Tatort "Tatort"

Tatort "Tatort"

Es gibt was zu feiern: Der "Tatort" wird 40 Jahre alt, weshalb ungefähr 4000 "Tatort"-Quizfragen gestellt werden - und man sich mal den einen oder anderen Gedanken über den deutschen Fernsehkrimi machen kann

Äh, folgendes: Machen wir Medienjournalisten eigentlich "Tatort"-Quizze, weil der "Tatort" sozusagen Kult ist? Oder ist der "Tatort" sozusagen Kult, weil wir Medienjournalisten "Tatort"-Quizze machen? Kann man ja mal fragen (als jemand, der 2008 selbst die 700. Folge mitgefeiert hat, als gäb's kein Morgen).

Jedenfalls: Immer mehr Medienseiten veranstalten, vor allem online, "Tatort"-Quizze, sammeln "Tatort"-Fakten und stellen "Tatort"-A-bis-Ze zusammen anlässlich des mittlerweile jährlich (2005, 2006 I, 2006 II, 2007, 2008 I, 2008 II, 2009 I, 2009 II, 2010) anstehenden Jubiläums. Quizze und dergleichen gibt es etwa hier, da, da, hier eh, da sowieso, dort sogar auch, außerdem da, sehr ergiebig hier (gab es wirklich noch nie einen Ermittler, dessen Nachname mit A, Q, U, X oer Y anfing?), da, dort und dort.

Unsere Quizfrage: Was sieht man auf dem Foto? Natürlich irgendwas Historisches (Bild vorne), was Bürokratisches (rechts) und dazu was Aktuelles (hinten).

Befreiend geradezu, wenn jemand zum "Tatort" ein paar Dinge zurückhält. Die pensionierte BR-Redakteurin Silvia Koller, zum Beispiel, die den "Tatort" mitgeprägt hat - und die der taz, die sie zu Hause besuchte, einfach nichts erzählte:

Wann sind Sie in Pension gegangen?
Keine Ahnung.
Aber es muss doch einen Moment gegeben haben, an dem Sie nicht mehr ins Büro gegangen sind?
Nee, ich bin dann schon noch länger ins Büro gegangen.
Den Termin müssten Sie nachgucken?
Ja, wenn ich wüsste, wo.

Weil man Samstag - das ist dieser Tag vor dem "Tatort" - ja später dran sein könnte als die anderen, liefen auch bereits die ersten Texte über Ulrich Tukur, der am Sonntag sein "Tatort"-Jubiläum - 1. Folge - feiert. Die FAZ allerdings hat in ihrem Text über Tukur eine Erklärung gefunden für all den Trubel - kommt aber durch die Hintertür, die bekanntlich wie folgt beschriftet ist: Die Öffentlich-Rechtlichen machen uns Kummer. "Ärger trübt den Blick", schreibt Oliver Jungen also (S. 39).

"Im Fall 'Tatort' heißt das, verärgert wegzusehen beim allabendlichen Trommelfeuer, mit dem die ARD '40 Jahre Tatort' so feiert, als sei man irgendein winziger Privatsender, der Quoten hinterherhecheln muss. Grotesk, denn wenn es eine Reihe gibt, die felsenfest im allgemeinen Bewusstsein steht, dann diese."

Wobei wir wieder bei der Anfangsquizfrage wären: Ist sie so felsenfest im allgemeinen Bewusstsein verankert, weil es so viele Quizze gibt, oder war doch das Ei vor der Henne?

Aber zurück zum Öffentlich-Rechtlichen-Dissen: Peter von Becker macht im Tagesspiegel nach einem knappen Lob gleich weiter.

"Vor allem gibt’s, wenn wir auf die einheimischen Krimis in den öffentlich-rechtlichen Sendern schauen, die noch immer die meisten Zuschauer haben, eine Menge sehr guter Schauspieler. Die Krugs, Georges und Mühes haben als einstige Matadore längst ihre mal kauzigen, mal knorrigen Nachfolger gefunden. Aber die Stoffe werden inzwischen spürbar dünner, die Storys schematisch."

Es folgt eine etwas schematische Untersuchung des deutschen Fernsehkrimis, derzufolge, frei zusammengefasst, immer noch der Gärtner der Mörder ist. Einen Punkt trifft von Becker allerdings unzweifelhaft: "Was freilich im Großen fehlt, sind gesellschaftliche und politische Konflikte über einen einzelnen Ehrenmordfall, über eine politisch meist sehr korrekte Migrantenepisode oder eine finanziell transaktive Einzelheuschrecke hinaus."

Womit wir wieder bei der FAZ wären, die über die letzte und achte Staffel der zwischenzeitlich sehr groß gewesenen Agentenserie "24" schreibt, die derzeit bei Kabel 1 laufe. Danke für den Hinweis - und das machen wir jetzt einfach mal sieben Wochen zu spät oder wie?

[listbox:title=Artikel des Tages[Peter von Becker über den Gärtner im deutschen Fernsehkrimi (TSP)##Volker Herres ist nicht ungern in der Gesellschaft Anke Schäferkordts (FK)##Der Leitartikel der letzten eigenständigen Ausgabe des Rheinischen Merkur##Die erste urkundliche Erwähnung von Carta, 2008 (NZZ)##Konstantin Neven DuMont im "Kulturzeit"-Interview (3sat)]]

In der ARD - das ist dieses Dings, das vierteljährlich einen Jubiläums-"Tatort" zeigt - gibt es derweil eigentlich andere Fragen: Der Sonntag ist ja durch den Einkauf von Günther Jauch für die Talkshow am Sonntagabend frisch durchgetaktet (vor Jauch - genau: dieser Krimi). Wohin also mit den Talkshows? Die FAZ hat da ein paar Fragen:

"Ist es vorstellbar, dass die Zuschauer an einem Abend zwei Talkshows hintereinander goutieren? Ist es sinnvoll, Jauch, Plasberg und Beckmann binnen vierundzwanzig Stunden antreten zu lassen? Das Hickhack um Themen und Gäste, das schon jetzt das Wirken der Talkshowmacher bestimmt, wird grausam sein. Dass Beckmann den Kürzeren zieht, so er sich nicht auf reine Unterhaltung verlegt, ist abzusehen."

Vor allem aber wäre da noch etwas: Wohin mit dem Dokumentarfilm? Die FAZ:

"Der Sendeplatz für Dokumentationen, die bislang montags um 21 Uhr laufen, ist futsch. (...) Wenn sie laufen, dann nur noch nachts. 'Wir finden, es reicht jetzt!', sagt deshalb die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm, die Hunderte Kreative vertritt."

Und zwar in einem offenen Brief, aus dem auch die Süddeutsche Zeitung und nach dem Spiegel-Bericht vom Wochenende Spiegel Online zitieren - Spiegel Online u.a. diese Passage:

"Komplizierte gesellschaftliche Zusammenhänge werden nicht mehr 'vor Ort' durchdrungen, sondern sie werden aus der Mitte der Gesellschaft herausgelöst und in die synthetische Welt der Studios verlegt", schreibt die "ag dok". Und weiter: "Wichtige Themen werden nicht mehr analysiert, sondern selbstgefällig zerredet."

Da darf eine Interview-Aussage von ARD-Programmdirektor Volker Herres in der Funkkorrespondenz nicht unzitiert bleiben:

Funkkorrespondenz: Jetzt eine völlig an der Realität orientierte, einfach zu beantwortende Frage oder anders gesagt, jetzt stelle mer uns mal janz blöd: Wann kommt endlich der Mut der ARD zu einem Programmplatz für den 'Dokumentarfilm des Monats': 90 Minuten auf einem Primetime-Sendeplatz im Ersten?
Herres: Die einfache Antwort: Das wäre kein Mut, das wäre töricht.
Warum? Ihnen würde das höchste Lob aus den Feuilletons dieser Republik zufliegen.
Ja, nichts würde mich mehr erschrecken.
Mit dieser Argumentation sind Sie jetzt auf einer Linie mit RTL-Chefin Anke Schäferkordt.
Nicht unbedingt die schlechteste Gesellschaft.

Herres' Argumentation lassen die Michael Hanfelds von der FAZ schon aus rituellen Gründen nicht unkommentiert:

"Uns aber schreckt derart sarkastisch formuliertes Quotendenken längst nicht mehr. Doch es nervt und ermüdet und ödet an, vom 'Kulturauftrag', dem 'Grundversorgungsauftrag' gar, aus der öffentlich-rechtlichen Ecke immer nur dann zu hören, wenn es um die nächste Gebührenerhöhung geht."


Altpapierkorb

+++ Wer feierte gestern Abend Geburtstag, abgesehen davon, dass das Erste vorsorglich mit einem "Tatort"-Quiz den "Tatort" feierte? Carta. Es war der zweite. Hier nochmal die erste urkundliche Erwähnung +++

+++ Konstantin Neven DuMont im "Kulturzeit"-Interview bei 3sat.de und im zugehörigen Fernsehbeitrag +++

+++ Unterstützung bekommen die Dokumentarfilmer unter anderem vom früheren WDR-Intendant Fritz Pleitgen, der sagt: "Talkshows ersetzen keine seriöse Hintergrundberichterstattung" (zitiert wird er etwa bei kress) und der medienpolitischen Sprecherin der Bundestags-Grünen, Tabea Rößner, die von der SZ (S. 19) zitiert wird: "Wenn mehr Polittalkshows zu Lasten von Dokus gingen, sei dies ein 'unglückliches Signal'." Den Gebrauch des gern gebrauchten Worts Signal - wo kann man den eigentlich lernen? +++

+++ Die New York Times will laut Vorstandschefin Janet Robinson ein Bezahlmodell für ihre Online-Leser einführen: Eine bestimmte Anzahl von Artikeln soll frei zugänglich sein, wer mehr lesen wolle, soll zahlen (Zusammenfassung: KSTA). Originalquelle: Die Zeit, S. 30. Dort geht es auch um die Entwicklung einer Zeitung nur fürs iPad durch Rupert Murdoch (Medienmogul) und Steve Jobs (Computermogul) +++ Auf S. 63 besucht Die Zeit einen Berliner Zeitungskiosk: "Reportage über ein Zentralorgan der öffentlichen Meinung - und sein drohendes Ende" +++

+++ Heute erscheint der Rheinische Merkur letzmals eigenständig, bevor er eine Beilage der Zeit wird. Chefredakteur Michael Rutz kritisiert in seinem Leitartikel die Einstellung der konfessionellen Zeitung als "ein Zeichen der Zaghaftigkeit in Zeiten, in denen die Kirche eigentlich nichts dringlicher braucht als eine Offensive ihrer Glaubwürdigkeit" +++

+++ Die Funkkorrespondenz nimmt sich aktuell der Netzneutralität an, mit einem Gastbeitrag von SPD-Medienpolitiker Marc Jan Eumann +++

+++ Über fluegel.tv, entstanden im Zusammenhang mit den Protesten gegen Stuttgart 21, berichtet der Tagesspiegel: "Mit seiner Webcam begann er (der Gründer; A? bewegte Bilder zu übertragen – fluegel.tv war geboren. Seither wurde die Website des Senders 500 000 Mal angeklickt. Mittlerweile überträgt der kleine Sender genau wie Phoenix und der SWR die Schlichtungsgespräche mit Moderator Heiner Geißler live im Internet." +++ Während Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle die Übertragung wichtiger Prozesse im Fernsehen empfiehlt - was die taz meldet, und womit die SZ (S. 19) ihre Medienseite aufmacht: "Ich wäre nicht abgeneigt, darüber nachzudenken, öffentliche Verhandlungen im Grundsatz ganz für entsprechende Aufnahmen freizugeben. Das gilt vor allem für das Bundesverfassungsgericht." +++

+++ War es ein Kontrollversuch? Oder Medienkritik? Antje Hildebrandt hat für die Berliner Zeitung ein paar rechtliche Fragen rund um die Gegendarstellung Stefan Raabs im Focus geklärt. +++


Das Altpapier stapelt sich wieder am Montag gegen 9 Uhr.
 

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