Die denkbar größte Dummheit

Die denkbar größte Dummheit

Giovanni di Lorenzo druckt im Zeit-Dossier Auszüge aus dem Interview, das er für ein Buch mit Guttenberg geführt hat. Und hält sich an die PR-Linie zur zweiten Chance. Die ist für Ken Jebsen beim RBB vorbei.

Quiz gefällig? Raten Sie die richtige Antwort auf folgende Frage.

"Herr zu Guttenberg, seit Ihrem Rücktritt haben Sie alle Interviewanfragen abgelehnt. Nun haben Sie plötzlich eingewilligt und einen engen Zeitrahmen abgesteckt: Sie wollen, dass dieses Gespräch noch vor Ende des Jahres erscheint. Warum diese Eile?"

a) Mir fällt bei diesem Think Thank in Amerika die Decke auf den Kopf

b) Ich wollte Kairos der Einstellung des Verfahrens wegen meiner plagiierten Dissertation nicht verpassen

c) Der Verlag meinte, dass wir das Weihnachtsgeschäft unbedingt mitnehmen sollten

Alles falsch. Die richtige vom Angesprochenen gegebene Antwort lautet:

"Mir war es wichtig, diese Fragen zu einem Zeitpunkt zu beantworten, an dem meine Erinnerung noch klar genug ist, bevor man also beginnt, die Dinge selbst zu verwischen."

Aus Patientensicht ist das durchaus schlüssig. Schließlich konnte die Kontrollkommission der Uni Bayreuth schon im Frühjahr angesichts der öffentlich auf GuttenPlag Wiki dokumentierten hochkomplexen Intertextualität von Guttenbergs Promotion nicht nachvollziehen, wie man "derart in einen Zustande der Dauervergesslichkeit gerät, dass ihm die allerorten in seiner Arbeit nachweisbaren Falschangaben vollständig aus dem Bewusstsein geraten."

So gesehen könnte man in dem heutigen Zeit-Interview – das ein Teil des upcoming Interview-Buchs abbildet, aus dem Frage und Antwort stammen und das etwa SpOn oder stern.de schon gelesen haben – eine Läuterung erkennen: Weil der Patient sich mit dem Verwischen der Dinge auskennt, erinnert er sich rechtzeitig an das, was er Frühjahr schon zu seiner Verteidigung gesagt hat. Man könnte auch sagen, die Forderung von Torsten Krauel in der Welt, Guttenberg müsse in dieser Sache jetzt "Klartext" reden, wird nicht erfüllt. Nur das alte Lied: kein absichtliches Täuschen, Überforderung. Beschrieben mit noch mehr Details ("80 Datenträger", "vier Rechner").

Allein die Frage ist damit nicht beantwortet, denn die zielte ja nicht auf den Zeitpunkt, sondern auf die Eile. Ob Patienten, die womöglich den Gefahren der Dauervergesslichkeit ins Auge schauen müssen, nur sehr plötzlich realisieren, wann diese einzusetzen droht, kann vielleicht Karl-Heinz Bohrer bei Gelegenheit erklären. Oder die zuständigen Ärzte.

Hier interessiert nur zweierlei. Zum einen Guttenbergs Äußerungen, das Mediale betreffend. Zu GuttenPlag Wiki etwa fällt ihm ein:

"Ich möchte jetzt nicht meine wissenschaftlichen Fehler kleinreden, Aber es ist auch ein gewisses Maß an Kritikfähigkeit im Umgang mit solchen Plattformen vonnöten. Es ist schon ein Unterschied, ob man eine Stelle aus einem fremden Werk komplett übernimmt und den Autor dann nirgends auftauchen lässt oder ob man den Autor tatsächlich ins Literaturverzeichnis aufnimmt und ihn, wenn auch fehlerhaft, in den Fußnoten benennt. In diesem Fall haben Sie keine Täuschungsabsicht, sonst würden Sie den Autor doch gar nicht aufführen."

Dazu kann man feststellen.

Erstens: Ja, es ist ein Unterschied.

Zweitens: Das macht alles, was nach dem Oder kommt, aber nicht automatisch gut.

Drittens: Hat GuttenPlag doch gar nicht bewertet, sondern nur dekodiert – wofür, wenn Guttenbergs Erklärung stimmt, dass er selbst die Übersicht verloren habe, welche Textteile von ihm und welche von anderen Autoren stammten, er doch eigentlich dankbar sein müsste. Denn die "denkbar größte Dummheit", die Guttenberg mit der Promotion begangen zu haben meint, diesen "Fehler", den er jetzt "auch von Herzen" bedauert, hätte er andernfalls gar nicht ermessen und auch nicht von Herzen bedauern können.

Viertens: Eine Täuschungsabsicht kann auch darin bestehen, ab und zu Fußnoten zu setzen und die verwendeten Texte im Literaturverzeichnis aufzuführen. Sie liegt im Bewusstsein, dass Promotionen, die aus lauter in Fußnoten ausgewiesenen Zitaten bestehen, selbst dem nachlässigsten Korrektor komisch vorkommen müssten.

Und zum anderen interessiert die Rolle von Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo in Guttenbergs PR-Kampagne in eigener Sache. Auf die wird bislang noch wenig abgehoben.

Im launigen Artikel Albert Schäffers in der FAZ findet sich lediglich ein launiger Schlenker ("dass er in seinem Gesprächsbuch mit einem Hamburger Fachmann für die Überführung des gesprochenen in das geschriebene Politikerwort über 'den schlechten Zustand der deutschen Politik und Parteien' plaudert")

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Guttenberg-Interview (SpOn)##Guttenberg-Interview (stern.de)##KenFM ist raus (TSP)##KenFM ist raus (WWWagner)##]]

Sonst reduziert sich eine mögliche Kritik an dieser Indienstnahme der Presse noch auf das Erstaunen in Tweet-Länge:

"#Guttenberg hat von Di Lorenzo neben Buch auch noch die Zeit-Titelseite bekommen."

Bemerkt Linuzifer. Und Frank Rieger twitterte:

"Was mich ja doch etwas verblüfft und entsetzt ist, daß ausgerechnet Giovanni di Lorenzo sich als Comeback-Steigbügel-Interviewer hergibt."

Über die Qualifikation di Lorenzos als Guttenberg-Interviewer hatte stern.de nach der Buchankündigung geschrieben:

"Dass sich Guttenberg den 'Zeit'-Chefredaktredakteur Giovanni di Lorenzo als Interviewpartner ausgesucht hat, ist wenig überraschend. Di Lorenzo war einer der Letzten, der Guttenberg in der Plagiatsaffäre verteidigte."

Die seriöseste, kritischste, journalischste Unabhängigkeit des sicher verkaufsfördernden Zeit-Titels ist im Paratext zum Interview ("Drei Tage im Hotel") festgehalten:

"Das Interview, das zwangsläufig auch ein Streitgespräch (Fettung im Original, AP) geworden ist, erscheint am 29. November ..."

Ja, so ist der Qualitätsjournalismus! Er ereignet sich "zwangsläufig". Und dann ist es auch wurscht, ob die Dramaturgie der Aufmachung – "Mein ungeheuerlicher Fehler" und ernstes Gesicht auf der Titelseite, "Es war kein Betrug" und nachdenkliches Gesicht auf der ersten Dossier-Seite, vierteilige Gesprächsdramaturgie ("Die Doktorarbeit", "Der Skandal", "Alte Parteien, neue Parteien?", "Die Rückkehr"), vierteilige Bilderstrecke (Times Square, Afghanistan, Abgang, Visionär-nachdenkliches-aus-dem-Fenster-ins Sonnenlicht-Schauen) – aussieht, wie in einer PR-Bude zur Neupositionierung Guttenbergs erdacht.

Und das mit der Haltung, dem Qualitätsgedöns, der Unabhängig- und Unbestechlichkeit heben wir uns für die Sonntagsreden auf.


Altpapierkorb

+++ "Die zweite Chance währte nicht lang." Das ist nicht mangelhaftes Futur II über Guttenberg, sondern der Satz, mit dem der Tagesspiegel die Trennung des RBB von Radiomoderator Ken Jebsen (KenFM/Radio Fritz) einleitet. Jebsen war wegen "antisemitisch verstandenen" Äußerungen on Air und in einer Antwortmail ins Gerede gekommen. Nachdem der RBB anfangs an Jebsen festhielt, heißt es nun: "'Die Sachlage hat sich geändert', sagte RBB-Sprecher Justus Demmer dem Tagesspiegel. Jebsen habe in den beiden vergangenen Wochen gegen die gerade erst aufgestellten Spielregeln verstoßen." Außerdem geht der Programmchef von Radio Fritz, Stefan Warbeck, auf eigenen Wunsch, wie es heißt. +++ Die Welt schreibt: "Fraglich ist, warum der RBB nach zwei Wochen seine ursprüngliche Entscheidung widerrief. Vielleicht hatte man eingesehen, wie schwer es sein wird, eine unberechenbare Person wie Jebsen an der kurzen Leine zu halten." +++ Die Berliner berichtet: "Mit dem Moderator seien verbindliche Vereinbarungen über die Gestaltung der Sendung 'KenFM' getroffen worden, erklärte Nothelle. 'Diese hat er wiederholt nicht eingehalten. Wir bedauern das und müssen auf seine Mitarbeit künftig verzichten.'" +++ Genauer wissen es laut Tagesspiegel nur die Insider: "Dass die Personalentscheidungen vom Mittwoch in einem zeitlichen Zusammenhang mit der aktuellen Debatte um Rechtsextremismus stehen, ist für Insider evident." +++ Den Fall sachlich dokumentiert (inklusive von Jebsens skurrilen Stellungnahmen via Youtube) Jörg Wagner vom Medienmagazin auf Radio Eins (ebenfalls RBB) auf seiner Website World Wide Wagner. +++

+++ Doch noch Hoffnung? Die ARD-Talkshows sehen, was sie davon haben, die Quoten gehen, besonders bei Beckmann und mit Ausnahme "Günther Jauchs", runter (TSP). +++ Das dürfte Norbert Lammert freuen, der sich als Kritiker öffentlich-rechtlichen Fernsehens erst am Dienstag wieder bei der Otto-Brenner-Preis-Verleihung hervorgetan hat. Aus Lammerts Kritik ("Rote Rosen, Folge 1152" statt Bundestagsdebatte über Rechtsextremismus) hat dpa eine Meldung gemacht. Die wird nun so kommentiert, dass die arg gebeutelten ARD-Granden sich freuen dürfen: "Lammert jammert" titelt die TAZ, und tatsächlich findet sich in der Meldung ein ZDF-Mann, der darauf hinweist, dass das ZDF am gestrigen Mittwoch statt "Volle Kanne" die Haushaltsdebatte übertragen hat. +++ Der Hinweis, den Michael Hanfeld in der FAZ (Seite 35) - sonst selbst ein großer Kritiker des Öffentlich-Rechtlichen - aus der Meldung ableitet, nämlich dass Phoenix doch übertrage, verfehlt dagegen Lammerts programmmacherischen (und fernsehtheoretisch durchaus diskussionswürdigen) Impetus - und wird nicht nur durch den ZDF-Mann gekontert, sondern auch durch die Erinnerung an die letzte Bundespräsidentenwahl widerlegt: Wenn sie wollen, übertragen die Öffentlich-Rechtlichen sehr wohl auf Seite 1 und verweisen nicht nur Phoenix. +++

+++ Im Schnelldurchlauf: Burda stellt Suite101.de ein (HB). +++ In der FAZ (Seite 31) betrachtet Jan Ludiwg die Netzpolitik historisch. +++ Das Handelsblatt sieht der Millionenklage (TSP) von August von Finck (über 16 Millionen Euro) wegen eines Bildes des Privatschlosses an einem Text zur Razzia in den Geschäftsräumen gelassen entgegen: "Das darf er wohl auch. Denn auch wenn durch die Europäische Menschenrechtskonvention in Artikel 8 die Privatsphäre geschützt und durch ein Urteil zur monegassischen Prinzessin Caroline, die sich gegen die deutsche Rechtsauslegung gewehrt hatte, gestärkt wird, ist es keinem Kläger bisher gelungen, Schadensersatz in so beträchtlicher Höhe geltend zu machen", schreibt Henning Peitsmeier in der FAZ (Seite 35). +++ Über das neue ProSieben-Sat.1-Casting-Format, das so heißt wie das Feuilleton der seligen Netzeitung in den Jahren der Euphorie ("Voice of Germany"), schreibt die SZ (Seite 17), spricht der TSP mit Nena. +++ Niklas Hofmann schreibt in der SZ über die lediglich entmonopolisierte Downoad/Streaming-Welt nach kino.to. ++++ Steffen Grimberg berichtet in der TAZ über den Weg zur Exkommunion des Weltbild-Verlags. +++ Dennis Drögemüller informiert ebenda über Professionalisierungsbestrebungen des Hyperlokalbloggings. +++ Til Schweiger will jetzt auch am Tatort interessiert sein, weiß die Berliner. +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder gegen 9 Uhr.
 

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