Barbra Streisand in Duisburg

Barbra Streisand in Duisburg

Google Street View wird, nachdem der Staat sich raushält, weiter zu verkraften versucht. Und Duisburg macht weiterhin alles falsch.

Nein, was war das schön die letzten Tage, der ganze Alarm rund um Googles hotten Street View-Dienst. Und dann kommt endlich der Tag der Politik und die tut: nichts.

"Bundesregierung will keine Lex Google", titelte die FAZ. Die TAZ fokussiert, nachdem Berlin, wie wir Hauptstadtkorrespondenten sagen, nichts gegen Googles Street View getan hat, die Gretchenfrage: "Löschen oder lassen?" Welt-Online versucht dagegen im Bild zu bleiben: "Das Kabinett googelt nach einer Street-View-Lösung".

Barbara Junge im Tagesspiegel konkretisiert darob noch einmal das Feindbild:

"Der Bezugspunkt einer ungewöhnlichen Koalition gegen Street View ist die Moderne. Die CSU-Ministerin reiht sich ein neben dem grünen Gemeinderat, dem linken Staatsfeind und dem wertkonservativen Bürger."

Ob diese Bezeichnung so treffend ist? Call it capitalism, würden wir zu bedenken geben, denn Google macht doch nur, was die Wirtschaftsseiten gut finden: Geschäftsmodell permanent ausbauen. Wo man mit seinen sentimentalen Gefühlen von Subjektivität und Menschlichkeit da dann noch hin soll, muss jeder selbst rausfinden. Harald Jähner will in der Berliner von Google-Chef Erik Schmidt lernen, der vorschlug, den Leuten zur Trennung ihrer Jugendsünden von dem always auffindbaren Namen einfach einen neuen zu geben mit 18.

"Es werde bald kaum noch möglich sein, verheißt Schmidt, Dinge wahrzunehmen, die nicht auf irgendeine Weise von Google passgenau auf uns zugeschnitten seien. Von dem Tag an möchte ich nicht mehr Harald Jähner heißen. Oder ich werde bei Google nur noch Dinge suchen, die ich gar nicht wissen will. Ich werde Seiten besuchen, die mich nicht interessieren. Bis ich dort ein anderer bin."

Thomas Fischermann hat dagegen in der Zeit sich selbst gesucht und ist fündig geworden, "zum Beispiel über seine Käufe bei Internet-Auktionen oder Wortmeldungen in dem Internetforum Cable Asylum, wo es um die optimale Verlötung hochwertiger Stereokabel geht."

Im Begleitessay zum dortigen Wochenschwerpunkt offenbart Heinrich Wefing intime Kenntnis der Dienste, wie wir in Pullach sagen:

"Wohl kein Geheimdienst dieser Welt – der chinesische vielleicht ausgenommen – verfügt über ein derart präzises, vielfältiges, ständig aktualisiertes Bild dessen, was in der Bevölkerung vorgeht."

Während die TAZ ein Pro und Contra beisteuert, wendet sich die FTD – weil sie so modern ist? – entschlossen gegen die Aufregung und bringt andere Bildermacher wie Sightwalk ins Spiel (unser Bild zeigt übrigens eine Art Privat Street View aus Zürich). Und hat außerdem des Bundesinnenministers frohe Botschaft parat:

"Google tue mehr als nötig für den Datenschutz. Auch nach Ablauf der vierwöchigen Widerspruchsfrist könne jeder sein Haus löschen lassen, habe der Konzern zugesagt. So handhabt es auch Sightwalk. Inzwischen häuften sich jedoch die Beschwerden. "Wir sehen ein lineares Verhältnis zwischen Medienecho und der Zahl der Widersprüche", sagt Panogate-Chef Wild. Menschen verlangten gar, Fotos von Ortschaften zu löschen, die Sightwalk nicht abbildet. Im Streit über die Bilderdienste hat die Hysterie die Fakten verdrängt."

Zum Glück wird Google Street View genau an dieser Stelle von Adolf Sauerland verdrängt. Auf Duisburgs Stadtobersten ist Verlass, da wird jeder Fehler, den man im Umgang mit dem Desaster bei der Love Parade machen kann, gemacht.

"Blogger, die zur Aufklärung beitragen wollen und interne Dokumente veröffentlichten, mahnte das Stadtoberhaupt ab und untersagte die weitere Verbreitung. Das Duisburger Blog Xtranews hatte am Mittwoch Anhänge eines von der Stadt offiziell in Auftrag gegebenen Gutachtens veröffentlicht. In der Version, die die Stadt selbst auf ihrer Homepage zur Verfügung stellt, fehlen diese."

Berichtet gut verlinkt die TAZ. Der Schuss ging freilich nach hinten los, und nicht nur die FAZ kennt auf der ersten Feuilletonseite (Seite 27, Aufmacher ist übrigens Thomas Gottschalks Bayreuth-Bericht) den Terminus technicus:

"Der Versuch, die Informationen per einstweiliger Verfügung zu unterdrücken, dürfte sich, anders als noch vor zwanzig Jahren, als kontraproduktiv herausstellen und ihre Verbreitung eher beschleunigen. Zu erwarten ist ein 'Streisand-Effekt', wie er sich 2003 nach der Fünfzig-Millionen-Dollar-Klage der Schauspielerin Barbra Streisand gegen den Fotografen Kenneth Adelman und die Website Pictopia.com eingestellt hatte."

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Adolf Sauerland kennt den Streisand-Effekt nicht (TAZ)##Früher haben solche Klagen noch geholfen (SZ)##Thomas Fischermann googelt sich selbst (Zeit)##Wie trocken ist der Sachsensumpf (TAZ)##]]

In dem Text von Andreas Rossmann wird auch darüber informiert, dass die Kanzlei, die auf Urheberrechtsverletzung klagt, mit der Stadtverwaltung öfter zusammenarbeitet. So informiert über die Causa nun, dem Streisand-Effket sei Dank, bei weitem nicht nur Markus Beckedahl, der mit Netzpolitik.org zu größer Bekanntheit als "Bahnblogger" gelangte, als die Bahn sich dereinst ebenfalls geschickt angestellt hatte im Umgang mit der Informationsunterdrückung.

Hans Leyendecker, der elder statesman der Anti-Informationsunterdrückung, erinnert in der SZ daran, dass die von Barbara Junge so genannte Moderne in diesem Fall einmal besser ist als das sonst geliebte Früher:

"Der Spiegel hatte vor vielen Jahren in einer Skandalgeschichte über den Milliardär Friedrich Flick und dessen Majordomus Eberhard von Brauchitsch aus der 122 Seiten dicken Schutzschrift eines Anwalts zitiert, in der es unter anderem um Bakschisch-Politiker ging. Der Anwalt verwies auf sein Urheberrecht und ein Gericht gab ihm recht. In einem Buch über den Flick-Fall mussten die aus der Schutzschrift entnommenen Passagen geschwärzt werden. Solidarität unter den Zeitungskollegen gab es damals nicht. Es gab vielmehr Neid oder Desinteresse, obwohl die Auseinandersetzung für die gesamte Branche nicht unwichtig war. Das Netz, das gleichermaßen Platz für Amateure und Profis bietet, reagiert offenkundig anders als der auf Konkurrenz angelegte Betrieb der holzverarbeitenden Industrie. Einst konnte man eine Sache per Gericht stoppen, in der Internetgemeinde wird sowas als Zensur verstanden. Das Netzwerk wird dann zur Waffe."

Und wie wirksam sie ist: Sauerland hat noch am Mittwoch kapituliert, ist etwa in der TAZ zu lesen:

"Die unkontrollierbare Verbreitung sei faktisch nicht mehr zu unterbinden, sagte ein Sprecher. Die Stadt wolle keine weiteren juristischen Schritte unternehmen."

Warum nicht gleich so?


Altpapierkorb

+++ Der Majordomus von Johannes B. Kerner heißt: Johannes B. Kerner. Es gibt ihn, ob kriselnden Talks in Sat.1, künftig noch einmal ganz anders, weiß die SZ (Seite 13). +++ Wo wir beim Fernsehen sind (oder besser waren). Man kann es nicht oft genug sagen: Klaudia Wick mochte den Fernsehfilm "Schurkenstück" (gestern 20.15 Uhr, ARD) über eine Gefängnisinsassen zivilisierende Dürrenmatt-Inszenierung in der BerlinerFR nicht: "'Schurkenstück' ist sicher gut gemeint. Aber nicht gut gemacht." +++ Waren die "guten Absichten" das, was Uwe Ebbinghaus in der FAZ unter "politischer Korrektheit" verstand, die er gar nicht erkennen konnte? "Mit dem heute ausgestrahlten Fernsehfilm 'Schurkenstück' über ein Theaterprojekt in einer Haftanstalt aber geht der WDR weit hinter Hausproduktionen wie 'Wut' und 'Keine Angst' mit ihrer drastischen Darstellung von Migrationsproblemen und Gewalt unter Jugendlichen zurück und tauscht kontroverse Diskussion gegen politische Korrektheit ein." +++

+++ Viel interessanter und vor allem heute: Steffen Grimberg bleibt in der TAZ  verdienstvollerweise am Ball des Sachsensumpfs und dem Urteil gegen die freien Journalisten Thomas Datt und Arndt Gintzel, dass die Sächsische Zeitung eher im Tenor der Staatsanwaltschaft kommentiert. +++ Der Freitag liefert derweil Impressionen aus Leipzig nach dem Urteil, dem Ort des Geschehens. +++ Eine Art kleineres analoges Duisburg gibt es in Kiel, weiß wiederum die TAZ. +++ Die FAZ (Seite 33) berichtet von den Werbemaßnahmen, die die Kika-Sommertour finanzieren. +++

+++ Über die Umstellung der "Bravo" aufs digitale Zeitalter informiert der Tagesspiegel. +++ Die Berliner weiß das Twittern von ZDF-Pakistan-Korrespondent Stephan Hallmann zu schätzen. +++ Die FAZ (Seite 33) hat herausgefunden, dass die Begeisterung bei der Beteiligung an Wikipedia nachlässt – müssen wir uns Sorgen machen, dass bald kein Mensch mehr etwas in diesem Internet tut? +++ Auch ein Indiz dafür? Wikileaks-Gesicht Julian Assange wird Kolumnist in einer schwedischen Tageszeitung und erhält Support von der dortigen Piratenpartei (Welt-Online, FAZ, Seite 33) +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.

 

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