Der soziale Blindenhund

Der soziale Blindenhund

...für den netten Datenkraken, der Berlin ein neues Institut beschert. Sowie wieder Neues vom Presseteufel, der England einen "Berlin Wall moment" bescherte. Außerdem: neuer ARD-"Bild"-Clinch?

Erneut neue Wendungen um Rupert und James Murdoch. Ihr Verzicht auf die Ausführung des Plans, die restlichen 61 Prozent an der britischen Pay-ZV-Plattform BSkyB zu übernehmen, kam "überraschend" (z.B. FAZ), obwohl sämtliche englischen Parteien ihn gefordert hatten. Schon das sagt viel über ihren, der Murdochs Einfluss aus.

"Der Journalist George Monbiot twitterte sogar "This is our Berlin Wall moment'",

heißt es im aktuellen Überblicksartikel bei sueddeutsche.de dazu. Der datenjournalistischen Aufbereitung von Tweets mit dem Hashtag #notw (für das eingestellte Murdoch-Blatt News of the World) durch den Guardian, die nicht ungemein aufschlussreich, aber hübsch anzuschauen ist, haben wir unser Foto entnommen. Zur Einschätzung der Lage schalten wir ebenfalls zum Guardian:

"The Sky bid is dead", heißt es dort, und die Erwartung sei, dass Murdoch auch künftig keine 100-Prozent-Übernahme mehr erreichen könne und anstrebe. Sondern eher, dass er sich weiter aus dem Vereinigten Königreich zurückziehe, zum Beispiel durch den Verkauf seiner Zeitungen dort (dieser Plan bildete die gestrige Murdoch-Überraschung). Das Wissen, dass Murdoch sich oft nicht an Erwartungen hält, "vor Radikalentscheidungen ...noch nie zurückgeschreckt" ist (BLZ), steht selbstverständlich zwischen sämtlichen Zeilen des Artikels. Aber wenn die Murdochs sich aus England, das wegen der Ansiedlung James Murdochs kürzlich noch als potenzieller Weltzentralen-Standort des Konzerns galt, zurückzögen, wohin denn?

"The younger Murdoch sees opportunities in Germany, where News Corp is trying to replicate its BSkyB success; in developing markets, most notably, India; and in other countries - such as Italy - where News Corp is the challenger brand, seen as a provider of impartial news in a media economy dominated by Silvio Berlusconi." (Hervorhebungen: AP)

Der junge Murdoch, James, "erweist sich als wahrer Erbe seines Vaters", heißt es im relativ instruktivsten ("Monströse Hinterlassenschaft", S. 30) von so einigen Artikeln, die die eigentlich medienferne Wochenzeitung Die Zeit heute zum Thema aufbietet. In der Ankündigung eines weiteren ("Der Teufelspakt", S. 2) wird Murdoch als "der Presseteufel" apostrophiert. Und ganz vorn auf S.1 versucht Ulrich Greiner vom hochfeuilletonistischen Olymp einen Blick hinab auf die Medienrealität zu erheischen ("Die Methoden des Boulevards sagen viel aus über die Medien, aber auch eine Menge über uns Leser", freilich bereits seit Augustinus).

Während Murdoch auf der FAZ-Medienseite noch als "Medienzar" genannt wird (freilich mit dem Zusatz "Wenn der Teufel zum Essen einlädt, zückt der Politiker eifrig die Serviette"), will sich die Metapher des Kraken für ihn nicht richtig durchsetzen.

Klar, denn auch wenn Murdoch-Reporter 1000e Handy-Accounts geknackt haben sollen, in der Digitalära gibt es Datenkraken anderen Formats. Damit zu Google, das seit kurzem die vielen bunten Social Media-Buttons unter Online-Artikeln um einen weiteren bereichert.

Wie das neue Netzwerk Google+ für Benutzer funktioniert, fasst recht aktuell und nicht ohne Anmerkungen zu "Ambitionen", es "auch als digitalen Kiosk zu etablieren", das Hamburger Abendblatt (erscheint bei Springer, u.a. als Digitalkioskbetreiber ein Google-Gegner) zusammen. Wie es für Google selbst funktionieren soll, berichtet sueddeutsche.de unter Berufung auf die amerikanische AdAge: als "Super-Datenbank":

"Wer also Diätpillen verkaufen will, könnte demnach künftig bei Google Daten von mehreren tausend Frauen bestellen, die sich in jüngster Zeit fürs Abnehmen interessiert haben. Wer übermotorisierte Sportwagen an den Mann bringen will, zieht Adressen von alleinstehenden, männlichen Besserverdienern aus dem Register. Der Traum für die Werbebranche. Und der Albtraum für Datenschützer."

Einen "lauten, verzweifelten Aufschrei der Google-Kritiker" erwartet Autorin Angelika Slavik nun. Doch dagegen tut Google natürlich etwas. Zum Beispiel hat es sich und/ oder Berlin ein schon auf der Funkausstellung im Februar und kürzlich dann noch einmal richtig (netzpolitik.org) angekündigtes "Institut für Internet & Gesellschaft" spendiert.

"Was will man damit?", fragt heute in der FAZ (S. 29, jetzt auch frei online) Frank Rieger vom Chaos Computer Club. Und gelangt zur Antwort:

"Mit wenig Geld ist hier ein subtiler, aber nachhaltiger Einfluss auf politische und gesellschaftliche Denk- und Entscheidungsprozesse zu gewinnen, die auch für die Zukunft des Konzerns höchst relevant sind. Die 4,5 Millionen Euro, die über einen Zeitraum von drei Jahren in das Institut fließen sollen, verdient Google in etwa sechs Stunden - so vehement sprudelt der Geldspringbrunnen aus dem Geschäft mit der Online-Werbung. Dass Google durch die Konstruktion der Förderung keinen direkten Einfluss auf die Themen und Forschungsergebnisse hat, mag in der Praxis sogar stimmen. Den Verdacht, dass wesentliche Wissenschaftler, deren Ideen und Expertisen zukünftige politische Regulierungsversuche beeinflussen werden, in ihren Arbeiten im Zweifel den größten Werbeverkäufer im Internet schonen könnten, muss das neue Institut aber erst noch widerlegen."

Am Ende des umfangreichen Feuilleton-Aufmachers gelangt Rieger dann an die "creepy line", an die, aber nicht über die hinaus der Konzern mit seinen Angeboten gehen möchte.

"'Creepy' sind in der Google-Diktion Funktionen, bei denen die Macht von Rechenleistung und Datenaggregation zu sehr spürbar wird, wo also eine große Zahl der Nutzer sich bevormundet, durchschaut, beobachtet fühlt. Wo genau die 'creepy line' derzeit verläuft und welche Funktionen bei ihrer Überschreitung zu verheerenden PR-Katastrophen werden können, ist für Google nicht immer einfach zu erkennen. ... ... Ein externes Forschungsinstitut als sozialer Blindenhund kann hier sicher nützlich sein, um nicht zu schnell voranzupreschen."

Andererseits, im Aufmerksamkeits-Windschatten des Presseteufels kann Google derzeit bequem voranpreschen. Und weitere Aufreger, die vor allem massenwirksamer Benebelung des deutschen Publikums dienen dürften, werfen sozusagen bereits ihre Windschatten voraus.

[listbox:title=Artikel des Tages[BLZ über ARD/ "Bild"-Kampagnen##Googles Berliner Institut (FAZ)##Googles Superdatenbank (sueddeutsche.de)##Guardian über Murdoch-Lage##Medienfreiheit in China (TAZ)]]

Die Berliner Zeitung enthüllt heute Planspiele von Task Forces außer bei der Bild-Zeitung auch bei der ARD, um neue Kampagnen bzw. Gegenkampagnen gegen einander zu führen. Über eine bevorstehende der Bild-Zeitung auch im Zusammenhang mit der Verlageklage gegen die "Tagesschau"-App der ARD wurde ja schon einiges angedeutet. Dass die ARD-Intendanten für Gegenschläge eine "virtuelle Medienredaktion" eingerichtet hätten, die bereits von Willi Schlichting (WDR 5) und Martin Hövel ("ARD-Morgenmagazin") koordiniert werde, berichtet Ulrike Simon.

Womöglich hat sich die ARD mit ihrer albernen "Lügenfernseh"-Kampagne also bloß warmgelaufen. Freilich, eine Chance für den sog. Qualitätsjournalismus, den ARD- und Springer-Vertreter jeweils gern im Munde führen, gebe es noch, und zwar in der alten Logik des Gleichgewichts des Schreckens. Denselben Infos zufolge

"wollen die Intendanten unter Vorsitz von WDR-Chefin Monika Piel nämlich den ersten Schuss von Bild abwarten. Sollte das Blatt die Serie unter Verschluss halten, werde auch die virtuelle Medienredaktion wieder in der Versenkung verschwinden."


Altpapierkorb

+++ "...Wirklich bedenklich finde ich allerdings, dass unser Kollege Yücel diffamiert werden soll, indem man ihm sein vermeintliches Türkischsein vorwirft. Er mag zwar türkischer Herkunft sein, wer ihn kennt weiß aber, dass er eigentlich ein astreiner SC Opel Fan ist, Südhesse eben. Wir wissen natürlich, dass unser Kollege die 'türkische Karte' voll ausspielt - und doch reagieren manche LeserInnen mit durchaus rassistisch anmutenden Statements völlig ironiefrei. Aber nicht vergessen: Seine Kolumne erntet sehr viel Zuspruch, gerade von Frauen." (TAZ-Chefredakteurin Ines Pohl im meedia.de-Interview über die TAZ-interne Aufregung über Deniz Yücels Frauenfußball-WM-Kolumnen). +++

+++ Die TAZ selbst führt ein interessantes Interview mit der Journalistin und Dozentin Nailene Chou Wiest über die Medienfreiheit in China. Wiest sagt u.a.: "Wer die Direktiven nicht befolgt, darf seine Nachrichtenseite 24 Stunden lang nicht aktualisieren. Das ist tödlich fürs Geschäft." +++

+++ Einen Überblick über die täglich noch wachsende Menge der Shows, die Kai Pflaume für die ARD zu bestreiten hat, bietet der Tagesspiegel. +++

+++ Nachrufe auf Oliver Storz, den verstorbenen Vertreter einer anderen ARD-Ära: "Storz hat die Filmkunst im Fernsehen weitergeschrieben" (Joachim Huber, Tsp.). Die "Ironie eines Bügeleisens", die den Charme der von Storz verfassten 60er-Jahre-Serie "Raumpatrouille Orion" ausmachte, sieht Klaudia Wick (BLZ) als eine Konstante seines Lebenswerks. +++ "Der Übergang vom Nazitum zur Nachkriegszeit, die 'Stunde null'", war "ein Lebensthema des Autors und Regisseurs Storz, ein Stoff, dem er über vier Jahrzehnte Fernseharbeit hinweg immer neue Facetten abgewann" (Andreas Kilb in der FAZ). +++

+++ Mehr Murdoch: "Der Fall der News of the World hat der britischen Öffentlichkeit vor Augen geführt, dass ihre Demokratie im Grunde eine Farce ist" (Ralf Sotscheck kommentiert in der TAZ "die Blamage der Polizei in Murdochland"). +++ Murdoch "ist ein Kämpfer, ein Krieger" (J. Huber kommentiert im Tsp. Murdochs künftige Geschäftserwartungen). +++ Berichten Murdoch-Medien über die Sache? Teils wie einst die Prawda, teils (in England) aber auch kämpferisch-kriegerisch (The Sun). +++

+++ In allmählich wieder gespannter Erwartung des Beginns der Fußball-Bundesliga-Saison 2011/12 darf man auch schon auf die Berichterstattungs-Regularien der Saison 2013/14 gespannt sein. Über neue Details hält der Tagesspiegel auf dem Laufenden. +++

+++ "Ich bin suchtkrank wie alle Zirkuspferde" - solche Sätze vertraut Jürgen von der Lippe nicht Stefan Niggemeier an, der ihn neulich für die FAS interviewte, sondern nur Hans Hoff, der ihn heute in der Süddeutschen (S. 13) porträtiert. Anlass jeweils: das unverhoffte Comeback von der Lippes morgen bei Sat.1. +++

+++ Als Datenkrake und/ oder als Konzern womöglich noch mächtiger als Google: Facebook. Dass man dort jetzt auch fernsehen kann, und zwar einstweilen die BBC-Serie "Dr. Who", weiß die Süddeutsche. +++

Neues Altpapier gibt's dann wieder am Freitag.

 

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