturradio WDR 3, das in der Funkkorrespondenz abgedruckt ist und in dem er sich über das Vertrauen in Unternehmensberater statt in Redakteure mokiert und die Quotengläubigkeit geißelt:

"Der Glaube an die Quote ist eine monotheistische Religion, die keinen weiteren Gott zulässt. Und das ist sehr, sehr tief in den Gedanken der Programmchefs eben nicht nur des Privatfernsehens, sondern auch, flächendeckend, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorhanden."

Was uns, Stichwort "Warum schauen da bloß so viele zu?", zu einem letzten Punkt führt: Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt über das Prinzip der Web-Show bei Youtube am Beispiel des Kanals von Felicia Day, der "Königin des Internets", und fragt, was ihr Erfolg für das Massenfernsehen bedeute: "Es ist die alte These von der Kraft der Nische, die ihren", also Days,

"Erfolg zu belegen scheint, und auch wenn Youtube zunehmend versucht, sein Angebot mit handelsüblichen Superstars aufzumotzen, mit Jay-Z und Madonna, lautet die grundlegende Kalkulation: Lieber 100 Felicia Days als einen Thomas Gottschalk."

Ja mei.


ALTPAPIERKORB

+++ Die Otto-Brenner-Stiftung (die "gewerkschaftsnahe", wie man laut Journalismushandbuch dazu schreiben muss) hat, namentlich Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz, eine Studie erstellt, für die 1500 Bild-Meldungen über Christian Wulff ausgewertet wurden: "Bild und Wulff – Fallstudie über eine einseitig aufgelöste Geschäftsbeziehung" +++ Tom Schimmeck ordnet die Studie in einer Kolumne für die Berliner Zeitung ein: "Am 12. 12. 2011 um 22.02 Uhr legten die Bild-Macher den Schalter um, von heiß auf kalt. Eine strategische Entscheidung: Die Konkurrenz stand kurz davor, Wulffs Schnorrereien zu veröffentlichen. Bild musste wählen, so die Autoren: Andere 'aufdecken zu lassen, dass sie einen moralisch zweifelhaften Politiker über Jahre hinweg als Symbolfigur der Integrität und der Moralität hochgeschrieben hat'. Oder ihren Darling selbst zu schlachten" +++ Die Forderung, die Antje Vollmer in der Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau erhob, Bild nicht den Nannen-Preis zuzuerkennen, sei hiermit aus diesem Anlass noch nachgetragen +++

+++ Am Tag nach dem Wahltag in Schleswig-Holstein ist Günther Jauchs Talkshow Thema der Frühkritiken: Der Tagesspiegel fasst zusammen, wie ein Zuschauer per Zwischenruf ein eigenes Thema auf die Agenda setzte – die Berliner Ernst-Busch-Schauspielschule –, und nachdem er von Sicherheitsleuten aus dem Studio geführt worden war, von Jauch zurückgeholt wurde; man wolle keine Zustände wie in der Ukraine +++ Siehe auch Spiegel Online +++ Bei FAZ.net wird derweil ein Vergleich zwischen Talkgast Johannes Ponader von der Piratenpartei und einem Postkartenmaler aus Wien angestellt. Och, Leute, echt. Das wird ja an Trivialität nur noch von, na, Dings, überboten. Und als es um den erwähnten "Vorfall" geht, heißt es: "Der unbekannte junge Mann war laut rufend Richtung Bühne gelaufen – und von den Sicherheitsbeamten Wowereits gestoppt worden. Das ist ein zu erwartendes Verhalten. Das musste jeder wissen, der einen solchen Zwischenfall plant. Es war eine Inszenierung. In der Online Ausgabe des Berliner Tagesspiegel war wenige Minuten nach dem Zwischenfall der Hintergrund zu lesen. Bemerkenswert" +++

+++ Weiter in Prechts Text: "Verjüngung bekommt man nicht dadurch hin, dass irgendein paar alte Männer sich ausdenken, ob man Formate kürzer oder länger macht. Verjüngung kriegt man dadurch hin, dass jüngere Leute daran beteiligt werden", schreibt der angehende ZDF-Philosophennachfolger und dass er daran glaube, dass es gut wäre, "wenn man da einmal gute Leute aus dem Chaos Computer Club Freestyle machen ließe" +++

+++ Ganz andere Frage zum Verhältnis von alten und neuen Medien: "Die Titelgeschichte der aktuellen FOCUS-Ausgabe befasst sich mit dermatologischen Erkenntnissen und wurde mit der ästhetischen Schwarz-Weiß-Fotografie einer unbekleideten Frau illustriert", schreibt Focus Online, um die eigentlich treffenden Worte "nackte Brust" und "zieht am Kiosk immer" nicht verwenden zu müssen – "beim E-Kiosk-Betreiber Zinio sieht man die Brust aber nicht", meldet u.a. die SZ . Grund: Zinio befürchte Sanktionen von Apple. Focus: "Wir lassen uns die Wahl unserer Titelmotive nicht von Vertriebspartnern vorschreiben. Auch eine von Prüderie getriebene Zensur widerspricht unseren Vorstellungen von Pressefreiheit" +++

+++ Die FAZ heute wieder mit einem Internetaufmacher im Feuilleton, verfasst von einem weiteren Gastautor, diesmal Podcaster Max Winde zum Thema Urheberrecht, und er schlägt die Brücke vom alten zum neuen Rock'n'Roll – Programmieren: "Rock’n’Roll ist nicht mehr der Star. Instagram, der von Facebook geschluckte Retrofotodienst fürs Smartphone, hat vermutlich mehr Fans als alle deutschen Bands zusammen. Einladungen zu Beta-Versionen noch nicht fertiger Software werden gehandelt wie Zugänge zu VIP-Parties" +++

+++ Mehr Internet am Samstag in der FAZ (S. 38) in einem Nachklapp zur re:publica: "Überraschenderweise war es eine Politikerin, die auf das paradoxe Verhalten vieler Kritiker hinwies. Die EU-Kommissarin Neelie Kroes hörte aus dem Publikum den Vorwurf, dass Google und die anderen eine Monopolstellung besäßen, die Politik müsse einschreiten. Zugleich sehe sie überall Leute mit iPhones und iPads, die fleißig Google und Facebook nutzten" +++ Und im Tagesspiegel, der sich mit Paid Content beschäftigt +++

+++ Und dann wäre da noch der Fall eines Fotografen, der AFP auf 120 Millionen Dollar Schadensersatz verklage, weil die Agentur "seine Bilder aus dem vom Erdbeben zerstörten Haiti dem Kurznachrichtendienst Twitter entnommen und verwertet haben soll", wie laut SZ das British Journal of Photography berichtet +++

+++ Fernsehen: "Der Heiratsschwindler und seine Frau" heißt der ZDF-20.15-Uhr-Film des Montags, und er wird besprochen von FAZ ("ein durchaus ansehnliches Kleinod in der von puppenlustiger Mittelprächtigkeit geprägten Komödienlandschaft im deutschen Fernsehen") und SZ ("Eine Ehe auf dem Prüfstand, grandios besetzt, liebevoll inszeniert, mit vielen kleinen Pointen gespickt"); der Tagesspiegel hat Hauptdarsteller Armin Rohde interviewt +++ Der, ebenfalls, Tagesspiegel verweigert dem RTL-Format "DSDS Kids" jegliche Zustimmung. Die Berliner Zeitung stellt eher die Frage nach der inneren Logik des Formats +++ Stefan Raab sendet zum Eurovision Song Contest nicht aus Baku, allerdings wohl nicht aus politischen Gründen, so die SZ +++

+++ Über Journalistenmorde in Mexiko berichtet die taz +++ Der Spiegel behandelt Rupert Murdochs Medienimperium News Corp. nach den Anhörungen vor dem britischen Ausschuss: "In Rupert Murdochs Reich wird gelogen und gestalkt, gedroht und gedemütigt, gekauft und abgehört. Je mehr ans Licht kommt, desto klarer wird: Das sind keine bedauerlichen Ausnahmen, es ist viel- mehr der Gen-Code des Unternehmens, so wie Rupert Murdoch es erschuf." Und "(d)emnächst beurteilt die britische Regulierungsbehörde Ofcom, ob News Corp. als wichtigster Eigner von BSkyB 'fähig und geeignet' ist, einen Sender zu betreiben. Fällt Murdochs Firma moralisch durch, muss er die Kontrolle abgeben oder Aktien verkaufen" +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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