Mit und ohne Bart

Mit und ohne Bart

Matthias Opdenhövel spricht über "Real Madrid" (ARD), Ingolf Lück macht niedrigschwellige Asiatenwitze, der Chefredakteur der New York Times und Umberto Eco äußern Unbehagen gegenüber dem Social Web, und Claudius Seidl ist zum Fernsehduell mit Thomas Bellut bereit

Welche Unterschiede gibt es zwischen, zum Beispiel, Privaten und Öffentlich-Rechtlichen? Zwischen Fernsehen und Social Web? Und schließlich auch zwischen Print und Online?

Ein Unterschied zwischen ARD und ProSieben besteht zum Beispiel darin: Matthias Opdenhövel trug als ProSieben-Moderator soeben noch einen Unterlippen-Mini-Ziegenbart. Jetzt (siehe Altpapier) ist sein Wechsel zur ARD-"Sportschau" bekannt, was auch der Anlass für Hans Hoffs Interview mit ihm für die Süddeutsche ist. Und Hoffs Leadsatz lautet: "Der Ziegenbart ist weg."

Also: Die Privaten tragen Ziegenbart, die Öffentlich-Rechtlichen nicht.

Stimmt allerdings so pauschal dann doch wieder nicht, denn erstens: siehe Foto – Bart plus NDR-Mikro. Und zweitens marginalisiert Opdenhövel die Ordnung gleich wieder durch die Ansage, "dass das haarige Dreieck im Juli, wenn er erstmals die Sportschau präsentiert, durchaus wieder dran sein könnte."

Was wir als prinzipielle Bereitschaft der ARD zur Verwischung der Profile deuten – und dennoch trägt die Bart-Sache durchaus zur Erkenntnis bei, gibt es doch noch ein Beispiel dafür, dass Privatsender, speziell jene der ProSiebenSat.1-Gruppe, es irgendwie mit Bärten haben. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und, in einem weiteren Text, deren Mudder, berichten in der Besprechung der Neuauflage der Sat.1-"Wochenshow" jedenfalls von unfassbar bärtigen Witzen: "Begeisterter Applaus war sicherheitshalber vor der Show aufgezeichnet worden" (FAZ). Und die FAS:

"Es war so trostlos, dass man es nicht einmal verreißen möchte. Zum Glück gab es einen Hoffnungsschimmer: Philipp Rösler – oder wie die 'Wochenshow' ihn nannte: 'der Vietkong der guten Laune', 'der Bundesfurzende der FDP', 'der Kung-Fu-Panda der deutschen Politik'. Sie zeigten einen Ausschnitt aus seiner Antrittsrede, als er erzählt, dass er immer wieder gefragt wird: 'Wo kommen Sie denn eigentlich her? So optisch?', und er zugeben müsse: Jawohl, ich komme natürlich aus Hannover."

Dass dieser Sorte Witz eigentlich nicht mit gängigen Gähntechniken beizukommen ist, hat dankenswerterweise das Branchenmagazin ViSdP aufgeschrieben:

"Solche Witze über 'gelbe' Asiaten, die eh alle gleich aussehen, egal ob 'Chines’' oder Vietnamese, sind weder Satire, noch Comedy, noch Protest gegen politisch-korrekte Normen. So etwas ist tatsächlich Rassismus."

Nun ist nur blöd, dass sich die ViSdP-Erkenntnis noch nicht besonders weit herumgesprochen zu haben scheint: Bei ZDFneo jedenfalls wurde Philipp Rösler auch nicht anders in die Sendung eingespeist als durch cheape Asiatenwitze. Darauf weist ein Kommentator des ViSdP-Textes hin. Und der assoziative Kurzschluss von Philipp Rösler zur Peking-Ente (sic!) gelang bei der ZDFneo-Sendung "Stuckrad Late Night" – "ausgerechnet" (hier stimmt die beliebte Fußballreportervokabel mal) – Stammgast und ViSdP-Herausgeber Hajo Schumacher (ab Minute 9). (Pro und Contra "Stuckrad Late Night" auch im Altpapier vom 19. Mai.)

[listbox:title=Artikel des Tages[Opdenhövel im Interview (SZ)##Nicht witzig (ViSdP)##Das Fernsehereignis ESC (FK)##Das Konzept Themenwoche (BLZ)##Zum Internet-G8-Gipfel (taz)]]

Und noch einmal lassen sich heute Öffentlich-Rechtliche und ProSiebenSat.1 vergleichen – im Aufmacher der Funkkorrespondenz, den Harald Keller über seine Eindrücke vom Fernsehereignis "Eurovision Song Contest" geschrieben hat, geschieht das am Rande. Und Keller kann nicht nur Schlechtes berichten, im Gegenteil:

"(D)ie ARD und Pro Sieben, beide mit der Produktionsfirma Brainpool als ausführendem Organ, bewiesen mit den beiden Halbfinals und der Endausscheidung des ESC 2011, dass das deutsche Fernsehen die Potenz besitzt, große internationale Shows zu stemmen und die Wünsche der Teilnehmer zu erfüllen, ob sie sich nun eine Batterie aus Flammenwerfern erbitten oder eine sekundengenau zerbrechende Glaskabine".

Noch ein wenig besser gelaunt klingt nur Matthias Opdenhövel im SZ-Interview, wenn er die ARD mit Real Madrid vergleicht und ProSieben mit "einem guten Bundesligisten, der jedes Jahr um die deutsche Meisterschaft mitspielt" – aber bei Opdenhövel ist das etwas anderes: Was soll der in seiner Situation zwischen den Stühlen auch sonst sagen, wenn nicht Gutes?

Harald Keller freilich schreibt im selben Text auch auf, was vielleicht dann doch nicht so gut war: Frank Elstner etwa in der "Live-Sendung 'Die Show für Deutschland – Countdown für Lena' im Vorabendprogramm des Ersten", für die er einmal die deutsche Teilnehmerin Lena Meyer-Landrut interviewte:

"Elstner begegnete Meyer-Landrut schlecht vorbereitet (Zitat: 'European Song Contest') und mit der gewohnt freundlich-herablassenden, ölig-onkeligen Art, die ihm seit je eigen ist und mit der er bereits zu frühen 'Wetten, dass ..?'- Zeiten Gäste wie Curd Jürgens oder Barbara Valentin in peinlichste Verlegenheit brachte. Meyer-Landrut machte kein Hehl daraus, was sie – und sicherlich viele Gleichaltrige – angesichts solch pomadiger Vereinnahmungsversuche empfinden. (...) Eigentlich sollte den ARD-Oberen beim Anblick dieser Szene aufgehen, wie weit die dortige Programmphilosophie und jugendliches Denken auseinanderklaffen. Zu befürchten jedoch steht eher, dass sie es wieder nicht begreifen."

Wenn die ARD-Programmphilosophie und jugendliches Denken nicht zusammenpassen, dann muss das allerdings ja nun, da junge Menschen bekanntlich Medien durchaus zu nutzen bereit sind, wohl bedeuten, dass andere Philosophien näher dran sind.

Da denken wir, weil es die Prägung so will, spontan ans Social Web und werden auf der Suche nach dem Beleg fündig bei Christian Stöcker, Spiegel Online, der sich genervt über die ewige Internet-macht-doof-Diskussion äußert und die Frage, ob es einen Generationenunterschied gibt, bejaht:

"Menschen jenseits der 50 haben gegenüber jenen unter 40 (grob gesprochen) einen entscheidenden Nachteil, was das kommunikative Internet angeht: Sie haben es in der Mehrheit nur als zunächst freudloses Arbeitswerkzeug kennengelernt, sie schrieben ihre ersten E-Mails an Kollegen oder den Chef, nicht an das Mädchen, in das sie heimlich verliebt waren."

Stöcker kritisiert den Chefredakteur der New York Times, Bill Keller, für einen offenbar nicht aus der Welt zu kriegenden Kurzschluss – dass das Internet irgendwie doch eher blöd mache:

"Der eigentliche Anlass für die überraschende Abrechnung des Journalisten mit dem sozialen Netz der Gegenwart scheint ein Erlebnis mit seiner 13-jährigen Tochter gewesen zu sein. Seine Frau und er hätten ihr kürzlich erlaubt, Facebook zu benutzen, schrieb Keller. 'Innerhalb weniger Stunden hatte sie 171 Freunde angesammelt, und ich fühlte mich, als hätte ich meinem Kind eine Pfeife mit Crystal Meth gereicht.'"

Ähnlich in die Falle seines eigenen Unbehagens wie Keller tappt doch tatsächlich der Schriftsteller Umberto Eco, um den es in den "Nachrichten aus dem Netz" der Süddeutschen (S. 11) heute geht, genauer um seine Kolumne zum Thema "Wahrheit im Internet":

"Was ihm, der ja nicht zuletzt ein Nestor der modernen Medienwissenschaft ist, Anlass für interessante Betrachtungen hätte geben können, gerann zum langweiligsten Pauschalurteil, das in Sachen Internetkritik zu haben ist. Eco beklagte, dass das Netz ein 'anarchisches Territorium' geworden sei, 'wo man alles sagen kann, ohne dementiert werden zu können'."

Dummerweise belegte er seine Einlassung mit Falschmeldungen, die, wie ein Blogger sich nicht zurückzukeifen lumpen ließ, "ihren Ursprung sämtlich in klassischen Medien" hätten.

Letztlich ist es also die alte Ziegenbartfrage, die auch hier zur Disposition steht: Wer ist denn nun seriöser?


Altpapierkorb

+++ Print- und Online-Unterschiede definiert DWDL – das sich nach der Lektüre von Stefan Niggemeiers dreiteiliger Kritik an stern.de, vor allem daran, dass die Site nach deutlich mehr aussehe als sie tatsächlich biete (eins, zwei, drei) eine Marktbereinigung wünscht: "Wo man im Print seine traditionsreichen Marken klar positioniert und deutlich gegeneinander abgrenzt, zeigt sich online nicht mal ansatzweise eine solch klare Differenzierung. Wenn sich besserer Online-Journalismus bei so vielen Marktteilnehmern nicht rechnet, bleibt uns wohl nichts anderes übrig als eine baldige Marktbereinigung zu wünschen." +++

+++ taz und Spiegel berichten über den bevorstehenden "Netz-G8-Gipfel – Der Spiegel mit Focus auf Sarkozy, die taz mit Fokus auf die europäischen Netzaktivisten +++

+++ Harald Staun steuert auf der Medienseite der FAS Erhellendes zur Quotenmessungsfrage bei: "Was werden sie lachen, die Forscher der Zukunft, über die Angst der Fernsehmacher vor dem Morgen danach, über die Ungewissheit vor der Bekanntgabe der Zahlen und über die armseligen Methoden ihrer Ermittlung: 5640 Haushalte, das wird man sich dann einmal vorstellen müssen, besaßen damals, im Jahr 2011, eine jener kleinen zwischengeschalteten Boxen namens 'GfK-Meter', welche ihr Fernsehverhalten Nacht für Nacht an eine Gesellschaft für Konsumforschung sendeten." Doch wie blöd: "Sie wussten leider alle, die auserwählten Mitglieder des sogenannten Panels, dass ihre Entscheidungen keine Privatsache waren, dass sie das Programm nicht nur auswählten, sondern damit auch beeinflussten, dass sie es durch ihren Konsum gleichzeitig auch mitproduzierten." +++

+++ Kurz, wir sind das Programm. Weiß bekanntlich auch FAS-Feuilletonchef Claudius Seidl, den die Berliner Zeitung vom Samstag befragt hat – weil er sich, wie an dieser Stelle schon mehrfach erwähnt, sozusagen für die ZDF-Intendanz bewirbt: "Natürlich will er den Intendanten-Posten nicht wirklich, 'ich habe ja den besten Job der Welt'. Doch ein wenig Hoffnung, dass wieder einmal eine Internetbewegung ein autoritäres Regime das Fürchten zu lehrt, die hat Seidl schon. Der Mainzer Sender sei ein zwangsalimentierter Apparat, dessen 'einziges Ziel die eigene Reproduktion' sei." Einem Fernsehduell mit Thomas Bellut, der als ZDF-Favorit gilt, werde er nicht aus dem Weg gehen, so Seidl. Bliebe die Frage, wer moderiert. Vielleicht Wulf Schmiese? +++

+++ Das Wort "zwangsalimentiert" fällt, soweit wir anders als bei Seidl, nicht im FR-/BLZ-Text über die Gebühreneinzugszentrale: "Draußen ist die GEZ nicht selten die Projektionsfläche für eventuellen Unmut über das Programm oder schlicht über die Tatsache, dass einem alle ans Geld wollen. Drinnen wirkt man voller Selbstbewusstsein angesichts des täglich zu bewältigenden Arbeitspensums." +++

+++ Das restliche Medienseitenprogramm des Tages kreist ums Fernsehprogramm: Die ARD zeigt im Rahmen der Themenwoche "Der mobile Mensch" so einiges, unter anderem das Drama "Carl & Bertha" (20.15 Uhr), das die SZ (S. 15) kritisiert: "Ken Duken spielt den Carl Benz weicheiweinerlich, stets vibriert der Schnauzbart, immer ist er kurz vor dem Zusammenbruch. Felicitas Woll, die sonst so schön aufbrausen kann, schafft es hier maximal zum patenten Heimchen an der Werkbank" +++ evangelisch.de findet den Film dagegen "überraschend kurzweilig" +++ Der Tagesspiegel interviewt jene Felicitas Woll +++ Genau wie die Berliner Zeitung +++

+++ Und während der Tagesspiegel daneben die besagte Themenwoche noch kurz vorstellt, nahm sich die Berliner Zeitung des Konzepts Themenwoche am Samstag ausführlich an: "Die journalistische Logik eines fortwährenden Agenda-Settings lässt kaum noch freie Themen zu. Wäre uns der Welthunger nicht auch so mal eine hervorragend gemachte ARD-Dokumentation wert gewesen? Aber erst im Rahmen der Themenwoche 'Essen ist Leben!' schickte der SWR dann den Dokumentaristen Marcus Vetter und die Journalistin Kathrin Steinberger einmal um die Welt" +++ Der KSTA schreibt, das Programm werde mit der "Themen-Gießkanne" ausgeschüttet +++

+++ Kann man einem öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorwerfen, dass es nur auf Quote aus wäre, wenn es Filme ausstrahlt, dessen Verständlichkeit die FAZ (S. 29) folgendermaßen zusammenfasst? "Die Bagasch hat den Kieberer erschossen und ausgerechnet mit einem Marmeladinger an der Seitn, der sich permanent aufbemmerlt, soll Kommissar Schuh zusammenhackeln. Der Kieberer will den Bugl aufplatteln, aber der einzige Zund ist ein Peckerl auf der Hand." Es geht um den ZDF-Film "Willkommen in Wien" +++

+++ Die Quoten der "Wochenshow" bei Sat.1 übrigens: "stark" (u.a. kress) – was es ja gerade auch nicht besser macht +++

+++ Kai Pflaume oder Opdenhövel – wer macht der ARD den neuen Pilawa? (Spiegel über Pflaume) +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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