Medienkritik aus Japan

Medienkritik aus Japan

Ranga Yogeshwar als Glücksfall, das "heute-journal" mit einem historischen Moment, die Medien an sich mit einer Deutschland-Fixierung bei der Japan-Berichterstattung – und eine Kritik an westlichen Medien aus Japan

In diesen Tagen wird vorgeführt, warum Medien- und Wissensseiten in mancher Zeitung direkt aufeinander folgen – etwa in der Süddeutschen oder in umgekehrter Reihenfolge im Tagesspiegel: Wissensredaktionen sind unter Umständen manchmal auch nicht die schlechteren Medienredaktionen. Dann nämlich, wenn es um die Einschätzung der Berichterstattung zu Themen geht, bei denen sich Wissensredakteure – manchmal auch Wissenschaftsredakteure – einfach besser auskennen.

Die Berichterstattung über die Folgen des Erdbebens (schon bei der Benennung geht es ja los: Ist es nun GAU, schon Super-GAU, nur Unfall, "Atom-Horror", Katastrophe – oder was?) ist ein Beispiel. Während Daniel Kahl (Foto) die westlichen Medien rügt (siehe weiter unten), wird etwa Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar vom WDR von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung oder vom Branchen-pdf-Magazin ViSdP für seine Arbeit gelobt.

Zunächst die Begründung der FAS (derzeit nicht frei online), die ihn ein "Ablassventil einer überhitzten Debatte" nennt: "Zum einen schien er sich der neuen Rolle sehr bewusst zu sein, und der Verantwortung, die sie mit sich bringt (...). Und vielleicht war es aber auch so, dass das, was vom Bastelfreak übrigblieb, das Seine zur Beruhigung beigetragen hat: dass die drohende Kernschmelze schon dadurch ihren Schrecken verlor, dass sie Yogeshwar mit Textmarker und Wasserglas veranschaulicht (...)."

Und dann die von ViSdP: "Ranga Yogeshwar erklärte den Fernsehzuschauern fast täglich in einfachsten Worten die physikalischen Prozesse, die in den Reaktoren wahrscheinlich abliefen", was für die Redaktion deswegen hervorhebenswert ist, weil sie ansonsten u.a. Panikmache beklagt:

"Fukushima war hierzulande eine deutsche Katastrophe."

Diese Klage hören und lesen wir heute an verschiedenen Stellen. Nicht immer folgt Medienkritik daraus, aber doch hier und da. Also: Einen Mangel an Empathie beklagen etwa Claudius Seidl in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Selbstbezogenheit beklagt Klaus Hartung im Tagesspiegel, der vor allem die Fernsehsender kritisiert:

"Am Anfang der Woche drängte die Akw-Frage die Berichterstattung über den Tsunami an den Rand. Gesendet wurden altbekannte Bilder, während man bei CNN und BBC immer neue Nachrichten über die Flutfolgen sehen konnte. (...) Es ist wohl doch der erste Akt der Teilhabe und Menschenliebe, dass man nicht wegsieht, vielmehr alles zu begreifen sucht, was geschieht? Aber die Medien und Fernsehnachrichten konzentrierten sich vehement auf die Frage, ob uns in Deutschland auch ein Fall-out drohe."

Niklas Hofmann verlinkt in den "Nachrichten aus dem Netz" der SZ (S. 13) analog einen anderen, ziemlich greifbaren Aspekt:

"Der Amerikaner Daniel Kahl (Foto; AP), der seit Jahrzehnten in Japan lebt und dort als Fernsehpersönlichkeit bekannt ist, hat in einem auch in Japan selbst viel verlinkten YouTube-Clip (hier der Link; AP) die westlichen Medien dazu aufgerufen, nicht weiter Panik zu verbreiten, ihre Berichte würden in Japan große Verunsicherung hervorrufen."

Der medialen Vermittlung der Folgen der "japanischen Ereignisse" widmete sich am Samstag mit lobenden Worten andererseits Frank Schirrmacher in der FAZ: Er hob, auf dem Feuilletonaufmacherplatz, einen Beitrag des "heute journals" hervor.

"Es gibt Momente angesichts der jede Aufmerksamkeitskraft überfordernden apokalyptischen Echtzeitticker, da einem dank der Worte und Bilder eines anderen etwas klar wird: Momente, in denen die Chance sich eröffnet zu einer Reflexion, die über Strahlenwerte und Eskalationsängste hinausgeht. Es sind die Momente, wo es jemandem gelingt, ein gerade ablaufendes Ereignis zu historisieren. Der Moment, da man zu einem Moratorium mit seinem eigenen Kopf befähigt wurde, ereignete sich am Donnerstagabend im 'heute-journal' (Link im Original; AP) des ZDF, er dauerte knapp zehn Minuten – und da das Fernsehen, das öffentlich-rechtliche zumal, so oft und vielleicht zu oft beschuldigt wird, für alles Schlechte auf der Welt verantwortlich zu sein, muss man ihn würdigen."

Wobei man den letzten Satz wiederum nicht unbedingt als Kritik am eigenen Medienredakteur verstehen muss: Einen schärferen Kritiker der Öffentlich-Rechtlichen als Michael Hanfeld wird man hierzulande kaum finden – allerdings eher, was die Struktur als das Programm angeht.

[listbox:title=Artikel des Tages[Deutsche Selbstbezogenheit (TSP)##"Stop the hysteria" (TheDanielKahl bei YouTube, via SZ)##Ein historischer Moment (FAZ vom Samstag)##Twitter in Tweets (SPON)]]

Jener Hanfeld berichtet heute, da seine Medienseite montags stets zur Fernsehprogrammseite umfunktioniert ist (heute übrigens im neuen Layout: die Fernsehkritik ist nun, statt darüber zu stehen, ins Programm eingeblockt), im FAZ-Feuilleton (S. 29, mit Olaf Sundermeyer) über den "größten Betrugsfall der deutschen Rundfunkgeschichte" und seine Folgen "für das gesamte öffentlich-rechtliche System":

"Von 2002 bis 2010 hat der offenbar spielsüchtige Produktionsleiter des Kinderkanals Leistungen abgerechnet, die niemals erbracht worden sind – über Scheinrechnungen von Produktionsfirmen. Auch wenn noch Fragen offen sind, macht der MDR nun Tabula rasa, beim Kika bleibt kein Stein auf dem anderen, es gibt eine neue Struktur – in der endlich eine wirksame Gegenkontrolle bei der Auftragsvergabe vorgesehen ist."


Altpapierkorb

+++ Auch Der Spiegel berichtet knapp über die sogenannten Kika-Affäre, online auch eine Vorabmeldung, inklusive einiger Bestätigungen diverser Sachverhalte durch MDR-Intendant Udo Reiter +++

+++ Bundestagspräsident Norbert Lammert, dieser Tage bereits auf diversen Medienseiten in Artikeln über die Zukunft des Parlamentsfernsehens zitiert (etwa in der SZ vom Freitag, siehe etwa Altpapierkorb), kritisiert im Spiegel-Interview (auch das ist printonline zusammengefasst, zudem von den Online-Kollegen aufgegriffen) die "anschwellende Flut" von Politik-Talkshows in der ARD: "Sie simulieren nur politische Debatten. In Wahrheit benutzen sie Politik zu Unterhaltungszwecken"; ihn störe die "Abstinenz bei authentischer und der Übereifer bei simulierter politischer Auseinandersetzung" – womit wir wieder bei der Frage wären, ob es ein Parlamentsfernsehen braucht +++ Die FAS wendet ein: "Wenn Lammert jetzt auch noch erklären könnte, was an den öffentlichen Reden im Bundestag so wahnsinnig authentisch ist, dann wären wir beinahe einverstanden" – was wiederum die Frage aufwirft, ob authentisch mit sachlich zu verwechseln ist +++ Noch eine Polit-Talkshow, allerdings bei Sat.1: Claus Strunz im TSP-Interview +++ Und ebenfalls bei Sat.1: Ingolf Lück soll wieder die "Wochenshow" moderieren (Spiegel) +++

+++ Medienentwicklungen: Jörg Häntzschel auf der Medienseite der SZ (S. 15) über die neueren Bezahlmodelle für Internetjournalismus in den USA: "Wenn es den amerikanischen Verlagen gelingt, den über Jahre ans Gratislesen gewöhnten Kunden umzuschulen, ihn zu überzeugen, dass es professionellen Inhalt nur gegen Bezahlung gibt, haben sie alles richtig gemacht", schreibt er – und vergleicht den deutschen Markt: Die deutschen Verlage "fanden es (...) nicht anachronistisch, dass ihre mit Substanz gefüllte Zeitung wie vor 100 Jahren am nächsten Tag im Müll landet – unauffindbar für Google und verschwunden für alle Zeiten" +++

+++ Fünf Jahre Twitter – aufbereitet von Spiegel Online und Tagesspiegel +++ The European über den "Bedeutungsverlust der Zeitungen" +++ Wozu Carta eine Einordnung parat hat: "Nur 14 Prozent der 14- bis 29-Jährigen halten Fernsehen für 'informativ'. Statt dessen hat sich das Internet zum 'wichtigsten Informationsmedium' der jungen Nutzer entwickelt. Viele Digital Natives surfen jedoch an den bisherigen Kathedralen der Meinungsbildung vorbei: Ihr mit Abstand populärstes 'Informationsmedium' ist Wikipedia, Portale und soziale Netzwerke dominieren ihre Internetnutzung" +++

+++ Eine neue Regionalbeilage der taz (taz-Blog) bzw. ein Blatt namens Kontext, das der taz beiliegen wird: Macher Josef-Otto Freudenreich wird vom Spiegel (S. 162) dazu befragt +++ "Die Medien haben versagt" – ein Buch über die Winnenden-Berichterstattung (FR / BLZ) +++

+++ Degeto-Chef Jörn Klamroth ist gestorben (FR, TSP, SZ, S. 15) +++

+++ Allerhand zu "Wetten, dass...?": Welt und taz vergnügten sich bei "Wetten, dass..?" in der Halle. Der Tagesspiegel sah einen befreiten Gottschalk, die SZ (S. 15) einen routinierten, Spiegel Online u.a. angestrengte Sofagespräche, das Hamburger Abendblatt fand die Show "wenig geschichtsträchtig", die Berliner Zeitung befindet sie einer kurzen Erwähnung, der KSTA immerhin eines Live-Tickers würdig +++

+++ Und heute im Fernsehen: "Mord in bester Familie" (ZDF, 20.15 Uhr), besprochen vom Tagesspiegel, FAZ (S. 31), FR / BLZ und evangelisch.de +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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