Licht aus - Spot an!

Licht aus - Spot an!

Ging es beim ZDF in den 70er Jahren zu wie in der DDR? Wird es bald ein Gebührenstuttgart 21 geben, mit FAZ und FDP an vorderster Front? Außerdem: die Pulitzer-Preisträger.

In den vergangenen Tagen standen angesichts des Medienkongresses re:publica Debatten über das Internet und die Zukunft des Journalismus im Mittelpunkt. Kein schlechter Grund, heute einmal die alte Medienwelt bzw. vergangene Medienepochen in den Fokus zu rücken. So wie es die Jüdische Allgemeine in einem Appetizer für ein am Donnerstag erscheinendes großes Interview mit Ilja Richter macht. Der heutige Theaterschauspieler und frühere Moderator der ZDF-Sendung „Disco“ (die mit der gleichnamigen Musikrichtung nichts zu tun hatte) blickt zurück:

"Es gab in den 70er Jahren überhaupt keine Freiheiten im Fernsehen, und besonders humorlos waren die Gesetze im humoristischen Bereich. So gut wie nichts war erlaubt. Wir sprechen wohlgemerkt nicht über das Fernsehen der DDR und irgendwelche zentralistischen Direktiven, sondern über das ZDF. (...) Normalerweise leben Sketche von Sprüchen über die Kirche, Parteien, Ehe und Minderheiten - all das war damals nicht möglich."

Nicht einmal bei der Musikauswahl durfte Richter - auf dem YouTube-Screenshot bei einer typischen Handbewegung zu sehen - mitreden:

"Wenn Heino zum dritten Mal mit ‚Schwarzbraun ist die Haselnuss‘ auftrat, (...), war das für mich nicht ganz einfach. Bei der Ankündigung von Tony Marshall, Rex Gildo oder Heino war eine subtile Form von Ironie bei mir unvermeidlich.“

Ob es beim ZDF in den 70er-Jahren zuging wie in der DDR, vermögen wir nicht abschließend zu beurteilen - wobei wir uns, der Exkurs in die Aktualität sei erlaubt, des Eindrucks nicht erwehren können, dass es in diesem Land nicht an Journalisten mangelt, die meinen, ein paar „zentralistische Direktiven“ von außen täten dem ZDF mal ganz gut. Vielleicht wäre diese teuflische Sache mit den Champions-League-Rechten dann nicht passiert.

Vorerst wieder zurück in die 70er Jahre: Damals gab es in den Fußballstadien noch keine Werbebanden, wie der Bildberichterstatter Lutz Bongarts in einem Interview mit direkter freistoss (Achtung, Eigenwerbung!) zur Entwicklung der Sportfotografie in den letzten Jahrzehnten berichtet:

"Die Fotografen konnten sich am Spielfeld überall frei bewegen, auch rund um die Trainerbänke. Man konnte sich auch ganz flach auf den Boden legen. Das geht heute aufgrund der hohen Werbebanden nicht mehr. Das heißt, man bekam damals Perspektiven, die man heute nicht mehr bekommt.“

Das verhindern die Leute die Fernsehen, die das Geschehen am Spielfeldrand dominieren. Ärgerlich sei zudem, dass heute „die Nachrichtenagenturen Kollegen ins Stadion schicken, die keine Affinität zum Sport haben und teilweise die Spieler gar nicht kennen“. Einen allgemeingültigen Befund liefert Bongarts auch: Der Sportfotograf sterbe aus, sagt er. Beziehungsweise: „Die Spezialisten in der Fotografie verschwenden generell, die Tendenz geht zum Allrounder.“ Und das gilt jenseits der Fotografie ja auch.

Eine Institution der alten Medienwelt ist ganz gewiss die GEZ, auch wenn sie es sich heute gefallen lassen muss, von Claudia Tieschky (Süddeutsche) als „Bürokratie-Koloss“ bezeichnet zu werden: „Die Gebührenreform sollte die GEZ schlanker machen“, doch jetzt wolle sich die „Inkasso-Stelle“ erst einmal aufblähen, schreibt sie. Von einer „Image-Offensive“ könne kaum die Rede sein:

„Die Planung, die GEZ-Chef Hans Buchholz vorlegt, geht von 250 befristeten Neueinstellungen von 2012 an aus, bei externen Dienstleistern soll ebenfalls aufgestockt werden. Im Aufsichtsgremium der GEZ - dort sitzen Manager der Öffentlich-Rechtlichen - hält man die Aufstockung für gerechtfertigt."

So richtig rockt das Haus natürlich Michael Hanfeld in der FAZ. Ihn zieht es in den besten Jahren seines Lebens offenbar auf die Straße:

„Von 2013 an soll der Mitarbeiterstand der GEZ nun bei rund 1400 liegen, rechnen wir zu den derzeit fünfhundert Mitarbeitern bei den ‚Zulieferern‘ der GEZ noch einmal hundert hinzu, kümmern sich dann rund zweitausend Menschen darum, dass in jedem Haushalt und in jeder Betriebsstätte (dort gleich mehrfach, je nach Größe der Firma) Rundfunkgebühren bezahlt werden. Und da wäre offenbar niemand, der zu einem Gebührenstuttgart 21 aufriefe – außer Verfassungsrechtler wie Ingo von Münch (...) und in der Politik gerade mal die FDP.“

[listbox:title=Artikel des Tages[Gemeinnützige Schleichwerbung im ND (taz)##Peter Freys Ereignis des Jahres (FR)##Experimentierfreude und Expansionsdrang bei Al Jazeera (Fast Company)]]

Ebenfalls sehr traditionsreich und nicht unumstritten ist die Tageszeitung Neues Deutschland. Im Zusammenwirken mit einer Hilfsorganisation namens Volkssolidarität hat das Blatt nun nicht unbedingt ruhmreiche Pionierleistungen auf dem Feld der gemeinnützigen Schleichwerbung erbracht. Die taz erwähnt unter anderem einen 14 Monate alten Beitrag in der Beilage "ND Extra“:

"In dem Artikel wird das Ergebnis einer Umfrage unter Ostdeutschen über 50 Jahren vorgestellt, zudem werden die politischen Forderungen von Verbandspräsident Gunnar Winkler wiedergegeben. In dem Artikel gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Autor des Artikels, Tilo Gräser, zugleich als Pressesprecher der Volkssolidarität arbeitet. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass die Volkssolidarität für den Abdruck des Textes gezahlt hat.“

Zu den wichtigsten Ehrungen, die in der alten Medienwelt vergeben werden, gehört der Pulitzer-Preis. Unter anderem wurde die stiftungsfinanzierte Organisation ProPublica für ihre Berichterstattung über die Ursachen des Finanzkrise prämiert. Eine deutschsprachige Zusammenfassung liefert Spiegel Online, eine kurz kommentierte, komplette Siegerliste der New York Observer. Weitere Gewinnerbeiträge hier und hier.
 


Altpapierkorb

+++ Dass ZDF-Chefredakteur Peter Frey im Interview mit Ulrike Simon (FR/Berliner Zeitung) die Hochzeit von Prinz William vorab schon mal als „Fernsehereignis des Jahres“ feiert, ist keine Überraschung, Die Gedankenartistik, zu der er sich aufgeschwungen hat, um zu erklären, dass die Partyberichterstattung in gewisser Weise auch Politikberichterstattung sein werde, mutet aber leicht erstaunlich an: "Bei dieser Hochzeit präsentiert sich (..) das nächste britische Staatsoberhaupt. Dieses Ereignis ist nicht nur Klatsch und Tratsch, sondern ein Statement jenes Mannes, der einmal ein Nachfolger von Queen Elizabeth sein wird. Wir hören, dass William und Kate viele Ehrenamtliche aus der britischen Gesellschaft eingeladen haben. Sie setzen damit ein Zeichen in dem von Finanz- und Wirtschaftskrise gebeutelten Land.“

+++ Kein Wort mehr über die re:publica heute - außer von Antje Schrupp über dreißig Prozent Frauen gefühlte Gleichberechtigung: "Wurde letztes Jahr noch über den niedrigen Frauenanteil auf den Panels diskutiert, so scheint in diesem Jahr nach allgemeiner Einschätzung zahlenmäßig alles Paletti gewesen zu sein. Manch einer schrieb gar, dass ‚gefühlt jede zweite Session‘ was mit diesem Frauenzeugs zu tun hatte. Dieses Auseinanderdriften von faktischer und gefühlter Frauenpräsenz ist typisch für eine Gesellschaft, die zwar Gleichberechtigung befürwortet, aber doch symbolisch männlich bleibt. Denn dreißig Prozent heißt: Der Frauenanteil ist nicht mehr gar so arg niedrig, dass ganz offensichtlich irgendwas im Argen liegt. Und dann kann man es damit ja bewenden lassen.“

+++ Fast Company würdigt ausführlich Al Jazeeras am 2. Mai startendes Social-Media-TV-Projekt "The Stream“: "It's the most aggressive integration of social media into a live news program to date. And Al Jazeera says it wants to ... push the limits of so-called ‚citizen journalism‘, and inch into American media territory.“

+++ Liste des Tages: Der US-Sportsender ESPN zählt auf, mit wem die Moderatoren des Hauses Werbeverträge haben. Mal wieder eine Form der Transparenz, die bei den Medienleutchen hier zu Lande nur schwer vorstellbar ist.

+++ Fernsehen heute und morgen: Die Berliner Zeitung würdigt einen arte-Themenabend über den "neuen Agrarkolonialismus“: "Konzerne und staatliche Fonds haben bis 2009 weltweit geschätzt 50 Millionen Hektar Ackerland erworben - das entspricht den landwirtschaftlichen Flächen von Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien zusammengenommen. Nach Finanzkrise und Immobiliencrash haben Banken Ackerland als neue Anlageform entdeckt. Und landwirtschaftliche Flächen im Ausland sind in Zeiten des Klimawandels und einer wachsenden Weltbevölkerung auch für Regierungen attraktiv.“ Die Süddeutsche berichtet ausführlich über das am Mittwoch im ZDF startende Cross-Media-Krimiprojekt "Wer rettet Dina Foxx?“, wo die Mördersuche im Internet weiter geht. Barbara Gärtners Urteil fällt gespalten aus: "Insgesamt wurden 14 Websites programmiert und mit Verweisen und Beweisen bestückt sowie 20 Social-Media-Profile angelegt, die den Zuschauer auf die Fährte bringen sollen. Das alles ist schlau und gut gemacht. Trotzdem lässt einen das Schicksal dieses Mädchen seltsam kalt. Vielleicht weil es unbefriedigend ist, nach fünfzig Minuten ins Internet verwiesen zu werden und dort noch drei Wochen bis zur Auflösung umherzusurfen.“ (S. 15). 

+++ Zum Abschluss die beruhigende Nachricht, dass die Diskussion darüber, ob der neue Verein Digitale Gesellschaft bzw. #digiges etwas taugt, weiter geht. Das Thema dürfte uns ähnlich lange erhalten bleiben wie die ZDF-Champions-League-Causa.

 

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