Alles supi, noch mehr Geräte

Alles supi, noch mehr Geräte

Die deutsche Wired ist am Start. Kann man machen, sagen die einen, aber was nervt ist: das Deutsche, sagen wir hier. Auch am Start: Harald Schmidt performt Interviews.

"Habt ihr auch schon die deutsche wired gelesen", fragt Heiko Hebig auf Twitter – und die Antwort kann an diesem historischen Tag naturgemäß nur lauten: logen.

Justin Timberlake als Coverboy, interessante Wahl, aber kann man machen, etwas strange das Wording darunter: "Männer wie wir! Was wir wollen. Wie wir leben. Wer wir sind."

So geht's auf der aktuellen GQ ab, und für alle, die GQ nur wegen Wired gekauft haben (würden gerne wissen, wie viele das sind), mag das Therapeutisch-Selbstbehauptende am doch slicken Machismo unser Tage etwas überraschen. Andererseits handelt davon im Grunde jeder Til-Schweiger-Film.

Back zu Wired.

"Baut ein neues Internet", "Sie können alles, sie dürfen alles, und sie haben dreihundert Freunde bei Facebook. Die Dreißigjährigen haben ein Problem. Ein Hilferuf", eine Geschichte über Beatles' Apple und Steve Jobs Apple, außerdem ein großes Interview mit Liz Mohn – das kann sich sehen lassen, ist, Mördergag, aber immer noch nicht Wired, sondern die Zeit.

Davon ist noch nüscht online, Internetneubau und Dreißigjährigentherapie sind Vorabdrucke aus "Zeitbombe Internet" von Thomas Fischer- und Götz Hamann beziehungsweise aus "Wir haben keine Angst" von Nina Pauer. Und die interviewte Liz Mohn hat auch gerade einen rausgehauen: "Schlüsselmomente. Erfahrungen eines engagierten Lebens". Verlag zu finden ist als Bertelsmannchefin ja auch nicht so schwierig.

Puh. Diese Buchauflistungen führen immerhin endlich zu Wired, denn da geht es auch um Werbung, an der sich Stefan Winterbauer auf Meedia.de beim Lesen gestört hat:

"Richtig sauer aufgestoßen bei der Lektüre des deutschen Wired sind die zahlreichen, als Wired-Artikel und -Rubriken aufgemachten Promotion-Anzeigen. Ganze vier Seiten bekommt BMW, um sein Mobilitäts-Konzept BMWi vorzustellen. ... In gleicher Manier werden ein Drucker von Canon, Sky go und weitere Gadgets unter der Rubrik 'Wired Notes' angepriesen. Alles bezahlte Strecken in redaktioneller Aufmachung."

Und sagt das dann dem deutschen Chef des Condé-Nast-Verlags, in dem Wired erscheint, Moritz von Laffert am Anfang des großen Moritz-von-Laffert-Interviews auf Meedia.de. Der dann scheinbar entschieden antwortet:

"Redaktion und Werbung sind klar getrennt, Anzeigen gekennzeichnet. Andere Hefte hätten auf das Wort Anzeige bei so einer fundiert aufbereiteten Strecke womöglich sträflicherweise ganz verzichtet. Gerade für solche erklärungsbedürftigen, hochtechnologischen Themen ist ein Advertorial eben die attraktivste und sinnvollste Art, ein neues Projekt vorzustellen."

Bisschen mau, zumal schon so ein Begriff wie "Advertorial" genau von der Vermengung zwischen Redaktion und Werbung zeugt, die bei Wired noch "klar getrennt" sind. In den USA wird anhand TechCrunch gerade ebenfalls die Frage diskutiert, was Unabhängigkeit und Interessenkollision bedeutet (Handelsblatt) – alles nicht so leicht, zumal vor dem Hintergrund eines flexiblen Arbeitsmarkts, in der jeder alles sein kann.

Back to. Die ersten Stimmen fallen durchwachsen aus. Winterbauers Kritik, für die Mutlosigkeit vielleicht nicht das richtige Wort ist, ließe sich auf den Satz reduzieren:

"Da hätte man gerne noch ein bisschen mehr erfahren."

Und das ist was dran: die Kolumne von Gunter Dueck etwa. Darin geht es um Frank Schirrmachers letzten Technologiemenschheitsdämmerungsaufreger (siehe Altpapier), der von der Frage handelte, was Google mit dem Gedächtnis anstellt, und die Erwiderung ist dann: nichts, zumindest nichts Schlimmes. Bisschen einfach.

Kurt Sagatz winkt im Tagesspiegel durch (wenn auch grammatikalisch etwas irritierend, ein Fall für Reents bzw. das nächste ZEIT-Magazin-Redigierspezial?)

"Mit einem gewöhnlichen Internet- und Computerheft lässt sich 'Wired' nicht vergleichen. Einen Bericht über Tierversuche ohne Blutvergießen würde es dort genauso wenig geben wie ein Porträt des Berliner Professors Ulf Stahl, der sich in seiner Freizeit für die perfekte Wodka- und Gin-Formel interessiert. Und auch das Stück über „Coole Formen“ und die Neuerfindung von Speiseeis passt nicht in das Bits- and Byte-Schema.

Auch Dominik Schottner in der TAZ ist freundlich bis zum Schluss hinaus, stößt sich kurz am Promo-Overkill, erklärt sich den dann aber selbst und findet zu erratischen Metaphern:

"Die Fotos fallen nicht negativ auf, anders als das etwas aggressive Product Placement. Das aber, das muss man mit Blick auf den eigenen Technofuhrpark zugeben, ein wohl nicht wegzudiskutierender Teil des digitalen Lebens ist. Wired ist darin ein publizistischer Verwandter des schillernden Onkels Apple, die c't vom schlauen, aber spröden Cousin Linux-Thinkpads."

Was soll man auch sagen nach dem ersten Heft, wenn die Erwartungen hoch sind, und die Erfahrungen groß?

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Wired: Werbung stört (Meedia.de)##ZDF: Werbung kostet, wenn sie nicht im Bild ist (TSP)##WAZ: Kein Hartz IV für Hombach (Berliner)##]]

Etwa: dass diese völlig unreflektierte Standort-Mover-Shaker-PR saugt, die Chefredakteur Thomas Knüwer wie Guido Westerwelle klingen lässt, der lange Zeit keinen Satz sagen konnte, in dem "Deutschland" nicht vorkam, auch wenn es nur um ihn, Guido Westerwelle ging.

Im Editorial heißt es:

"Doch kann Deutschland das noch, sich für Fortschritt entflammen? Ist die 'German Angst' nicht längst Bestandteil der DNA unserer Gesellschaft?"

Mal abgesehen von Knüwers schon immer recht, äh, eigenwilligem sprachlichen Stil – geht es nicht eine Nummer kleiner? Lässt sich vom Erfolg einer Zeitung auf die Lage des "Standorts" schließen? Ist das nicht ein bisschen erpresserisch-vermengerisch zu sagen: Kauft unsere Zeitung oder Deutschland ist doof? Und wer ist eigentlich dieses Deutschland?


Altpapierkorb

+++ Ein Teil des in Berlin lebenden Deutschlands hört sich etwa am liebsten den Radiosender 104,6 RTL an. Der Tagesspiegel stellt ihn vor. +++ Durch die Ü-Wagen-Panne beim Länderspiel in Polen erfährt man zudem ebenfalls aus dem Tagesspiegel, wie Bandenwerbung und ZDF-Berichterstattung via DFB-Einnahmen so was von nicht getrennt werden, das da kein "Advertorial" hilft. +++ Schön ist der erste Satz von Steffen Grimbergs TAZ-Text über die mutmaßliche Lüge des Murdoch-Sohns: "'For Neville' ist keine musikalische Schmonzette wie Beethovens 'Für Elise', sondern eine E-Mail, die für die Murdochs allerdings ziemlich moll ausgehen könnte." +++

+++ In der Berliner erklärt Ulrike Simon noch mal groß die WAZ-Erbenneusortierungsgeschichte und beruhigt verunsicherte Fans von Bodo Hombach: "Um Hombach wird man sich finanziell wie perspektivisch nicht sorgen müssen. Als Moderator des Initiativkreises Ruhr bekam er gerade in diesen Tagen von Evonik-Chef Klaus Engel, RWE-Boss Jürgen Großmann und weiteren NRW-Unternehmern den Rücken gestärkt. Zudem hat er neuerdings eine Lehrtätigkeit am Institut für politische Wissenschaften an der Universität Bonn aufgenommen und ist bei zahlreichen Organisationen in- und außerhalb des Ruhrgebiets aktiv." Thank god, puuh! +++ Das Handelsblatt meldet schon mal das Interview aus der heutigen Druckausgabe vorab, in dem Kai Diekmann ehrgeizigste Gewinnziele für Bild formuliert. +++

+++ Und der Rest des Tages, also sein größter Teil gehört den Harald-Schmidt-Interviews in FAZ (feat. Fred Kogel, Seite 35) und SZ (Seite 15), die sich lesen, wie sich Harald-Schmidt-Interviews lesen: sehr schön. Eine Kostprobe: "Schmidt: Man hätte auch ohne Gast starten können. – FAZ: Oder mit jemandem wie Fritz J. Raddatz, dem ehemaligen Chef des 'Zeit'-Feuilletons, der gerade achtzig wurde. Das schlösse an den Abschluss in der ARD mit Rolf Hochhuth an. – Schmidt: Ich habe das Tagebuch natürlich gelesen. Das Großartige ist diese permanente Weinerlichkeit: Der sitzt einsam auf Sylt, und der Bundespräsident hat schon wieder keine Karte geschrieben. Durch das Buch sind wir auf die Idee gekommen, Hochhuth einzuladen. Aber das ist eine komplett untergegangene Zeit. Als ich Abiturient war, da entschied das 'Zeit'-Feuilleton noch über Karrieren. Raddatz liest sich heute toll, aber das Personal ist einfach nicht mehr aktuell. Ich könnte so ein Buch übrigens auch über die deutsche Fernsehlandschaft schreiben. – Sie sind der Raddatz der Bewegtbildepoche? – Schmidt: Ich bin natürlich viel besser als Raddatz. Aber klar, Raddatz wäre genial für die Sendung, weil er ein Universum in sich ist. Wie würde das laufen? So: Ruf den mal an. Der will Geld oder neue Hemden? Kriegt er, aber dann wollen wir auch mitgehen, wenn er sie machen lässt. Wenn es funktioniert, werden in zwanzig Jahren die Leute noch sagen: Damals mit dem Raddatz, das war klasse." Und: "Schmidt: Wir sagen: alles supi, noch mehr Apps, noch mehr Online, noch mehr Geräte." Take that, Wired.

Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.
 

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