Ich bin die Frau von "Mensch"

Ich bin die Frau von "Mensch"

Im Internet kennt jeder nur seinesgleichen, und das sind meistens Literaten: Heinrich Heine schreibt im Spiegel über Guttenbergs und die Alias-Namen von Konstantin NevenDuMont ergeben ein Gedicht von Friederike Mayröcker

Das wird man ja noch sagen dürfen:

"Die eigene Arbeit und den eigenen Arbeitgeber wertzuschätzen, ist eine Strategie, um die alltägliche eigene Unsicherheit zu vertreiben."

Mit diesem Kalenderspruch wehrt sich Oliver Storck vom "Handelsblatt" in einem Beitrag für die NZZ gegen einen anderen Beitrag in der NZZ, in dem es um eine Studie ging, die der Medienbranche zu viel "Selbstbeweihräucherung" vorwarf.

Das ist es rührend, wie Storck nun für die Streicheleinheiten am Selbst des durch Krise und andere Ärgernisse in seinen Grundfesten erschütternden Berufsstandes wirkt. Geht zwar an der Kritik der Studie vorbei, aber wer's braucht.

Nicht nötig hat Stephanie Guttenberg das Eigenlob, denn dafür gibt es Springers heißes Blatt. Naturgemäß findet nicht jeder die Art und Weise der Aufklärung über Kindesmissbrauch, wie Frau Guttenberg sie mit dem Aufklärungssender RTL2 in der Sendung "Tatort Internet" betreibt.

Dass ein in diesem Rahmen der Pädophilie Verdächtigter, nun verschwunden ist, lässt Andrian Kreye in der SZ an das amerikanische Vorbildformat denken:

"Befürchtungen werden laut, dass er den selben Ausweg aus der Strafverfolgung gewählt hat, wie der texanische Staatsanwalt während eines Drehs für 'To Catch a Predator', dem amerikanischen Vorbild für 'Tatort Internet'. Als Kamerateam und Polizei zur Hausdurchsuchung erschienen, erschoss sich der Verdächtige. Die amerikanische Sendung wurde inzwischen abgesetzt."

Die FTD kennt dagegen Juristen, die selbst Täter vom Recht auf Persönlichkeitsschutz nicht ausgenommen wissen wollen:

"Dabei hatte auch Co-Moderatorin Guttenberg den Eindruck erweckt, dass im Kampf gegen Kindesmissbrauch der gute Zweck fast alle Mittel heiligt. 'Wir wahren hier, so gut es geht, Persönlichkeitsrechte. Wir müssen uns aber daran erinnern, dass wir über Täter sprechen', sagte sie kürzlich über die Sendung. Juristen fühlen sich nun genötigt klarzustellen, dass im Rechtsstaat auch die Persönlichkeitsrechte von Tätern schützenswert sind."

Insgesamt schwanken die Beiträge – siehe auch Berliner und Tagesspiegel – aber zwischen sendungsimmanenter Kritik (dass man eventuell erworbene Hinweise gleich nach dem Dreh hätte weitergeben müssen statt bis zur Ausstrahlung der Sendung zu warten) und der Ablehnung dieser Art der Informationsbeschaffung:

"Schon jetzt häuft sich Kritik an dem Format, an der reißerischen Aufmachung, an der Pranger-Wirkung, die die Sendung entfaltet, daran, dass sie nicht die Wirklichkeit abbildet, sondern mittels Lockvögeln erst erschafft, wie die Hamburger Medienanwältin Dorothee Bölke in der Süddeutschen Zeitung erklärte."

Als Erklärung hilft für den Moment nur die Kreye-Perspektive:

"Dass die Debatte so falsch läuft, sagt deswegen wenig über das Thema an sich und auch nur wenig über Anliegen und Ambitionen von Frau Guttenberg aus. Sie zeigt vielmehr, dass sich Deutschland in einem hochgradig nervösen Zustand befindet, in dem jede Debatte zu einer umgehenden Polarisierung führt, die Differenzierungen unmöglich macht - egal ob es um neue Technologien geht, islamische Einwanderer oder eben Kindesmissbrauch."

Tatort ist das Internet aber auch da, wo es dem Einzelnen eine Vielzahl von Masken gestattet, hinter denen er sich in Szene setzen kann. Stefan Niggemeier ist mit seiner Geduld allerdings am Ende, was die Kommentare und Zwiegespräche zahlreicher User unter seinen Blogeinträgen angeht, die alle unter der E-mail-Adresse von Konstantin Neven DuMont angemeldet sind.

Tatsächlich ist die Liste dieser Namen allein aus den letzten sechs Wochen beeindruckend (der FAZ-Stiltest "Ich schreibe wie" assoziiert nicht zu unrecht Friederike Mayröcker, unser Bild, als literarisches Vorbild) – unser Favorit aus den über 100 Kürzeln ist "Ich bin die Frau von 'Mensch'" knapp vor "Goofy D.", "Kopf Schüttel" und "Mensch".

Im kurzen Meedia.de-Interview erklärt Neven DuMont, der beteuert, nicht dahinter zu stecken, wie andere dann dahinter stecken konnten:

"Sie hatten Zugang zu meinem Rechner. Im Nachhinein war das natürlich ein Fehler."

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Stephanie Guttenberg in der Kritik (SZ)##Die Guttenbergs in der Medienliteratur (TAZ)##Stefan Niggemeier über seinen Lieblingskommentator (Blog)##Eigenlob lindert das Leiden (NZZ)##]]

Das sollte doch in Zukunft mehr Acht gegeben werden, raten wir oliverstorcksalomonisch. Das könnte man auch der gebeutelten Presse ins Stammbuch schreiben, die in diesen harten Zeiten nichts Besseres zu tun hat, als einen 38-jährigen Verteidigungsminister und seine Fernsehmoderatoringattin zum neuen Kanzlerpaar aufzubauen – wo es doch bereits eine Kanzlerin samt Gatten gibt. Die TAZ:

"Die jüngste Welle des Hörensagens erreichte die Leser am vergangenen Mittwoch. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, ansonsten auf ihre redaktionelle Trennung von Fakten und Meinung stolz, ließ sich auf Seite 2 aus über die Kanzler-Fähigkeiten des Verteidigungsministers. Fast der gesamte Text muss auf den Konjunktiv zurückgreifen, nicht einmal ein Unions-Hinterbänkler mochte sich damit zitiert sehen, er halte den Minister geeignet für Höheres. Trotzdem war der Spiegel alarmiert. Die aktuelle Ausgabe wirbt mit einer Titelgeschichte über 'Die fabelhaften Guttenbergs'. Untertitel: 'Paarlauf ins Kanzleramt'. Auch sie kommt ohne Belege aus."

Das ist naturgemäß unanständig, produziert aber Spiegel-Texte, deren Literarizität von allererster Kajüte ist:

"'Er steht da, breitet die Arme aus wie auf dem berühmten Foto vom Times Square, dreht sich nach rechts, dreht sich nach links, tanzt fast und schafft es in kurzer Zeit, fast jedem Soldaten in die Augen zu sehen.'"

Das hätte ein Heinrich Heine (auf den kommt zumindest der FAZ-Stiltest), auch nicht schöner sagen können. Und nicht zufällig hatte Carta bereits vermutet, dass der Guttenberg-Auftrieb sich weniger dem verbreiteten Glamour als vielmehr der Sprache des Verteidigungsministers verdanke.


Altpapierkorb

+++ Die Serie "Weissensee" (deren Titel ein wenig so wirkt, als hätte ihn Rafael Horzon erdacht, der in seinem "weissen Buch" mit dem "ß" komplett abgeschlossen hat) geht zu Ende – und Regina Mönch atmet in der FAZ (Seite 37) auf: "Wenn heute Abend der vorerst letzte Teil dieser ungewöhnlich guten und aufregenden Fernsehserie zu Ende geht, mit seinem stillen, offenen Ausgang, der einem den Atem stocken lässt, könnte man sich auch wünschen, dass es das war. Dass man noch mehr nicht wissen muss, um die DDR abzuhaken, weil es vorbei ist. Zum Glück." +++ Wenn Sie sich jetzt fragen, ob da nicht jemand das Fernsehen mit der Wirklichkeit verwechselt – das haben wir uns auch. Katharina Riehl setzt in ihrem SZ-Resümee (Seite 15) eigentlich dazu an, die Frage, wie viel DDR-Wirklichkeit in der Fiktion einer TV-Serie steckt, zu beantworten: "Auch muss sich jede Fiktion die Frage gefallen lassen, ob sie die Geschichte der DDR nicht verzerrt oder verfälscht. Trotzdem passen die Maßstäbe, anhand derer so ein Stück Fernsehen bewertet wird, nicht alle zu einer Serie, die unterhalten will und soll." Verweist dann auf die Serie "Holocaust" von 1979, und man denkt, dass nun erklärt wird, wie falsch oder richtig die Darstellung von Geschichte dort war – stattdessen biegt Riehls Text dann, ohne ein einziges Wort darüber zu verlieren, zu den Einschaltquoten ab! +++

+++ Heute erstmals in der "Anstalt" an der Seite von Urban Priol: Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig. Das Problem mit Kabarettisten abseits der Bühne – sind sie normal, erkennt man sie kaum wieder – wie Antje Hildebrandt in ihrem Barwasser-Portrait in der Berliner: "Im Café sitzt ein Nickelbrillenträger, der jedes Wort genau abwägt." Beziehungsweise Bernhard Hübner in der TAZ: "Kein Cordhut, keine Handtasche, er trägt Kapuzenpulli, Brille und spricht, ohne jede fränkische Färbung in der Stimme, geschliffenes Hochdeutsch." Versuchen sie lustig zu sein, geht das meist nach hinten los: wie im Tagesspiegel-Gespräch mit Barwasser und Priol: "Pelzig kommt jetzt zwar freiwillig rein, kommt aber auch öfters raus, während ich mich mehr und mehr drinnen aufhalte. Ich will schon gar nicht mehr raus!" +++

+++ Interessant ist dagegen das Interview mit dem WDR-Redakteur Wolf-Dietrich Brücker, das Peter Luley für die SZ geführt hat zum Start von Dominik Grafs Serie "Im Angesicht des Verbrechens" in der ARD (Seite 15). +++ Springer stellt die Russki Newsweek ein – aus wirtschaftlichen Gründen, wie aus der Berliner zu erfahren ist. +++ "Usbekistan: Schon wieder ein kritischer Journalist verurteilt", schreibt dagegen die TAZ. +++

+++ Wenn Sie mal wieder ein Argument gegen das Internet brauchen: Die FAZ (Seite 37) referiert Cass Sunsteins Buch "Republic.com": "Nerds unterhalten sich mit Nerds, Sozialstaatskritiker mit Sozialstaatskritikern, Hobbygärtner mit Hobbygärtnern – anderer Austausch findet kaum statt." Das ist im richtigen Leben zum Glück ja anders, wo der Vorstandsvorsitzende dem Hartz-IV-Empfänger noch beim Müllrunterbringen begegnet. +++ Datenpannen bei Facebook: Nach der FAZ-Enthüllung vom Wochenende ist jetzt auch das beliebte Spiel Farmville im Fokus der Kritik. +++ Apple verkündet dagegen unbescheiden Rekordgewinne, obwohl vom iPad bislang noch keine 5 Millionen Stück verkauft sind (HB). +++


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