Geschenkpapier IV: Reden wir über Rundfunkgebühren!

Geschenkpapier IV: Reden wir über Rundfunkgebühren!

Stefan Niggemeier schreibt im vierten Geschenkpapier mal wieder über die leidigen Rundfunkgebühren und nimmt Verlage und Medien aufs Korn, die wiederum ARD und ZDF wiederholt ins Visier nehmen.

Na vielen Dank, Bundesverwaltungsgericht. Dann reden wir halt über Rundfunkgebühren.

Es gibt eigentlich keinen Grund zur Aufregung. Oder genauer: keinen neuen Grund zur Aufregung. Aber von der alten Aufregung ist noch genug da. Die Vorräte gehen ohnehin nie zur Neige. Manchmal scheint es, als würden sich die Deutschen nur ununterbrochen über die GEZ und die Rundfunkgebühren aufregen und diese anhaltende Empörung würde nur gelegentlich vorübergehend von aktuellen Themen überlagert. Es genügt ein Urteil, das nichts anderes macht, als den Status Quo zu bestätigen und die ohnehin geltende Praxis für rechtmäßig zu erklären, und schon schäumt die Wut wieder, als würde sie nie schal.

Das Bundesverwaltungsgericht hat also gestern in letzter Instanz geurteilt, dass Besitzer von "neuartigen Empfangsgeräten" wie Mobiltelefonen mit Internetzugang auch dann Rundfunkgebühren zahlen müssen, wenn sie sie gar nicht dafür nutzen, fernzusehen. Das ist, wie die "Welt" einräumt, kein überraschendes Urteil: Das Prinzip dahinter ist, so ungerecht es ARD-und-ZDF-Vermeidern oder -Verächtern erscheinen mag, seit Jahrzehnten in allen denkbaren Varianten juristisch überprüft und bestätigt worden.

Nicht einmal die Konstruktion von Geräten, durch die man nur noch Privatsender auf dem Fernsehgerät empfangen konnte, half, der GEZ zu entkommen. Es bleibt also alles, wie es ist, was Dirk Hoeren von "Bild" nicht daran hindert, seinen Bericht zum Thema mit dem Satz zu beginnen: "Dieses Urteil verunsichert Computer- und Handy-Nutzer".

Gleich daneben titelt "Bild" (unter der merkwürdig vertraut klingenden Schlagzeile "GEZ-IRRSINN"): "So schnell werden Sie zum Schwarzseher". Dahinter verbirgt sich aber, wie sich herausstellt, gar keine Anleitung, sondern nur eine besonders umständliche Art zu erklären , "wer wann für was zahlen muss", was sich, wie gesagt, nicht geändert hat.

Das Urteil,  das Millionen Internetuser empört, obwohl es nur wenige betrifft, ist "Bild" sogar einen Leitartikel wert. Unter dem auch merkwürdig vertraut klingenden Titel "Freibrief für Zwangsgebühren" schimpft Hoeren: "Der Irrsinn mit der Rundfunkgebühr ist um eine Facette reicher" und warnt: "Wer künftig eine Laptoptasche aus dem Haus trägt, macht sich bei den Gebührenjägern [der GEZ] schon verdächtig."

Selbst die "Sprit-Steuer" sei "gnädiger" (und man ahnt, was so ein Satz für "Bild"-Leser und ADAC-Mitglieder bedeutet), denn die sei nur fällig, wenn man das Auto auch fährt. (Die Existenz der KFZ-Steuer hat Hoeren vorübergehend aus naheliegenden Gründen verdrängt.)

Die Empörung der "Welt" ist nicht geringer, aber zu eher, nun ja: ausladenden Sätzen geronnen:

"In keinem Land der Welt ist die Bestandsgarantie für ein derart ausladendes öffentlich-rechtliches Rundfunksystem durch die Interpretation der Verfassungsgerichtsbarkeit festgeschrieben."

Durch die gebührenfinanzierten Sender werde eine "deutsche Sonderwirtschaftszone im weltweiten Internet eingezäunt" - was womöglich einen Großteil der Welt relativ unbereindruckt lässt, aber natürlich nicht die "Welt" und die deutschen Zeitungsverleger insgesamt, die laut Kommentator Ulrich Clauß dort in eine ungleiche Konkurrenz zu ARD und ZDF "gezwungen" werden. Oder wie sein "Bild"-Kollege Hoeren ausruft: "Echter Wettbewerb sieht anders aus!" (In der Tat, und doch möchte man ihm bei allen Zumutungen des deutschen Rundfunksystems in Theorie und Praxis erwidern, dass es durchaus kein Versehen, sondern Absicht ist, dass es einzelne Restbereiche in unserem Leben gibt, die nicht der rein marktwirtschaftlichen Logik unterworfen werden.)

[listbox:title=Geschenkpapier-Container[Nr. 1 von Perlentaucher-Medientickerer Rüdiger Dingemann##Nr. 2 von sueddeutsche.de-Chefredakteur Hans-Jürgen Jakobs##Nr. 3 von Blogger Sascha Lobo]]

"Spiegel Online", ebenfalls eine verlässliche Speerspitze im publizistischen Kampf gegen ARD und ZDF, erzählt aus Anlass des Urteils noch einmal die zweifellos schöne und womöglich auch typische Geschichte, wie die GEZ selbst für die Kassen eines Steakhauses Gebühren verlangen wollte. Und recyclet dabei die in dieser Form vermutlich falsche Zahl von 815 Millionen Euro Mehreinnahmen, mit denen die ARD angeblich intern jährlich rechne, wenn das Gebührensystem auf eine Abgabe pro Haushalt umgestellt worden sei.

Dadurch wird die kontroverse Hilfskonstruktion mit den "neuartigen Empfangsgeräten" ohnehin hinfällig, was aber offenbar auch nicht dazu beiträgt, die Empörungsbereitschaft zu lindern - weil der vermeintliche Skandal im System liegt. "FAZ"-Medienredakteur Michael Hanfeld schafft es, sich über die Grundprinzipien des deutschen Rundfunksystems, wie es vom Bundesverfassungsgericht geprägt wurde, immer noch so in Rage zu schreiben, als seien sie ihm gerade erst bekannt geworden:

Den Sendern wurde eine "Bestands- und Entwicklungsgarantie" zugesprochen. Ist das nicht toll? Bestand und Entwicklung garantiert! Das heißt natürlich auch: Mehr Gebühren, garantiert!

Und doch, wenn man gerade denkt, dass man jeden dieser Texte (inklusive diesem, natürlich) schon vor dem Lesen auswendig mitsprechen könnte, fällt ein Satz aus dem Rahmen. Und so geht der diestägige Preis für den Originellen Gedanken an Dirk Hoeren für seine Klage: "So wird ein Rundfunksystem gemästet, das sich nicht um Quoten schert (...)." Ach, das wär's, wenn ARD und ZDF sich wegen ihrer Gebührenmilliarden nicht um Quoten scherten. Oder wenigstens nicht so sehr. Wenn sich die ARD, nur zum Beispiel, trauen würde, die ein oder andere gute Dokumentationen zu ihrer Themenwoche "Essen ist Leben" nicht tief in der Nacht zu verstecken.

Die Sendung "Food, Inc.", die der "Tagesspiegel" heute empfiehlt, hat auch im Dritten Programm keinen Platz vor 23.15 Uhr gefunden. Der überraschende, informative und alles andere als sperrige Film "Frisch auf den Müll" lief sicherheitshalber erst um 23.30 Uhr im Ersten. (Aber immerhin auch im Internet, als Teil der unfairen Konkurrenz, in die die Zeitungsverlage... Sie wissen schon.)


Altpapierkorb

+++"Angesichts des Zustands des Journalismus derzeit empfinde ich es aber eher als beleidigend, Journalist genannt zu werden." Sagt Wikileaks-Chef Julian Assange im Interview mit "El País", das die "taz" dankenswerterweise übersetzt hat.+++

+++Die Agentur dapd wirbt für die (in diesem Jahr) letzte Gelegenheit, sich von Heidi Klum erniedrigen zu lassen, mit einem Fest der Zahlen: "Insgesamt stellten sich 13.374 Kandidatinnen in 21 deutschen Städten persönlich vor, wie der Sender am Mittwoch mitteilte. Zum Casting-Start in Stuttgart kamen 927 Bewerberinnen, in waren es Berlin 894, in Hannover 982 und in München 813." (Gedacht ist das vermutlich vor allem als Vorwand für Online-Medien, die alten Bildergalerien und Klickstrecken noch einmal zu verlinken.)+++

+++Wer sich als Möchtegernmodel lieber von Tausendsassa Stefan Raab vorführen lassen will, kann das jetzt auch tun. ("Tausendsassa" ist inzwischen das Journalisten-Pflichtwort zur Beschreibung Raabs geworden, wie "Ulknudel" für Ingrid Steeger" oder "Rockröhre" für Tina Turner. "Wikipedia" sagt, dass Österreicher auch "Wunderwutz" sagen. Also statt Tausendsassa. Nicht unbedingt zu Raab. Wobei: Das wär's doch. "Wunderwutz Stefan Raab".) +++

+++Noch schlimmeres Wort als "Tausendsassa": "Personalkarussell (sich drehend)". Wobei es für das, was bei arte passiert, vielleicht ausnahmsweise treffend ist: " Die Präsidentin der französischen Filmförderung Véronique Cayla, 60, wurde von der Arte-Mitgliederversammlung am Mittwoch zur neuen Präsidentin gewählt. Der bisherige Präsident Gottfried Langenstein, 56, wird vom 1. Januar 2011 an die Nachfolge von Jérôme Clément, 65, als Vizepräsident antreten. Clément bleibt Präsident bei Arte France bis zum 22. März 2011. Dann soll ihn Véronique Cayla auch in der Funktion ablösen." Alles klar? +++

+++Helmut Markwort soll an einer Art Facebook für Tote arbeiten. Der "Tagesspiegel" macht zweifelhafte, aber offenbar zum Glück wenig attraktive Werbung für den Mobilfunkanbieter "Base", wie vorher schon die Nürnberger "Abendzeitung" und die "VDI-Nachrichten".+++

+++Und die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, quasi in eigener Sache, dass das "ß" ("das technisch gesprochen kein Buchstabe, sondern eine Ligatur ist"), demnächst auch in Internetadressen vorkommen darf. Die Domain ß.de ist allerdings leider schon anderweitig vergeben.+++

Stefan Niggemeier ist Medienjournalist und Blogger. Er ist Herausgeber des BildBlog und schreibt regelmäßig für die FAS und die FAZ. Morgen schreibt "journalist"-Chefredakteur Matthias Daniel das Altpapier.

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