Seibert gibt Parkplatz auf

Seibert gibt Parkplatz auf

Steffen Seibert wird vom Nachrichtenmoderator zum neuen Regierungssprecher, und die Branche weiß auch nicht so recht: besser so als umgekehrt? Wünscht man Glück? Sorgt man sich um ihn?

Steffen Seibert tauscht einen hochrangigen Managementposten gegen eine Aushilfsstelle bei einer Suppenküche. Klingt jedenfalls so: "Der Mann ist abenteuerlustig", schreibt etwa die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in einem Text über Seibert, der bislang beim ZDF "heute" und "heute journal" moderiert hat und nun Regierungssprecher wird. "Er tauscht die Sicherheitsgarantie vom Mainzer Lerchenberg gegen die Schleuderposition in Berlin. Den Job kann er in drei Jahren wieder los sein; beim ZDF wäre ihm die Gebührenpension sicher."

Auch der Tagesspiegel sorgt sich um den armen Mann: "Jetzt geht er nach Berlin, was wird aus ihm, wenn die Regierung Merkel plötzlich am Ende ist? Wenige nur haben die ZDF-Zentrale mit ihren Lebensarbeitsplätzen je verlassen (...). Seibert geht ein Risiko ein, das dem normalen Mitarbeiter fremd ist."

Nett, wie sich die Branche seit Sonntag um die mittlere und fernere Zukunft von Steffen Seibert zu sorgen vorgibt.

Natürlich sorgt sich niemand wirklich um ihn, denn erstens ist es ja nicht so, dass man als Bundesregierungssprecher am Hungertuch nagt, und das ist ja auch gut so. Der Regierungssprecher ist nach dem Bundesbesoldungsgesetz der Besoldungsgruppe B11 zugeordnet. Zusätzlich zum monatlich Grundgehalt erhält er noch Zuschläge. Schrieb sueddeutsche.de einmal in einem "Jobatlas". Die Besoldung in der Gruppe B11 findet man bei Bedarf auch online.

Und zweitens: Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass Seibert auf der Straße steht, wenn die schwarz-gelbe Koalition irgendwann einmal den Bach hinuntergeht?

Carolin Emckes Rede zur "Lage des Journalismus", die sie am Wochenende bei der Jahrestagung von "Netzwerk Recherche" hielt und die die taz gekürzt und Meedia in Gänze dokumentiert, passt an dieser Stelle ganz gut: "Mehr als das Internet schreckt mich die (...) Tendenz, die Wirklichkeit nur noch als Material für Texte oder Filme zu verstehen", sagte sie. Hier haben wir ein teilweise passendes Beispiel.

Bei Michael Hanfeld in der FAS jedenfalls dient die Sorge wohl nur, um so in einem Nebensatz auch unterbringen zu können, dass es beim ZDF eine doppelte "Rentengarantie und Parkplatz vor dem Sendegebäude" gibt, finanziert natürlich durch die viel zitierten Zwangsgebühren.

Hanfelds Text, der passagenweise der durchdachteste und passagenweise der durchtriebenste zum Thema ist, liest sich passagenweise auch wie eine Bewerbung für den Posten des neuen Sprechers des neuen Regierungssprechers:

"Er ist ein kluger Kommunikator, er hat Stil, er hat Rückgrat, er hat einen Standpunkt und - ganz wichtig für seine neue Arbeitgeberin - er ist populär. (...) Er liebt die Oper, ist ironiebegabt, belesen, witzig, sympathisch, distanziert sich selbst und seinem Gewerbe gegenüber. Und er ist sogar uneitel. (...) Steffen Seibert mag es nicht, an der Oberfläche zu bleiben. Er mag es nicht, leichtfertig beurteilt zu werden, und er urteilt selbst nicht vorschnell. Er ist ein Moderator im besten Sinne. Er interessiert sich für den Standpunkt anderer, hört zu, trennt das Persönliche vom Sachlichen und ist - verbindlich."

Wie immer hat sich die FAS/FAZ sicher etwas dabei gedacht, sich derart an Seibert heranzuwanzen, und es ist sicher zu simpel, zu glauben, das Loblied auf Seibert habe damit zu tun, dass der, wie die Frankfurter Rundschau schreibt, Studenten auch umgekehrt die Lektüre der FAZ empfiehlt. Möglicherweise muss einfach die Fallhöhe vergrößert werden, um den Verlust für das ZDF als besonders groß darzustellen. Maybrit Illner dagegen, die ja nach wie vor beim ZDF arbeitet, wird in der FAS als "Staatsjournalistin" mit "Überlegenheitsdenken, Bunkermentalität, Angst vor der Welt da draußen" gewürdigt, die sich in ihrer "splendid isolation" offensichtlich wohl fühle, weil sie es wagte, "ganz fassungslos" über Seiberts Wechsel zu sein. Aber wir können nicht in den Kopf des Autors kriechen, um nachzuschauen, was dieses durchsichtige Manöver wirklich soll - während er sich in Seiberts Kopf ja offensichtlich ziemlich gut auszukennen scheint.

(Da fällt uns, nebenbei, die kleine Debatte zwischen Claudius Seidl, dem Feuilletonchef der FAS, und Zeit-Reporter Stephan Lebert über die Seriösität der Reportage ein, über die sie auch bei der "Netzwerk Recherche"-Tagung am Wochenende diskutierten (s. Altpapier 1 für Seidls Kritik und für Leberts Erwiderung Altpapier 2). Seidl kritisierte etwa an einer preisgekrönten Reportage von Alexander Osang, "dass der Autor sich die Freiheit nimmt, in nahezu jeden Kopf, der im Weg herumsteht, hineinzukriechen und von dort drinnen zu berichten, wie es sich so denkt und fühlt in diesem Kopf".)

[listbox:title=Artikel des Tages[Heribert Prantl über die Verschlossenheit der katholischen Kirche (SZ)##Carolin Emcke über die Lage des Journalismus (gekürzt in der taz)##FAS über Steffen Seibert]]

Zurück zu Seibert aber: Insgesamt weiß die Branche auch nicht so recht, was von seiner beruflichen Entwicklung zu halten sei. Die sehr dürre Verabschiedung des ZDF nimmt man überall auf den Medienseiten zur Kenntnis, desweiteren auch "ein Gran Eitelkeit" (Tagesspiegel vom Sonntag), die taz deutet als Seiberts Motiv einen Karrieresprung an. Und eigentlich ist es doch so: Besser ein Journalist geht in die Politik, als dass ein Politiker Chefredakteur wird. Sueddeutsche.de allerdings bringt Skepsis gegenüber der "Skepsis zum Ausdruck, die im deutschen Journalismus immer noch gegenüber Kollegen herrscht, die den Journalisten- gegen den Sprecherberuf tauschen: Derlei gilt nicht bloß als Jobwechsel, sondern als endgültige Aufgabe eines Berufswegs - als ob einer damit Urteilsvermögen und gedankliche Unabhängigkeit aufgäbe."

An anderen Stellen wird der Austausch zwischen Politik und öffentlich-rechtlichem System eher argwöhnisch kommentiert. Die Berliner Zeitung schreibt:

"Für Unmut sorgte schon, dass Angela Merkels amtierender Sprecher Ulrich Wilhelm demnächst den Bayerischen Rundfunk leitet und somit aus der Politik heraus in die öffentlich-rechtliche Senderwelt wechselt. Nun scheint es so, als greife sich die Regierung aus just diesem System einfach einen Ersatz ab. Die Vermutung drängt sich auf, das alles sei ein Kreislauf, ein ewiges Geben und Nehmen. Stehen sich Politiker und die Verantwortlichen von ARD und ZDF viel näher, als sie zugeben?"

Und die taz fragt sich:

"Man wüsste gern, was er" - Seibert - "sich dabei denkt. Denn seit der Causa Brender steht die Staatsferne des ZDF - und damit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insgesamt - im Mittelpunkt der Diskussion. Dass nun mit Ulrich Wilhelm ein Regierungssprecher ausscheidet, um bei der ARD als Intendant anzufangen, und an seine Stelle ausgerechnet ein ZDF-Mann nachrückt - ein absurderes Signal für fehlende Staatsferne könnte es kaum geben."

Michael Hanfeld, dessen FAZ sich in der Berichterstattung über die Brender-Affäre hervorgetan hat, hat allerdings recht, wenn er schreibt, es gebe einen Unterschied zwischen Seiberts ganz offenem Wechsel und den Hinterzimmergeschäften, die tatsächlich den Eindruck von fehlender Staatsferne aufkommen ließen. "Schwierig und schmierig sind doch in Wahrheit nicht solche Wechsel, sondern die Hinterzimmergeschäfte, die Durchstechereien, die heimlich parteibuchgeförderten Karrieren, beim ZDF genauso wie bei der ARD."

Die Frage, die bleibt, ist dennoch: Dass das eine - das Hinterzimmergeklüngel - schmierig ist, bedeutet das wirklich, dass das andere - der Austausch von Personal zwischen Journalisten- und Sprecherberuf, selbst wenn er ganz offen geschieht - unbedingt ein Grund für Lobhudeleien ist?


Altpapierkorb

+++ Offenheit: "Ich würde mir Geschichten wünschen, die ambivalent und offen sind, nicht eindeutig und geschlossen." Carolin Emcke nochmal +++ Einen Stream gab es übrigens nicht von der Netzwerk-Recherche-Tagung, aber es gab Twitter: #nr2010 +++ ZDF-Chefredakteur Peter Frey mit gelockerter Krawatte: So beschreibt ihn Ulrike Simon in der BLZ: "Die Proteste und Debatten haben beim ZDF und seinen Mitarbeitern Wunden hinterlassen, sagt Frey. (...) Er will den Mitarbeitern Selbstbewusstsein zurückgeben. Die Beine übereinander geschlagen, im bloßen Hemd, die Krawatte gelockert, endet Freys einführender Vortrag mit dem Satz: 'Wir sind niemandes Diener'." +++

+++ Kirche: Die andere Rede der "Netzwerk Recherche"-Tagung vom Wochenende anlässlich der Verleihung der "Verschlossenen Auster", des Negativpreises für den "Informationsblockierer des Jahres" an die katholische Kirche (siehe etwa Hamburger Abendblatt) hielt Heribert Prantl von der Süddeutschen; sie ist auf deren Medienseite und online dokumentiert +++ Und was wird aus Seiberts Nebenbeschäftigungen? Auf die Reihe "Auslegung des Evangeliums mit Steffen Seibert" beim Domradio des Bistums Köln weist die Süddeutsche im Porträt auf Seite 4 hin +++

+++ Fußball: Die Medienseiten verabschieden Günter Netzer als Fußballeinordner der ARD, etwa TSP, FTD und BLZ +++

+++ Und noch dies: Der Spiegel meldet "exklusiv" und "vorab", was Carta schon vor drei Wochen veröffentlicht zu haben beansprucht +++

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag gegen 9 Uhr.

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