Für immer cool?

Für immer cool?

Die Entwicklungen an der Sportrechtefront sowie TV-Bilder aus Libyen beschäftigen die Medienbeobachter heute. Außerdem: Stefan Aust wird 65.

Herzlichen Glückwunsch, Debbie Harry! Die Sängerin und Texterin der Band Blondie wird heute 66 Jahre alt. Das heißt, sie ist heute älter als Axel Springer in jenem Jahr war, als das erste Album ihrer Band erschien. Das geschah Ende 1976, und da war der Verleger erst 64. Dieses Spiel mit den Zahlen drängt sich heute beinahe auf, denn fast pünktlich zum Geburtstag Harrys legt Springers Musikmagazin Rolling Stone die neue Blondie-CD „Panic of Girls“ seiner am Donnerstag erschienenen Juli-Ausgabe bei. Dass Debbie Harry, die „Punk-Pop-Göttin“ beziehungsweise „Mutter der Coolness“, wie sie die Zeitschrift nennt, einmal quasi freie Mitarbeiterin des unpunkigen und uncoolen Springer-Verlags werden würde - das hat sich 1976 niemand ausmalen können. Auf dieses Jahr bezieht sich auch der Rolling-Stone-Schwerpunkt „35 Jahre Punk“, in den die beim Sunday Times Magazine eingekaufte Titelgeschichte über Debbie Harry eingebettet ist. Seltsam, dass jetzt schon 35-jährige Jubiläen als Aufhänger dienen. Blondie-Fans sollten sich gut überlegen, ob sie 7,90 Euro für Heft und Tonträger investieren, denn die Band demontiert sich auf „Panic of Girls“ auf eine Weise, die nicht leicht zu verkraften ist. Online stellt der Rolling Stone ein Interview bereit, das in der gedruckten Ausgabe nicht zu finden ist.

Herzlichen Glückwunsch auch an Stefan Aust, der, was ein bisschen verwirrend ist, jünger ist als Debbie Harry. Er feiert heute erst seinen 65. Geburtstag. Aus diesem Anlass erscheint im Tagesspiegel ein Interview mit dem berühmten Nachrichtenfernsehsender-Besitzer, der noch berühmter war, als er ein Montagsmagazin leitete. Im Gespräch mit Sonja Pohlmann blickt Aust zurück:

„Wenn ich den Spiegel-Gründer Rudolf Augstein nicht irgendwann kennengelernt hätte, wäre die Entwicklung anders verlaufen. Ich wäre sicher woanders gelandet (...) Vielleicht beim Stern. Als der noch ein großes, wichtiges Magazin war, dachte ich, dass ich dort mit meinen Fähigkeiten besser aufgehoben wäre. Ich habe immer auch optisch gedacht und war nie ein klassischer Nachrichtenmensch.“

Für diese angedeutete Selbstkritik - man wird auch einige Beobachter von Austs Zeitschriftenkarriere finden, die sagen, er habe nicht auch, sondern vor allem „optisch gedacht“ - sind wir natürlich dankbar, und die Stichelei gegen die Donnerstags-Illustrierte ist auch ganz hübsch. Pohlmann spricht ihn dann auch noch darauf an, dass aus dem von ihm im Auftrag der WAZ-Gruppe geplanten Wochenmagazin nichts wurde. Austs immerhin originelle Antwort:

„Ich habe den Entwicklungsauftrag bekommen, so wie ein Architekt den Auftrag, ein Haus zu entwerfen. Ob der Bauherr sich das am Ende leisten kann oder will, ist nicht Sache des Architekten. Die Rechte für das Magazin sind kürzlich wie vereinbart an mich übergegangen. Und jetzt schauen wir mal, was wir draus machen.“

Der Fußball-Hörfunkreporter Günther Koch feiert erst im November seinen Geburtstag, aber da es der 70. ist, wird es an Interviews nicht mangeln. Schon jetzt druckt das Fachblatt Der tödliche Pass ein Gespräch mit dem mittlerweile beim Internetradio 90elf aktiven Koch, in dem es unter anderem um die Qualität der TV-Kommentatoren geht - ein Thema, das angesichts der Fußball-WM hier zu Lande gerade mal wieder aktuell ist:

„Der deutsche Fernsehkommentar wird immer einsilbiger und aufgesetzter und dadurch unglaubwürdiger, vor allem, weil wir keine Doppelbesetzung haben wie in anderen Länder. Für den Fernseh-Livekommentar braucht es zwei – der eine macht Tempo, der andere leitet über, ergänzt, beruhigt. Wenn das gegeben wäre, hätten die Jetzigen gar nicht die Möglichkeit so gestelzt rüberzukommen. Es gibt schon ein paar sehr gute, gerade auch bei Sky, Marco Hagemann ist einer, aber die sind eher unbekannt geblieben bisher. (...) Ich glaube, dass man wirklich bessere Kommentatoren fände, wenn man nur wollte ... Hansi Küpper zum Beispiel ist brillant, aber er hat seine Chancen nicht bekommen."

Um die Zukunft der Fußball-Berichterstattung geht es in einem Handelsblatt-Remix-Artikel bei kress.de. Yahoo und Springer stünden „bereit“, falls es ab 2013 statt der klassischen „Sportschau“ eine „Internet-Sportschau“ geben sollte. Auch Joachim Huber nimmt im Tagesspiegel mal wieder das Thema Sportrechte in Angriff. Er findet es bedauerlich, dass das Tennisturnier von Wimbledon nur bei Sky zu sehen ist:

„Aus der Binnensicht des Bezahlsenders ist das Vorgehen stringent. Noch immer tief in den roten Zahlen, muss Sky seine Programmware allein anbieten, wenn der Sender die Zahl seiner Abonnenten steigern und damit das Defizit mindern will. Jede Sublizenzierung an interessierte Free-TV-Kanäle wie Sport 1 und Eurosport oder die Weitergabe einzelner Spiele an ARD oder ZDF würde die Qualität des eingekauften Rechts beschädigen.“

Ein bisschen spektakulärer ist ein anderer Text von der Sportrechte-Front: Die Funkkorrespondenz hat nachgerechnet, dass, anders als die ARD es bisher verkaufte, die Nachverhandlung eines intern umstrittenen Boxrechte-Vertrages keineswegs eine finanzielle Verbesserung für den Senderverbund bedeutet:

„Die Lizenz- und Produktionskosten für den Vertrag mit der zunächst geplanten Laufzeit von drei Jahren (2013 bis 2015) sollten sich auf 54 Mio Euro belaufen. Beim nun vorliegenden Zweijahresvertrag betragen die Gesamtaufwendungen (...) 28,8 Mio Euro (...) Der modifizierte Vertrag zwischen der ARD und der Sauerland Event GmbH ist im Vergleich zur anfänglichen Vereinbarung in puncto Gesamtkosten nun zwar billiger – aber er ist es nicht, wenn man die Ausgaben pro Boxkampf zugrunde legt. Der Dreijahresvertrag sah vor, dass pro Jahr zehn bis zwölf Boxkämpfe live übertragen sollten. Damit hätte ein Kampf mit 1,8 Mio Euro zu Buche geschlagen, wenn es die Mindestanzahl von 30 Kämpfen gegeben hätte (1,5 Mio Euro pro Kampf bei 36 Veranstaltungen). Im nachverhandelten Vertrag wurde nach FK-Informationen allerdings auch die Anzahl der Boxkämpfe reduziert, und zwar auf nur noch acht pro Jahr. Folge dieses Kompromisses: Pro Kampf muss die ARD weiterhin 1,8 Mio Euro zahlen.“

[listbox:title=Artikel des Tages[65 Jahre Aust (Tagesspiegel)##Boxen doch nicht billig (Funkkorrespondenz)##Nachrichtenagentur gegen Blogger (teezeh)]]

Insofern ist der neue Vertrag eine dieser faulen Lösungen, wie sie nur die ARD hinzukriegen scheint. Positive Schlagzeilen will man dagegen demnächst mit „Dreileben“ schreiben, dem ambitioniertesten Fiction-Projekt des Fernsehjahres 2011. Christian Petzold, Christoph Hochhäusler und Dominik Graf haben im Thüringer Wald unter dem Motto „Ein Sommer, ein Ort ein Fall, drei Blickwinkel“ eine Art Trilogie gedreht, die am 29. August m Ersten zu sehen ist - wobei bemerkenswert ist, dass die Filme ab 20.15 Uhr direkt hintereinander laufen (wenn man von einer Unterbrechung durch eine 15-minütige Ausgabe der „Tagesthemen“ zwischen dem zweiten und dritten Beitrag absieht). Das bereits anlässlich der Präsentation auf er Berlinale hier und dort bewertete Projekt wurde gestern in Hamburg bei einer Podiumsdiskussion mit den Regisseuren vorgestellt. Der Film, sagte Dominik Graf, sei einerseits „wie ein Altar-Triptychon“, erinnere andererseits aber auch an „drei Züge, die sich voneinander entfernen“ und reflektiere nicht zuletzt den „Zustand“ des Thriller-Genres hier zu Lande. Zur Frage, wie sich die Handschriften der Macher widerspiegeln in der Kooperation, sagte Christian Petzold, es seien

„nicht Handschriften übrig geblieben, sondern der Wald als mythischer Raum.“

Und die anschaulichste Beschreibung kam von Graf. „Dreileben“ sei

„drei Träume hintereinander, in denen immer wieder dieselben Figuren auftauchen.“

Für Event-Fernsehen ganz anderer Art steht bekanntlich der Filmproduzent Nico Hofmann, den die Süddeutsche heute ausgiebig interviewt (S. 17). Von Hofmann, der gerade sein „Berufsleben hinterfragt“ hat und „aus dem ganzen Prozess stabil und lustvoll herausgegangen“ ist, wollen Hans Hoff und Christopher Keil unter anderem wissen, ob ein Biopic zum Thema Guttenberg „funktionieren würde“:

„Würde ich sofort machen, mit Sebastian Koch als Guttenberg und Robert Atzorn als Vater Guttenberg. Immer, wenn das Leben zum Drama wird, ergibt sich der Filmstoff von alleine.“

Da Hofmann und Guttenberg einen ähnlichen Charme versprühen, ist eine Kooperation zwischen den beiden Herren gar nicht so unrealistisch Eine weitere Frage der Interviewer: „Wann kommt der erste Kachelmann-Thriller?“ Zumindest von Hofmann kommt er nicht:

„Kachelmann ist doch schon sehr auserzählt worden in der Presse. Wo wäre der Mehrwert für den Zuschauer über das hinaus, was er bereits weiß?“

Oh, da sind wir aber froh.


Altpapierkorb

+++ Wer wird Intendant des MDR? Zu diesem Thema druckt die FAZ auf Seite 39 eine nicht undiabolische Eloge auf „die derzeitige Justitiarin, die 52 Jahre alte Karola Wille“. Peter Schilder kürt sie als zur „Favoritin“ auf den Job: „Ihr stärkstes Pfund ist, dass sie die verschiedenen Häuser und die Binnenstruktur des Senders so gut kennt wie kein anderer von denen, die noch genannt werden. (...) Sie hat in der DDR Jura studiert und ihr Können nach der Wende bewiesen. Nachdem aber nach der Wende fast alle Führungspositionen in Ostdeutschland mit Personen aus dem Westen besetzt worden waren, gibt es nun eine verbreitete Stimmung, endlich auch Ostdeutsche in Spitzenpositionen zu finden.“ Und dann begibt sich Schilder auf eine, nennen wir es mal: zweite Ebene: „Doch dieser vermeintliche Vorteil kann sich auch ins Gegenteil wenden, denn es gibt immer noch ein Misstrauen gegenüber DDR-Juristen. Außerdem, aber das darf eigentlich keine Rolle spielen, war sie mit einem Mann verheiratet, der als Militärstaatsanwalt der Nationalen Volksarmee fungiert hat. Obwohl es keine Sippenhaft gibt und allein die Erwähnung dieses Umstandes als Diskriminierung gewertet werden kann, wird diese Geschichte immer wieder erzählt.“ Und „obwohl“ hin und „eigentlich“ her: Natürlich muss auch Schilder die Geschichte erzählen - und dann noch „Sippenhaft“ schreiben, obwohl er „Sippenhaftung“ meint.

+++ Weiterhin virulent bleibt die Causa Verleger versus „Tagesschau“-App. Jakob Augstein nimmt dies im Freitag zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass es dem Unternehmen des Verlegerwortführers Matthias Döpfner blendend geht und dieser lediglich „aus strategischen Gründen Untergangsstimmung“ verbreite: „Die Rendite im Zeitungsgeschäft liegt bei 22 Prozent, der Konzernumsatz ist in den ersten drei Monaten des Jahres um elf Prozent gewachsen, das Konzernergebnis um 6,5 Prozent, und allein die Erlöse aus dem digitalen Segment haben um 26 Prozent zugelegt.“

+++ Ebenfalls im Freitag: Rudolf Walther kritisiert die aktuelle Kriegsbilderproduktion (S. 9): „Wir erleben eine Selbstherorisierung des Anti-Gaddafi-Lagers, verschränkt mit professioneller Maßarbeit der NATO-Piloten, die einen Krieg scheinbar fast ohne Blutvergießen führen (...) An der Kriegsrealität ändern instrumentalisierte Bilder absolut nichts. Neu ist freilich, wie sich das Verhältnis von Kriegs- und Medienrealität verschiebt. Je unsichtbarer Soldaten wie zivile Opfer werden, desto mehr drängen Politiker auf die Bühne. Man denke an großformatige Fernsehauftritte von Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg als Warlord im Kampfanzug und mit Stahlhelm in Afghanistan.“ Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass über letztere Bilder auch Nico Hofmann schon viel nachgedacht hat.

 +++ Google+ (gesprochen: Google plus), das neue soziale Netzwerk von Google, „bringt nix“, schreibt Maik Söhler in der taz. „Der Versuch Google+ macht den Eindruck, als könne Facebook endlich Konkurrenz bekommen“, findet dagegen Zeit Online.

+++ Was schreiben chinesische Zeitungen über Deutschland? Einen Überblick liefert die taz.

+++ Der Blogger Teezeh, bürgerlich: Thomas Cloer, berichtet, dass ihn die Nachrichtenagentur dapd wegen einer vermeintlichen Urheberrrechtsverletzung abgemahnt habe. Es geht um eine im Januar von ihm veröffentlichte Grafik. Was insofern verwunderlich ist, als „die Grafik heute noch für jedermann öffentlich“ auf der Facebook-Seite der US-Politikerin Sarah Palin zugänglich sei.

+++ Die Berliner Zeitung würdigt das Blog Klatschkritik, mit dem Antje Tiefenthal „den handwerklichen Fehlern in deutschen People-Magazinen wie Gala und Bunte, Instyle und OK! nachspürt“.

+++ Und zu guter Letzt: Nach Open Leaks, Brussels Leaks, Balkanleaks usw. gibt es jetzt ein weiteres Wikileaks-ähnliches Dingsbums, und zwar für Hacker (Forbes).

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.
 

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