Werbefreiheit ist Luxus, Baby

Werbefreiheit ist Luxus, Baby

Damit Facebook Milliarden Wert wird, müssen auch die Öffentlich-Rechtlichen ihren Beitrag leisten. Tun sie für die Champions League ja auch. Außerdem: "Bleierne Zeit" im ZDF; warum ACTA noch nicht mit SOPA und PIPA mithält.

Die vielleicht heißeste aktuelle Neuigkeit ist eine kurze, stammt von der Nachrichtenagentur DAPD und findet sich etwa bei SPON und welt.de: "Die Öffentlich-Rechtlichen müssen womöglich ihre Facebook-Seiten löschen", heißt es dort. Schließlich dürfen, all den sowieso stets umstrittenen Rundfunkstaatsverträgen zufolge, all die Internetauftritte der deutschen öffentlich-rechtlichen Sender keine Werbung enthalten. Diese "Werbefreiheit der Profile von ARD und ZDF" aber will sich Facebook künftig bezahlen lassen, berichtet Daniel Bouhs.

Mit "50.000 USD ... p. Seite/Jahr", twitterte er gestern abend hinterher. Das käme aber "nicht in Frage", habe Eckart Gaddum, "Neue Medien"-Leiter  beim ZDF, bereits gesagt.

Damit zeichnet sich eine aktuelle und künftige Konfliktlinie der deutschen Mediendebatte ab: Vor dem Hintergrund der allgemeinen digitalen Ungewissheit stehen sich etwa das ZDF, das wir alle bezahlen und über das wir alle diskutieren, mit seinen besonders in der Theorie hehren Vorgaben und andererseits kalifornische Internetkonzerne gegenüber. Facebook ist an diesem Donnerstag das trending topic schlechthin im weiten Was-mit-Medien-Feld.

Zahlenschwangere Storys zum nun endlich offiziell beantragten, "zunächst" auf "fünf Milliarden Dollar" (Süddeutsche) taxierten Facebook-Börsengang stehen heute auf jeder allgemein interessieren sollenden Start- und Titelseite, nicht selten mit dem Unterton, ob denn der Kleinanleger nicht noch mitprofitieren kann. Schließlich wird Mark Zuckerbergs Vermögen ja "auf 28 Milliarden Dollar taxiert" (SPON).

Weiter hinten in den Blättern versuchen dann Feuilletonisten wie Harry Nutt (DuMont-Presse) Facebooks neuer, gelinde umstrittener "Timeline" mit Hilfe von Benjamin R. Barbers Buch "Consumed!" und Loriots Persiflage auf die ansonsten vergessene Fernsehshow "Das ist ihr Leben" auf die Spur zu kommen. Und die Randspalten (FAZ-Medienseite 35) füllen Meldungen auf wie die von einem kleinen Erfolg, den die Europe versus Facebook-Initiative des österreichischen Studenten Max Schrems erzielt hat: "Am kommenden Montag (6. Feb.) werden wir direkt mit Vertretern von Facebook verhandeln, welche extra aus den USA und Irland anreisen", heißt es auf deren Homepage.

[+++] Damit Kritik wie die von Schrems nicht zu häufig die öffentliche Wahrnehmungsschwelle übersteigt, hat Facebook etwas getan, was es zumindest bislang noch kaum tat: deutsches Personal angeheuert, zumindest einen neuen Starlobbyisten: Gunnar Bender, derzeit noch Leiter Unternehmenskommunikation & Politik der werbepenetranzstarken E-Plus-Gruppe, sowie "challenger, connector, author, lawyer ... and a generally nice guy ;-)" (@GunnarBender bei Twitter), soll sich ab April für Facebook mit deutschen Datenschützern herumschlagen (SPON). Wie die Arbeit so eines Berliner Lobbyisten aussieht, zeigt bereits das schöne Schwarzweißhintergrundfoto auf gunnarbender.de.

[+++] Vor diesen Hintergründen schon klar, dass ein paar 50.000 Dollar vom ZDF eher Peanuts darstellen. Zumal das ZDF sich bereits daran gewöhnt, für das Recht, als Gebühren-finanzierter Sender dennoch überall dort mitmischen zu dürfen, wo die jungen Zielgruppen sich aufhalten, draufzuzahlen.

Darauf weist der Medienseiten-Aufmacher der Süddeutschen (S. 23) hin, in dem sich Christopher Keil mit der ab dem Spätsommer anstehenden Champions League-Berichterstattung im ZDF befasst. Er beziffert die Kosten der Übertragungsrechte, "die Produktionskosten nicht eingerechnet", auf rund 48 Millionen Euro im Jahr und schreibt dann:

"Außerdem kann das ZDF Champions-League-Sendungen von 2013 nicht einmal zu kleinen Teilen refinanzieren. Eine vollständige Refinanzierung von wichtigen Sportrechten ist ohnehin längst nicht mehr möglich, nicht einmal für kommerzielle Sender. Doch nun wollen ARD und ZDF von 2013 an nach 20 Uhr gar nicht werben: keine Gewinnspiele, vor allem kein Sponsoring mehr. Die von der Europäischen Fußball Union (Uefa), dem Rechte-Inhaber, vorgeschriebene Präsentation der Champions-League-Sponsoren - vor und nach dem Spiel, nach der ersten und vor der zweiten Halbzeit - wird zwischen 18 und 20 Uhr stattfinden. Das ZDF wird in dieser werbezulässigen Zeit ein Champions-League-Magazin einbauen und so seiner Verpflichtung nachkommen."

Das heißt: Dafür, dass die aus den Sat.1-Übertragungen bekannten vielfachen Hinweise auf die Champions League-Sponsoren die Reichweite erhalten, die die UEFA ihren Werbekunden verspricht, wird das ZDF sorgen und/ oder mangelnde Reichweite kompensieren müssen.

Ansonsten charakterisiert Keil übrigens die derzeitige Situation beim ZDF, teils "Defätismus" umschrieben (siehe Altpapier), als "bleierne Zeit, die oft anbricht, wenn der Führungswechsel in einem Unternehmen zwar geklärt, aber nicht vollzogen ist". Und hat eine kleine Personalie in petto: Oliver Welke, der umtriebige Comedy- wie auch Sport-Experte solle (statt des auch gehandelten Johannes B. Kerner) das öffentlich-rechtliche Champions League-Gesicht werden.

[+++] Damit noch rasch zum allgemeinen digitalen Wandel, der den Hintergrund für die Werte Facebooks und der Werbefreiheit bildet und dank des netzpolitischen Shootingstars Ansgar Heveling (siehe Altpapier vorgestern) derzeit verschärft diskutiert wird.

Einen ausgeruhtes Schreiben an Heveling hat Bernd Graff im SZ-Feuilleton (S. 17) verfasst. Darin nennt er den Artikel des Korschenbroichers "ein furchtbar manieriertes Machwerk" und fordert ganz andere Debatten:

"Das, was gedacht, behandelt und auch geregelt werden muss, ist mehr und größer als das, was in Gastbeiträgen wie dem von Heveling nur berührt wird, um es zu verunglimpfen."

Mit dem, was die CSU-Politikerin Dorothee Bär Heveling entgegnete (siehe Altpapier gestern), ist Graff dann aber ganz zufrieden. Überschrift seines Artikels: "Wir sind alle Urheber".

"'Ihr seid doch die böse Content-Industrie!' Solche Sätze hat die freie Journalistin Eva-Maria Schnurr, stellvertretende Vorsitzende des Verbandes Freischreiber, zuletzt immer wieder zu hören bekommen. 'Nein', sagt sie dann, 'sind wir nicht. Wir sind die Urheber.'"

[listbox:title=Artikel des Tages[Beckedahl in Polen über ACTA##Freischreiber u.a. über ACTA##stopp-acta.info##Europe vs. Facebook und Facebook verhandeln##Verteilungsstreit bei Wikimedia (TAZ)]]

Nahezu nahtlos scheint die TAZ dort anzuknüpfen. Auch wenn es im von Altpapier-Autor René Martens verfassten Artikel überhaupt nicht ums große Grundsätzliche geht, sondern um Detailaspekte aktueller deutscher Debättchen um das Leistungsschutzrecht und das Urheberpersönlichkeitsrecht, das Schnurr lieber im Mittelpunkt sähe. Was die Freischreiber, ein Verband freier Journalisten, genau wollen, steht hier. Es hat mit noch so einem Debattenthema zu tun, das weit ins Grundsätzliche reicht, bislang aber unter der allgemeinen Wahrnehmungsschwelle wogt: mit dem Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA).

[+++] Während die amerikanischen Gesetzesvorhaben SOPA und PIPA kürzlich dank globaler Proteste bekannt wurden, ist das ähnlich umstrittene, wahrscheinlich aber Europa und Deutschland viel direkter betreffende ACTA noch kaum ein Medienthema. Warum das so sei:

"Wir haben in den letzten Wochen mit vielen Journalisten geredet. Viele von ihnen meinten, es gäbe nicht so viel Anlass, darüber zu berichten. Sie würden darüber berichten, wenn etwa das EU-Parlament im Sommer über ACTA abstimmen wird. Uns wäre es natürlich lieber, wenn jetzt mehr Empörung da wäre, weil jetzt noch die Chance besteht, das Abkommen und damit seine Auswirkungen zu verhindern, bevor es im Sommer in Kraft treten könnte",

sowie, um was es eigentlich geht:

"Wenn etwa eine NGO ein Video auf Youtube veröffentlicht, das sich gegen ein Unternehmen richtet, und auf diesem Video ein Logo dieses Unternehmens zu sehen ist, dann verletzt man zwar Markenrechte, aber man ist der Meinung, dass Meinungsfreiheit hier höher wiegt als das Markenrecht. Sollte aber ACTA angewendet werden, könnte das dazu führen, dass Provider solche Videos löschen werden, aus Angst, dass die Rechteinhaber dagegen vorgehen würden",

erklärt Markus Beckedahl (Digitale Gesellschaft, netzpolitik.org) in einem Interview, das bizarrerweise die polnische Webseite krytykapolityczna.pl dazu mit ihm führte, dankenswerterweise aber auch auf deutsch vorliegt.

Außerdem hat tagesschau.de ein prägnantes ACTA-FAQ erstellt. Hier geht's zur stopp-acta-Seite internationaler Piratenparteien, der unser Foto oben entstammt.

 


Altpapierkorb

+++ Noch eine Personalienmeldung von der Medienseite der Süddeutschen gilt dem "zweiten Wechsel an der Redaktionsspitze von Cicero innerhalb von 24 Monaten". Im Sommer soll Christoph Schwennicke aus dem Berliner Spiegel-Büro Michael Naumann ersetzen.+++

+++ Noch eine deutsch-amerikanische Digital-Streitigkeit? Die Wikimedia Foundation habe die "Einnahmen der jährlichen Spendenkampagne... um satte 72 Prozent" gesteigert, weiß die TAZ. Allerdings flössen die Einnahmen von Wikimedia Deutschland "etwa zur Hälfte an die USA, die andere Hälfte bleibt in Deutschland". Torsten Kleinz berichtet von so einigen Konfliktpotenzial. +++

+++ Heute ist wieder St. Nikolaus-Tag: Nikolaus Brender, einst, bis zu seiner vor allem vom einstigen CDU-Politiker Roland Koch betriebenen (damals von Carta live bebloggten) Absetzung, ZDF-Chefredakteur, feiert sein Fernsehcomeback mit einer Talkshow im Privatsender n-tv. "Gerade noch rechtzeitig", bevor er ein Fall für die Rubrik "Was macht eigentlich…?" wurde, meint der Tagesspiegel. +++ Ebd. berichtet Elke Windisch aus Moskau von Plänen für öffentlich-rechtliches Fernsehen in Russland, ist jedoch skeptisch hinsichtlich der Staatsferne. +++ Ebd. online (als verlagsgruppeninterne Übernahme von wiwo.de): "Urban Priol lehnt Facebook und Twitter ab"! +++ Was den Tsp.-Bericht über die Berliner Springer-Zeitungen betrifft: "Die Axel-Springer-Zeitungen 'Die Welt' und 'Berliner Morgenpost' werden anders als zuletzt dargestellt doch weiter in einem gemeinsamen Newsroom arbeiten. Das vor zehn Jahren eingeführte gemeinsame Arbeiten 'war richtig und ist nach wie vor das richtige Modell', sagte der Sprecher der 'Welt'-Gruppe, Christian Garrels, am Mittwoch dem epd", der dies gestern meldete. +++

+++ Die Süddeutsche (S. 23) meldet, dass die Pläne des SWR-Intendanten Peter Boudgoust für einen digitalen Jugendkanal von ARD/ ZDF noch leben. +++ Und dass Zeitungszeugen-Verleger Peter McGee jetzt vom Bundesland Bayern Geld fordert, 2,6 Millionen Euro - nicht wegen der aktuellen "Mein Kampf"-Supplement-Auseinandersetzung, sondern wegen "einer Aktion..., die die Staatsregierung 2009 veranlasst hatte: Bundesweit hatte sie eine Ausgabe von McGees Sammeledition Zeitungszeugen an den Kiosken beschlagnahmen lassen, der Auszüge aus der NSDAP-Zeitung Völkischer Beobachter beilagen". Dass sie das nicht durfte, wurde bereits gerichtlich festgestellt. +++

+++ Die FAZ schildert das fortgesetzte "Katz-und-Maus-Spiel von Gema und Google", in dem die Google-Tochter Youtube auch "Musikwerke von Urhebern, die nachweislich keine Mitglieder einer Verwertungsgesellschaft seien, oder Videos mit gemeinfreier Musik" sperren ließe. +++ Ebd. schildert Sabine Sasse den erfolgreichen Absatz der aus "Stromberg" bekannten "Plastikknarre im Stromberg-Online-Shop" (bzw.: "Wumme", wie es dort heißt), als Beispiel für "Branded Entertainment". +++ Besonders ausführlich gehe es um "den Wahlkampf des Nachrichtenclowns" Stephen Colbert in den USA: "Er führt vor, wie Geld den eigentlichen Wettbewerb um Ideen verzerrt, wie heutzutage Milliardensummen nötig werden, um den Gegner zu übertönen, wie damit Richtlinien locker zu umgehen und Gesetze auszuhöhlen sind, kurz, wie die Demokratie zu untergraben ist", schreibt Jordan Mejias. +++

+++ "Im günstigsten Fall entsteht damit eine bisher so nicht vorhandene Sammlung zitierfähiger Quellen, aus denen man in der Journalisten-Ausbildung sicher gern schöpfen wird, und bei denen sich die zu oft atemlosen Praktiker vielleicht mitunter ein Feedback auf der Metaebene abholen", schreibt Frank Patalong bei SPON zum gestern offiziellen gestarteten Portal vocer.org. +++ Dort äußert heute Thomas Krüger, Präsident der (an der Vocer-Finanzierung beteiligten) Bundeszentrale für politische Bildung, Grundsätzlichkeiten zum Journalismus. +++

+++ Die Einwände des NRW/ SPD-Medienpolitikers Marc Jan Eumann gegen die Entscheidung des Auswärtigen Amtes, mit der Nachrichtenagentur DAPD statt wie bislang mit der DPA zu arbeiten (bzw. sie zu bezahlen), liegen bei ksta.de nun auch frei online als Fließtext vor. Wie sich Eumanns an sich plausible Argumentation zu der hier in diesem Altpapier ganz am Anfang zitierten DAPD-Meldung verhält, wäre freilich auch eine Frage... +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag. 


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