Kalter Rauch

Kalter Rauch

"Wetten, dass..?" noch einmal mit Thomas Gottschalk, eine Königshochzeit, der Geruch von altem Ersatztabak, der Eurovision Song Contest – und ein Kriminaldirektor, der eine Journalistin durchsuchen lassen will

Bevor wir die drei erstgenannten Säue – Gottschalk, Queen, Lena – jiihaaaa-rufend und peitscheschwingend gerne mit durchs Dorf treiben und die Frage klären, was die Royal Wedding mit Ersatztabak zu tun hat (Foto), gibt es eine Geschichte aus Bremen zu vermelden, eine Art Ankündigung eines kleinen Falls "Cicero" beim Weser-Kurier. Zur Erinnerung: Nachdem der Cicero aus "vertraulich" genannten Akten des Bundeskriminalamts zitiert hatte, gingen die Behörden auf Maulwurfssuche – auch durch Einschüchterung von Journalisten; Redaktionsräume und Computer wurden etwa beschlagnahmt.

Der Weser-Kurier-Fall ist anders gelagert; es scheint sich tatsächlich nur um einen Vorboten eines kleinen Falls "Cicero" zu handeln, weil es nicht zu Redaktions-Durchsuchungen kam, um den Informanten einer Journalistin des Weser-Kuriers zu finden. Erwähnenswert ist er dennoch, weil ein Kriminaldirektor offenbar gerne derartige Maßnahmen ergriffen hätte, bevor er von der Oberstaatsanwaltschaft in die Schranken gewiesen wurde.

Jener Kriminaldirektor soll – so steht es hier und auch knapper und etwas anders hier im Weser-Kurier, der einen Aktenvermerk eines Staatsanwalts zitiert – vorgeschlagen haben, Redakteurin Christine Kröger nach kritischen Berichten, die offenbar Polizei-Interna enthielten, durchsuchen zu lassen. "Es müsse 'präventiv ein Signal gesetzt und ergründet werden, wer Informationen weitergegeben hat'", zitiert der Weser-Kurier den Kriminaldirektor. "Dabei werde man sicher dann auch noch erfahren, 'was Frau Kröger sonst so treibt'."

Immerhin: Die Staatsanwälte wiesen den Vorschlag laut Weser-Kurier prompt zurück. Die Süddeutsche Zeitung, die auf Seite 17 über den Fall kurz berichtet, endet:

"Die Polizeiinspektion Verden/Osterholz wollte sich zu dem Thema an diesem Sonntag nicht äußern und verwies an die Polizeidirektion Oldenburg. Dort hieß es, man werde an diesem Montag eine mögliche Stellungnahme prüfen."

[listbox:title=Artikel des Tages[Die Weser-Kurier-Geschichte##Der ZDF-Intendant im Interview (BLZ)##Wie riecht die Muse? (FAZ.net)]]

Zum Kernprogramm des medienjournalistischen "Altpapiers" gehört freilich nicht nur die Frage, wie und ob Journalismus beschädigt wird, sondern auch der totale Megatrash die Frage, ob Journalisten eigentlich eigentlich noch alle Latten am Zaun haben. Weil: Das fragen sich ja alle Medienjournalisten, ständig.

Beispielhaft gestellt wird diese Frage am Fall Royal Wedding: Unter anderem wurden zwei Interpretationsmöglichkeiten durchgespielt. a) Haben Journalisten noch alle Tassen im Schrank, wenn sie so tun, als gäbe es nichts Wichtigeres als die Hochzeit von Kate und Willy (siehe etwa Altpapier vom 11. April)? Oder b) machen die Medien halt ihren Job, indem sie berichten, was ja dann doch viele interessiert?

Vertreter von These b wären Roland Nelles von Spiegel Online, der sich diesbezüglich beim Tagesspiegel äußert, und ZDF-Intendant Markus Schächter, der im Interview mit Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau am Samstag die Übertragung der Hochzeit auch im ZDF mit den Worten verteidigte:

"Es gibt ein überragendes Interesse der Zuschauer, sich das anzusehen, so wie die Presse es auf jeder Titelseite groß zum Thema gemacht hat."

Der Vollständigkeit und Verwirrungsstiftung halber sei noch c) die Frankfurter-Allgemeine-Sonntagszeitungs-Frage genannt: "Wie viele Menschen hätten eigentlich zugeschaut, wenn die Hochzeit von niemandem gezeigt worden wäre?" Aber für die Entschlüsselung des Verhältnisses von Themensetzung der Medien und Themenvermittlung durch Medien kriegt irgendwann sicher mal jemand einen Nobelpreis – befürchtlich aber nicht sehr bald.

Wie aber war sie nun, die Trauungsübertragung, die nebenbei noch der "meistangesehene Live-Stream in der Geschichte des World Wide Web" (SZ, TSP) war?

"(D)ie ARD hat sich bei diesem Event jenseits aller Realität angemessen geschlagen, royal war royal. (...) Was sonst, namentlich beim ZDF, bei Sat 1 und RTL geschah, das kann so nicht stehen bleiben. Fangen wir beim Zweiten an. Üben, üben, üben",

schreibt wiederum im Tagesspiegel Joachim "Royalisten-Quatsch" Huber.

In dieser Hinsicht gibt es einen kleinen Konsens: Auch Thomas Gottschalk zitierte bei "Wetten, dass..?" "immer nur die ARD-Kommentare von Rolf Seelmann-Eggebert" (kress.de). Und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat, wie Huber, eine ARD in guter Normalform mit Rolf Seelmann-Eggebert gesehen und dagegen ZDF, RTL und Sat.1 halbwegs unter aller Sau. Stefan Niggemeier hat für die "Teletext"-Kolumne einfach ein paar Moderationsauszüge gesammelt. Ein Beispiel:

"Andrea Kiewel (ZDF): Es ist ein bisschen kühler, aber kein Regen. Wir beide wissen auch, warum.
Patricia Schäfer: Yes. Wahrscheinlich...
Kiewel: Wahrscheinlich! Hat Lady Diana schützend die Hände über dem Ganzen."

Andrea Kiewel? "Es war zum Erbarmen", kommentiert auch die Berliner Zeitung, die auch einige Onlineticker in ihrer Kritik würdigt – und auch die lobt Rolf Seelmann-Eggebrecht: "Es gibt außer ihm (...) keinen im deutschen Fernsehen, jedenfalls keinen, der gestern auf Sendung war, der die politischen Dimensionen einer derartigen Hochzeit so kenntnisreich erläutert."

Hinzu kommen eine Zeitungsüberschriften- und Fernsehquotenauswertung auf der Medienseite der Süddeutschen (von "Yes, I Willi" im Berliner Kurier bis "Hochzeit verpasst? Macht nix" der taz) und eine sprachliche Aufbereitung des Mediengeschehens von Klaus Jarchow, der in der FAZ schreibt:

"die Muse, die unsere Journalisten an diesem Tag stilistisch küsste, die roch etwas abgestanden aus dem Mund, wie alter Knaster aus Kaiser Willems Zeiten."

Mal was anderes: Raucht die Queen eigentlich?


Altpapierkorb

+++ "Wetten, dass..?": (Quoten etwa hier, Marktanteile der Sender allgemein dagegen hier). Mehr Gottschalk wie häufig vielerorts +++

+++ Rechtzeitig vor dem Eurovision Song Contest macht sich Der Spiegel über den Austragungsort Düsseldorf lustig (S. 142 ff.) und beschäftigt sich mit einem prognostizierten Zuwendungsverlust in Deutschland für Lena Meyer-Landrut (S. 144 f.) +++ Stefan Niggemeier und Lukas Heinser, beide auch vom Bildblog, machen wieder ein Eurovision-Blog, diesmal, nach dem Oslog, das Duslog +++

+++ Der Spiegel bleibt dem Focus auf den Fersen: "Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendwo in Deutschland Jugendliche schwere Gewalttaten verüben", unterzeilt Der Spiegel seine Titelgeschichte ("Die unheimliche Eskalation der Jugendgewalt"), in der er absolute Zahlen nennt, aber den relativierenden Hinweis von Kriminologen, dass es "sinkende Tatverdächtigenzahlen" – also weniger Jugendgewalt – gebe, nur nebenbei erwähnt und vor allem als "Banalisierung" abtut +++ Die Süddeutsche arbeitet noch einmal den Fall des französischen Journalisten Franz-Olivier Giesbert auf, dessen Fernsehsendung abgesetzt wird – nachdem er den Kollegen Sarkozy verspottet hatte +++

+++ Mehr zu den Plänen des ZDF (siehe Altpapier vom Freitag), diesmal zum Aufbau eines Video-on-Demand-Bereichs, der den Gebührenfinanzierten "großes Geld" bringen soll, am Freitag in der FTD +++

+++ Daten: Das SZ-Feuilleton im Aufmacher über Apple, Hacks, Datenpannen und die Hoffnung auf Rettung durch den Chaos Computer Club: "Der durchschnittliche Nutzer kann sich nicht nur nicht vorstellen, was ein Bösewicht, ein Unternehmen, eine Regierung mit seinen Daten anstellen kann, was mit seinen Gadgets alles schief laufen kann. Wer seine Daten klauen kann, wer sie verkaufen kann, wer sie vielleicht schon seit vielen Jahren besitzt. Wer sein Leben kennt und kontrolliert. Er erfährt es erst, wenn es ihm ein Programm wie der iPhone-Tracker vor Augen führt, und auch diese wirkungsvolle Demos sind - ebenso wie die Datenschutzskandale der vergangenen Wochen von der Unesco bis zu Sony – nur kleine Ausschnitte aus dem Totaldesaster, das denkbar ist." +++

+++ Und Carta zweimal, zu Leistungsschutz- und Urheberrecht +++

+++ Im Fernsehen: eine vierteilige Fernsehfilmreihe im ZDF über Identität online, beginnend heute Nacht mit "Egal was ich tue, sie lieben es" (0.10 Uhr) besprechen FAZ, FAS, BLZ und SZ +++ "Tod am Engelstein" (ebenfalls ZDF, 20.15 Uhr) wird rezensiert in FAZ, Berliner Zeitung und Tagesspiegel +++ Und zu "Big Brother" – neue Staffel – die Berliner +++ "Majority Rules" beim Kika, besprochen in der taz +++ Ebd. geht es auch um die Zuschauerbeteiligung á la ZDFneo: Dort "entscheidet nun der Zuschauer, was künftig gezeigt wird" +++

Frisches Altpapier gibt es am Dienstag gegen 9 Uhr.

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