Krakenfragen

Krakenfragen

Beliebtes Medienritual: affirmatives "Deutschland sucht den Superstar"-Bashing. Beliebtes Medienthema: Facebook als Datenkrake. Und ebenfalls ein Straßenfeger: alles über Sarrazins Leser

"Deutschland sucht den Superstar" is back on the Schirm, Staffel acht. Und ebenfalls ausgeübt wird damit in achter Auflage ein Medienritual, das Kritik an "Deutschland sucht den Superstar" heißt.

Zu diesem Ritual gehören: a) Protokolle des Geschehens (u.a. Bild.de). b) Kritik an Geschmacklosigkeit, beispielhaft diesmal bei Welt Online, wo es heißt: "Dieses Format gehört zum Geschmacklosesten, was das Fernsehen derzeit zu bieten hat", während eine eingebundene 15-, eine 9- und eine 13-teilige Bilder- sowie eine geschmackvolle 61-teilige Dieter-Bohlen-Zitat-Strecke die Ernsthaftigkeit des kritischen Anliegens unterstreichen (zum Vergleich: Stern.de liefert nur einen mageren Zehnteiler). c) Die Bemerkung, dass niemand zur Teilnahme gezwungen wird (Focus Online). d) die Feststellung, dass es gar nicht ums Finden eines Superstars geht (u.a. TSP). e) Die Aufdröselung der Verbindung von Bohlen und der Show mit der Musikindustrie und f) Die Berichterstattung über Details der Sendung, die sich doch geändert haben (BLZ / FR). g) Die Feststellung, dass mal wieder alles so ist, wie es war (Spiegel Online). Und h) die Quotenfrage (kress.de, KSTA.de). Sowie vielleicht noch i) die abschließende Lese-Erkenntnis, dass nur keine Aufmerksamkeit keine Mittäterschaft bedeutet.

Alles drin, auch diesmal.

[listbox:title=Artikel des Tages[Lüke über halbe Wahrheit (Carta)##Hanfeld über Piel-Interviewflut (FAZ)##Johnson über E-Books (FTD)##Tagesspiegel über das politische Potenzial des Social Web]]

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass es in der "Nachtkritik" von sueddeutsche.de eine Schlusspointe gibt, die ihren Namen verdient:

"Die Kandidaten müssen ab dem Recall eine Schufa-Auskunft und ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Den nächsten Superstar wird also nicht einmal mehr die Polizei kennen."

Womit in bester Mittätermanier alles zu "DSDS" gesagt wäre. Mit dem Stichwort Schufa-Auskunft damit ab zu Facebook (= böse Krake; Foto: gute Krake).

Die Investmentbank Goldman Sachs hat bekanntlich etwas weniger als 1 Prozent von Facebook gekauft und dafür 450 Millionen US-Dollar bezahlt. Ergäbe, hochgerechnet, einen Gesamtwert von 50 Milliarden Dollar. Das ist Anlass für allerlei Betrachtungen an teilweise recht prominenten Plätzen.

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt auf der Wirtschafts- und der Medienseite ("Bekanntlich gehört zu den Eigenschaften jedes Hypes, dass man nicht an ihn glauben soll"). Oder da wäre etwa, ebenso blasenkritisch, die NZZ: "Dass Facebook mit einem Jahresumsatz von unter zwei Mrd. Dollar ganze 50 Mrd. Dollar wert sein soll, mutet (...) seltsam an", schreibt sie in einem Text, der online auf den vergangenen Freitag datiert ist und in dem sie sich etwa um die Klärung der Frage bemüht, ob eine neue Internet-Blase bepumpt wird. Die Stellung der Frage ist in diesem Fall auch schon die Antwort, die sie gibt. Weiter im Text:

"Mit traditionellen Bewertungsschemen werde man (...) nie auf solche Werte kommen, betonte Beat Dällenbach, Leiter Transaktionen bei PricewaterhouseCoopers Schweiz. Vielmehr gehe das Publikum von der Hypothese aus, dass ein Facebook-User rund 100 Dollar 'wert' sei. Genau solche Schemen führten 2001 zum Platzen der Internet-Blase, die in vielen Köpfen mittlerweile nicht mehr präsent ist."

Wo findet man dieses 100-Dollar-Schema zum Beispiel? Zum Beispiel im Aufmacher des Spiegels, der titelt: "Facebook & Co. Die Unersättlichen. Milliarden-Geschäfte mit privaten Daten". Manfred Dworschak steigt (S. 114 ff.) damit ein in seinen Text und kommt darüber flott zum Punkt:

"In jeder Sekunde, ticketitack, gewinnt Facebook sechs Mitglieder; (...) Und kaum einer (...) ahnt, dass er bei dem sozialen Netzwerk nun gleichsam Schulden hat. Weil für Facebook jeder Nutzer 100 Dollar wert ist. Weil der Nutzer zum Wirtschaftsgut geworden ist und diese 100 Dollar einspielen muss. Er kann seine Geheimnisse, seine Sehnsüchte, seine Daten herausrücken, er muss sich offenbaren, er sollte nur den naiven Gedanken aufgeben, die Segnungen von Facebook seien kostenlos zu haben".

Usw.: Der Netznutzer als Datenlieferant, die Daten als Waren. Spiegel-Leser wissen eh schon mehr darüber, worauf auch iPad-Besitzer Richard Gutjahr hinweist. Aber, wie Falk Lüke bei Carta schreibt, zweifellos auch nicht vollkommen falsch:

"Das große böse Unternehmen X, der arme kleine Bürger Y, ausgebeutet vom internationalen Großkonzern, um am Ende entblößt dazustehen. Tatsächlich ist an diesen Geschichten viel Wahres dran."

Nur eben etwas eingleisig. Anlass für Lükes Text ist besagter Spiegel-Titel, und wie Gutjahr moniert er die Verschiebung der Maßstäbe. "Warum sich der 'Spiegel' mit der halben Wahrheit begnügt'; heißt das bei Lüke, "Eure Doppelmoral kotzt mich an" bei Gutjahr. Stand 7:24 Uhr am Montag übrigens: "985 people like this" und 638 Tweets, die den Link zu seinem Posting enthalten.

Beide verweisen darauf, dass auch Medienverlage Daten sammeln; Lüke:

"Ob (...) Facebook, Bürgel, Arvato Infoscore, Easycash, das Einwohnermeldeamt, das eingestellte Neuromarketing-Verkaufsverfahren der Hamburger Sparkasse oder Google mehr negative Auswirkungen für den Einzelnen mit sich bringen, lässt sich seriös kaum beantworten. Einfach und verständlich ausgedrückt: Es gibt Firmen, die verdienen mit Daten Geld. Viel Geld. Zum Beispiel die deutschen Verlage."

Gutjahrs Vergleich von "Opt-In (Spiegel) und ständig neuen Features, die man erst mit Opt-Out los wird (Facebook)" hinkt freilich ein bisschen, wie übrigens ein Kommentator bei Facebook kommentiert.

Womit wir bei Facebook aus der Nutzerperspektive wären, und das ist ja nicht nur eine Opferperspektive.

"Es ist ein kaum auflösbares Dilemma, dass der Vorgang der Selbstvergewisserung, der Hunderten Millionen Menschen so unverzichtbar geworden ist, untrennbar verbunden scheint mit der Selbstaufgabe, die darin besteht, dass wir uns und unsere sozialen Kontakte freiwillig in ein Unternehmensvermögen überführen",

schreibt Niklas Hofmann im Feuilletonaufmacher der Süddeutschen Zeitung (S. 11), in dem er u.a. all die möglichen Geschäftsfelder benennt, auf denen Facebook tatsächlich Geld verdienen könnte, etwa mit dem kostenpflichtigen Zugang ausgewählter Dritter zu den Nutzern. Für die gilt:

"Die Nutzer lieben ihr Netzwerk, aber es gibt nicht in Ansätzen eine emotionale Zuneigung zu dem dahinter stehenden Unternehmen Facebook, wie das etwa bei Google oder Apple durchaus verbreitet ist. Zwischen Mark Zuckerberg und der halben Milliarde Menschen, die sich ihm anvertrauen, besteht genau das nicht: Vertrauen."


Altpapierkorb

+++ Die Süddeutsche fasste am Samstag ganzseitig im Feuilletonaufmacher eine Studie zu Thilo Sarrazins Lesern zusammen: "Kurios erscheinen zunächst Erkenntnisse zur Mediennutzung. Da zeigt sich der Sarrazin-Leser an politischen Nachrichten im Fernsehen und an journalistischer Lektüre überdurchschnittlich interessiert. (...) Die allerhöchsten Affinitäten im Fernsehen erzielten dann aber doch 'Kabarett- und Satiresendungen' (56 Prozent über Durchschnitt) sowie 'Boulevardstücke, Volks-, und Bauern-Theater'. Gibt es hier einen geheimen humoristischen Aspekt, der allen bisher entgangen ist?" Welche Tageszeitungen mag der Sarrazin-Leser? "Bis auf die taz (minus 11 Prozent) liegen sie in der Gunst des Sarrazin-Lesers alle über dem Durchschnitt, wobei Bild (plus 4) und Bild am Sonntag (plus 18) so wenig auffallen, dass diese ihre Sarrazin-Elogen getrost zurückfahren können. (...) Über allen aber thront, beinah den Rahmen der Infografik sprengend, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (plus 474). Frank Schirrmacher im Diskurs mit Thilo Sarrazin, dazu ein Sonntagsfrühstück – diese Kombination hat ein bestimmtes Publikum offenbar sehr glücklich gemacht." +++

+++ Was die FAZ betrifft: Sie druckte am Samstag auf der Seite 1 des Feuilletons, auf der am 24. Dezember ein Text Thilo Sarrazins erschien, eine Antwort von Hadayatullah Hübsch, "der", wie es unter dem Brief heißt, "am 4. Januar in Frankfurt starb" und "ein zum Ahmadiyya-Islam konvertierter Dichter und Schriftsteller" war. Hübsch: "Thilo Sarrazin meint in seinem Beitrag (...), unser Bundespräsident sollte den 'West-östlichen Divan' von Goethe richtig lesen, 'damit er nicht mehr verharmlosend daraus zitiert'. Sarrazin selbst geht aber äußerst nachlässig mit dem nach dem 'Faust' wesentlichsten Werk Goethes um, indem er Zitate daraus verstümmelt." Die gemeinten Details stehen in jener Zeitung +++

+++ Die "Tagesschau"-App wurde bis Freitag 740.000 mal heruntergeladen, berichtet Der Spiegel (S. 67) – und der bebildert das, auch im gedruckten Magazin, mit einem Foto, das bei Stefan Niggemeier in die Rubrik "Super-Symbolfoto" fällt: Es ist ein Foto eines Smartphones, das, so Niggemeier, "nicht die Verlagsseiten-mordende 'Tagesschau'-App" anzeige, "sondern die aus irgendwelchen Gründen ungleich ungefährlichere Internetseite tagesschau.de" +++ Michael Hanfeld, dessen FAZ als nahezu einzige wichtige überregionale Tageszeitung vor einer Woche kein Interview mit der neuen ARD-Vorsitzenden Monika Piel abdruckte, glossierte die Interviewflut in der Samstags-Ausgabe, in der Aufzählung der Texte quasi altpapierisch. Seine 2 Cent: "Monika Piels geschickte Ausführungen zu medienpolitischen Fragen scheinen manche Beobachter zu überfordern. Dabei ist das Prinzip nicht sonderlich schwer zu durchschauen. Es ist das Prinzip der uneigentlichen Rede. Die ARD-Vorsitzende macht Angebote, deren Annahme sie an Bedingungen knüpft, die höchstwahrscheinlich niemals erfüllt werden." Ein Hanfeld ohne Hinweis darauf, dass es diese furchtbar stinkigen Rundfunkgebühren gibt, wäre freilich auch kein richtiger Hanfeld +++

+++ Die "Sportschau" beging am Samstag "50 Jahre 'Sportschau'", und die Berliner Zeitung interviewt Redaktionsleiter Steffen Simon: "Es gab tatsächlich mal eine Phase, in der das mit der Werbung übertrieben wurde. Da war Kritik auch berechtigt. Das ist aber vier, fünf Jahre her." +++ Um Geld geht es auch in einigen anderen Geburtstagsgratulationen vom Samstag, konkret um das Stichwort Fußballrechte. Die Samstags-taz schreibt: "Anders ist die 'Sportschau' deshalb, weil ihr beinahe in jeder Minute anzusehen ist, wie teuer das Produkt Fußball ist. 'Sportschau' ist Fußball, Bierreklame und Autowerbung. Alle Ergebnisse und die aktuelle Tabelle werden präsentiert von … " +++ Den Mangel an Sportarten-Vielfalt beklagt dagegen die Samstags-FAZ: "Viele Sportarten sind von Bildschirm verschwunden, und es wird klar, dass das Fernsehen die Macht hat zu entscheiden, was populär ist und wer ein Aschenputteldasein zu führen hat. Die wachsende Zahl der Sportarten, die heute außer bei den Olympischen Spielen keine Rolle mehr haben (oder nicht einmal mehr dann), hat das gebührenfinanzierte Fernsehen mit zu verantworten." +++ Für die Samstags-SZ (S. 19) bindet Holger Gertz, der den Fußballkommentatoren-Stand mit dem Satz "Jeder Mann stammt vom Brüllaffen ab" bedenkt, beides – Sportrechte und Mangelerscheinungen – zusammen; er bemerkt nämlich ebenfalls mangelnde Aufmerksamkeit für Feldhandball und hat eine Erklärung: "Fußballrechte sind teuer; inzwischen fällt vieles, was nicht Fußball ist, aus dem Programm heraus: Die Sportschau ist weniger bunt geworden – bei den Tageszeitungen ist das nicht sehr anders." +++

+++ Gertz' Seite-3-Kollege Alexander Gorkow, der ehemalige Leiter des Medienressorts, findet ebd. in seiner "Tatort"-Kritik einen Weg, über die Erfahrungen der SZ-Redaktion mit Unternehmensberatern zu berichten: "Gerne erinnert man sich hier an einen jovialen Mann in den 1990er Jahren. (...) Sein Fazit: 'Diese Redaktion produziert im Verhältnis zu ihrer Größe zu wenig Quadratmeter Text.' Sofort gab es natürlich ein großes Hallo. Der gewaltige Kollege Joffe etwa rief 'Leck mich doch am Arsch!', unter Beifall rumpelte er dann aus der Versammlung." +++

+++ Die FAZ, montags regelmäßig platzreduziert, bespricht, auch beinahe schon eine Regel, den ZDF-Montagsfilm, diesmal "Stralsund – Außer Kontrolle" (20.15 Uhr; S. 29), den auch der Tagesspiegel, die Berliner Zeitung, in kürzester Kürze die taz und, derzeit nur auf Papier, die SZ (S. 15) rezensieren +++

+++ Steven Johnson fordert in der FTD zu jeder Buchseite eine verlinkbare Spiegelseite im Internet: "Bücher sind die ergiebigste Informationsquelle der Welt, keine andere Textform ist so sorgfältig hergestellt und überarbeitet. Dennoch sind all die Informationen weiterhin nicht verknüpfbar" +++ Twitter soll derweil Daten zu Wikileaks-Helfern mit den US-Ermittlern verknüpfen, fordern letztere, berichtet u.a. die taz +++

+++ Im Tagesspiegel-Kulturteil nimmt sich Medienchef Joachim Huber der Quoten- und Leitmedium-Frage an: "Fernsehen, das war zu seinen Anfängen und in der öffentlich-rechtlichen Alleinstellungsphase Volkshochschule, Erziehungslager, gemacht von den vermeintlich Schlauen für die Masse der vermeintlich Doofen. Aus dem hochnäsigen Angebots- ist ein Nachfragemedium mit allergrößter Demut vor dem Publikum geworden. In der Primetime wird gesendet, was gefällt. Die Hauptprogramme, ob ARD oder RTL, sind Kampfzonen der Aufmerksamkeit." +++

+++ Ebenfalls im Tagesspiegel geht es um das politische Potenzial des Social Web: "'Der Hype um die Wirkung des Web 2.0 und um die sozialen Netzwerke scheint mir stark übertrieben', sagt der Politikwissenschaftler Dieter Rucht, der am Wissenschaftszentrum Berlin forscht. 'Das Internet gewinnt an Bedeutung als Mittel der Organisation von Protesten. Als Mittel zur Mobilisierung und Überzeugung taugt es nicht.'" +++ Nachzutragen vom Wochenende ist zudem das TSP-Interview mit MDR-Chef Udo Reiter über den Betrugsfall beim KiKa +++

+++ Verlage: Hubert Burda beginnt mit der Regelung seiner Nachfolge und übermittelt je 20 Prozent seines Gesellschaftsanteils an der Hubsi Burda Medienholding – schrieb etwa die SZ, schreibt auch kress.de  +++ Den Focus gibt es im Rahmen der Volljährigkeitsfeierlichkeiten für 1 Euro, schreibt Kai-Hinrich Renner im Hamburger Abendblatt +++


Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag gegen 9 Uhr

weitere Blogs

Symbol Frau und Sternchen
Geschlechtsneutrale oder geschlechtssensible Sprache erhitzt seit Jahren die Gemüter. Nun hat die Bayrische Landesregierung das Gendern verboten. Die Hessische Landesregierung will das Verbot ebenfalls einführen.
Eine Ordensschwester im Kongo wurde wieder freigelassen – weil der Bandenchef keinen Ärger wollte.
Ein spätes, unerwartetes Ostererlebnis der besonderen Art