Der Kaviar kennt keine Krise

Der Kaviar kennt keine Krise

Der ausgebuffteste Patriarch des Ruhrpotts - sowie weitere neue Wendungen und alte Vorgeschichten rund um die WAZ. McKinsey rät: nicht in Holz investieren. Und: Schießt die "Bild"-Zeitung endlich gegen die ARD?

Hach, endlich mal wieder eine originäre Medienressort-Story voller Verwicklungen, die dennoch das breite Publikum einfach interessieren muss. Kein Wunder, dass die jüngsten Entwicklungen bei der Essener WAZ-Gruppe (Details: Altpapier gestern) heute breit die Medienseiten beschäftigen.

Das TAZ-Medienurgestein Steffen Grimberg erzählt ohnehin stets am farbigsten, wenn es um seine Heimat, das "schöne Ruhrgebiet" geht. Heute bedauert man beinahe, dass die TAZ sich online noch keinen Audioservice angeschafft wie Die Zeit oder preiswerter meedia.de, der Internetnutzern geschriebene Texte vorliest, auf dass sie sich solche Sätze im Ohr zergehen lassen könnten:

"Hinter dem Deal steht Gatte Günther, der mit 84 allen noch mal zeigt, wer der ausgebufftetste Patriarch im Revier ist. Günther Grotkamp hatte von 1975 bis 2000 die WAZ-Gruppe als Geschäftsführer von Funkes Gnaden groß und mächtig gemacht. In den letzten Jahren haderte er mit dem Zerbröseln seines Werks."

Eigene Ansätze, das Drama zu vertiefen, verfolgte Grimberg natürlich auch. Er rief den im Ruhrgebiet sowieso ansässigen Horst Röper an und sprach mit ihm über den Preis von 500 Millionen Euro, den Günther Grotkamp und die Seinen für den halben Konzern zahlen wollen sollen:

"'Das erscheint mir unterbewertet', sagt Verlagsexperte Horst Röper. Es sei denn, um WAZ stünde es schlechter als bislang angenommen."

Wie Sie gestern im Altpapier gelesen haben könnten, sprach die FAZ im Wirtschaftsressort (inzwischen frei online) im Gegenteil davon, dass der Kaufpreis "unter Branchenkennern als hoch eingeschätzt wird".
[Für Zahlenfüchse: Röper orientiert sich vermutlich u.a. am Firmenwert von 1,5 Milliarden Euro, von dem Anneliese Brost im vorletzten Manager Magazin-Bericht zur WAZ-Gruppe im Juni sprach; die Rolle die dieser Bericht wiederum für die im jüngsten Manager Magazin-Bericht dazu erstenthüllte aktuelle Wendung spielte, analysiert Christian Meier auf meedia.de - und falls Sie den Audioservice ausprobieren wollen: Text markieren und die rechte Maustaste drücken.]

Noch eine äußerst ungewöhnliche Facette derselben Sache: Während sich ja eigentlich Redakteure von Medien, die wegen bevorstehender Umstrukturierungen selbst Thema in Medienmedien sind, niemals zum eigenen Haus äußern dürfen, tut's die WAZ dennoch. Ihr Ober-Chefredakteur Ulrich Reitz schrieb gestern in einer mehrfach merkwürdigen "Mischung aus Meldung und Kommentar" (meedia.de):

"Wenn der Deal läuft wie geplant, gerät die traditionelle Simultan-Geschäftsführung, ein Manager von Brost, einer von Funke, an ihr Ende. Hombach, das kämpferische Ruhrgebietskind, würde nach neun Jahren an der WAZ-Spitze gehen. Die WAZ-Blätter haben tatsächlich andere Sorgen als ihre Ausrichtung. Es geht geschäftlich darum, die Mediengruppe langfristig zu sichern und redaktionell, spannend zu bleiben; mindestens."

Was im Umkehrschluss heißt: Falls Bodo Hombach doch nicht gehen sollte, würde dieser nun wohl gerne Reitz loswerden.

"Dass sich da einer mal wieder 'die Hose etwas größer gemacht hat, als der Hintern war'", sei "einer der Lieblingssprüche" des ausgebufften Grotkamp, weiß  im Porträt auf der Meinungsseite Süddeutschen Hans-Jürgen Jakobs. Der ist als Wirtschaftschef (und ehemaligen Medienseitenchef) natürlich ein intimer Kenner der Wirtschaftskapitäne und enthüllt nicht nur, wie Grotkamp es im "Ferienhaus auf Juist" genieße, "bei Bier und Bratfisch aufs Meer zu blicken", sondern auch seine Einschätzung, dass Grotkamp nun "im Alter von 84 Jahren vor dem größten Erfolg seiner Laufbahn" stehe.

Einen exklusiven aktuellen O-Ton Grotkamps, wenn auch keinen dem Hose/ Hintern-Spruch gleichrangigen, hat die FTD eingefangen: "Es sollen Restrukturierungen stattfinden, die zu einer größeren Ertragslage führen", lautet er. Etwas zupackender paraphrasieren das die FTD-Redakteure Bernhard Hübner und Ulf Brychcy: Der Konzern sollen "komplett umgekrempelt", "die Tochterfirmen gebündelt" werden, und auch "eine neue Geschäftsführung" kommen, was außer Hombach auch Christian Nienhaus, den derzeit Niggemeier-bekannten Co-Geschäftsführer treffen soll. Einen Hombach-O-Ton bietet das Blatt jedoch ebenfalls:

"Hombach sagte am Dienstag lediglich, die Eigentümer hätten das Unternehmen stets mit großer Umsicht begleitet. 'Ich bin der festen Überzeugung, dass sich daran auch unter veränderten Strukturen, wie sie augenblicklich diskutiert werden, nichts ändern wird', so Hombach."

[listbox:title=Artikel des Tages[Die TAZ voller Ruhrpottfeeling über die WAZ##Was sagt Günni Grotkamp? (FTD)##Bild-Zeitung sucht Talkshowgäste für die ARD]]

Mit bunter WAZ-Eigentümer-Infografik, aber ohne O-Töne eruieren auf der SZ-Medienseite 15 Christopher Keil und Bernd Dörries, was Grotkamp planen könnte: "Den Zeitungsmann umtreibt die Sicherung der Stammblätter, Spielereien mag er nicht." Als Beispiel für solche Spielereien führen sie das multimediale Nachrichtenmagazin-Projekt namens "Die Woche" des Ex-Spiegel-Chefs Stefan Aust, an dem anfangs ja vor allem die WAZ beteiligt war. Interessanter jedoch ist der Grund, aus dem Grotkamps Geschäft jetzt gelingen sollte, nämlich das Desinteresse der Erben des Brost-Familienstamms an eben diesem Stammgeschäft:

"Die von Testamentsvollstrecker Heinemann vertretenen Enkel, hatten kaum Kontakt zum Ruhrgebiet und zur WAZ. Es war ihnen eine fremde Welt. Seit 2010, nach dem Tod der Gründer-Witwe Anneliese Brost, ließen sie sich bei der Verwaltung ihres WAZ-Vermögens von einem McKinsey-Manager beraten. Der soll nicht sonderlich viel davon gehalten haben, noch in 'Holz' zu investieren. Anneliese Brost war die letzte Klammer des Clans zu den Zeitungen."

"Dass die große andere Seite - die Brost-Nachfahren - bald außen vor sind [sic], ändert am eigentlichen Problem der WAZ-Gruppe nichts. Hier schwingt sich bloß eine von drei Gruppen der einen Seite zur Führenden auf, Teil zwei der Zwistigenkeiten [sic again] wird folgen", freut sich freilich heute in der FAZ (S. 31) Michael Hanfeld auf folgende Fortsetzungen.


Altpapierkorb


+++ Hoppsala, endlich die lang erwartete Bild-Zeitungs-Kampagne gegen die ARD? "Quassel-Alarm im TV" Andererseits, von "Inflation der Quatschköppe" quasselt auch ksta.de beim Anteasern einer Klickstrecke, und die scherzhafte Stellenanzeige für Talkshow-Gäste unten drunter, die bild.de, um Missverständnisse in der Ironie kaum gewohnten Zielgruppe zu vermeiden, auch ausdrücklich als "(scherzhafte) Stellenanzeige für Talkshow-Gäste" benennt, ist wirklich nicht schlecht: "Möchten Sie mit uns gemeinsam ausgetrampelte Talkshow-Wege betreten? Wir freuen uns über Ihre nichtssagende Bewerbung" +++

+++ Jetzt aber zum Titel des heutigen Altpapiers: "Der Kaviar kennt keine Krise", lautet der letzte Satz in Jürg Altweggs FAZ-Analyse der (finsteren) Lage bei der "einst glorreichen Boulevardzeitung 'France Soir'". Nachdem "der nicht viel mehr als zwanzig Jahre alte Alexander Pugatschew" das französische Blatt erwarb, habe er innerhalb von zwei Jahren rund 60 Millionen Euro verloren. Jetzt sympathisiere er mit Marine Le Pen und werde vom Vater gedrängt, sich lieber auf die Kaviarindustrie zu konzentrieren. +++

+++ Die Domscheit-Bergs und Julian Assange sind nun keine Familienstämme, was sie bzw. Open- und Wikileaks einander liefern, ist aber mindestens so spannend, wie das, was bei der WAZ abgeht. Doch wo steht der, der nur unter dem Decknamen "der Architekt" bekannt ist? Die Süddeutsche berichtet, sich dabei auf den Domscheit-Berg-Partner Freitag beziehend. +++ In welchem Ausland Daniel Domscheit-Berg gerade weilte, als die SZ anrief, verrät die Berliner Zeitung: In Tirol, beim Europäischen Forum in Alpbach, diskutierte er mit Ex-Bundesnachrichtendienst-Präsident August Hanning. +++

+++ In der aktuellen MDR-Berichterstattung immer führend, obwohl sie keine Medienressort hat: die Welt. Was das Springer-Blatt gestern berichtete fasst die BLZ zusammen und reichert es mit Chronologie und einem ungemein ministerpräsidentialen Interview mit dem für den MDR zuständigen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff an. Hier steht all das untereinander. +++

+++ Gut sieht Wolfgang Herles, der neue Literaturtalker des ZDF aus, so braun gebrannt auf dem "Blauen Sofa", das am 16. September auf Sendung geht, findet Tagesspiegel-Literaturkritiker Gerrit Bartels. Aber dass sie nicht gut aussähen, zählte ja auch nicht zu den Vorwürfen, die seinen Vorgängern Ijoma Mangold und Amelie Fried gemacht wurden, weiß er und zeigt sich etwas skeptisch. +++ Einen Eindruck von Herles' Bräune vermittelt der Freisteller bei dwdl.de. +++ Die Rundschau nutzt zum Illustrieren der Meldung, dass die Zeitschrift Literaturen nun von Cicero bzw. Ringier gekauft wird, ein Archivbild der noch viel früheren ZDF-Literaturtalkerin Sigrid Löffler mit extravaganter Brille. +++ "Das scheint der letzte Versuch des Friedrich Berlin Verlags gewesen zu sein, der sinkenden Auflage (derzeit ca. 15.000 Exemplare) entgegenzuarbeiten", meint die Süddeutsche. +++

+++ "Facebook ist nicht schlecht im Verschleiern und Verschweigen", sagt Schleswig-Holsteins Landesdatenschutzbeauftragter Thilo Weichert im TAZ-Kurzinterview. +++ Weniger gut im Datenverschleiern sind die Interessenverbände, die gern viele illegale Downloads beklagen (netzpolitik.org, meedia.de). +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite zeichnet Jochen Staadt nach, wie "das Mahler-Stasi-Thema", also die von der BamS aufgeworfene Behauptung, Horst Mahler sei ein "Stasi-Spitzel" gewesen, "aus den Medien ebenso schlagartig verschwunden" ist, "wie es aufgetaucht war". Und wie es zwischenzeitlich von Journalisten wie Andreas Förster und Hans Leyendecker weiterverbreitet wurde. +++

+++ U.a. auf "Brigitte Horst, das Männermagazin" freut sich die TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester, die aber auch mal Kritik an jemandem übt, an dem eigentlich niemand Kritik übt: an "Großmeister Dominik Graf", dessen "Dreileben"-Film (siehe Altpapier vom Montag) "von seditativer Schönheit war. Sprich so dermaßen einschläfernd, dass es schwierig genug war, über dem weinseligen Beziehungsgelaber die Augendeckel oben zu behalten." +++ Im Tsp. arbeitet Deutschlands führender Einschaltquotenanalyst Joachim Huber anhand der "Dreileben"-Einschaltquoten heraus, dass das Fernsehen sozusagen ein Escortservice für Fastfood sei. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

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