Der kommende Aufstand

Der kommende Aufstand

Gehen im Glashaus Nummer 1 bald die Scheiben zu Bruch? Die Bild-Spiegel-Holofernes-Weiterungen und mangelnde Meinungsfreiheit unter Hosni Diekmann

Es ist Dienstag, und noch immer scheiden sich die Geister an der Bild-Zeitung. Vielmehr am Umgang mit der Bild-Zeitung.

Das mit dem Sich-Scheiden ist dabei nicht in dem Sinne gemeint, wie der Tagesspiegel es versteht. Der versammelt aus Anlass des jüngsten Spiegel-Titels (Altpapier von gestern) Statements von fünf prominenteren Menschen. Die Auswahl – Klaus Staeck, Ernst Elitz, Konstantin Neven DuMont, Friedrich Küppersbusch, Hans-Hermann Tiedje – ist nicht nur gender- oder diversitypolitisch öde.

Man kann aus diesem Aufgebot altbekannter Standpunkte (Staeck, Küppersbusch contra, Elitz, Tiedje pro, DuMont dazwischen) auch keinen Gedanken destillieren, der einem das Phänomen Bild im Jahre 2011 irgendwie besser erklären würde.

Klaus Staecks aktuelle Grafik ("Noch entscheidet Bild wer wann zurücktritt") ist zwar treffend, verliert die Kraft ihrer Kritik allerdings, wenn man liest, dass Bild-Chef Kai Diekmann sich im Spiegel-Interview mit kritischen Staeck-Zitaten den Standort seines Blatts erzählt ("Meinungsführerschaft"). Anders gesagt: In Zuge der Umwertung aller Werte, die die Guttenberg-Treue exemplarisch vollzieht, kann man sich vorstellen, dass Bild selbst mit dem Staeck-Plakat wirbt – indem es das Plakat einfach unironisch für sich als Erfolg verbucht.

Als Kritik bleiben aus der Tagesspiegel-Umfrage lediglich medieninterne Wahrnehmungen zurück:

"Die Auflage des Massenblattes geht erfreulich zurück." (Staeck)

Und:

"Ich verstehe den aktuellen Titel vor allem auch als ein klares Signal an die 'Spiegel'-Belegschaft." (Küppersbusch)

Sowie: Die stunning Rolle, die Ernst Elitz spielt, seit das Radio ihn pensioniert hat. Das Tempo, in dem der "Gründungsintendant" des Deutschlandradios Spagate hinlegt (hier wird sein Expertentum nicht nur seine Bild-Kolumnistenschaft unterstrichen, sondern auch durch die Tatsache, dass er mal "Spiegel"-Redakteur war), führt zu der Frage, ob ihm da nicht, mit Verlaub, irgendwann die "Eier" (Oliver Kahn) wehtun müssen.

Wo das, was bei anderen Menschen Bewusstsein heißt, bei Elitz aufhört und ein Ich anfängt, das mehr sein könnte als der irgendwie namhafte Schreibgehülfe für einfach alles, lässt sich nach seinem Statement noch schwerer sagen – weil Elitz im Duktus des Kommentatoren dauernd Argumente vorbringt, die sich zuerst immer gegen ihn verwenden lassen.

"Alle Medien kennen eben nur eine Adresse: Im Glashaus Nummer 1."

Oder:

"Der generelle Trend zur Boulevardisierung und Personalisierung – das wäre eine aufklärerische Titelgeschichte."

Die Elitz schreiben könnte – und zwar über sich. Und das er darin kein Problem erkennen würde, spricht für die Diffusion, die er lebt.

Was sich etwas besser scheiden lässt nach dem Spiegel-Titel und der Holofernes-Kritik sind die Beschädigungen der einzelnen Akteure. Und da lässt sich sagen:

Der Spiegel punktet allein auf dem Küppersbusch-Ticket, innerhalb der medialen Öffentlichkeit ist es mit der Rückgewinnung der Deutungshoheit nichts geworden. Auch die TAZ hat sich, wie von Bildblogger Lukas Heinser prophezeit und mit Blick auf die Kommentare im hauseigenen Blog wohl keinen Gefallen getan mit der Annahme der Bild-Anzeige mit dem Holofernes-Brief.

Was nicht so sehr daran liegt, dass manche Leute mit Werbung in kritischen Zeitungen generell ein Problem haben, sondern eher daran, dass in diesem speziellen Fall die Anzeige ein Teil der Perfidie ist, die Holofernes kritisiert – und es an einer einnehmbaren Pose fehlt, wie man Springers Geld nehmen kann, ohne als belämmert oder würdelos dazustehen.

Und wenn wir gerade bei Posen sind, darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass unser lieber Freund Stefan Winterbauer sich mit seinem Beitrag auf Meedia.de eine Grube gegraben hat, in die er selbst gefallen ist: Wenn man nicht als Ernst Elitz daherkommt und trotzdem als Experte über den Dingen stehen will, sollte man das irgendwie auch können.

Aber, aber, es ist nicht alles schlecht. Der Weg zu einer triftigen Bild-Kritik führt etwa über die inneren Widersprüche des Hauses. Nicht in der Form, wie Steffen Grimberg in der TAZ den Gotha liest, weil bei Springers heißem Blatt auch ein Onkel von Guttenberg arbeitet.

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Interne Widersprüche bei Bild (Berliner)##Gelebte Diffusion: Ernst Elitz (TSP)##Die Rolle von Al-Dschasira (FR)##Gewalt in China gegen die Presse (SZ)##]]

Sondern so, wie Ulrike Simon in der Berliner Einblick in den Arbeitsalltag bei Bild gewährt, in dem ein Mann (Diekmann) den Kurs bestimmt (was ökonomisch abstrus ist angesichts des Apparats, den sich Springer da leistet, und auch nur funktioniert, weil die Texte so kurz, schlicht und literarisch sind, dass sie notfalls auch einer allein schreiben kann).

"Auch in der Bild-Redaktion wird kontrovers diskutiert, nicht jeder ist glücklich über den täglichen Guttenberg-Jubel. Am Ende entscheidet aber die Chefredaktion, wer den Kommentar schreibt, wie eine Geschichte gedreht, welches Foto gedruckt, wie die Schlagzeile lauten wird. Umso mehr in diesen Tagen, wenn der Eindruck einiger Bild-Redakteure stimmt, dass Diekmann, der sich normalerweise beim Blattmachen mit seinen Stellvertretern abwechselt, die Führung über die tägliche Produktion noch enger als sonst an sich gezogen hat - nicht zur Freude aller in der Redaktion."

Simons Text liefert auch einen kurzen Abriss der Liaison zwischen Guttenberg und Diekmann, die nicht Liebe at first sight war. Und sie öffnet den Blick dafür, wo – wenn Libyen, China und Saudi-Arabien erst demokratisiert sind – der nächste Aufstand losbrechen wird:

"Nicht jeder Bild-Redakteur, so ist aus dem Hause zu hören, steht hinter diesem Kurs. Doch noch bleibt der Ärger darüber unter der Decke."

Wie lange noch?


Altpapierkorb

+++ Fernsehen I: Die TAZ informiert über den erhofften Brass, den Norbert Lammerts Parlaments-TV den Öffentlich-Rechtlichen verschafft. +++ Die Rolle von Al-Dschasira für die Widerstandsformationen in der arabischen Welt erklärt Inge Günther in der FR: "Durchaus couragiert legt sich der Nachrichtenkanal dabei mit den Herrschenden an – bevorzugt, wenn sich der Volkszorn gegen repressive, vom Westen gestützte Regime mobilisieren lässt. Ausgenommen Katar, wo nicht nur die eigene Sendezentrale liegt, sondern auch ein US-Flottenverband. Dem Emirat, meint der israelische Islamwissenschaftler Elie Podeh, diene Al Dschasira als Instrument, 'um eine aktive Rolle in Nahost zu spielen und politische Rechnungen zu begleichen'." +++ Eine WDR-Dokumentation über die tote Berliner Richterin Kirsten Heisig besprechen SZ auf der Seite 15 ("Weniger Diskretion und mehr Distanz hätten dem Film nicht geschadet - und der Verschwörungstheorie um den Tod der Richterin endlich ein Ende machen können") und Tagesspiegel ("der berührende Streifen"). +++

+++ Fernsehen II: Die TAZ weist auf Artes "Fashion Week" hin. +++ Die FAZ (Seite 35) ebenso. +++ Außerdem in der FAZ: Daniel Haas deutet Charlie Sheens Macho-Image durch die Serie "Two and a half men" (Seite 35). +++ Die DFL hofft bei der anstehenden Rechteverhandlung (2013) für die Bundesliga-Übertragung, dass die Möglichkeiten des Digitalen mehr Druck für mehr Geld eröffnen (SZ, Seite 15). +++

+++ In China wird die Gangart gegenüber Journalisten härter, berichtet Henrik Bork in der SZ: "Mehr als ein Dutzend ausländische Reporter wurden rabiat herumgeschubst, in Verhörstuben abtransportiert und stundenlang festgehalten, darunter die Korrespondentin der ARD, Christine Adelhardt, und der ZDF-Korrespondent Johannes Hano. Er habe sich auf der Wache, wo sein Filmmaterial gelöscht wurde, vergleichsweise sicherer gefühlt als zuvor in der Wangfujing, sagte Hano nach seiner Freilassung. Auf der Straße habe eine 'wahnsinnige Aggressivität' geherrscht: 'Wir waren zum Freiwild erklärt worden.'" +++ Bei DAPD werden die Honorare karger (FAZ, Seite 35). +++ Die Berichterstattung über Migranten wird positiver dank der Vorgänge in Ägypten und anderswo, schreibt die TAZ. +++

+++ Der Fernsehproduzent Otto Meissner und der Radiojournalist Jens Brüning sind gestorben. Nachrufe im Tagesspiegel. +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.
 

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