Zu viel und zu wenig ARD

Zu viel und zu wenig ARD

Während die "Tagesschau"-App startet, was nicht ohne einen Rest Erregung vonstatten geht, gibt es schon neue "Riesenwut auf die ARD": Man könne das Angebot der "Tagesschau" nicht in Afghanistan empfangen

Chapeau mal wieder, FAZ: Da spricht Matthias Fornoff bei "heute" über die Fusion der Entwicklungshilfeorganisationen und nennt sie einen "historischen Meilenstein" - und was macht die FAZ? Googelt mal, was das ist, ein historischer Meilenstein, und wird fündig in Brackwede-Ummeln (siehe Foto).

Aber Autor oju wäre nicht oju, wenn er nicht noch den Gesamtzusammenhang auf Lager hätte:

"Die Medien (...) lieben idiotisch aufgestellte 'historische Meilensteine'. So hat der 'Standard' kürzlich berichtet, die amerikanischen Truppen erreichten 'einen historischen Meilenstein in Afghanistan' – und damit den Einsatz am Hindukusch stilistisch in die Nähe eines Schulausflugs nach Brackwede-Ummeln gerückt."

Und wo wir schon mal da sind, bleiben wir auch gleich dort, also - bei aller Liebe zu Brackwede und Ummeln - in Afghanistan.

Zum einen hält sich nämlich Ernst Elitz, der ehemalige Intendant des Deutschlandradios, heute geistig dort auf und fragt sich: Würde ich, also er, ein Video von einem sterbenden Bundeswehrsoldaten zeigen, wenn ich, also er, die Möglichkeit hätte? Und antwortet - für Elitz-Leser vielleicht zunächst etwas überraschend, da das so undiekmännisch klingt:

"Nein!"

Die Begründung ist reichlich: Ein solches Video könnte sich "an Herrn zu Guttenberg und Angela Merkel richten, um den schnellstmöglichen Abzug des Bundeswehrkontingents zu erzwingen." Der sterbende Soldat in Afghanistan "würde zum reinen Objekt der Propaganda entwürdigt." Außerdem ist Afghanistan weit weg: Und "(j)e näher die Katastrophen rücken, desto eher klickt der 'Trigger' – so nennen Psychologen den Auslösereiz –, der den Schleier der Verdrängung zerreißt."

Elitz, dann doch wieder der größte Bild-Chefredakteur, den die Öffentlich-Rechtlichen je hatten, bietet stattdessen eine unbedenkliche weniger kriegsfeindliche Alternative an: Er, schreibt er, würde "(e)her die Toten auf dem Schulhof von Winnenden (zeigen). Ihr Bild kann uns drängen, unseren Alltag zu verändern, mehr Aufmerksamkeit auf unsere Umgebung zu richten und auf Gefahrensignale zu achten."

Zum Beispiel auf... ja, was? Schüler, die sich komisch benehmen? Die Handys im Unterricht benutzen? Die am Ende gar ins Internet gehen, weil die Jugend dort bekanntlich ihren vermutlich auch noch unstillbaren "Blutdurst befriedigen kann", schnarch?

Wenn die Medienseiten eine Talkshow wären, heute unterstriche Medienexperte Elitz durchaus eindrucksvoll seinen Anspruch auf einen Platz auf jener Liste der Top-Talkshow-Mahner und -Grantler, die Bernd Gäbler in seinem gestern auch an dieser Stelle verlinkten Tagesspiegel-Text zusammenstellte.

Aber wo Afghanistan "zum einen" ist, muss es auch Afghanistan "zum anderen" geben. Also: Zum anderen taucht Afghanistan in der Medienberichterstattung der Süddeutschen Zeitung auf.

"Die ARD hat die Forderung von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zurückgewiesen, den Empfang des Ersten in den Lagern der Bundeswehr in Afghanistan wiederherzustellen",

schreibt sie. "Das Problem seien die sogenannten Drittrechte, etwa für Agenturfotos, die in Sendungen wie der Tagesschau zu sehen sind. Diese seien fürs Ausland in der Regel nicht abgegolten."

Anlass für den Text ist ein gogolplexgroßer Aufreger in Bild: "Riesenwut auf die ARD! 5,3 Mrd. Euro Gebühren – aber bei den Afghanistan-Soldaten wird gespart". Unterzeile online: "Weil der Satellit angeblich zu teuer ist, hat die ARD ihre Übertragung nach Afghanistan kurzerhand eingestellt" – wobei sich das "kurzerhand", wie Marc Felix Serrao in der SZ schreibt, auf den Sommer bezieht; kurzerhand klingt aber natürlich besser.

[listbox:title=Artikel des Tages[Von Nähe und Distanz (Elitz im TSP)##Will im Interview (Spiegel, jetzt online)##ProSiebenSat.1 nach 5 Jahren KKR und Permira (FTD)]]

Über den kleinen Umweg des Hindukusch wären wir bei den Stichworten ARD und Riesenwut auch bei einer Streitigkeit, die keinen Bundeswehrsoldaten auch nur für fünf Cent interessieren dürfte: Die Verleger üben Kritik an irgendwas. Heute: an der "Tagesschau"-App des NDR.

Die bekanntlich, Achtung, umstrittene Applikation für Smartphones und Tablet-Computer geht heute an den Start, siehe tagesschau.de. Und die darum ausgetragenen Konflikte werden nochmal zusammengefasst.

"Kritiker bemängeln, ARD und ZDF finanzierten so mit Gebührengeld Angebote, die den Applikationen von Privatsendern und Zeitungsverlagen ungehemmt Konkurrenz bereiteten; geeignet ist die App für das iPhone von Apple, den Blackberry und das Android von Google", schreibt etwa die SZ (S. 15).

Meedia schreibt: "Es mutet (...) ein wenig skurril an, dass man", also der NDR, "sich in der dazugehörigen Mitteilung größte Mühe gibt, den Eindruck zu erwecken, dass das Mobil-Angebot keine zusätzlichen Inhalte enthält. Wäre das anders, gäbe es richtig Ärger mit allen anderen deutschen Medienhäusern."

Und der Tagesspiegel hat den Verlegerverbandsvertretern von BDZV und VDZ ein Ohr geliehen. Ersterer zum Beispiel findet die App gewohnt "schlicht rechtswidrig".

Bliebe nur noch eine Frage: Für den gemeinen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan – ist es für den nun eigentlich gut oder schlecht, dass man die "Tagesschau" notfalls auch auf dem Handy abrufen kann?


Altpapierkorb

+++ Talk: Das "Anne Will"-Interview aus dem Spiegel ist online +++ Der WDR-Rundfunkrat kritisiert die ARD für ihre neue Talkschiene, etwa bei kress: "Fünfmal Talk - eindeutig zu viel für den Rundfunkrat, zu dem Vertreter der politischen Parteien in NRW gehören, der Kirchen, vieler Verbände und Gewerkschaften." +++ Und nochmal Talk: Das Hamburger Abendblatt stellt, mit dpa, den Quotenjahresvergleich an +++

+++ Medienwirtschaft: Holtzbrinck verkauft die Main-Post an die Mediengruppe Pressedruck (Augsburger Allgemeine). Am ausführlichsten berichtet die Berliner Zeitung, abgesehen von der Augsburger Allgemeinen +++ Die FTD blickt kommentierend zurück auf fünf Jahre KKR und Permira bei ProSieben Sat.1: "Unter der Regentschaft der Finanzinvestoren hat der Konzern gelitten, hat Substanz und viel Zeit verloren. Lange sah es so aus, als drohe Pro Sieben Sat 1 am Ende gar die Zerschlagung. Bei der womöglich bald anstehenden Abschiedsparty für ihre Besitzer wird die Pro-Sieben-Belegschaft vor allem feiern können, nochmal davongekommen zu sein." +++ Die BLZ berichtet aus dem Inneren der ersten reinen iPad-Zeitung, Murdochs Daily +++

+++ Radio: Bei der FAZ (S. 33) geht es um die Frage, wie einzelne Sender die Sportstar-Gagen für ihre berühmtesten Moderatoren bezahlen können: "Für vierhundert Millionen Dollar hat Howard Stern kürzlich seinen Arbeitsvertrag bei dem Abo-Radiosender SiriusXM um weitere fünf Jahre verlängert". Der Antwort einer Teil: Es handle sich um "Zugpferde, um Abopreise zwischen zehn und siebzehn Dollar monatlich verlangen zu können, so finanzieren sich die monströsen Gagen" +++ Ein Hörspielproduzent der BBC berichtet in der taz im Rahmen einer Kooperation mit "mehrspur", dem Medienmagazin von SWR2 über ein Hörspielprogramm der BBC +++

+++ Fernsehen: Die Funkkorrespondenz moniert in ihrem Aufmacher über Büchersendungen etwa die ritualisierte Ausgewogenheit von "Die Vorleser" im ZDF: "Es gehört zu den Ritualen dieser Sendung, dass jeweils ein Buch von einem der beiden Moderatoren empfohlen wird und der andere anschließend dieses Lob durch kritische Bemerkungen relativiert. Pro und Contra neutralisieren sich dabei gegenseitig, so dass am Schluss wenig mehr als ein Unentschieden herauskommt. (...) Eine begeisternde, den Zuschauer mitreißende Buchempfehlung sieht (...) anders aus." +++ Die FAZ (S. 33) bespricht "Die Tudors" (Mittwoch, 22.15 Uhr, Pro Sieben) +++ Die SZ (S. 15) "Die Draufgänger" (Donnerstag, 20.15 Uhr, RTL) +++ Und letztere berichtet ebd.: Gero von Boehm wechselt von 3sat zum ZDF-Kulturkanal: Seine Gesprächssendung werde nicht fortgesetzt, "eine neue Form des intelligenten TV-Gesprächs" aber entwickelt +++ Und auch das noch: Vox hält seine Sendelizenz nun alleine und wirft "Süddeutsche Zeitung TV", "NZZ Format" und "Spiegel TV Extra" aus dem Programm - worin die FAZ (S. 33) allerdings keinen Grund zur Trauer sieht +++

+++ Verkaufte Auflage: Bei Focus, so sueddeutsche.de via WuV, werde intern diskutiert, was allein freilich noch kein ganz großer Hammer wäre. Hier zur Einordnung ein Text-Zitat: "Summa summarum entfernt sich der Focus von der Zielvorgabe, die intern kursiert und bei 130.000 Stück im Einzelverkauf liegen soll, immer weiter. Laut Grosso West soll der Papst-Titel (47/10) nur rund 69.000 Stück verkauft haben, 'Prima Klima' lag dem Vernehmen nach bei 60.000 Exemplaren und markiert damit einen historischen Tiefstand." Immerhin: keinen historischen Meilenstein +++

Das Altpapier stapelt sich morgen wieder.

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