Mütter und Väter: Rein in die Kur!

Meinungsbeitrag
evangelisch.de
Plädoyer für eine Auszeit
Mütter und Väter: Rein in die Kur!
Meinungsbeitrag
Das Müttergenesungswerk wird 75 Jahre alt - und die Mutter und evangelisch.de-Fotoredakteurin Anika Kempf bricht eine Lanze für eine Kur von Vätern und Müttern. Nicht zuletzt wegen ihrer eigenen, guten Erfahrungen, die sie in einer solchen Auszeit von der Familie - und somit auch von ihrem elfjährigen Sohn - gemacht hat. Übrigens viel zu spät, wie sie bedauert.

Schon länger brennt es mir unter den Tasten, ein Plädoyer für die Mutterkur zu schreiben. Denn Anfang des Jahres habe ich selbst diese gesundheitserhaltende Maßnahme in Anspruch genommen. Nun feiert das Müttergenesungswerk 75 Jahre seine Existenz seit den 50er Jahren: für mich ein Anlass, meine Erfahrungen aus meinem dreiwöchigen Aufenthalt in einer Vorsorgeklinik zu teilen und anderen Müttern Mut zu machen, eine Vorsorgekur zu beantragen bei ihrer Krankenkasse.

Denn welche Mutter oder welcher Vater braucht nicht Erholung vom kräftezehrenden Spagat zwischen Beruf, Kindererziehung, Geldsorgen, Schul- und Betreuungsproblemen, ständiger Online-Verfügbarkeit oder Ehekrisen. Das Stress-Level bei Eltern ist gleichbleibend hoch - kaum ist die Ausnahmesituation der Pandemie in den Familien verarbeitet, die Spätfolgen klingen nach. Unsichere Zeiten bringen ein unwohliges, risikofaules Gefühl mit sich, das lähmt. Und dann eine Kur beantragen? Was sagt denn der Chef dazu, die Kollegen, die Familie?

Kann ich das bringen - JETZT zu pausieren?

Ich kann nur dazu raten! Viel zu lange habe ich selbst die Entscheidung vor mir hergeschoben, meine Hausärztin um eine Verordnung zu bitten. Im Nachhinein ärgere ich mich über meine Skrupel, denn eine Kur ist nur alle vier Jahre möglich bis das Kind 18 Jahre alt ist. Die Wartezeit beträgt neun bis zwölf Monate, aber der Kurort ist mit einer Wunschliste immerhin beeinflussbar. Und da mein Sohn bereits fast elf Jahre alt ist, ist mir eine dringend nötige Verschnaufpause - selbstverschuldet - durch die Lappen gegangen. Daran war im Kleinkindalter meines Sohnes bei mir auch kaum zu denken, aber eigentlich dringend nötig. Oder war ich mir einfach selbst nicht wichtig genug?

Und wer weiß schon, dass es auch Mütterkuren gibt - OHNE Kind?

Klar lieben wir alle unsere kleinen Quälgeister, doch wann hatte Mutti mal Zeit für sich in den letzten Jahren? Ach ja, richtig, beim Freundinnen-Wellness-Wochenende, wo es doch meist um die Kinder und die Männer ging in Gesprächen?

Dies war in meiner Kur auf Juist erfreulicherweise kaum ein Thema, obwohl wir 35 Frauen alle eins gemein hatten: die Kinder, die nicht dabei waren. Und umso unterschiedlicher waren die Teilnehmenden - von Anfang 20 bis 60, LKW-Fahrerin und Chirurgin, Landwirtin und Lehrerin, alles dabei. Schicksale prallten aufeinander, einsame Zeiten entstanden, einige Tränen liefen, aber es wurde auch viel zugehört und gelacht.

Es bildete sich eine tolle Gemeinschaft in den nachmittäglichen Gesprächsrunden zu praktischen und psychischen Themen und bei den eng getakteten Sportangeboten und Erholungseinheiten. Auch Spaziergänge und Strick- und Spiele-Abende trugen zu einem Gefühl von Lebensfreude bei, dass im Alltag so schwer zu finden ist.

Und nicht wenige Mütter hatten bereits während der Kur Termine für Vorstellungsgespräche ausgemacht, sich für Fitnessstudios oder Kreativkurse zu Hause angemeldet. Und die Chat-Gruppe ist noch immer aktiv, ermuntert und hält auf dem Laufenden über die Neuerungen im Alltag der anderen Mütter. 

Klar, ganz ohne Unterstützung von Beantragungshilfe der AWO, Familie und Arbeitgeber geht es nicht, doch den gesetzlichen Anspruch auf eine Kur nach §§ 24 oder 41 SGB V kann kein Arbeitgeber seinen fest angestellten Mitarbeiter:innen verwehren - und der oder die Partner:in oder Oma wird sich sicherlich über eine erholte Mutter voller Inspiration, Tatendrang und innerer Gelassenheit freuen, wenn sie aus einer wohlverdienten Kur heimkehrt zu Kind und Herd.

Mein Termin für den Neuantrag ist jedenfalls schon im Smartphone angelegt! Mit Erinnerung ein Jahr vorher…