Selber!

Selber!

Günther Jauch wird erstaunlicherweise nicht Nachfolger von Thomas Gottschalk bei "Wetten, dass..?". Und Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo gibt dem Spiegel ein Interview zu seiner Rolle beim versuchten Guttenberg-Comeback

Sage einer, Kinder seien nicht ernstzunehmen. Eine beliebte Argumentationshilfe für Erwachsene stammt jedenfalls von Grundschülern. Wie lautet deren Erwiderung auf die Anklage: "Du bist ein stinkender Lurch"? Genau: "Selber!"

Bild-Chefredakteur Kai Diekmann hat es mit diesem rhetorischen Kniff weit gebracht; wann immer eine kritische Frage am Horizont hochkriecht, ruft er: Menno, die Süddeutsche hat doch selber über Britney Spears berichtet! Aber Giovanni di Lorenzo, der Zeit-Chefredakteur, hat den Trick auch drauf, wie er jetzt bewies. Dem aktuellen Spiegel gab er ein Interview zu seiner Rolle beim Comebackversuch Karl-Theodor zu Guttenbergs. (Sie wissen, worum es geht, falls nicht: siehe Altpapier vom 24. November.) Und was sagt di Lorenzo zu seiner Verteidigung, unter anderem?

"Es liegt im Übrigen eine gewisse Scheinheiligkeit darin, zu sagen, ich hätte diesem Mann keine Plattform bieten dürfen, den Inhalt aber so interessant zu finden, dass die ganze Republik darüber spricht und schreibt. Wenn Sie das so sehen, tun Sie das auch jetzt gerade."

Oder kurz: selber! Klingt erstmal überzeugend: Die anderen sind auch nicht besser. Anzunehmen ist, dass, neben dem Spiegel, der sich für Vorabdrucke potenzieller Bestseller und für Kanzlerernennungs-Spins auch nicht zu schade ist, etwa der Stern gemeint ist, der am Donnerstag mit zu Guttenberg titelte: "Ich schon wieder". Dass die Hamburger Illustrierte eine Volte mit dem Strom vollführt, ist auch Michael Hanfeld in der Samstags-FAZ aufgefallen, der den Stern dort glossiert:

"Die kniefällige Titelgeschichte ('Der Überflieger') vom Juli 2009 (Titel: "Der coole Baron", AP) mit dem auf dem Times Square lustwandelnden Freiherrn ist noch in unguter Erinnerung. Was war das für eine Eloge: 'Auf dem Weg zum Kanzler der Herzen'. Jetzt hebt das Blatt Guttenberg abermals aufs Cover, mit entgegengesetztem Tenor".

Trotzdem ist die Frage, wo hier eigentlich die Scheinheiligkeit genau liegen soll. Egal wie man es dreht, am Anfang der Geschichte um zu Guttenbergs Buch steht immer, dass der ein Sprachrohr suchte und in di Lorenzo eines fand. Das ist das Fundament von zu Guttenbergs Spin. Der Rest der Berichterstattung ist lawinenartig, aber für ihn nicht direkt planbar.

Di Lorenzo, der sich am Donnerstag in der Zeit unter dem Titel "Warum dieses Interview?" seinen Lesern erklärt hatte (siehe Altpapier; seit Donnerstagnachmittag auch online), distanziert sich im weiteren Verlauf des Spiegel-Gesprächs (siehe kurze Zusammenfassung online) von der "Konstruktion so einer Kooperation – Vorabdruck im eigenen Blatt und Buch durch ein und denselben Journalisten". Ansonsten bleiben aus dem dreiseitigen Interview für die Ewigkeit wohl eher die Fragen als die Antworten. Drei wichtige Fragen der ganzen Geschichte, medial betrachtet, werden jedenfalls gestellt:

a) "Und Sie hatten da nie das Gefühl, dass auch Sie letztlich Teil einer Inszenierung sind?"
b) "Wir halten das Buch für einen professionellen Fehler, weil Sie sich damit haben einspannen lassen. Und obwohl Sie Ihre Unabhängigkeit beteuern – Sie sind dadurch Teil eines Spiels geworden."
c) "Außerdem sind Sie an den Buchhonoraren beteiligt. Sie haben also mit Guttenberg das Interesse gemein, dass das Werk ein Bestseller wird."

Dass di Lorenzo die Fragen an einer Stelle selbstgerecht nennt, spießt die taz auf und zitiert ihn – "'ich wundere mich auch über die Selbstgerechtigkeit Ihrer Fragen. Mein Anliegen war es, dass Guttenberg möglichst viel von sich preisgibt'" –, bevor sie ihn per Tiefschlag verteidigt:

"(Z)um Besten des behutsamen Zeit-Fragers sei angemerkt, dass dabei immerhin mehr herauskommt, als wenn ARD-Polittalks Bäckereifachverkäuferinnen als Expertinnen zum Thema vernehmen."

Mit schönem Gruß an Anne Will vermutlich, die am Mittwoch eine ebensolche über ihren Nachbarn – den Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Vadder – und dessen Sohn befragte.

[listbox:title=Artikel des Tages[Über das Spiegel-Interview di Lorenzos (taz)##"Wetten, dass..? – so war es, auf 8300 Zeichen (FAZ.net)]]

Und wo wir schon im Fernsehen sind, kommen wir von zu Guttenberg doch gleich zum anderen katholischen Kulmbacher: Thomas Gottschalk, bei dem Guttenberg mal, neben Bill Kaulitz von Tokio Hotel sitzend, von der Couch aus die Entpolitisierungsverdrossenheit steigern durfte, hat seine letzte "Wetten, dass..?"-Sendung moderiert, was naturgemäß für Wallungen sorgt. Da hat man ein Jahr lang darauf hingeschrieben, dass er geht/nicht gehen soll/endlich gehen muss/seine Sendung gleich mitnehmen sollte/seine Sendung nicht mitnehmen sollte/bei der ARD scheitern wird/der Größte ist/es kann/es nicht mehr konnte – da kann man das Finale jetzt ja nicht ungewürdigt lassen, auch wenn es eigentlich nichts mehr zu sagen gibt. Wobei: Irgendwas zu sagen gibt es ja immer.

Die österreichische Kleine Zeitung war dabei am Sonntagabend kurz mal ganz vorne, wie ein geschätzter Kollege bei Google-News investigativ recherchierte und bei Facebook teilte, denn sie titelte: "Jetzt ist es fix: Günther Jauch übernimmt 'Wetten, dass..?'". Leider korrigierte sie den Quatsch aber umgehend, so dass von einer Priorität-1-Nachricht nur noch die URL zeugt.

Die Nachfolgefrage ist in Wahrheit schwer offen, wie etwa SZ (S. 15) und Tagesspiegel informieren, und was heute dazu führt, dass die große Show umgehend weitergeht: Günther Jauchs Absage für "Wetten, dass..?", die er am Samstag bei Gottschalk aus Gründen offenließ, an der aber ernsthaft kein medienaffiner Mensch zweifeln konnte, führt heute gleich zur nächsten Onlinekritik-Welle: Jauchs Jahresrückblick bei RTL.

Dabei wollten wir heute eigentlich noch das ritualisierte "Wetten, dass..?"-Nacherzählen würdigen. Und nebenbei die Quotendetails: 14 komma irgendwas Millionen Zuschauer, womit der Tagesspiegel seinen Nachbericht beginnt, und was Joachim Huber dort zum Anlass nimmt, eine neue Generation auszurufen: "ein All-inclusive- Publikum", "die 'Generation Gottschalk'", eine Generation, die – als erste überhaupt in der Menschheitsgeschichte! – gerade nicht über das Lebensalter ihrer Mitglieder definiert ist.

Ansonsten haben wir es, der Vollständigkeit halber, formal mit standardmäßig rezensionsartigen Abhandlungen zu tun, in der Berliner Zeitung, bei tagesspiegel.de, bei taz.de und, gestrafft, in der taz, bei Spiegel Online  und bei sueddeutsche.de. Zwei journalistische Formen wollen aber noch besonders gewürdigt werden: erstens das besonders weit ausufernde Sendungsprotokoll, etwa bei FAZ.net, das, würde es gedruckt, weite Teile einer Zeitungsseite einnähme. Und zweitens der Live-Ticker, der, wie die Echtzeitfernsehkommentierung bei Twitter, von der Normalität des Multitaskings zeugt: Fernsehen im einen Fenster, Live-Ticker im anderen. Welt Online tickerte ebenso wie Spiegel Online, wie KSTA.de und Focus Online.

Und immerhin gibt es dann auch noch so etwas wie eine Nachricht: "Wetten, dass..?" werde nicht eingestellt – sage ZDF-Unterhaltungschef Manfred Teubner, heißt es: "Es geht definitiv weiter". Jenen Manfred Teubner nimmt sich dann auch Stefan Niggemeier im Blog vor, wenn er schreibt:

"Es ist eine Sendung geworden, der es völlig genügte, dass Iris Berben auf dem Sofa sitzt, ohne sich Gedanken zu machen, was sie dort tut oder was man dort mit ihr tun könnte. Manfred Teubner, der für sie verantwortliche Unterhaltungschef des ZDF, hört im nächsten Jahr auf, aber vermutlich ist er in Wahrheit schon lange im Ruhestand."

Ein angemessenes Schlusswort zu "Wetten, dass..?". Die Sendung war jahrelang Unterhaltung außer Dienst. Es ist gut jetzt. Wir müssen unsere Internetseiten auch mal mit anderen Rezensionen füllen. Aber eines ist ohne großes Hin und Her schon sicher: Mit der Frühkritik geht es definitiv weiter.

Update 10:20 Uhr: "Dieses 'Wetten, dass..?'-Bashing ist so Neunziger", findet ein Kollege. Ein noch besseres Schlusswort.


Altpapierkorb

+++ Viel Fernsehprogramm heute auf den Medienseiten: Über das Vier-Personen-Kammerspiel "Liebesjahre" (ZDF, 20.15 Uhr) schreiben, angetan, Tagesspiegel, taz, evangelisch.de und Berliner Zeitung sowie sehr angetan die Süddeutsche (S. 15), die, wie die taz, den Vergleich zum aktuellen Kino-Polanski andeutet: "Anders als bei Polanski ist hier alles Spiel. Der Film verzichtet auf viele filmische Manipulations- und Erzählmechanismen, ist ganz Dialog, und der ist großartig" +++

+++ Ebenfalls mehrfach besprochen: ein Dokumentarfilm über den Buchpreis-Träger Eugen Ruge bei Arte (22.40 Uhr); von taz und Tagesspiegel – wobei jeweils die Literaturredakteure tätig werden +++

+++ Und noch mehr Fernsehen: Die FAZ kritisiert zwei ARD-Filme über Uranabbau im Erzgebirge ("Wildwest bei der Wismut", 23.30 Uhr; "Der Uranberg", Mittwoch, 20.15 Uhr) +++ Altpapier-Autor René Martens bespricht für die SZ "Europas hoher Norden" (Arte, 19.30 Uhr) +++

+++ Und: Til Schweiger habe als "Tatort"-Kommissar unterschrieben, heißt es hier und da (etwa SZ) +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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