Hinter dem Eisberg

Hinter dem Eisberg

50 bis 80 Prozent dieser Medienumschau entfallen leider schon wieder auf den Mann dieser Tage. Auch nicht tröstlicher: Norbert Bolz, Reinhold Beckmann. 

Also doch noch einmal "Shilo Tarrazin", wie Tobias Armbrüster gestern morgen im Deutschlandfunk irgendwann völlig zurecht, weil völlig entnervt und des ganzen offenbar überdrüssig, ansetzte: Zehn Minuten haben wir gestern abend bei "Beckmann" (noch nicht in der Mediathek) ausgehalten.

Das lag weniger an Tarrazin, der, schien es auf einmal, wie er da so saß und versuchte, sich an den Äußerungen festzuhalten, die er in seinem Buch gemacht hat, eigentlich auch eine Figur von Didi Hallervordern sein könnte, der versucht, dem großen Diether Krebs seine Ehre zu erweisen.

Das lag, naturgemäß, an Reinhold Beckmann, der Koch sein müsste in seiner Talkshow, die so prominente Diskussionen führt (neben Sarrazin hatte Beckmann sich gleich mit Aygül Özkan, Olaf "Witwe" Scholz, Ranga Yogeshwar, Renate Künast und einem später zuzuschaltenden Sozialarbeiter bewaffnet, der schon einmal einen Migranten im wirklichen Leben getroffen hat), aber der immer nur sein eigener Kellner ist und die heißen Eisen, die er serviert, permanent auf einem Tablett balanciert, von dem er Angst hat, das es ihm aus der Hand rutscht, weshalb er sich an seine Zettel hält und seine sinnlosen, pseudofeurigen Chroniken einfach über Tarrazins Wortmeldungen drüber spricht, damit keiner merkt, dass er, Beckmann, argumentativ nichts zu bieten hat und trotzdem vermeiden muss, dass etwas im Raume stehen bleibt, das ihm im nachhinein Ungemach bereiten könnte.

Andere haben länger durchgehalten.

Bevor er bei "Beckmann" war, hatte Shilo Tarrazin gestern noch einen Auftritt in der Bundespressekonferenz. Den hat Christian Jakubetz in seinem Blog auf Spiegel-Online mit Gruseln verfolgt:

"Es ist bizarr zu beobachten, wie der 'Spiegel' Sarrazin eine große Bühne durch den Vorabdruck seines Buches gibt, ihn gemeinsam mit “Bild” erst auf die Stufe eines echten Ereignisses hebt, um danach eine Woche lang konsequent via 'Spiegel Online' das Buch und den Autoren zum leibhaftigen Gottseibeiuns zu erklären. Ein übleres Kalkül kann man sich kaum vorstellen."

Robin Meyer-Lucht denkt das Phänomen bei Carta in größeren Zusammenhängen:

"Sarrazin passt ins Beuteschema des Journalismus. Es ist aber nicht er die Beute, sondern der Journalismus ist seine Beute. Diese mangelnde Souveränität des Journalismus mitzuerleben, die nicht das Versagen Einzelner darstellt, sondern letzlich wohl systemisch ist, verstört."

Während Steffen Grimberg sich in der TAZ wundert, dass "Bild" entgegen seinem eigenem Kodex Tarrazins Äußerungen über die Gene der Juden nicht skandalisiert, verschafft sich Andreas Kilb in seinem FAZ-Bericht über die Buchvorstellung Distanz durch eine beeindruckende Metaphorik Distanz:

"Schließlich ist 'Deutschland schafft sich ab' erst seit ein paar Stunden offiziell im Handel, auch wenn fast jeder Satz, mit dem sich der Autor selbst einen Strick dreht, längst in den Zeitungen gestanden hat und trotz gegenteiliger Behauptungen seines Verlags reichlich Vorausexemplare verschickt wurden. Sarrazin aber tut so, als sei dieser Pressetermin die Jungfernfahrt seines Werks und der Eisberg, auf den es vergangene Woche aufgelaufen ist, noch weit."

Für die SZ war Evelyn Roll anwesend, die angesichts der anderen 599 Anwesenden eine gewisse Skepsis gegenüber dem, was sie tat, nicht verbergen wollte:

"Und ja, natürlich, wer zu so einer Buchvorstellung geht, um sich über die Empörer zu empören, ist auch nicht viel origineller. Vielleicht sollte man sich für einen glücklichen Moment einmal vorstellen, dass niemand in diesem Land mehr über ein Buch schreibt, spricht oder sendet, bevor er es nicht von der ersten bis zur letzten Seite gelesen hat mit allen 538 Fußnoten. Das wäre dann allerdings ganz schlecht für den Verleger. Und auch für diesen kleinen Text."

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Journalismus als Beute (Carta)##John Wayne ohne Hut (FAZ)##"Bild" hält still (TAZ)##Ich war dabei (SZ)##]]

Zu diesem glücklichen Moment, und da schließt sich der Kreis wieder, würde aber auch unbedingt gehören, dass Reinhold Beckmann nur noch Hansi Flick oder Karl-Heinz Rummenigge nach Spielende anraunen dürfte (Puristen würden sagen: nicht mehr mal das!), statt Montagabend auf Talkmaster zu machen. Aber leider hat ARD-Programmdirektor Michael Hanfeld bei seinen Umstrukturierungen (vier Programmplätze – Mo. bis Do. – für fünf Personen – Will, Beckmann, Plasberg, Maischberger, Harald Schmidt) der ARD-Talkschiene in Folge des Jauch-Einkaufs diese offensichtlich sinnvolle Sparmaßnahme übersehen. Zwar hat Hanfeld in der FAZ (Seite 31) die richtigen Zahlen bei der Hand ("An solchem Quoten-Pingpong, das bei den öffentlich-rechtlichen längst genauso zählt wie bei den privaten Sendern"):

"Dass Anne Will einen 'hervorragenden Programmplatz' haben möchte, darauf darf man wetten. Sie produziert nicht nur die profundeste Talkrunde im Ersten, sondern erfährt auch den größten Publikumszuspruch. Auf 4,1 Millionen Zuschauer und einen Marktanteil von 14,4 Prozent kommt sie bislang im Jahresschnitt, Plasberg liegt mit 'hart aber fair' bei 3,64 Millionen und 14,6 Prozent, Sandra Maischberger folgt mit 1,75 Millionen Zusehern und einem Marktanteil von zwölf Prozent, Reinhold Beckmann liegt bei 1,69 Millionen Zuschauern und 11,3 Prozent."

Aber er interpretiert sie falsch (Sonntag: Jauch, Montag: Beckmann, Dienstag: Will, Mittwoch: Plasberg, Donnerstag: Maischberger), indem er Harald Schmidt (bislang Donnerstag) als Dauergast in Richlings "Satiregipfel" (Freitag; Originalschreibweise abweichend) abschiebt.

Dabei könnte Frank Schirrmacher seine upcoming Bestseller doch auch bei Sandra Maischberger vorstellen.


Altpapierkorb

+++ Wo wir beim Thema sind: Robin Meyer-Lucht erklärt auf Carta geknickt seinen Abschied von den Texten Norbert Bolzens, der in der SZ vom Wochenende mal wieder irgendwas geschrieben hatte, diesmal über das Internet: "Leider muss man konstatieren, dass Norbert Bolz’ Essays nur noch Konvolute voller Buzzwords sind, die hilflos nach Sinn ringen." +++ Marcel Weiss unternimmt auf Carta dennoch den tapferen Versuch, sich damit auseinanderzusetzen. +++ Wolfgang Michal hat, ebenfalls auf Carta, exklusivexklusivst bereits das nächste Buch des Unruhestifters aus der Bundesbank gelesen: "Fakt ist: Deutsche Akademikerinnen vermehren sich nicht mehr in ausreichendem Maße. Ihre Taillen sind um 50 bis 80 Prozent zu schlank, ihre Geburtskanäle um 50 bis 80 Prozent zu eng." +++

+++ Das französische Radio NRJ will seine Deutschland-Filialisierung vorantreiben, berichtet die BerlinerFR. +++ Die BBC, strahlendes Vorbild alles deutschen öffentlichen-rechtlichen Rundfunks, hat leider keine KEF, wie Steffen Grimberg in der TAZ berichtet. +++ RBB und MDR wollen in Zukunft enger zusammenarbeiten, weiß der Tagesspiegel, und wer das für ein Problem der "armen" ARD-Anstalten hält, lese bis zum Ende: Der BR übernimmt die sonntägliche Sportsendung vom WDR. +++ Neue Köpfe beim SRG (NZZ). +++ Und bei der BaZ, wo der Chefredaktor ab sofort Markus Somm heißt, der bei der Weltwoche das rechtskonservative Profil zu schärfen half, nachdem er beim Tagesanzeiger noch linke Positionen vertreten hatte, wie die NZZ sich erinnert. Die offizielle Begründung hebt darauf ab, "dass Somm Historiker ist und die Schweizer Geschichte gut kenne." +++ Die SZ widmet sich dem neuen Newsweek-Besitzer, dem 92-jährigen Sidney Harman. +++

+++ In der Prignitz ist kein schnelles Internet, hat die TAZ herausgefunden. +++ Im Fernsehen läuft dagegen "Küsse, Schüsse, Rindsrouladen" (20.15 Uhr, Sat.1), eine Komödie, die Klaudia Wick in der Berliner zu einer Charakterisierung von Billy Wilders Komödien hinreißt: "Es ist mehr die rasante Geschwindigkeit, mit der die Absurditäten umhergesprüht werden und die das Unterhaltungsvergnügen ausmachen." +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.
 

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