Neue Farbbänder besorgen

Neue Farbbänder besorgen

Wir schalten um zur Wirtschaftsredaktion: Facebook top, Naspers kommt, Youtube wird Fernsehen. Und bei GT5 wird nichts offen gehalten

Eigentlich sollte es hier um Medienkritik gehen, aber dann liest man im Tagesspiegel ein Interview mit dem ZDF-Fernsehspielchef Reinhold Elschot, und das klingt so:

"Da haben wir derzeit zehn gut laufende Formate mit exzellenten Protagonisten. Ob 'Wilsberg', 'Stubbe', 'Ein starkes Team' oder 'Unter Verdacht' – der Samstag lebt von Qualität und Vielfalt. Wir werden sehen, ob sich auf längere Sicht jedes Format halten kann – wir überprüfen laufend Qualität und Akzeptanz."

Und auch wenn man zugeben muss, dass die Fragen von Rainer Tittelbach nicht so gestellt sind –

"Herr Elschot, ich denke, ein geübter Fernsehzuschauer kann mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit einen ZDF-'Fernsehfilm am Montag' erkennen. Wäre das für Sie ein gutes Zeichen?"

–, dass dabei irgendjemandem der Name Günter Gaus in den Sinn käme, denkt man sich doch, wenn der ZDF-Fernsehspielchef nur von Vielfalt, Qualität und Akzeptanz redet und die auch noch laufend überprüft, dann kann ich auch gleich die Wirtschaftsseiten lesen, da gibt's dann wenigstens Zahlen. Und außerdem ist dieser Slang da irgendwie ehrlicher, weil er nicht erst so tut, als ginge es ihm noch um was anderes (Qualität, Vielfalt) als Zahlen.

Facebook etwa ist die Internetseite des Jahres, ist vom unermüdlichen FAZ-Netzökonom Holger Schmidt zu erfahren, das hat das "Marktforschungsunternehmen Comscore" eigens für die FAZ errechnet.

"Danach besuchten im November 647,5 Millionen Menschen in aller Welt die Seite von Facebook, 209 Millionen mehr als zu Beginn des Jahres... Die Internetnutzer verbringen inzwischen rund ein Zehntel ihrer gesamten Online-Zeit auf Facebook - auch in dieser Kategorie ist Facebook inzwischen Weltmeister."

Für nächstes Jahr sind 800 Millionen Menschen drin, wenn es beim Zuwachs von täglich 700.000 neuen Nutzern bleibt. Nur in Asien hakt's, was wiederum "Südafrikas neuen Medienstar", den Naspers-Chef Koos Bekker freut, den das Handelsblatt feiert portraitiert:

"Die mit Abstand wichtigste Säule ist ihr 35-prozentiger Anteil an dem in Hongkong notierten chinesischen Internetportal Tencent. Das Portal beherrscht 80 Prozent des dortigen Markts für soziale Netze. Tencent wird nach Ansicht von Analyst Khulekani Dlamini von der Fondsgesellschaft Afena Capital noch auf Jahre hinaus eine Geldmaschine bleiben, zumal die Kerngruppe der 15- bis 35-jährigen Chinesen über steigende Einkommen verfüge."

Wie Youtube von steigenden, sinkenden oder auch nur vorhandenen Einkommen profitieren könnte, ist dagegen auch im sechsten Jahr des Bestehens noch nicht raus, wie Dirk von Gehlen in der SZ schreibt:

"Denn YouTube zeigt beispielhaft, dass im Netz erfolgreich nicht zwangsläufig auch reich bedeuten muss. Ähnlich wie Twitter, aber wie auch viele deutlich kleinere Anbieter, bindet die Videoplattform zwar die Aufmerksamkeit unzähliger Menschen, diese aber auch in Geld umzusetzen, ist ein anhaltendes Experiment mit offenem Ausgang."

Ob die Botschaft, dass Youtube jetzt auf Fernsehen machen will, eine frohe ist, wird sich zeigen. Die Weihnachtsgeschichte, die uns Onkel Michal am 24. Dezember auf Carta erzählt hat, lehrt allerdings, wie man es nicht machen sollte – don't try this at home, kids.

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Facebook boomt (FAZ)##Naspers wächst (HB)##Youtube schaut in die Röhre (SZ)##Virginia Heffernan misst the Attention-Span (NYT)##Detlef Kuhlbrodt hatte GT5 ausprobiert (Berliner)##]]

Die Ratlosigkeit über den Grund, der Einkommen künftig steigen lassen kann, schlägt rasch in Ablehnung um. Thorsten Schmitz ist für die Seite 3 der SZ durch Deutschland gefahren zu Menschen, die nicht online sind wie Feridun Zaimoglu ("Aus Angst, dass ihm die Farbbänder ausgehen könnten, hat er 180 gehortet.")

Oder zumindest weniger, wie Miguel Riveros, der einst auf der Hochzeit seiner Schwester mit dem Handy spielen musste und nun versucht, bewusster zu leben.

"Vielleicht sind Menschen wie Miguel Riveros die Speerspitze eines neuen Trends. Er sagt: 'Ich kenne immer mehr Leute, die sagen, ich mach lieber Sport, als auf Facebook zu sein, weil alle auf Facebook sind.'"

Vielleicht ist das mit der Speerspitze ein bisschen unsinnig (700.000 NEUE NUTZER TÄGLICH), wie überhaupt der Gedanke, man könne mit dem Internet wieder aufhören, etwas Rührend-Naives hat. Immerhin ist Schmitzens Text nicht nur Wunsch und Schmähung, also nicht ganz so albern, wie der Text von Chanchal Biswas aus der NZZ vom Sonntag, den man schon hundertmal gelesen hat:

"Informationsflut und Mitteilungszwang können überfordern. Deshalb ziehen sich erste Mitglieder wieder aus sozialen Netzwerken zurück. Die Absetzbewegung wird sich verstärken."

Dann wird es Zeit, good ol' Erika abzustauben und neue Farbbänder zu besorgen. Machen wir sofort. Wir versuchen mit Virginia Heffernan nur noch kurz, unsere "Aufmerksamkeitsspanne" zu vermessen – das hat Heffernan in einem anregenden Text in der New York Times ausprobiert, den die SZ jetzt übersetzt hat (Seite 11).


Altpapierkorb

+++ Die in Iran inhaftierten BamS-Reporter haben zu Weihnachten Besuch von Angehörigen gehabt, weiß die Welt-Online. Auf Sueddeutsche.de ist dagegen noch vom Scheitern einer Begegnung zu lesen. +++ In Afghanistan gibt es die Polizeiserie "Eagle Four", die anders als der "Tatort" nichts mit der Realität zu tun hat. Die TAZ berichtet. +++ In Frankreich beim Sender France 24 geht es zu wie in Italien, nur dass die Frauen der Politiker, die Fernsehshows haben, hier schon im Rentenalter sind (FAZ, Seite 31). +++

+++ Die 200.000 20.000 "Hauptausgabe" der Tagesschau steht bevor, wie die Berliner weiß. +++ 105 Journalisten sind im vergangenen Jahr bei der Ausübung ihres Jobs ums Leben gekommen (NZZ). +++ Die zehn meistgelesenen Carta-Texte. +++

+++ Dem Wikileaks-Leak widmet sich die TAZ. +++ Den Hackern als "neue Elite" die Berliner. +++ Der "Eßlinger Zeitung" unterlief ein Feiertagsmissgeschick, und "die Redaktion versprach, alles daranzusetzen, dass sich ein solcher Fehler nicht wiederhole." (Welt-Online). Toi, toi, toi. +++

+++ Das neue Zuhause ("Welt") des beliebten Kabarettisten Henryk M. Broder fördert zutage, dass der Verfasser des dpa-Beitrags zum Thema, der im KSTA nicht genannt wird, Esteban Engel heißt, weil er in der FTD namentlich ausgewiesen ist (wo allerdings der Hinweis auf die Agentur fehlt). +++ Zum Einstand haut der "hemmungslose Freiheitskämpfer" (Welt-Chef Peters) gleich einen raus – es geht gegen "Freitag"-Verleger Jakob Augstein und dessen Beitrag zum Sarrazin-FAZ-Text (siehe Altpapier von gestern). +++ "Atheistischer Hugenotte" im Kommentar drunter meint: "Hm, schön zu lesen und auch schön offen gehalten um etwas zu reflektieren. Danke Herr Broder." +++

+++ Hm, schön zu lesen ist der Gran-Turismo-5-Test des großen Detlef Kuhlbrodt in der Berliner auch. Nur ist die neue Version des Autorennens leider nicht so offen gehalten wie ein Henryk-M-Broder-Text: "Es gibt kein Abseits der festgelegten Kurse, irgendeinen Feldweg etwa am Rand der Strecke, von dem ich schon lange träume, in den man nur so zum Spaß einbiegen könnte, um dort ganz andre Abenteuer zu erleben." +++

Neue Abenteuer gibt's hier morgen wieder ab 9 Uhr.
 

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