Dem Dezember wohnt ein Zauber inne: Viele Menschen sehen die Welt offenbar mit anderen Augen, haben mehr Mitgefühl für die Nöte anderer, sind freigiebiger. Statistiken belegen das: In keiner anderen Zeit des Jahres wird so viel gespendet wie im Advent. "Im Dezember verzeichnen wir zwei- bis dreimal so viele Einzelspenden wie im Durchschnitt der Vormonate", sagt Martin Wulff vom Deutschen Spendenrat dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Rund 18 Prozent aller privat gespendeten Gelder - insgesamt knapp fünf Milliarden Euro im vergangenen Jahr - werden in den letzten Wochen des Jahres auf den Weg gebracht. Zwar nimmt die Zahl der Spender laut Wulff kontinuierlich ab, der Betrag pro Kopf steigt aber stetig: 2024 lag der durchschnittliche Einzelbetrag bei etwa 400 Euro. Für das laufende Jahr geht Wulff von ähnlichen Zahlen aus.
Biblische Erzählungen vom Geben
Aber woran liegt es, dass der Dezember Herzen und Geldbörsen der Menschen öffnet? "Die Adventszeit ist von Erzählungen geprägt, in denen das Geben eine besondere moralische Aufwertung erfährt - vom biblischen Motiv der Herbergssuche bis zur langen Tradition des Schenkens", erklärt Marcel Schütz, Sozialwissenschaftler an der Northern Business School in Hamburg. Er hat sich intensiv mit der sozialen Seite des Weihnachtsfests und entsprechenden gesellschaftlichen Dynamiken befasst. Die Vorweihnachtszeit vermittele das Gefühl, Teil eines größeren Sinnzusammenhangs zu sein, in dem Solidarität und Fürsorge zählten, sagt er.
Weihnachten sei eine Zeit "symbolischer Verdichtung". Rituale, Musik, Lichter, Gebäck und vertraute Bräuche aktivierten kollektive Erinnerungen an Familie, Kindheit und Gemeinschaft. "Diese kulturellen Muster wecken das Bedürfnis nach Harmonie - ein sozialer Reflex, der tief in unserer Erfahrungsstruktur verankert ist", erklärt Schütz. Selbst Menschen, die mit Religion wenig anfangen könnten, seien in dieser Zeit empfänglicher für emotionale Rückbindungen.
Gemeinschaft im Advent wie bei der Fußball-WM
Das beobachtet auch Jörg Berger, Psychotherapeut aus Heidelberg. "In der Advents- und Weihnachtszeit erleben wir etwas gemeinsam wie sonst nur bei der Fußball-WM", sagt er. Es entstehe ein Gefühl, "zur Menschheitsfamilie zu gehören". Das mache großzügig. "Wir fühlen stärker, was ein anderer braucht." Er spricht vom "Weihnachtsherz", das Menschen in dieser Zeit bekämen.
Vom "Weihnachtsherz" profitieren aber nicht nur die anderen, sondern auch man selbst. Neurowissenschaftliche Studien haben nämlich gezeigt, dass das Geben von Zeit und Geld das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert und Glücksgefühle auslöst. Damit stärkt großzügiges Verhalten das eigene Wohlbefinden und erzeugt ein wohliges Glücksgefühl.
Für soziale Organisationen wie Diakonie oder Caritas ist der Dezember ein extrem wichtiger Monat. "In der Advents- und Weihnachtszeit sind Menschen gebefreudiger, sie lassen sich leichter sensibilisieren, sind offener für Nöte anderer", sagt Eva-Maria Bolay vom Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
"Dem eigenen Glück in der Familie, auf das man sich besinnt, steht die Not vieler Menschen gegenüber." Das werde vielen gerade in der Vorweihnachtszeit bewusst. "Einige Spender nutzen die Weihnachtszeit bewusst, um im Familien- oder Freundeskreis gemeinsam über Spenden zu entscheiden", berichtet Bolay. Die Gelder gehen meist an konkrete Projekte, etwa für Wohnungslose, Kinder oder Alleinerziehende.
Was bleibt vom "Weihnachtsherz" fürs neue Jahr? "Die sozialen Mechanismen, die in der Adventszeit wirken - Aufmerksamkeit füreinander, kleine Gesten der Anerkennung, die Bereitschaft, sich zu öffnen - sind nicht exklusiv an diese Wochen gebunden", sagt Marcel Schütz.
Vergleichbare Momente der Gemeinsamkeit und der Großzügigkeit ließen sich auch außerhalb der Festzeit schaffen. Allerdings funktioniere der "etwas verschwenderische, überschäumende Ausnahmezustand" der Weihnachtszeit gerade deshalb, weil er seinen besonderen Platz im Jahr habe: "Weihnachten ist in dieser Hinsicht tatsächlich ohne Vergleich."




