Pro, Contra und Leben

Pro, Contra und Leben

Sind Talkshows überhaupt noch zeitgemäß? Ein Zehn-Punkte-Plan für alle, die eine Medieninstanz werden wollen. Der Open- vs. Wikileaks-Streit erreicht einen Höhepunkt. Und will die Kanzlerin wirklich nichts von Rezension wissen?

Und dann ist also wieder Montagmorgen, und es heißt schaufeln, schaufeln, schaufeln. Wie mit einem Monster-Transformers-Truck durch die Zeitungen und nach Anhaltspunkten suchen, wie die Welt in ihnen diesmal wohl geordnet worden sein könnte.

Okay, bitte, suchen wir mit dem Schaufelbagger (äh, Foto: Schaufelbaggerschaufel in Jena 2009) nach der Ordnung der Welt: Die Frage "Ist der Roman überhaupt noch zeitgemäß", den die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in ihrem Feuilleton-Pro-und-Contra diesmal stellt, gibt etwa ein paar Gedanken vor, die als Instrumentarium zur Erklärung des Heute – vielleicht im Sinn von Gegenwart, eigentlich aber im Sinn von heutiger Montag – dienen können.

Also: Volker Weidermann nennt den Roman in der FAS zeitgemäß, schon weil er selbst jeden Vormittag "mit dem Beiseiteschaufeln" unzähliger Romane beschäftigt sei, "um dann den Blick freizubekommen auf die zwei, drei Top-Romane des Tages. (...) Da offenbar ungefähr die Hälfte der deutschen Bevölkerung Romane schreibt (...), muss also irgendetwas dran sein, am Roman." Das könne man darüber hinaus auch daran sehen, dass seine Kollegen ständig über einen schreiben wollten.

Claudius Seidl nennt den Roman dagegen nicht mehr zeitgemäß. Nicht nur weil "der wahre Held eines jeden Romans (...) dessen Autor" sei, was aber nur "so lange funktionierte, bis der Doktor Freud den Menschen daran erinnerte, dass das Ich nicht Herr sei im eigenen Haus". Sondern auch deshalb, weil "der Roman, der die Dichte und die Geistesgegenwart der Fernsehserie 'Sopranos' hätte", irgendwie gerade nicht entstehe.

So. Und jetzt stehen wir vor der bevorstehenden Talkshow-Schwemme in der ARD – Sonntag Jauch, Montag Plasberg, Dienstag Maischberger, Mittwoch Will, Donnerstag Beckmann – und fragen uns, weil es ja sonst niemand tut: Ist die Talkshow überhaupt noch zeitgemäß?

Zum einen wäre da die Schaufelbagger-Antwort: Es gibt viele Talkshows, es steht gar bevor: "eine Fernsehsaison, in der so viel geredet werden wird wie noch nie" (der Tagesspiegel in gewohnter Lust an der Programmvorschau), und Journalisten rezensieren ja gerne Talkshows – also müssen sie wohl zeitgemäß sein.

Zum anderen wäre da die Gegenthese: Die wahren Helden einer jeden Talkshow sind nicht die Erklärung, die Orientierung, die Analyse, sondern der Moderator und seine Gäste. Und: Die Talkshow, die die Dichte und Geistesgegenwart des "Presseclubs" eines Romans Youtubes von sicher so manch anderem hätte, entsteht gerade irgendwie nicht.

Verdammt nah an der Lebenswirklichkeit des Fernsehpublikums scheint allerdings doch auch Günther Jauch zu sein, der eine vorläufige Zusammenführung der beiden Thesen wagt, zitiert vom o.g. Tagesspiegel:

„Ich habe die (Talkshows; AP) immer sehr interessiert gesehen, auch wenn sie manchmal langweilig sind.“

Woraus wohl irgendwie folgt: Langeweile ist zeitgemäß.

[listbox:title=Artikel des Tages[Schleswig-Holstein vs. Facebook (zeit.de)##Eine Talkvorschau (TSP)##What an Auftakt (Freitag.de)]]

Und wo wir nun schon im Bereich der Philosophie sind: Der Spiegel (S. 136 ff.) trägt auf Basis eines Hausbesuchs bei Richard David Precht ein nicht unhübsches (online auf den quasi eventuellen News-Wert verkürztes) Zehn-Punkte-Papier zur Frage bei, wie man auch als Generalist "im platonschen Sinne" "zur Instanz im Mediengeschäft" wird, darunter Punkt 3: "Geh ins Fernsehen!" Und Punkt 4: "Geh öfter ins Fernsehen!"

Von einem "Zoo, der nur in unseren Köpfen existiert, aber ein verlässliches Koordinatensystem liefert", einem "Koryphäen-Park" schreibt Autor Thomas Tuma, der sich in Prechts Aquarium vertieft hat, und hat den passenden Begriff für das, was Bernd Gäbler in seiner hier oder da an dieser Stelle bereits erwähnten Talkstudie zur Zusammensetzung der Gäste in Talkshows aufgeschrieben hat (pdf). Gäbler:

"In jüngster Zeit lähmt nicht mehr so sehr der Partei-Proporz die Talkshows, sondern die ständige Inszenierung einer Zwei-Welten-Lehre zwischen Politik und Lebenswirklichkeit. Häufig sind allenfalls noch zwei von fünf Positionen mit Politikern besetzt. (...) In Kontroverse zu den Politikern treten oft Journalisten als Anwälte der Bürger auf. 'Experten' pro und contra ergänzen das Tableau. Brav spielen auch 'Betroffene' in den Talkshows die ihnen zugewiesenen Rollen."

Tuma fasst es so zusammen: "Parteidödel, Verbandsfuzzi, Promi-Laie, Experte Mann/Frau von der Straße sowie Hans-Ulrich Jörges als Hans-Ulrich Jörges." Er nennt das: "dramaturgischer Proporz". Auch nicht unnice.

Ach so, und noch was: ARD-Talker Reinhold Beckmann hat dem, ebenfalls, Spiegel ein kleines Interview gegeben, in dem er einen leisen Quotenabfall seiner eigenen Sendung in den Bereich des Möglichen verortet.

Im Zusammenhang mit der Frage, ob Talkshows eigentlich wichtig sind oder einfach nur präsent und, vor allem, wie man zur Medien-Instanz wird, erinnern wir gerne an das Spiegel-Interview mit Günther Jauch, das Spiegel-Interview mit Anne Willund das Spiegel-Interview mit Maybrit Illner und freuen uns auf hoffentlich baldige Interviews mit Sandra Maischberger und Frank Plasberg.

Wir lesen Talkmoderatoreninterviews immer sehr interessiert.


Altpapierkorb

+++ Der Wikileaks-Openleaks-Streit "eskaliert" (netzpolitik.org) / erreicht "einen vorläufigen Höhepunkt" (SZ): Der Spiegel meldet, Daniel Domscheit-Berg habe jene Daten gelöscht, die eine Gruppe um ihn von Wikileaks mitgenommen hat +++

+++ Medien und ihre Risiken: Der "Firlefanzkanal 'ZDFkultur'" (FAZ, S. 27) zeigte den "im Rahmen der Kölner Gamescom ausgetragene Saisonauftakt zur 'ESL Pro Series', einer professionellen E-Sport-Liga, die im Gaming-Bereich das Pendant zur Bundesliga darstellt". Ganz unvoreingenommen sei Kristin Otto in der "ZDF Sport-Reportage" dabei aber nicht gewesen: "Tja, aber, aber! Ist Computerspielen wirklich ein Sport wie jeder andere? Ich bin da ein wenig skeptisch, darf gar nicht an das Thema Sucht und Abhängigkeit denken." +++ Ein Zeitungsbote soll schuld an Hausbränden in Berlin sein (TSP mit dem neuesten Stand). Da kann man von Pech sagen, dass es kein Computerspielbote war, sonst wäre die Schuldfrage schon geklärt +++

+++ Der Verdacht auf fragwürdige Abrechnungen beim Netzwerk Recherche erhärte sich, so der Spiegel +++

+++ Schleswig-Holstein stellt die Einbindung des Like-Buttons von Facebook infrage: "Rechtlich korrekt (...), aber an der technischen Entwicklung und somit der Realität vorbei. Derzeit aber haben die Datenschützer keine andere Wahl. (Zeit Online) +++ Warum das Vorgehen sinnvoll ist (netzpolitik I). Warum es nicht sinnvoll ist (netzpolitik II) +++

+++ Neues von der britischen Abhöraffäre in der taz und in der FAS, die "die Fronten etwas durcheinander" gebracht sieht – weil der Guardian, der den Skandal um "News of the world" an vorderer Stelle ins Rollen brachte, als Empfänger von Informationen durch einen verhafteten Beamten genannt wird +++ Den in Sachen News of the World enthüllend tätig gewordenen Reporter Nick Davies porträtiert die Berliner +++

+++ In der Süddeutschen: ein Interview mit dem Leiter der ehemaligen tunesischen Staatszeitung auf dem Weg durch die Reformen +++

+++ Fernsehen, gestern: Vor dem Montag kommt der Sonntag, und Sonntag ist, genau, Heimatkrimi-Tag: "Selten wurde über einen neuen Krimi, einen neuen Kommissar so viel diskutiert", schreibt der Tagesspiegel. Na ja, jedenfalls nicht seit Martin Wuttke "Tatort"-Kommissar wurde. Hier die jüngsten Ergebnisse der Diskussion: die "Polizeiruf"-Kritiken aus KSTA, Berliner Zeitung, SZ, FAZ, taz, Hamburger Abendblatt und die FAS. Das ausgewählte Zitat kommt von Freitag.de (von Altpapier-Autor Matthias Dell): "so wird einmal vorgeführt, was mit dem Format möglich sein kann, wenn man sich nicht an die Formatierungen hält, sondern über den Sonntagabendkrimi als Routine improvisiert" +++

+++ Passend dazu der Verleser des Tages: "Angela Merkel will von Rezension nichts wissen", schreibt der Tagesspiegel natürlich NICHT +++

+++ Neue Schläuche: ZDFneo wolle "einmal im Jahr gezielt nach neuen Ideen und Talenten (...) suchen" (FAS) – Stefan Niggemeier erinnert das an Ausprobierorte im Fernsehen wie Viva +++ Alter Wein: ABC belebt "Drei Engel für Charlie wieder" (taz) +++

+++ Mehr Fernsehen: Eine britische Lady-Di-Doku, die nicht gezeigt wird (BLZ) +++ Und "Die Alm" kommt auch oft genug vor +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.
 

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