Ich war fünfzehn

Ich war fünfzehn

Schwierige Beziehung – die Wirklichkeit und das, was wir davon zu sehen kriegen. Heute bei: Helmut Kohl, Klaudia Wick, Ägypten, Lena 2011

Interessanter Streit, von dem Marc Felix Serrao in der Süddeutschen berichtet. Der so genannte Kanzler-Fotograf Konrad Rufus Müller ist sauer auf den Focus, weil der ein Bild von Daniel Biskup auf das Cover zum Vorabdruck des Erfahrungsberichts von Walter "der Sohn vom" Kohl gedruckt hat.

Biskups Bild zeigt Kohl wie ein Motiv Müllers, das seine ikonografische Power etwa durch die Verwendung für die Kohl-Memoiren beweist,

"'mit dunkler Krawatte, weißem Hemd, den Daumen unter das Kinn und den Ringfinger der linken Hand an die Lippen gelegt, den kleinen Finger am Ringfinger angelegt, vom Betrachter aus gesehen rechts an diesem vorbeiblickend.' Dazu noch das Licht von links, das die rechte Gesichtshälfte 'etwas dunkler' macht."

Das Zitat in unserem SZ-Zitat stammt aus der Unterlassungserklärung, die Müllers Anwälte an den Focus geschickt haben.

"Es geht um die Frage, ob es so etwas wie ein Recht an einer Pose gibt."

Das ist juristisch interessant. Interessanter ist aber, was der Vorwurf über das Verhältnis einer Wirklichkeit zu ihrer medialen Abbildung sagt. Biskup argumentiert, durchaus einleuchtend, mit Redundanz:

"'Kohl saß nun einmal so da.'"

Demnach wäre der einzige, der ein Recht auf seine Posen hat, Helmut Kohl, der halt so da sitzt, wie er dasitzt, und die Krawatten trägt, die er trägt.

Dass es so einfach mit der Wiedergabe von Wirklichkeit nicht ist, weiß jeder, der schon einmal im Fernsehen war. Klaudia Wick zum Beispiel, die heute in der Berliner Zeitung einen Schwank aus ihrer Jugend zum Besten gibt:

"Bei meinem ersten Fernsehauftritt war ich fünfzehn Jahre alt. Ich hatte viel dafür getan, dass mich der WDR endlich in seine Jugendtalkshow 'Alles klar?!' einlädt. Hatte zu diversen Themenvorschlägen Zuschauerbriefe geschrieben und war bei meinen 'authentischen' Ausführungen streng genommen nicht immer ganz bei der Wahrheit geblieben. Als dann endlich der ersehnte Anruf kam, hieß das Thema der Sendung ausgerechnet 'Was habt ihr gegen mich?'. In der Live-Sendung sprach ich dann offen über das Gefühl, auf dem Schulhof 'am Rande' zu stehen und was man dagegen unternehmen kann. Am Tag nach der Ausstrahlung stand ich auf dem Schulhof keinesfalls am Rande: Alle hatten meinen TV-Auftritt gesehen."

Weiß man jetzt auch nicht, ob das eine gute oder schlechte Nachricht ist, dass eine namhafte deutsche Medienjournalistin als Laiendarstellerin – wie sie der Richterin Salesch begegnen oder den, wenn es sie noch gibt, Talkshowmalochern des Nachmittags – begonnen hat. Ist aber auch egal.

Wick schreibt davon ja auch nur, weil sie das komische Gefühl benennen wollte, dass sie beim gemeinsamen Wiedersehen der Dschungelcamp-Insassen am Sonntag beschlich: Dass da, wo zwei Wochen lang Menschen so waren, wie sie eigentlich sonst nicht sind, jetzt wieder Nasen sitzen, die im Fernsehen auftreten.

Ehrlichkeit versus Authentizität heißt der Gegensatz bei Wick, den sie mit einem nicht ganz nachvollziehbaren Schlenker in die sozialen Netzwerke aufzulösen versucht:

"In einer 'Gefällt mir'-Gesellschaft, in der man durch ein gut besuchtes Internetprofil an Bedeutung gewinnt, ist aber nicht mehr Wahrhaftigkeit, sondern Zuspruch die Schlüsselkompetenz, und deshalb muss die Ehrlichkeit vor allem eines sein: schön anzusehen."

Könnte man nicht eher sagen, dass Schauspielerinterviews meistens öder sind als Schauspielerleistungen? Oder wenigstens was anderes.

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Kohls Posen auf Fotos (SZ)##Klaudia Wick im Fernsehen (Berliner)##Lena im Halbfinale ihrer selbst (FAZ-Blog)##Al-Dschasira in Ägypten (TSP)##]]

Authentizität ist das Stichwort, das zu Lena Meyer-Landrut führt. Die soll nämlich ihren Zauber verloren haben. Zumindest scheint das, wie wir Medienwissenschaftler sagen, das Paradigma zu sein, durch das wir Lena 2011 wahrnehmen (und das der ARD-Programmbeirat schon erkannt hatte, siehe Altpapier von gestern).

"Inzwischen ist aus der Vorjahressiegerin ein ausgebuffter Medienprofi geworden, was man ihre schwer vorwerfen kann."

Schreibt Peer Schader in seinem heiteren FAZ-Fernsehblogeintrag ("Und was genau sollte daran interessant sein, dass eine Komponistin die Großnichte von Schauspielerin Judy Garland ist?"). Antje Hildebrandt hat auf Welt-Online beobachtet:

"Die neue Lena, sie wirkt reifer, aber eben auch stromlinienförmiger."

Dem leicht Vorwurfsvoll-Nostalgischen, das aus den Äußerungen spricht, kann man sich übrigens relativ leicht entziehen. Indem man, wie stern.de, das ganze einfach behandelt wie eine Nachricht und agenturnüchtern und total positiv beschreibt, was geht:

"Lena ist erwachsen geworden, hat sich gesanglich stark weiterentwickelt und stellt einmal mehr unter Beweis, dass sie am besten unter Druck funktioniert."


Altpapierkorb

+++ Marcus Bäcker hat in der FR bei Lena nur Augen für seinen Favoriten unter den präsentierten Songs, "Taken by a Stranger", der auch Stefan Niggemeier umtreibt. +++ Die Jury kann dagegen keiner leiden: "Was 'der Graf' mitzuteilen hatte, half wahrscheinlich keinem einzigen Zuschauer mit Abstimm-Ambitionen weiter, und das Kritischste, was Stefanie Kloß sich zu sagen traute, war: 'Das ist halt so’ ne schöne, fluffige Nummer.'" (Bäcker) +++

+++ Was das Verhältnis von Wirklichkeit und medialer Vervielfachung betrifft, hat der Berliner Al-Dschasira-Korrespondent Aktham Suliman im Tagesspiegel-Interview mit Sonja Pohlmann eine klare Meinung: "Dabei gehen die Menschen ganz sicher nicht auf die Straße, weil sie Bilder von anderen Demonstranten im Fernsehen sehen. Wir als Fernsehsender können keine Revolution auslösen, sondern nur über sie berichten." +++ Die so klar aber vielleicht auch nicht ist: "In Ägypten aber hat jetzt keiner mehr Angst vor dem Regime – weder Al Dschasira noch andere Medien und auch nicht das Volk. Wir sind Teil der Ablehnungsbewegung geworden." +++ Online ist jetzt der instruktive Frank-Rieger-Text aus der FAZ zu den digital-technischen Implikationen in Ägypten. +++

+++ Fernsehen. Studio Hamburg muss sich wandeln, kommt zur Verabschiedung von Studiochef Willich raus (SZ). +++ BR muss sich wieder für die ARD öffnen, kommt zur Begrüßung von Intendant Wilhelm raus (Berliner). +++ Der ORF bekommt einen neuen Generaldirektor oder auch nicht (Berliner). +++ Kann sein, kann auch nicht sein ist das Credo einer Arte-Dokumentation (heute 20.15 Uhr) über die Machenschaften von Silvio Berlusconi, findet die SZ, die deshalb der Meinung ist, dass der Film mehr mystifiziere als aufkläre. +++ Die FAZ (Seite 33) ist da anderer Ansicht. +++ Thomas Gehringer reibt sich im Tagesspiegel die Augen ob einer Alzheimer-Dokumentation zur besten (guess what? Zielgruppe!) Sendezeit (heute und am 8. Februar um 20.15 Uhr), "weil Uta Claus und Bodo Witzke häufig die Bilder sprechen lassen, mit Kommentaren vergleichsweise sparsam umgehen, sich Zeit nehmen für die Protagonisten, und weil sie deren Alltag aus großer Nähe, aber respektvoller Distanz beobachten." +++

+++ Alzheimer-Gerüchte umgeben den einstigen französischen Präsidenten Jacques Chirac, wie Jürg Altwegg in der FAZ (Seite 33) berichtet. "Zyniker argumentieren bereits, die 'Operation Alzheimer' werde nur inszeniert, um Chirac den Gang vors Gericht zu ersparen. Es ist wohl eher so, dass das 'Journal du Dimanche' (das den Verdacht geäußert hat, Anm. AP) den Prozess als Alibi für eine Medienshow missbraucht." +++ NRW.tv siecht, ist der Eindruck, den die TAZ vermittelt. +++

+++ Karl Dall wird 70. Hans Hoff würdigt den Komiker in der SZ als Medienkritiker: "In einem SZ-Interview sagte Dall 1999: 'Ich kann einen dampfenden Hundehaufen filmen, und wenn das zwei Millionen Zuschauer interessiert, dann sagen die Leute, das sei eine Klasse-Sendung gewesen.' Mehr ist oft übers Fernsehen gar nicht zu sagen, auch die Manager von ARD und ZDF rechtfertigen heute ihre Populärprogramme nach diesem Prinzip." +++ Maurice Summen orientiert in der Berliner über Dalls musikalisches Schaffen, das nur als mediales denkbar ist: "In der Tradition anarchistischer und autoritätszersetzender Hippie-Ensembles wie etwa der US-Undergroundband The Fugs oder ihres britischen Pendants, der Bonzo-Dog-Doo-Dah-Band, parodierten auch Insterburg & Co. die von ihren Altersgenossen als Kulturgewinn angesehen Posen des neuen Medienzeitalters."

Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.
 

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