Lieber Ayatollah Laridschani

Lieber Ayatollah Laridschani

Spaß-Event sagt nur Pornomatthies. Springer sagt Entschuldigung bei Iran. Andere fragen sich, wie es dazu kommen konnte. Gilt auch für die Spitzentrennung beim Spiegel.

Got it! Das Nacktrodeln, also die Marketingaktion eines privaten Radiosenders im Harz, geht nicht unkommentiert durch das, was sich in anderen Zusammenhängen Qualitätspresse nennt. Nicht, dass das Nacktrodeln oder Marketingaktionen von privaten Radiosendern im Harz kein Thema sein dürfte, dem man sich widmen könnte.

Beeindruckend ist aber die Verlogenheit, mit der Bernd "Wie wir heute sagen würden" Matthies auf Seite 1 des Tagesspiegel darüber schreibt. Scheinbar souverän stellt er dar, welche Möglichkeiten existieren, um über das Nacktrodeln zu berichten:

"Ein solches, wie wir heute sagen würden, Spaß-Event hat also irgendetwas zu bedeuten. Aus der Resonanz im Internet lassen sich zwei verschiedene, wie wir heute sagen würden, Narrative ablesen. Eines läuft im Wesentlichen darauf hinaus, eine Mordsgaudi zu feiern, die nur Spießern und sogenannten 'Spaßbremsen' zuwider sein kann und das heitere Leck-mich-Gefühl der Mario- Barth-Gesellschaft in einer leicht verständlichen Sportart verdichtet. Das andere teilt die Beobachtung, bewertet das Ereignis aber im hohen Ton der Kulturkritik, gestützt beispielsweise auf Reinhard Mey: 'Gib ihnen Brot und Spiele, das betäubt die Republik.'"

Leider hat Matthies die dritte Variante unterschlagen – genauer gesagt die, von der er selbst Gebrauch macht, wie die verfälschende Überschrift eindrucksvoll beweist ("Pornorodeln gegen Wutbürger"): dünkelhaft drüberstehen, sich in Wirklichkeit aber an dem delektieren, was mit Verachtung geschlagen wird.

Letzteres haben wir bislang für das Geschäft der Bild-Zeitung gehalten, bei der einen immer wieder Zweifel befallen, ob es so viel Zynismus auf der Welt überhaupt geben kann, wie man aufbringen müsste, um sich den täglich verfassten Unsinn am Ende nicht selbst zu glauben.

Ein vermutlich hoffnungsloser Fall in dieser Hinsicht ist Franz Josef Wagner, der seine "Post" an die beiden aus iranischer Haft zurückgekehrten BamS-Angestellten mit dem denkwürdigen Satz beschloss:

"Ein Reporter serviert keine Pizzas, ein Reporter serviert die Wahrheit."

Hoffnungslos deshalb, weil Wagner die Trennung von Binnenwahrnehmung und Außendarstellung, auf der die gesellschaftliche Akzeptanz der Bild-Zeitung besteht, vermutlich nicht mehr hinbekommt. Diesen Eindruck unterstreicht die Tatsache, dass den wichtigsten Brief der Bild-Zeitung seit Jahren nicht der bedeutendste Postbote des Blatts verfassen durfte.

Die von Iran geforderte Entschuldigung hat der Chef selbst geschrieben. Auf die wagnereske Anrede "Lieber Ayatollah Sadegh Laridschani" hat Mathias Döpfner in seinem Schreiben wohl verzichtet. Marc Felix Serrao zitiert in der SZ:

"'Eure Eminenz, im Namen der Axel Springer AG möchte ich mich für Ihre Hilfe bei der Lösung des Falles unserer beiden Angestellten Marcus Hellwig und Jens Koch bedanken. Wir bedauern es zutiefst, dass Herr Hellwig und Herr Koch ohne die korrekten Visa in die Islamische Republik Iran eingereist sind und ihre journalistische Arbeit dort ohne die notwendige Akkreditierung aufgenommen haben.'"

Ulrike Simon kannte diesen Brief in der Berliner dagegen nicht. Sie stellt aber dennoch die richtigen Fragen und das auch, anders als Christiane Hoffmann in der FAS (Seite 2), in angemessenem Ton.

"Inwiefern haben Verlag und Chefredaktion ihre Fürsorgepflicht als Arbeitgeber verletzt? Haben die beiden Journalisten verantwortlich gehandelt oder sich fahrlässig einer unverhältnismäßigen Gefahr ausgesetzt?"

Durch Nüchternheit gelingt es Simon, den schmalen Grat zu beschreiten, der zwischen dem Gebaren der Bild-Zeitung und dem Gebaren des Iran liegt.

"Die Vereinigung Reporter ohne Grenzen (ROG) sagt: Die Einreise mit einem Touristenvisum könne zwar bei Ländern, die Journalistenvisa verweigern, nicht generell ausgeschlossen werden, sei jedoch sorgfältig gegen das Risiko abzuwägen, entdeckt zu werden. Dass dies in diesem Fall beachtet worden sei, 'ist nach den bisher vorliegenden Informationen zweifelhaft'."

Es wäre einmal interessant zu erfahren, wie die Entscheidung zu Kochs und Hellwigs Reise zustandegekommen ist, welches Maß an Leichtsinn oder Druck die Fahrt der Reporter motiviert hat, die bei Rückkehr als allerliebste Kollegen der Welt von ihren allerliebsten Mitarbeitern in einer Bilderstrecke der BamS erwartet wurden.

Das Zitat über Kochs Beweggründe ist jedenfalls vieldeutig:

"Die Iran-Reise habe er unternommen, weil er 'dringend mal wieder eine richtig gute Geschichte brauchte', sagte seine Schwester Miriam."

Dass man mit der Visa-Frage anders umgehen kann als Springer zeigt der Text von Markus Ehrenberg, der die Aporien der Berichterstattung etwa in Libyen diskutiert – sie geschieht von Kairo aus:


[listbox:title=Die Artikel des Tages[Pornomatthies würde sagen (TSP)##Lieber Ayatollah Laridschani (SZ)##Die Verantwortung von "Bild" (Berliner)## Visa-Verfahren im Maghreb (TSP)##]]

"Marokko, Tunesien und Algerien werden vom ständig besetzten ARD-Studio in Algier betreut. Nur: 'Wir sind zurzeit in Libyen nicht mit einem eigenen Korrespondenten vertreten', sagt Michael Zeiss, Chefredakteur Fernsehen des Südwestrundfunks (SWR), der für die Libyen-Berichterstattung im Ersten zuständig ist. Nun sei ein Kollege auf dem Weg zur ägyptisch-libyschen Grenze und werde dann von dort berichten. 'Arbeitsvisa sind seit einigen Tagen beantragt, aber im Moment haben wir wohl keine Chance.'"

Bis zur Visa-Erteilung trösten wir uns mit Brutus Mathias Döpfner:

"'Lassen Sie mich Ihnen versichern', schrieb Springer-Chef Döpfner dem Ayatollah Laridschani in seinem Brief, 'dass es zu den zentralen Grundsätzen von Axel Springer gehört, dass wir uns strikt an die Gesetze halten. Das wird auch in Zukunft immer so sein. Hochachtungsvoll, Mathias Döpfner.'"

Der Himmel strahlt blau.


Altpapierkorb

+++ Guttenberg will nicht mehr Doktor sein. In der FAZ orientiert Jürgen Kaube über die Zwischenbilanz der GuttenPlag-Rechercheure: "Man schreibt, ohne es zu sagen, einen ganzen Absatz aus einem Aufsatz ab, etwa dem von Michael Stolleis über 'Europa nach Nizza' und setzt ans Ende die Fußnote: 'Ebenso Michael Stolleis, 'Europa nach Nizza‘.' Ja, genau: Stolleis sagt dasselbe wie Stolleis." +++ Die SZ stellt auf der ersten Feuilletonseite (Seite 11) die anonym bleiben wollenden Wiki-Rechercheure vor und sammelt Reaktionen aus dem akademischen Milieu, das auf die Einhaltung gewisser, wie wir heute sagen würden, Gesetze drängt. +++ Die TAZ hat mit einem von Guttenbergs unfreiwilligen Helfern gesprochen, der sich vor allem darüber freut, dass er seinen Enkeln jetzt was erzählen kann. Diese Dimension des Falls sollte man nicht gering schätzen. +++

+++ Beim Spiegel gibt es jetzt nur noch einen Chef (Georg Mascolo) beziehungsweise zwei Chefs mit klar getrennten Aufgabenbereichen (Mascolo für Print, Müller Blumencron für Online). Das kann man vermelden wie die FAZ (Seite 31). +++ Man kann sich aber auch fragen, was es bedeutet: "Wenn es stimmt, dass die Zukunft der Medien im Digitalen liegt, dann hat Mathias Müller von Blumencron soeben einen großen Karriereschritt hingelegt." Diese nicht unironische Lesart von Ralf Mielke in der Berliner untermauert der KSTA, der den Agenturtext mit einem großen Bild von Müller Blumencron und einem kleinen von Mascolo illustriert. +++ Zweifel an der Pressemitteilungsprosa hegt auch Christopher Keil in der SZ: "So, wie sich der Verlag das jetzt zurechtlegt, ist es aber nicht ganz: 'Spiegel-Chefredaktion übernimmt Gesamtverantwortung für Print, Online und Digital', steht über der Erklärung des Hauses. Tatsächlich gehen die bisherigen Spitzenkräfte der Print-Redaktion jetzt sehr getrennte Wege. Deshalb muss trotzdem vorher kein großer Streit ausgebrochen sein." +++

+++ Über Journalistenschläger in China informiert die TAZ. +++ Die kreative Nachwuchsförderung von Arte beschreibt die SZ (Seite 15). +++ In Understatement den eigenen "Außenminister" betreffend übt sich die Springer-Zeitung Welt beim Bericht von Sabine Christiansens n-tv-Sendung: "Trotzdem kündigt der Journalist und Medienmanager Christoph Keese, der das Format mit Christiansen entwickelte und im Wechsel moderiert, an, den Porträtierten durchaus auf den Zahn fühlen zu wollen." +++ Eine Lanze für die zur Dekoration unterschätzte Michelle Hunziker brach die NZZ am Sonntag. +++ Joachim Huber erweist sich im Tagesspiegel bei der Nachsichtung der Anne-Will-Sendung zum Thema Googleberg beiläufig als, meinen wir gänzlich unironisch, Anwalt der Gleichstellung: "Mann, Frau, waren das ärgerliche 60 Minuten." +++ Und Gerhard Fitzthum ärgert sich in der FAZ (Seite 31) über öffentlich-rechtliche Sportreporter (außer Aris Donzelli), die vor lauter Schwarz-rot-Gold den Sport nicht mehr sehen. +++ Wer Deutsche unter den Siegern braucht, dem sei das Nacktrodeln empfohlen: "Der glückliche Gewinner in diesem Jahr ist der 24-jährige Gunnar Kaufhold aus Thüringen. Christian Schmidt, der Sieger des Vorjahres, landete auf dem zweiten Platz und auch eine Frau schaffte es auf das Treppchen: Jaqueline Fischer (19) kam als Dritte ins Ziel. Im nächsten Jahr sollen die Nacktrodler natürlich auch wieder an den Start gehen." (RP-Online) +++


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